Deutsche Bibelgesellschaft

Deuteronomium

(erstellt: Dezember 2008)

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1. Der Name des Buches

Nach Dtn 17,18 soll sich der König – eine Institution, die es dermaleinst im verheißenen → Land geben wird – eine „Abschrift der → Tora“ (hebräisch: משׁנה התרה) von den levitischen → Priestern beschaffen, um sie Zeit seines Lebens zu studieren. Die Kopie dieser Verfassungsurkunde, die auch und gerade der König zu respektieren hat, wird in der → Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, als δευτερονόμιον (deuteronomion „Zweitgesetz“) bezeichnet. Diese ad-hoc Bildung der Septuagintaübersetzer wurde in den griechischen und lateinischen Bibeln zum Buchtitel.

Im Alten → Mesopotamien werden die Titel literarischer Werke aus den Anfangsworten der ersten Zeile gebildet. So heißt das babylonische Weltschöpfungsepos nach seinen Anfangsworten → „Enuma Elisch“, auf deutsch: „als oben“ – und nicht „Schöpfung“ oder dergleichen. In der jüdischen Überlieferung wird genauso verfahren, und daher heißt das Buch dort nach dem ersten markanten Stichwort des ersten Verses „debarim“, deutsch „Worte“.

Unter „Deuteronomium“ („Zweitgesetz“) konnte man auch eine Zweitausfertigung des Gesetzes, im Sinne einer Wiederholung der Gesetzgebung vom → Sinai / Horeb zu einer späteren Zeit und an einem anderen Ort verstehen. Was damit gemeint ist, mag ein Gang durch das Buch verdeutlichen.

2. Inhalt und Aufbau des Buches

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Am Ende des Buches → Numeri steht Israel in moabitischem Territorium kurz vor der Eroberung des Landes. Die Überschrift des Deuteronomiums kündigt in Dtn 1,1-5 eine Rede des → Mose an, die er an diesem markanten Wendepunkt der Geschichte Israels hält. Auf das dort genannte Datum greift Dtn 32,48 zurück, auf den Ort – Moab – Dtn 34,5: dem Zusammenhang nach ist der Tod des Mose im Blick, das heißt, das Deuteronomium ist eine Abschiedsrede. Derartige Reden von Persönlichkeiten, die ihre Epoche prägten, kennt das → deuteronomistische Geschichtswerk in Jos 23 und Jos 24 (Josua), 1Sam 12 (Samuel), 1Kön 2,3-4 (David). Im Vergleich dazu fällt die Abschiedsrede des Mose durch ihren Umfang auf. Bei genauer Betrachtung ist festzustellen, dass das Deuteronomium vier Mosereden enthält: Dtn 1-4; Dtn 5-28; Dtn 29-32 und Dtn 33. Die Reden werden durch Überschriften in Dtn 1,1-5; Dtn 4,44; Dtn 28,69 und Dtn 33,1 eingeleitet; auch finden sich im Umfeld dieser Überschriften Berichte über Handlungen des Mose; dies gilt vor allem für Dtn 31.

1) Dtn 1-4. Die erste dieser Mosereden beginnt mit Jahwes Befehl, Israel solle vom Horeb aufbrechen (Dtn 1,6), um das Land in Besitz zu nehmen. Doch diese Landnahme scheitert an Israels Widerstand (Dtn 1,26f) und führt zu einer schweren Niederlage (Dtn 1,44). Zur Strafe darf die ungehorsame Generation unter Einschluss ihres Anführers Mose nicht das Land einnehmen (Dtn 1,35-39). Erst die nachfolgende Generation schlägt die sagenhaften Gestalten → Sichon von Hesbon und → Og von Basan – unter Vermeidung von Übergriffen auf das Gebiet der → Edomiter, → Moabiter und → Ammoniter – und erobert somit das Ostjordanland (Dtn 2-3).

In der Erzählfolge ist Mose an der Grenze zum Westjordanland, im Tal gegenüber Beth-Peor (→ Baal-Peor), angelangt (Dtn 3,29). In Dtn 4 und Dtn 5 überrascht der Bericht über die Ereignisse am Horeb, der deuteronomischen Bezeichnung für den Sinai, die zeitlich vor den Geschehnissen liegen, über die Dtn 1-3 berichtet hatte.

