Deutsche Bibelgesellschaft

Gottesbegegnung (AT)

(erstellt: Februar 2017)

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1. Vorbemerkung

Der Begriff „Gottesbegegnung“ ist weder ein genuin alttestamentlicher noch ein Fachterminus der systematischen Theologie. Er entstammt der Frömmigkeit und Glaubenspraxis und findet erst von dort kommend auch in reflektierend-theologischer Rede Verwendung. Mit ihm ist zusammengefasst, was sich sonst auf unterschiedliche Begriffe und Bereiche verteilt (siehe 2.); gegenüber dem Begriff „Offenbarung“ wirkt er weniger hierarchisch. Alttestamentlich lassen sich zahlreiche Aspekte der Interaktion von Gottheit und Mensch mit ihm verbinden, die entweder auf die Gottesbegegnung schon abzielen oder gedeutet als solche erkennbar werden. Fasst man den Begriff „Gottesbegegnung“ im weitesten Sinne – Gott und Mensch treten zueinander in Kontakt –, rückt der Großteil des Alten Testaments in den Blick: als Sammlung von Geschichten über die Interaktion und Kommunikation zwischen Gott und Mensch verstanden. Gottesbegegnung ist ein Teil dessen, was in diesem Sinne der größere Begriff „Offenbarung“ umfasst. Wo, wem und wie Gott erscheint, will dieser Artikel in Gestalt eines materialen Längsschnitts durch alttestamentliche Vorstellungen von Gottesbegegnung in den verschiedenen Literaturbereichen des Alten Testaments nachzeichnen.

2. Konturen der Gottesbegegnung im Alten Testament

Das Alte Testament kennt den Begriff „Gottesbegegnung“ selbst nicht (ebensowenig wie den umfassenderen Begriff → Offenbarung oder das Antonym → Abwesenheit Gottes), setzt aber voraus, dass man Gott begegnen kann – besser, dass Gott in unterschiedlichsten Weisen Menschen begegnet, sich sehen und hören lässt. Davon wird oft sehr konkret und in anthropomorphen Vorstellungen erzählt. Darüber hinaus erschließen sich Naturphänomene und Geschichte im Alten Testament immer wieder als Begegnung mit der Gottheit. Hinzu kommen der Kult als institutioneller Ort der Gottesbegegnung und das Gebet. Ausgehend vom Reden Gottes werden schließlich auch das (prophetische) Wort und die Tora zum Medium der Begegnung. Diesen unterschiedlichen Orten der Gottesbegegnung – Natur, Geschichte, Wort (vgl. u.a. Kaiser 2003, 467) und Kult – wurde und wird unterschiedliche Wertschätzung beigelegt.

Von der Gegenwart Gottes, wie sie sich in der Verheißung des Mitseins Gottes an die → Erzeltern oder in der Feuer- und Wolkensäule beim Auszug aus Ägypten (→ Epiphanie; → Exodustradition) ausdrückt, lässt sich die je einzeln widerfahrende Gottesbegegnung dadurch unterscheiden, dass Letztere Teil eines Kommunikationsgeschehens ist. Die Gegenwart Gottes, sein Mitsein, bildet freilich die Voraussetzung der Gottesbegegnung (so im Negativen für Saul, der keine Antwort mehr von dem Gott erhält, der „von ihm gewichen“ ist, 1Sam 28,15f.). Dabei erzählt das Alte Testament von Gottesbegegnungen Einzelner und denen seines Volkes sowie von (künftigen) Gottesbegegnungen anderer Völker. Zu diesen Einzelnen gehören die Erzväter, Hagar, Mose und Propheten. Einzelne genauso wie die gesamte Gemeinde begegnen Gott zudem im Kult, als Opfernde und Beter.

