Eid / Schwur (AT)
(erstellt: Januar 2014)
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1. Allgemeine Bedeutung und Verwendung
In praktisch allen Kulturen und Religionen finden sich vielfältige Formen des Eides (Schwurs), mit dem eine Aussage (assertorischer Eid) oder ein Versprechen (promissorischer Eid) bekräftigt wird. Wer einen Eid leistet, bindet sich mit seiner gesamten Existenz an den Inhalt des Eides und an die Konsequenzen im Falle der Unwahrheit oder des Nichteinhaltens. Die Ernsthaftigkeit der Bindung wird zumeist verdeutlicht durch eine bedingte Selbstverfluchung („Möge ich tot umfallen, wenn ich nicht die Wahrheit sage“ u.ä.) und häufig durch die Anrufung von Gottheiten sowie durch begleitende Handlungen, wie Erheben der Hand oder einzelner Finger, Aufsuchung heiliger Orte, Berührung von machtvollen Gegenständen (Waffen, Figuren, Körperteile, heilige Bücher). Die Berührung heiliger Bücher beim Eid ist sowohl im Hinduismus und Sikhismus als auch im Judentum, Christentum und Islam bekannt.
Im Alten Orient dienen assertorische Eide (Aussage-Eide) häufig als Mittel der Rechtsfindung und Konfliktbearbeitung, indem in rechtlichen Verfahren für Anklagen, Beweisführung und Verteidigung Eide verlangt werden. Promissorische Eide (Versprechungs-Eide) spielen im Alten Orient eine wichtige Rolle in der innen- und außenpolitischen Herrschaftssicherung (vgl. Koch, 19-105; Weinfeld, 379-414): Könige ließen sich von Beamten, teils auch von der gesamten Bevölkerung, Treueeide leisten. Gegenüber untergebenen Herrschern erließen Großkönige schriftliche Abkommen (Vasallenverträge), welche durch einen Eid bekräftigt wurden. Der Vergleich mit altorientalischen Treueeiden und Vasallenverträgen spielt in der alttestamentlichen Forschung eine bedeutende Rolle in der Frage nach der Bundestheologie (→ Bund
In polytheistischen Religionen schwören auch Götter einander Eide, im Alten Testament sind zahlreiche Eide JHWHs / Elohims gegenüber dem Volk Israel belegt.
Manche Religionswissenschaftler betonen, die religiöse Dimension des durch Menschen geleisteten Eides sei durch den „Glaube[n] an das wirkende Wort“ (Gensichen, 374, vgl. Hock, 1121) gegeben, selbst wenn bei der Eidformel keine Gottheit angerufen wird. Mindestens ebenso bedeutend für die religiöse Dimension des Eides ist jedoch auch die im Alten Orient verbreitete Überzeugung, dass die Lebenswirklichkeit durchdrungen ist von einer durch Gottheiten gewirkten „Segens- und Fluchsphäre“ (→ Segen
2. Altes Testament
2.1. Semantisches Feld
Der Eid (Schwur) wird im Alten Testament überwiegend mit שׁבע šb‘ im Nif. „schwören“ formuliert (80 Belege mit Menschen als Subjekt, 75 Belege mit Gott als Subjekt) sowie mit dem Nomen שְׁבוּעָה šəbû‘āh „Eid / Schwur“ (30 Belege). Formulierungen mit שׁבע šb‘ im Hif. (30 Belege) zielen einerseits auf den Schwur („jemanden veranlassen zu schwören“), können aber auch die Bedeutung „jemanden unter einen (bedingten) Fluch stellen“ oder „jemanden beschwören“ annehmen. In etymologischer Hinsicht besteht betreffend שׁבע šb‘ noch kein Konsens (vgl. Kottsieper, 975-976): Viele vermuten eine Verbindung zum Zahlwort שֶׁבַה šæbah „sieben“ (vgl. Gen 21,30-31
Wie der Alte Orient kennt auch das Alte Testament den Eid in Bezug auf Bundesschlüsse, wodurch בְּרִית bərît „Bund“ zum semantischen Feld des Eides hinzukommt (→ Bund
Die → Septuaginta
2.2. Von Menschen geleistete Eide
2.2.1. Promissorischer Eid
2.2.1. Promissorischer Eid
Die überwiegende Mehrheit der von Menschen geleisteten Eide (und alle von Gott geleisteten Eide, siehe unten 2.3.) im Alten Testament sind promissorische Eide (Versprechens-Eide). Promissorische Eide finden in verschiedenen Lebensbereichen ihre Anwendung. Besonders bedeutsam sind folgende Bereiche:
2.2.1.1. Eid und politischer Vertrag / Bund: Wie oben erwähnt, haben Staatsverträge (Vasallenverträge) im Alten Orient durchweg die Form eines Eides. Diese politische Dimension des Eides wird auch im Alten Testament deutlich: In Gen 21,22-34