Der Abschnitt Dtn 4,1-14 stellt mit dem Rückblick (v3), der Gottesfurcht (v10) und dem → Bund das erste Gebot in den Mittelpunkt. Der bleibende Eindruck der Gottesbegegnung ist das Wort, nicht die Gestalt (v12). Der folgende Absatz Dtn 4,15-28 geht wieder auf die Ereignisse am Horeb zurück, vor allem auf die nicht sichtbare Gestalt Gottes. Diente dieser Gedanke in v12 dem Gegensatz von Gestalt und Wort Gottes, so begründet er hier das Verbot jeglichen Gottesbildes. In Dtn 4,29-40 treten wieder die Ereignisse am Horeb in den Blick, doch mit einer neuen Facette: Die Gottesbegegnung an diesem Berg erweist die Einzigkeit Gottes (v35).

2) Dtn 5-28. Mit dem Horeb endet die erste Moserede und beginnt die zweite in Dtn 5. Der → Dekalog war dem ganzen Volk am Horeb verkündet worden, alle weiteren Gesetze wurden nur Mose offenbart, auf den Einwand des Volkes hin, dass die Begegnung mit der Gottheit eine tödliche Gefahr für den Menschen darstellt (Dtn 5,23ff). Diese Gesetze (Dtn 12-26) werden nun an dem letzten Lebenstag des Mose verkündet, vor dem Einmarsch in das verheißene Land. Dies ist plausibel, da sich die Gesetze auf das zukünftige Leben im Land beziehen.

Im Anschluss an Dtn 5 lässt sich das deuteronomische Gesetz in Dtn 12-26 als Entfaltung des Dekalogs verstehen, da der → Dekalog eine Grundnorm gibt, für die das Deuteronomium Ausführungsbestimmungen bietet. Die Idee, dass die Anordnung der Gesetze im Deuteronomium der Abfolge der Zehn Gebote folgt, ist immer wieder einmal vorgetragen worden, stößt aber auf erhebliche Probleme im Detail.

Zwischen Dtn 5 und dem Beginn des Gesetzes in Dtn 12 sind Abschnitte eingeschoben, die den Stellenwert des Gesetzes und die Möglichkeit, es zu halten, reflektieren. Mit der „Liebe“ (Dtn 6,5; Dtn 10,12; Dtn 11,1.13.22; Dtn 13,4; Dtn 19,9; Dtn 30,6.16.20) ist das Deuteronomium im inneren Menschen verankert, in den Abschlusskapiteln tritt die Außensteuerung durch → Fluch und → Segen (Dtn 27 und Dtn 28) hinzu.

Das deuteronomische Gesetz steht in Dtn 12-26. Im Gegensatz zum → Bundesbuch und zum → Heiligkeitsgesetz spricht nicht Jahwe, sondern Mose, insofern ist das deuteronomische Gesetz ein Gottesauftrag aus zweiter Hand. In Dtn 12-19 liegen Gesetze vor, in denen es um die Zentralisierung des Kultes an dem Ort, den Jahwe sich erwählen wird, geht; dabei sind auch die Konsequenzen dieser Kultuszentralisation (→ Josia) für die einzelnen Ortschaften, die kein → Heiligtum mehr haben, im Blick. Die Anordnung zu dieser Zentralisation steht in Dtn 12 und damit am Anfang der deuteronomischen Gesetze. Eine weitere Besonderheit des Deuteronomiums liegt in den Ämtergesetzen Dtn 16,18-18,22, in denen die Richter, der König, die Priester und mit dem Achtergewicht der Prophet als Institutionen für das Leben im Land bestimmt werden und mit denen ihre Kompetenzen definiert bzw. im Falle des → Königtums eingeschränkt werden.