Vermittelte oder indirekte Gottesbegegnungen finden sich alttestamentlich ebenso wie direkte (→ Mittler). Vermittlungsinstanzen können alle Ereignisse sein, durch die Gott sich „als Retter und Helfer manifestiert“ (Lang, 12). Vermittlungsinstanz kann, zunehmend in späterer Zeit, auch die Tora sein – sie schafft die Möglichkeit der Gottesbegegnung und Gottesbefragung (1Makk 3,48; Ps 1). In späterer Zeit sind → Engel, insbesondere der Engel Jhwhs, wichtige Mittlerfiguren. Bei den direkten Gottesbegegnungen lassen sich verschiedene Modi unterscheiden: → Vision / Visionsschilderung und → Audition (Ex 3,1-4,17; Ri 6,14-18 – im Kontext von Ri 6,12-24 auch als Engel Jhwhs; Jes 6*; Jer 1,4-10; Ez 1,4-3,27), → Traum / Traumerzählung oder direkte Anrede. Für die Modi der Gottesbegegnung, die zugleich typische Modi des prophetischen Wortempfangs (→ Propheten, → Divination) sind, sei auf die verlinkten Artikel verwiesen.

Die Gottesbegegnung bleibt im Alten Testament unverfügbar und bedrohlich. Alttestamentliche Texte wenden sich gegen eine bildhafte Verehrung Jhwhs und unterstreichen in diesem Zusammenhang, dass man Jhwh weder ansehen kann noch darf. Wer Gott sieht, rechnet damit, sterben zu müssen (Ex 19,21; Ex 33,20). Viele Erzählungen spiegeln diese Angst; am Leben zu bleiben, gilt als Gnade (Gen 32,31; Ex 33,20-23; Ri 6,23; dass dennoch der Tod nach der Gottesbegegnung nicht immer eintritt, erklärt mit nüchterner Logik Simsons Mutter ihrem Mann Manoach, Ri 13,21-23). Besonders urtümlich erscheinen dabei die handgreiflich-kämpferischen Gottesbegegnungen → Jakobs am → Jabbok (Gen 32,23-33; Hos 12,4-6) und → Moses (Ex 4,24-26), metaphorisch in den → Konfessionen Jeremias (Jer 20,7). Deuteronomistische Texte (→ Deuteronomismus) formulieren die Erwartung, sterben zu müssen, schon für das bloße Hören Gottes (Dtn 4,32f.; Dtn 5,23-27). Zur Wahrung des Geheimnisses wie zum Schutz erfüllt Rauch das Allerheiligste (Lev 16,13), wohnt Gott in Wolken und Dunkelheit (Lev 16,2; Ps 18,12; Ps 97,2). Er lässt sich finden und entzieht sich den Blicken und der Kontaktaufnahme, eilt zu Hilfe oder lässt auf Rettung warten. Diese Unverfügbarkeit bringen Psalmen als Sehnsucht nach Gott zum Ausdruck (vgl. 6.1).

3. Ur- und Vätergeschichte (Gen 1-11.12-50)

In der Ur- und Vätergeschichte begegnet Gott zahlreichen Hauptfiguren sehr unvermittelt in ihrem erzählten Alltag. Für priesterliche Texte (→ Priesterschrift) gilt dies eingeschränkt auf Kommunikationsgeschehen: Gott redet direkt zum ersten Menschenpaar, segnet und gibt eine Speiseordnung (Gen 1,28f.), redet zu → Noah (z.B. Gen 9,1) und → Abram / Abraham (Gen 17), erscheint → Jakob (Gen 35,9-13) und spricht jenseits der Vätergeschichte zu → Mose (Ex 6,2-12).

Plastischer schildern nichtpriesterliche Texte Gottesbegegnungen. Hier tritt zu Anrede und Zwiegespräch anthropomorphe Redeweise über Gott (→ Anthropomorphismus) in unterschiedlichsten Ausformungen: Im Garten ist Gott einfach da, kommuniziert, geht abends umher (Gen 3,8) und bekleidet schließlich das erste Menschenpaar (Gen 3,21), ehe er es aus dem Garten vertreibt (Gen 3,24; → Paradieserzählung). Ebenso selbstverständlich agiert er auch nach der Vertreibung als Protagonist, sieht Abels Opfer gnädig an (Gen 4,4) und spricht zu Kain (Gen 4,5.9), den er mit dem sprichwörtlichen Mal (Gen 4,15) versieht (→ Kain und Abel). Er redet mit → Noah und verschließt selbst die → Arche hinter ihm (Gen 7,16b); er erscheint Abram / Abraham (Gen 12,7; Gen 18,1), geht auch wieder (Gen 18,33) und erscheint → Isaak des Nachts (Gen 26,24). Jakob begegnet er im Traum zu → Bethel (Gen 28,10-22) und kämpft an der Jabbokfurt mit ihm (Gen 32,23-32). Häufig wird die Gottesbegegnung zum Anlass eines Altarbaus, die Erzählung somit zur → Ätiologie (z.B. Gen 12,7; Gen 35,1).