Jos 9
Nicht minder gewichtet wird der mittels Eid / bedingter Selbstverfluchung geleistete Bund in Ez 17
2.2.1.2. Eide als Metapher für die Zugehörigkeit zu JHWH: Im Alten Orient ist die Vorstellung verbreitet, dass Gott / eine Gottheit (oder sonst eine Autoritätsperson) für die Einhaltung der Eide Verantwortung übernimmt und Nichteinhaltung mit Sanktionen bestraft. Sprachlich wird diese Vorstellung greifbar, indem „bei JHWH“ bzw. „beim Leben JHWHs“ usw. geschworen wird. Gen 31,53
2.2.1.3. Eide im kultischen Bereich: Im kultischen Bereich spielt der Gelöbnis-Eid eine Rolle, mit welchem die Pflichten des Sakralbundes zwischen Israel und JHWH verbindlich übernommen werden (vgl. 2Chr 15,12-15
2.2.1.4. Enthaltungseide: Enthaltungseide stehen dem → Gelübde
2.2.2. Assertorischer Eid
Assertorische Eide („Behauptungs-Eide“) sind im Alten Testament nur äußerst selten belegt: Den Zeugeneid vor Gericht kennt weder das Alte Testament noch die talmudische Tradition. In den Bereich der Rechtspflege ist jedoch der → Reinigungseid
2.2.3. Meineid
Der Meineid gilt als schweres Vergehen gegen die Solidargemeinschaft sowie gegen Gott und wird in eine Reihe gestellt mit Diebstahl, Mord, Betrug, Ausbeutung u.a. (vgl. Lev 19,11-13
Sprachlich wird der Meineid v.a. mit שׁבע šb‘ im Nif. unter Zufügung von לַשָּׁקֶר laššāqær „… zum Lügen“ (Lev 5,24
Das Vergehen gegenüber Gott wird besonders betont, wenn der Meineid in Lev 19,12
2.3. Von JHWH / Gott geleistete Eide
Entsprechend altorientalischen und griechischen Gottheiten schwört auch JHWH Eide. Gott ist bei 75 Belegen Subjekt von שׁבע šb‘ Nif. „schwören“. 13 Mal wird angegeben, bei wem Gott schwört, wobei die unterschiedlichen Formulierungen immer zum Ausdruck bringen, dass Gott bei sich selbst schwört: wortwörtlich bei „sich selbst“ (Gen 22,16
Ein mit שׁבע šb‘ Nif. „schwören“ formulierter Schwur Gottes soll die Unwiderruflichkeit und vollkommene Zuverlässigkeit des mit dem Schwur Versprochenen / Verheißenen zum Ausdruck bringen (vgl. Ps 132,11
2.3.1. Landverheißung als Gotteseid
2.3.1.1. Im deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG): Eide JHWHs sind am weitaus häufigsten im sog. → deuteronomistischen Geschichtswerk
Bei 25 Belegen des Schwurs Gottes an „die Väter“ (→ Väterverheißung
Weitere Gottesschwüre an „die Väter“ beziehen sich auf den → Bund
An das Volk ergeht die Verheißung der Volkswerdung (Dtn 28,9
Explizit an die Exodusgeneration ergehen Gottesschwüre in Dtn 1,34f
Drei weitere Gottesschwüre im DtrG ergehen an das Volk (Ri 2,15
2.3.1.2. Außerhalb DtrG: Auch außerhalb des DtrG sind mit שׁבע šb‘ Nif. „schwören“ 11 Landverheißungen Gottes als Eid an „die Väter“ belegt (Gen 24,7
2.3.2. Weitere Gotteseide
Neben der Landverheißung als Eid sind u.a. folgende Schwüre Gottes bedeutsam:
2.3.2.1. Gottesschwur und Bund: Der → Bund
2.3.2.2. Strafschwur: Wohl aufgrund der Überzeugung, dass ein Gottesschwur in der Formulierung mit שׁבע šb‘ Nif. „schwören“ unabänderlich ist, findet sich ein Strafschwur Gottes nie gegen das ganze Volk Israel, sondern nur gegen bestimmte Gruppen: In Am 4,2
2.3.2.3. Erwählungseid in Bezug auf David: Gleich drei Mal formuliert Ps 89
2.3.2.4. Schwur der heilvollen Zuwendung: Die überwiegende Mehrzahl der Belege, in denen JHWH dem Volk Israel einen Schwur leistet, bringen Gottes heilvolle Zuwendung zum Ausdruck. Dazu gehören besonders die bereits aufgeführten Landverheißungen (vgl. 2.3.1.), die Mehrungsverheißungen (Gen 22,16f
2.4. Kritik und Skepsis hinsichtlich der Eidpraxis
Nebst der zumeist fraglos vorausgesetzten Praxis des Eidleistens, kennt das Alte Testament besonders in seinen späten Schriften auch Kritik an der Eidespraxis bzw. Skepsis ihr gegenüber: Die weisheitlichen Schriften nennen den Schwur / Eid praktisch überhaupt nicht oder kritisieren die unbedachte Praxis (vgl. Sir 23,9-11
Eine kritische Sicht zur Eidespraxis kennen auch die → Qumrantexte
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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