Die Gesetze in Dtn 20-26 bieten mit Kriegsrecht, Sozialrecht, Eigentumsrecht und Familienrecht eine Anzahl von Bestimmungen, die assoziativ aneinander gefügt sind. Die Gesetze im Deuteronomium sind nicht wie in unserem heutigen Recht nach randscharf abgegrenzten Sachgesichtspunkten gegliedert, sondern mit einer Technik redaktioneller Verknüpfung verbunden, die auch den Gesetzessammlungen des Alten Mesopotamiens eigen ist. So geht es in Dtn 16,1-17 um die Feste am Zentralheiligtum; nach Dtn 16,18-20 sollen Richter in den Ortschaften eingesetzt werden; in Dtn 16,21-17,1 geht es um den Kult am Zentralheiligtum; Dtn 17,2ff fährt mit dem Gerichtswesen fort. Man hat es also mit der Themenfolge A-B-A-B zu tun; die Verse Dtn 16,18-17,1 sind ein Übergangsbereich zwischen den Kultgesetzen und den Ämtergesetzen. In Dtn 27 werden Verbrechen, die der menschlichen Gerichtsbarkeit entzogen sind, da es keine Zeugen gibt, unter Gottes Verfluchung gestellt. Das Gesetz wird mit Segen und Fluch in Dtn 28 abgeschlossen.

3) Dtn 29-34. In Dtn 29-30 wird der Bundesschluss im Lande Moab geschildert; in Dtn 31 die Verschriftung und Aufbewahrung des Gesetzes sowie seine Verlesung am → Laubhüttenfest im Sieben-Jahre Turnus des → Erlassjahres (Dtn 31,9-13, vgl. Dtn 15,1). Zwei poetische Texte, das Moselied in Dtn 32 und der Mosesegen in Dtn 33, lassen Mose noch einmal zu Wort kommen, bevor Dtn 34 über seinen Tod berichtet.

3. Die literarische Eigenart des Deuteronomiums

Das Deuteronomium (bzw. sein Kern, das deuteronomische Gesetzeskorpus in Dtn 12-26) basiert auf dem Bundesbuch; die Abhängigkeiten stellen sich wie folgt dar:

Deuteronomium 1

Ein wenn auch nicht in jedem Falle zu veranschlagender Grund für die Neuformulierung von Gesetzen des Bundesbuches im Deuteronomium ist die Kultuszentralisation. Wenn ein hebräischer Sklave für immer bei seinem Herrn bleiben will, wird er nach Ex 21,6 vor Gott geführt, also zum Ortsheiligtum, und dort am Ohr mit einer Markierung versehen. Da es nach dem Deuteronomium diese Art Heiligtümer nicht geben soll, wird der Ritus in Dtn 15,17 im Hause des Herrn vollzogen. Ein interessantes methodologisches Problem besteht darin, dass sich der Wortlaut der entsprechenden Gesetze des Bundesbuches nicht anhand des Textes des Deuteronomiums mit Hilfe der gängigen literarkritischen und redaktionskritischen Methoden rekonstruieren lässt, obwohl das Bundesbuch eine Vorlage des Deuteronomiums ist.

Dass das Deuteronomium eine Sammlung von Gesetzen ist, macht auch ein Vergleich mit den Gesetzessammlungen des Alten Mesopotamiens deutlich; exemplarisch sei hier nur auf den → Codex Hammurabi hingewiesen:

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Bei dem letztgenannten Gesichtspunkt verdient es Beachtung, dass die Sorge um die benachteiligten Personengruppen im Codex Hammurabi im Prolog und Epilog erscheint, nicht jedoch im Gesetzeskorpus. Hier geht das Deuteronomium einen Schritt weiter, indem es Versorgungs- und Schutzrechte in seine Gesetzessammlung aufnimmt. Der Vorgang hat eine Analogie im frühen griechischen Recht; so nennt das Recht von Gortyn (5. Jh.) in Col. XII die ορπανοδικασταί („Waisenrichter“).

Für eine Gesetzessammlung spricht auf den ersten Blick auch der Abschluss mit Flüchen in Dtn 28, vergleichbar mit dem Abschluss des Codex Hammurabi. Doch die Flüche in der babylonischen Sammlung garantieren die Unversehrtheit des Schriftträgers, der Stele, die jetzt im Louvre steht, aber sie bestrafen nicht denjenigen, der die Gesetze übertritt. Dergleichen findet sich eher in Vertragstexten als in Gesetzestexten.