Die in der Abfolge der Genesis erste Gottesbegegnung, die über die anthropomorphe Redeweise hinaus erzählerisch als solche ausgeführt und benannt wird, widerfährt nicht den Erzvätern, sondern → Hagar in der Wüste. Nach der Begegnung mit dem → Engel des Herrn als Mittlerfigur konstatiert Hagar, nicht nur von Gott gesehen, also beachtet worden zu sein (→ El Roi), sondern selbst „hinter ihm hergesehen“ zu haben (Gen 16,13).

4. Exodus – Deuteronomium

Das den Vätern verheißene Mitsein Gottes konkretisiert sich in der Zeit der Wüstenwanderung auf unterschiedliche Weise in Feuer- und Wolkensäule, der → Bundeslade und schließlich dem „Zelt der Begegnung“ (→ Zelt) als kultisch bestimmten Ort der Gottesbegegnung. Mit großem erzählerischem Umfang führt der Weg von der ersten Gottesbegegnung Moses, seiner Berufung, und der Befreiung des Volkes zur Sinaioffenbarung, bei der mit Kult und Tora die Grundlage für die Gottesgegenwart im Volk gegeben und damit Gottesbegegnung ermöglicht wird (→ Sinai).

4.1. Die Berufung Moses in Ex 3

Die literarisch nicht einheitliche Berufungserzählung in Ex 3 beginnt damit, dass Mose sich an einen heiligen Ort, den Berg Horeb begibt. Dort erscheint ihm der Engel Jhwhs, der Substitut Gottes ist (Ex 3,1-5): Der Engel lässt sich sehen, Gott redet. Dabei entdeckt Mose den Ort nach Ex 3,5 (traditionell dem → Jahwisten zugewiesen) erst als heiligen. Im brennenden Dornbusch zeigt und verbirgt sich Gott (Ex 3,2) und ruft von dort aus nach Mose (Ex 3,4). Die Gottesbegegnung am heiligen Ort flößt Angst ein: Sie erfordert „besondere Reinheit (Ex 3,5), seine Gegenwart die ehrfurchtsvolle Verhüllung des Antlitzes (Ex 3,6); denn der Mensch, der Gott sieht, stirbt (Ex 33,20)“ (Kaiser 1998, 87).

Die Erzählung setzt also die Sichtbarkeit Gottes voraus (Ex 3,6): Mose verhüllt sein Gesicht, aus Furcht, Gott anzusehen. Diese sehr direkte Form der Begegnung findet sich für Mose öfter, gilt aber als absolute Ausnahme und wird in den Texten selbst problematisiert (vgl. auch Ex 33,11.12-23).

Die traditionell als jahwistisch bestimmte (so u.a. Kaiser 1998, 91) Retrospektive greift das Wohnen Gottes „oben“, in himmlischen Gefilden auf und bedient sich anthropomorpher Rede: Gott steigt herab (ירד jrd) um sein Volk zu retten und herauszuführen (Ex 3,8). Als Besonderheit umfasst die Berufungserzählung die Offenbarung des göttlichen Namens → Jahwe (Ex 3,14). In der nicht-priesterlichen Erzählung findet sich diese unter den Einwänden oder Nachfragen Moses – die Bezeichnung als „Gott eurer Väter“ könne nicht ausreichen. Die Herkunft und die Deutung des Gottesnamens sind umstritten (→ Jahwe); der Name bezweckt in dieser Gottesbegegnung die Versicherung der angekündigten Rettung. Er wird um den Rekurs auf die Väter ergänzt (Ex 3,15) und bezieht so deren Gotteserfahrungen mit ein. Literarisch verbinden sich so Väter- und Mosegeschichte. Etwas anders die priesterliche Variante mit dem Konzept der „gestuften Offenbarung“: Hier findet sich mit der Bekanntgabe des Namens das Motiv der Überbietung in der Anknüpfung (Ex 6,2f.).

Das „wie“ der Gottesbegegnung hebt Mose generell unter allen anderen Anführern und Propheten heraus. Gott redet nur mit Mose von Angesicht zu Angesicht (Ex 33,11). Was das Deuteronomium summarisch konstatiert (Dtn 34,10), führt Num 12,1-8 erzählerisch aus: Zwar redet Gott auch zu Miriam und Aaron – sogar am selben Ort wie zu Mose, aus der Wolkensäule in der Tür der Stiftshütte (Num 12,5) – doch das direkte Gespräch und das Sehen Gottes bleibt allein Mose vorbehalten. Dem Propheten erscheint Gott in Gesichten und Träumen, mit Mose redet er offen und direkt (Num 12,6-8).

4.2. Die Sinaioffenbarung als Theophanie und als Kultstiftung

4.2.1. Mose am Sinai

Die Sinaierzählung Ex 19-Num 10 wird durch die Begegnung zwischen Gott und Volk eröffnet. Während Mose, wiederum in direkter Anrede (Ex 19,3ff.), die Rahmenbedingungen erfährt und herstellt (Ex 19,7f.14f.), erlebt das Volk am Fuß des Sinai eine Theophanie mit deren „klassischen“ Elementen: Gewitter, Gewölk und Posaunenschall, Rauch, Feuer und Erdbeben (Ex 19,16.18; → Epiphanie). Diese Gottesbegegnung führt beim Volk zum → Erschrecken (Ex 19,16; Ex 20,18). Sie erleben das Geschehen nur vom Fuß des Berges aus, der heilige Bereich bleibt ihnen als ein lebensgefährlicher verwehrt. Mose dagegen wird zusammen mit Aaron zu Gott gerufen (Ex 19,24). Ex 20 deutet das erschreckende Szenario als Hilfe zur Gottesfurcht und Gebotsbefolgung (Ex 20,20) und lokalisiert Gott im „Dunkel“ עֲרָפֶל ‘ǎrāfæl (Ex 20,21).

Auf die Bekanntgabe der Gebote folgt in Ex 24 der Bundesschluss am Sinai (→ Bund). Dieser umfasst eine Gottesbegegnung der Führer des Volkes (Ex 24,1f.9-11), bei der Mose und → Aaron, → Nadab und Abihu sowie siebzig Älteste Gott sehen: Erzählerisch beschrieben wird jedoch lediglich der Boden unter seinen Füßen „wie ein Gebilde von Saphirplatten und so klar wie der Himmel selbst.“ (Ex 24,10 in der Übersetzung der Schlachter Bibel, 2000). Dass von der Begegnung mit Gott in diesem Fall keine Gefahr ausgeht, ist als Ausnahme der Erwähnung wert. Nach der Gottesschau essen und trinken die Anführer des Volkes (Ex 24,11), wohingegen nach Ex 24,12 danach erst Mose mit → Josua ganz auf den Berg hinaufsteigt.