4. Die Entstehung des Deuteronomiums

Ein auffälliges Merkmal im Deuteronomium ist der Numeruswechsel. Über weite Strecken des Buches redet Mose Israel an; im Hebräischen kann ein Kollektiv wie Israel im Singular oder im Plural angesprochen werden. Ein Beispiel für die singularische Anrede ist Dtn 6,4-5. Singularische und pluralische Anrede können wechseln; dies ist z.B. in Dtn 12 der Fall. Als Analogie wird zuweilen auf die Vertragstexte von → Sfire hingewiesen, in denen auch ein derartiger Wechsel vorliege. Doch ist der Wechsel der Anrede in diesen Texten konsequenter: Im Singular wird ein Individuum (der König) angesprochen, im Plural ein Kollektiv; es gibt keinen Beleg, nach dem ein Kollektiv im Singular angesprochen wird, und damit auch nicht die Mischung von singularischer und pluralischer Anrede an eine Menschengruppe wie im Deuteronomium.

Daher ist die Annahme naheliegend, dass mit dem Numeruswechsel keine bloße stilistische Variation, sondern ein Kriterium für literarische Schichtungen vorliegt. Der Numeruswechsel teilt Dtn 12 in zwei Abschnitte: Dtn 12,1-12 (Plural) und Dtn 12,13-13,1 (Singular). Ganz geht dies nicht auf, und kleinere Abweichungen sind in Dtn 12,1.5.7.9 und Dtn 13,1 zu notieren.

In Dtn 12,13-31 rahmt die zweimalige Wendung „Nimm dich in acht!“ in v13 und v19 eine Einheit, die als Kern von Dtn 12 anzusprechen ist. Ihr entscheidender Gesichtspunkt ist die Zentralisation des Kultes an einem Ort. Von daher legt sich die Annahme nahe, die älteste Schicht des Deuteronomiums rede Israel im Singular an. Spätere Überarbeiter fanden dies wohl zweideutig, da im Singular auch ein Individuum angeredet werden kann (z.B. Dtn 15,12-18), und um hier zu differenzieren, reden sie ein Individuum im Singular, ein Kollektiv im Plural an – wie in den Inschriften von Sfire. Von der Hand eines solchen späteren Verfassers stammt also Dtn 12,1-12. V9 ist in Zusammenhang mit 1Kön 8,56 zu sehen – die Redaktion steht im Zusammenhang mit dem deuteronomistischen Geschichtswerk.

Ein Problem für diese Sicht ist Dtn 12,29-31. Thematisch schließt sich der Abschnitt mit der Polemik gegen die Vorbewohner des Landes an Dtn 12,1-12 an und bildet damit zusammen einen Rahmen um den Kern von Dtn 12. Mit dem Thema, den Kinderverbrennungen, ist das deuteronomistische Geschichtswerk im Blick (2Kön 17,17.31). Allerdings ist Dtn 12,29-31 nicht, wie zu erwarten wäre, im Plural formuliert, sondern im Singular. Es gibt Redaktoren, die in ihrem schon überarbeiteten Deuteronomium den Wechsel der Anrede vorfanden und somit nicht mehr an eine bestimmte Sprachregelung gebunden waren; sie konnten wieder zum Singular zurückkehren.

Dies belastet das Kriterium des Numeruswechsels mit Problemen, denen nur mit einer Bündelung der redaktionskritischen Argumente zu begegnen ist.

Das Buch, auf dessen Grundlage → Josia seine Reformmaßnahmen vollzieht, wird seit de Wette mit dem Deuteronomium bzw. einer seiner Vorstufen identifiziert. Gottfried Seitz datiert ein Stadium, das er als „deuteronomische Überarbeitung“ bezeichnet, in die Zeit Josias, ältere Vorstufen, die er „deuteronomische Sammlung“ nennt, in die Zeit Jesajas. Außerdem rechnet er mit einer deuteronomistischen Überarbeitung, die für ihn jedoch nicht im Zentrum des Interesses steht.