Dort soll er die Gesetzestafeln empfangen (Ex 24,13-18). Sechs Tage lang ruht der כָּבוֹד kāvôd (→ „Herrlichkeit“) auf dem von der Wolke verhüllten Sinai (Ex 24,15b-18, Priesterschrift), ehe Gott am siebten Tag Mose aus der Wolke zu sich ruft. Mose bleibt 40 Tage in der Gegenwart Gottes und empfängt nicht nur die Tafeln (Ex 24,12; Ex 31,18; → Dekalog), sondern in der literarischen Abfolge des → Exodusbuches auch die Gesetze, die das → Zelt der Begegnung betreffen (Ex 25,1-31,17). Die Ordnung des Kultes ergeht also in der Begegnung mit Gott direkt an Mose. Auch für die zweite Auflage der Tafeln (Ex 34,28) begibt sich Mose 40 Tage lang, diesmal fastend (→ Fasten), zu Gott. Bei der Rückkehr Moses glänzt sein Angesicht, „weil er mit Gott geredet hatte“ (Ex 34,29): Die Gottesbegegnung führt im Fall Moses nicht zum Tod, ihre Auswirkung, Moses strahlendes Angesicht, ist aber, einem reflektierenden Spiegel gleich, für „Aaron und ganz Israel“ schwer zu ertragen (Ex 34,30.35).

4.2.2. Gottesbegegnung im Kult

Die Sinaioffenbarung ist priesterschriftlich zugleich Erzählung der Kultstiftung; die → Priesterschrift, verortet man ihr Ende in der Sinaierzählung, findet in der Kultstiftung, ihrer „gestuften Offenbarungstheorie“ in Ex 6,2f. entsprechend (vgl. Schmid, 149), ihr Ziel. Dies spiegelt sich auch in Entsprechungen zwischen Gen 1,1-2,4a und Ex 24,15b-18a; Ex 25,1; Ex 40,33b; Ex 39,43b wie dem Schema von sechs plus einem Tag (vgl. Kaiser 1998, 192), dem Gedanken der Vollendung und dem Segen (vgl. Schmid, 147).

Die Vorgaben, die Mose aus der Gottesbegegnung mitbringt, werden umgesetzt (Ex 25-31; Ex 35-40 Priesterschrift): Fortan lässt sich Gott im oder am Zelt der Begegnung finden; Wolke und כָּבוֹד kāvôd bedecken bzw. erfüllen es (Ex 40,34f.; → Ehre / Herrlichkeit). Dieser Ort der Gottesbegegnung unterliegt zahlreichen Ordnungen und Einschränkungen. Den Kult mit Opferdienst und Priestertum ordnen die Kultgesetze in → Leviticus (PS). Lev 8 erzählt von der Weihe der Aaroniden und des heiligen Ortes. Nach dem ersten Opfer Aarons zeigt sich die Herrlichkeit, der כָּבוֹד kāvôd, dem jubelnden Volk: Jhwh akzeptiert das Opfer, indem es im göttlichen Feuer aufgeht (Lev 9,23f.). Dass diese Möglichkeit der Gottesbegegnung fortan nicht stets und nicht jedem offen steht, stellt erzählerisch Lev 10 dar: Die Aaroniden → Nadab und Abihu sterben wegen eines Opfers, „das er ihnen nicht geboten hatte“ (Lev 10,1). Selbst → Aaron darf das Allerheiligste nicht jederzeit betreten, weil dort Gott erscheint (Lev 16,2), und erhält genaue Anweisungen, wie er die einmal jährlich am Großen Versöhnungstag (Jom Kippur) stattfindende Entsühnung (כפר kpr Piel, inf. + ל l) zu vollziehen hat (Lev 16; → Sühne). Betritt er es, soll Rauch den Ort bedecken, über dem Gott sich aufhält, הַכַּפֹּרֶת hakapporæt, und diesen so verbergen (Lev 16,13; vgl. 1.). Dass das Heiligtum nicht jedem zugänglich ist, schlägt sich auch architektonisch nieder: in der Untergliederung von Vorhalle, Hauptraum und Allerheiligstem (דְּבִיר dəvîr) des salomonischen sowie in den verschiedenen Vorhöfen des zweiten Tempels in herodianischer Zeit (→ Tempel).

Jenseits der priesterschriftlichen Texte wird die Gegenwart Jhwhs im Tempel zurückhaltender beschrieben: Traditionell als elohistisch eingeordnete Texte (→ Elohist), besonders prominent Gen 28, betrachten das Heiligtum als Ort einer Art Brücke zwischen eigentlich getrennten Welten, zwischen denen Engel vermitteln (vgl. Kaiser 1998, 189f.). In deuteronomistischer Theologie (→ Deuteronomismus) ist es sein → Name, der am erwählten Ort wohnt (Dtn 12; 1Kön 8,14-17.29).

4.3. Gott begegnen in der Tora

In der Prophetie und in deuteronomisch-deuteronomistischer Theologie wird das Wort zum Medium der Gottesbegegnung. Es genügt, dass Gott redet – schon ihn zu hören und nicht zu sterben, gilt als Wunder (vgl. Kaiser 1998, 94 – Ex 20,19; anders Dtn 5,4!). Mehr braucht es nicht und Gleichwertiges ist nicht vorstellbar (Dtn 4,32f.). Damit verbindet sich das → Bilderverbot: Israel hat Gott gehört, aber nichts gesehen als Feuer und Wolkendunkel (Dtn 4,12; Dtn 4,15ff.). Das Wort schafft die Gottesbegegnung und genügt, es substituiert sie.

In diese Traditionslinie lassen sich auch die Torapsalmen einordnen: Die → Tora wird dem, der sich Tag und Nacht meditierend an ihr erfreut als Mittlerin göttlichen Segens zur Quelle von Leben, Ertrag und Erfolg (Ps 1, vgl. auch das große Lob der Tora Ps 119).

Schließlich befragte man die Tora wie ein Orakel: „Sie breiteten die Gesetzesrolle aus, um eine Entscheidung zu erhalten, so wie die fremden Völker ihre Götterbilder befragen.“ (1Makk 3,48). Sie ersetzt in dieser Konzeption unmittelbarere Formen der Gottesbegegnung oder prophetische Rede (vgl. 1Kön 22,7).

5. Vordere Propheten (Josua – 2Könige)

5.1. Geschichte als Ort der Gottesbegegnung

Das → Deuteronomistische Geschichtswerk (DtrG) ist Musterbeispiel, wie Geschichte zum Ort der Gottesbegegnung werden kann (vgl. Rendtorff, 121f.; Lang, 13). Dies bedarf stets der Deutung. Eine solche findet sich regelmäßig in deuteronomistischen Schlüsseltexten (z.B. Richterschema Ri 2,6-3,6; 1Sam 12,6-16; 2Kön 17,7-23). Über den im DtrG abgeschrittenen zeitlichen Rahmen hinaus lässt sich für das Ende des Exils und die Wiederherstellung im Land mit Otto Kaiser festhalten, dass sich darin Jhwhs Herrlichkeit zeigt, die in späten prophetischen Texten (etwa Jes 25,6-8) dann auch auf die Völker zielt (vgl. Kaiser 2003, 469f.).

5.2. Gottesbegegnung im Rahmen von Berufung und Beauftragung

In besonderer Weise schildern die Bücher der vorderen und hinteren Propheten die Gottesbegegnung im Rahmen von → Berufungserzählungen und Beauftragungen.

5.2.1. Gideon

Die Erzählung von der Berufung → Gideons in Ri 6,11-24 wechselt bei der Frage, wer Gideon aufsucht, zwischen dem Boten / Engel Jhwhs und Jhwh selbst (Ri 6,14.16.23), allerdings „nur“ als Redenden. Der Einwand gegen die Berufung und das Motiv der Furcht begegnen hier verspätet: nach der Klage, dass Jhwh Israel verstoßen habe (Ri 6,13), in Ri 6,15 und nachdem die Gabe Gideons in Ri 6,21 wundersam in Feuer aufging (vgl. Lev 9,23f.). Für die Angst zu sterben genügt es hier, den Boten Jhwhs gesehen zu haben (Ri 6,22f.). Die Gottesbegegnung zielt in der vorliegenden (gewachsenen) Gestalt der Erzählung auf Gideons Berufung zum Retter vor den → Midianitern (Ri 6,14) einerseits, auf den Altarbau in Ofra andererseits (Ri 6,24).