In vergleichbarer Weise geht Martin Rose von einem vierstufigen Entstehungsprozess aus (in Klammern die Zuordnung von Versen aus dem obigen Beispieltext Dtn 12):

I. Deuteronomische Sammlung aus der Hiskia-Zeit (v13-19).

II. Deuteronomische Schule aus der Josia-Zeit (v20-27).

III. Ältere deuteronomistische Schicht aus der Exilszeit (v8-12)

IV. Jüngere deuteronomistische Schicht aus spätexilisch-frühnachexilischer Zeit (v2-7.29-31).

Im Gegensatz zu dem Schichtenmodell, das auf eine lange Forschungsgeschichte zurückblicken kann, und für das nur zwei markante Exponenten genannt sind, steht das von Norbert Lohfink und Georg Braulik entwickelte Blockmodell.

Danach gebe es eine älteste Fassung aus der Zeit des Königs → Hiskia, erweitert zum Bundesdokument des Königs Josia, das dann Teil einer hypothetischen Josua-Landnahmeerzählung gewesen sein soll. Diese Entwicklung vollzieht sich (auch unter Rückgriff auf Partien aus den Rahmenkapiteln) im Wesentlichen in Dtn 12-16,17. Erst in der Zeit des → Exils seien die Ämtergesetze (Dtn 16,18-18,22) hinzugenommen, noch etwas später dann das legislative Material in Dtn 19-25. Die Probleme dieser Sicht liegen in der Annahme eines vorexilischen Deuteronomismus, der Schaffung von Ämtergesetzen in einer Zeit, in der Israel seine politische Automomie verloren und auf diesem Feld nichts zu bestellen hatte, der Spätansetzung der Gesetze von Dtn 19-25, obwohl diese tief in der Rechtsüberlieferung des Alten Orients verankert sind und dem möglichen Nachweis von frühen Querbezügen zwischen den Abschnitten, die ein sukzessives Wachstum in Blöcken ausschließen.

In dieser Überlieferung gibt es auch Elemente, die auf die deuteronomische Bundeskonzeption weisen. Hier war man zunächst auf hethitische Dokumente als Strukturanalogien zum Deuteronomium aufmerksam geworden; vereinzelt wurde mit diesem Rückgriff auf Texte aus dem 2.Jt. sogar die mosaische Verfasserschaft von Teilen des Deuteronomiums erwogen. Eine neue Wendung erhielt die Fragestellung durch den Fund der sog. Vasallenverträge → Asarhaddons (abgekürzt VTE) im Jahre 1955. 672 v. Chr. fand eine Schwurzeremonie statt, in der alle assyrischen Vasallen auf die Nachfolgeregelung, die Asarhaddon getroffen hatte, verpflichtet wurden. Die Version, die medischen Fürsten galt, liegt durch den Fund von Texten aus Nimrud vor; es spricht Einiges für die Annahme, auch der judäische König → Manasse habe ein derartiges Dokument beeiden müssen. Gestützt wird diese Annahme durch die vielfachen Parallelen der Flüche von Dtn 28 und in den VTE. Besonders auffällig ist der Fluch bei den großen Göttern, auf den Hans Ulrich Steymans hingewiesen hat:

Deuteronomium 3

Danach würde dieser Abschnitt der VTE als Matrix gedient haben, in die der Kompilator von Dtn 28 noch weiteres Material aus den VTE eingearbeitet hat, um damit zu der jetzigen Anordnung des deuteronomischen Fluchkapitels in seiner ältesten Stufe zu gelangen. Mit einem Blick auf zweisprachige Texte aus dem Alten Orient könnte man angesichts dieser Parallele von einer Übertragung/Übersetzung einer assyrischen Vorlage ins Hebräische reden.

Damit ist auch ein Hinweis zur Datierung von Dtn 28 gegeben: nach 672 v. Chr. und vor dem Ende des assyrischen Reichs, da damit die spezifische völkerrechtliche Vertragspraxis zu Ende geht, und es kaum vorstellbar ist, es hätten alttestamentliche Texte auf Muster zurückgegriffen, die seit Jahrzehnten/Jahrhunderten nicht mehr aktuell waren.

Diese Datierungsmöglichkeit avancierte zum neuen archimedischen Punkt der Pentateuchkritik, da das Ausmaß und die Historizität der Josianischen Reform (→ Josia) und ihr Bezug zum Deuteronomium in der Forschung fraglich wurden.