5.2.2. Simson

Dass es sich bei → Simson um einen besonderen Menschen handeln wird, macht bereits die Ankündigung seiner Geburt deutlich. Der Engel Jhwhs erscheint Simsons künftiger Mutter (Ri 13,3ff.) und kündigt ihre Schwangerschaft und die Geburt eines Sohnes an, der von Mutterleib an als → Nasiräer aufwachsen und später Israel vor den → Philistern retten soll. Der Besuch des Engels wird von Simsons Eltern als Begegnung mit Gott erkannt (Ri 13,22, zur Reaktion s.o. unter 2.).

5.2.3. Samuel

Die Berufung → Samuels in 1Sam 3 beginnt als → Audition („rufen“ in 1Sam 3,4.6.8). Beim vierten Versuch Gottes, mit Samuel in Kontakt zu treten, wird jedoch mehr geschildert: „Und der HERR kam, stand da und rief wie schon zuvor“ (1Sam 3,10). Ob hier an eine Vision oder einen Traum zu denken ist, klärt auch 1Sam 3,15 nicht. Die Furcht resultiert hier nicht aus der Begegnung, sondern aus der Gerichtsbotschaft, die Samuel nun → Eli überbringen muss.

5.2.4. Elia

Während sich in 1Kön 18,38 das Geschehen aus Lev 9,23f. wiederholt – und zur Erkenntnis des Volkes führt, dass Jhwh Gott ist –, zeichnet 1Kön 19 ein anderes Bild einer Gottesbegegnung. Erzählerisch wird regelrecht ein Gegenprogramm zu „typischen“ Epiphanien, wie sie etwa Ex 19 schildert, entworfen. Während → Elia auf Geheiß Gottes „am Berg vor das Angesicht Jhwhs“ tritt, ziehen Sturm, Erdbeben und Feuer vorüber, ohne dass Gott darin zu finden wäre (1Kön 19,11-12a). Erst der „Klang eines leisen Rauschens (קֹול דְּמָמָה דַקָּה)“ bringt Gottes Gegenwart und einen neuen Auftrag mit sich (1Kön 19,12b).

6. Prophetenbücher

6.1. Prophetenwort und Gottesbegegnung

In Belangen der Geschichtsdeutung zeigen sich in den prophetischen Büchern Parallelen zum DtrG: Ereignisse erschließen sich durch das Prophetenwort (neu) als Handeln Gottes, zumeist als Gericht, aber auch als Möglichkeit zum Neuanfang. Der Prophet wird dabei zum Mittler für die Gottesbegegnung des Königs (1Kön 22, Jes 7,1-9, Jes 37-39) und schriftprophetisch vor allem des Volkes, dem er seine Botschaft ausrichtet (z.B. 1Sam 3,20). In den → Konfessionen Jeremias wird auch die Gottesbegegnung des Propheten selbst reflektiert (z.B. Jer 12,3; Jer 15,15-18; Jer 17,16f.; besonders plastisch Jer 20,7-9).

6.2. Gottesbegegnungen der Propheten

6.2.1. Ekstase und Trance

Altorientalisch ebenso wie biblisch können sich Gottesbegegnungen im Zustand der → Ekstase oder Trance ereignen. So scheint „Saul auch unter den Propheten“ (1Sam 10,11f.; → Saul) und kommt unter → Musik „die Hand Jhwhs über Elisa“ (2Kön 3,15; → Elisa). Eventuell ist auch bei der Wendung „fiel die Hand Gottes auf mich“ (Ez 8,1, vgl. auch Ez 3,14f.) an ein ähnliches Geschehen zu denken. Vorbereitet werden konnte die Gottesbegegnung außer durch geeignete Musik auch durch → Fasten (z.B. Dan 10,3 – hier dann für Daniels Visionen; 1Sam 1,8ff. [LXX]).

6.2.2. Die Berufungen der Propheten (s.o.)

Jes 6 schildert eine Thronratsvision, in der → Jesaja den thronenden Jhwh sieht, dessen Gewandsaum den Tempel füllt (Jes 6,1) und den die → Serafim verehren. Zentral ist hier die Heiligkeit Gottes: Die Serafim bedecken sich, das → Trishagion erklingt. Rauch erfüllt das Heiligtum (Jes 6,4), das hier wie das Zelt der Begegnung Ort der Entsühnung ist. Wiederum findet sich die Vorstellung, wer Gott sieht, müsse sterben (Jes 6,5), literarisch wohl sekundär, da schon die „unreinen Lippen“ die Todesangst angesichts des Heiligen begründen (vgl. Kaiser 1998, 107). → Jeremias Berufung beginnt als Audition (Jer 1,4) und endet nach Einwand und Beistandszusage mit der Berührung der Lippen Jeremias durch Jhwh (Jer 1,9). → Ezechiel erschüttert bei seiner Berufung der Anblick des כָּבוֹד kāvôd so sehr, dass erst der → Geist (רוּחַ rûaḥ) in ihn zurückkehren muss (Ez 2,2). Hier folgt der Vision die Audition. Der Prophet befindet sich nach der Gottesbegegnung in einem Zustand, der seine Mitmenschen erschreckt (Ez 3,14f.). Die Gegenwart Gottes ist im Ezechielbuch an den כָּבוֹד kāvôd gebunden (Ez 11,22f.; Ez 43,1-12).

7. Gebet und Unterredung mit Gott

7.1. Psalter

Im → Psalter wird die Gottesbegegnung verschiedentlich erbeten: Die נֶפֶשׁ næfæš (Lutherbibel: „Seele“) harrt (Ps 33,20) und wartet (Ps 130,6) auf Jhwh; sie dürstet nach ihm (Ps 42,3; Ps 63,2; Ps 143,6); er soll als Retter erscheinen und eingreifen (Ps 80,2; Ps 94,1). Dem (beharrlichen) Warten gilt die Verheißung der Hilfe Gottes (Ps 25,3.5; Ps 27,14; Ps 31,25; Ps 38,16; Ps 42,6.12 und Ps 43,5; Ps 69,4.7; Ps 130,5f.), der sich dem Beter zuwendet (Ps 40,2). Die Gegenwart Gottes bringt die Wendung der Situation, etwa die Rettung vor den Feinden mit sich (Ps 37,9.34) und führt zum Lob (Ps 71,14). Als eindrückliche Epiphanie nach Art eines Wettergottes schildert Ps 18,7-20 die Rettung: Jhwh erscheint in Dunkelheit und Feuer auf dem Kerub (→ Keruben), seine Stimme erschallt mit Hagel und Blitz gegen die Feinde.

7.2. Hiob

Im → Hiobbuch fordert Hiob die Begegnung mit Gott ein, um sich vor ihm zu verantworten (z.B. Hi 13,15) in der Erwartung, dass Gott Recht schafft (vgl. auch die Elihureden, Hi 35,14). Diese Begegnung wird ihm gewährt, Gott erscheint im Sturm (Hi 38,1; Hi 40,6). Die → Epiphanie führt zu Hiobs Einlenken und zu vertiefter Gotteserkenntnis (Hi 42,5f.).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff. (Art. Gottesschau).
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979 (Art. Offenbarung).
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992 (Art. Offenbarung).
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. u.a. 1993-2001 (Art. Offenbarung).
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006 (Offenbarung / Inspiration).
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995 (Art. ראה r’h).
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015 (Art. ראה r’h).
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004 (Art. Offenbarung II. Altes Testament).

2. Weitere Literatur

  • Kaiser, O., Der Gott des Alten Testaments. Wesen und Wirken. Theologie des Alten Testaments II. Jahwe, der Gott Israels, Schöpfer der Welt und des Menschen, Göttingen 1998.
  • Kaiser, O., Art. Offenbarung III. Altes Testament, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Bd. 6, Tübingen 2003, 467-470.
  • Lang, B., Art. Offenbarung (I) AT, in: Neues Bibel-Lexikon, Bd. III, Zürich u.a. 2001, 10-16.
  • Rendtorff, R., Offenbarung und Geschichte. Partikularismus und Universalismus im Offenbarungsverständnis Israels, in: R. Rendtorff (Hg.), Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1991, 113-122.
  • Schmid, K., Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008.

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