Ein wesentlicher Fortschritt in dieser Richtung ist Eckart Otto zu verdanken, vor allem mit seinem Hinweis auf VTE §10 und der Parallele in Dtn 13. In dem Absatz der VTE geht es um Umtriebe, die dem Kronprinzen schaden, und daher zu melden sind – auch wenn die Sache von Freunden, nahen Verwandten oder Propheten betrieben wird. Dass ein solcher Abfall vom assyrischen Regenten mit dem Tode bestraft wird, verdeutlicht §12. Nach Otto hätten wir mit einem Kernbestand aus Dtn 13* und Dtn 28* zu rechnen, der um weitere Gesetze erweitert worden wäre, mit redaktionellen Methoden, die auch aus assyrischen Gesetzen bekannt sind.

Nach dieser Vorstellung wäre das Deuteronomium zuallererst ein Bundesdokument gewesen; ihr steht eine andere Richtung, vor allem vertreten von Timo Veijola, gegenüber, nach der die Bundestheologie im Deuteronomium spät ist. Danach böte der Numeruswechsel in Dtn 13 kein Kriterium, anhand dessen die Herausarbeitung einer älteren Schicht mit singularischer Anrede möglich wäre; vielmehr ist der Text im Wesentlichen einheitlich und gehört zu den o.g. Schichten, für die der Numeruswechsel als Kriterium untauglich ist. Bei einer derartigen Spätansetzung stellt sich die Frage, wozu ein assyrisches Vorbild, das in nachexilischer Zeit nicht mehr aktuell war, in Dtn 13 aufgegriffen worden sein soll. Bei Ottos Sicht stellt sich das Problem des dritten Abschnitts von Dtn 13 in v13-19 mit dem Abfall einer ganzen Stadt von Jahwe, der keine Entsprechung in den VTE hat, dafür aber in dem Vertrag aus Sfire.

Ein schwieriges Problem der Forschung liegt in dem Umstand, dass das Deuteronomium einerseits zum → Pentateuch gehört, andererseits das deuteronomistische Geschichtswerk einleitet, das seinen Platz in einem anderen Kanonteil gefunden hat. Besonders umstritten ist dabei der Stellenwert von Dtn 1-3.

5. Wirkung des Deuteronomiums

Fraglos ist das Deuteronomium der Maßstab, den die Bücher Jos-2Kön an die Geschichte Israels anlegen. Die häufig gebrauchte Wendung in der Beurteilung des Volkes und der Könige, עשׂה הרע בעיני יהוה „tun, was böse in den Augen Jahwes ist“, entstammt Dtn 17,2 und bezieht sich auf den Bruch des ersten Gebots. Die Strafe dafür ist das Exil. Ein derartiger Rückgriff auf das Deuteronomium findet sich auch in Prophetenbüchern, vor allem im Buch → Jeremia.

Die Forderung zur Kultuszentralisation war die Voraussetzung zur einzigartigen Stellung Jerusalems, obwohl die Stadt im Deuteronomium nicht ein einziges Mal namentlich genannt wird. Bei den Opfern steht die Freude der Festteilnehmer und -teilnehmerinnen im Vordergrund. Priesterliches Fachwissen teilt das Deuteronomium nicht mit und es wendet sich an die „Laien“-gemeinde.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998ff.

2. Forschungsbericht

  • Preuss, H.D., Deuteronomium (EdF 164), Darmstadt 1982

3. Kommentare

  • Braulik, G., Deuteronomium (NEB 15, 28), Würzburg 1986, 1992
  • Perlitt, L., Deuteronomium (BK V, 1-3), Neukirchen-Vluyn 1990-1994
  • Nielsen, E., Deuteronomium (HATI/6), Tübingen 1995
  • Rose, M., 5. Mose (ZBK 5, 1,2), Zürich 1994
  • Veijola, T., Das 5. Buch Mose. Deuteronomium (ATD 8,1), Göttingen 2004

4. Weitere Literatur

  • Otto, E., Das Deuteronomium (BZAW 284), Berlin / New York 1999
  • Otto, E. / Achenbach, R., Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und deuteronomistischem Geschichtswerk (FRLANT 206), Göttingen 2004
  • Seitz, G., Redaktionsgeschichtliche Studien zum Deuteronomium (BWANT 93), Stuttgart u.a. 1971
  • Steymans, H.U., Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons (OBO 145), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1995

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