Deutsche Bibelgesellschaft

Jona 2,1-11 | Karsamstag | 19.04.2025

Einführung in das Buch Jona

1. Das Buch und sein geschichtlicher Kontext

Im Unterschied zu allen anderen Prophetenbüchern sammelt das Jonabuch nicht Worte eines Propheten, sondern bietet eine Prophetenerzählung. Es zeigt eine gewisse Nähe zu den Prophetenerzählungen der Königebücher und des Jeremiabuches. In 2Kön 14,25 wird ebenfalls der Prophet Jona ben Amittai erwähnt, der in Zeit des Königs Jerobeams II. (787–747 v. Chr.) ins Nordreich Israel gehört. Von daher erhält das Jonabuch seinen Platz im Zwölfprophetenbuch „chronologisch korrekt“ zwischen Amos (und Obadja) einerseits und Micha andererseits.

Über den historischen Jona lässt sich anhand des Buches nichts Sicheres sagen. Zwar soll der Prophet aus 2Kön 14,25 mit dem Jona des Buches identisch sein. Dieser wird allerdings nicht in irgendeine Beziehung zu den Ereignissen des Jonabuches gesetzt. Der Jona des Buches ist ganz zur literarischen Figur geworden. In der Tat scheint das Jonabuch zwar im 8. Jh. v. Chr. zu spielen („erzählte Zeit“), aber erst in viel späterer Zeit entstanden zu sein („Erzählzeit“). Bezüge zu anderen biblischen Büchern (bes. Joel, Jer und Psalmen), das Thema (Gottes Gnade auch für reuige „Böse“) und sprachliche Indizien sprechen für eine Entstehung in persischer oder hellenistischer Zeit.

Ninive ist Residenzstadt des Assyrischen Weltreiches, einer Großmacht, die Israel und Juda stets dominiert hat und der das Nordreich Israel schließlich seinen Untergang zuschreiben muss (vgl. 2Kön 17). Von einer Bekehrung Ninives (samt König) zu Israels Gott (vgl. Jon 3) ist historisch nichts bekannt.

2. Aufbau und Einheitlichkeit des Buches

Durch die Formulierung „Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive...“, die sich in Jon 1,1 und annähernd wortgleich in Jon 3,1 findet, ist das Buch klar in zwei Teile gegliedert. Jon 1–2 handeln davon, dass Jona von Gott überwunden werden muss, seinem Auftrag nachzukommen; Jon 3–4 erzählen von Jonas Predigt in Ninive, der Buße der Assyrer und Jonas Ärger über Gottes Gnade. Das Gebet Jonas im Fisch in Jon 2 ist formal ein Psalm und scheint aus der übrigen Erzählung herauszufallen. Dies wird oft als literarkritisches Indiz für ein Wachstum des Buches angesehen. Doch spricht die klare Zweiteilung des Buches für eine ursprüngliche Zugehörigkeit auch dieses poetischen Textes zum Jonabuch, wenn sich der Verfasser hier auch wohl eines älteren Psalms bedient hat.

3. Wichtige Themen

Das Buch behandelt unterschiedliche wichtige theologische Themen im Medium einer Erzählung. Ninive steht für das Zentrum einer von Gott abgewandten Welt. Aus Sicht des antiken Israel ist diese Stadt der Inbegriff des Bösen.  Jona will daher vor Gottes Befehl bis nach Tarsis („das Ende der Welt“) fliehen (Jon 1,3). Aber vor Gott kann man nicht fliehen. Sozusagen „nebenbei“ erfahren so die heidnischen Seeleute von Israels Gott und beten zu ihm (Jon 1,16). Jona führt schließlich Gottes Auftrag aus und droht Ninive den Untergang an. Als Ninive sich aber bekehrt, ist Gott gnädig, ja ihn „reut“ seine Unheilsdrohung (Jon 3,10). Hier geht Gnade vor Recht. Gott ist auch gegenüber seinem prophetisch vermittelten Wort souverän und frei. Dies ärgert nun den Propheten, der sich zweimal die Frage gefallen lassen muss: „Meinst Du, dass du mit Recht zürnst?“ (4,4.9). Es handelt sich also um eine Lehrerzählung, die einerseits durch ihre erzählerische Schönheit und andererseits durch ihr Thema besticht. Gibt es Gnade auch für die „Bösen“? Sollten sich die „Frommen“ darüber freuen? Dabei liefert das Buch nicht einfach eine Antwort, sondern endet (ganz ungewöhnlich für ein biblisches Buch!) mit einer Frage im Munde Gottes. Hier wird das Thema also argumentativ, sozusagen aus dem Buch heraus- und in die Leserschaft hineingetragen. Der Text will zum Weiterdenken anregen.

Im NT wird die Jonageschichte zweimal aufgegriffen. Einmal, um das „Zeichen“ des Jona auf Jesu Tod und seine Auferstehung zu deuten, so in Mt 12,39f. Dagegen wird in Lk 11,29f. ein anderer Akzent betont. Dort wird Jesus mit dem Zeichen verglichen, das Jona für Ninive war. Die Evangelisten führen hier ein Stück „figürliche“ oder allegorische Schriftauslegung vor. Durch die Annahme eines „Hintersinns“ machen sie die Jonaerzählung fruchtbar für ihre Erzählung des Lebens Jesu von Nazareth. Solche Auslegung geschieht immer wieder, wo sich Menschen um die Aktualität und die Applikation biblischer Texte bemühen und insbesondere dort, wo nach einer möglichen christlichen Lesart des Alten Testaments gesucht wird. Zugleich sind die Gefahren eines solchen Vorgehens deutlich: Möglicherweise wird ein völlig fremder Sinn in die Texte hineingelesen. Außerdem steht die christliche Auslegung des Jonabuches vor der Aufgabe, sich von einer seit Augustin immer wieder praktizierten antijüdischen Interpretation des Textes freizumachen.

Literatur:

  • Wolff, H. W., 32003, Studien zum Jonabuch, Neukirchen-Vluyn
  • Gerhards, M., Art. Jona / Jonabuch, Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de) 2008 (9.4.2024).

Kommentare:

  • Golka, F. W., 1991, Jona, Calwer Bibelkommentar, Stuttgart
  • Jeremias, J., 2007, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, ATD 24/3, Göttingen
  • Weimar, P., 2017, Jona, HThKAT, Freiburg i.Br.

A) Exegese kompakt: Jona 2,1–11

1וַיְמַ֤ן יְהוָה֙ דָּ֣ג גָּד֔וֹל לִבְלֹ֖עַ אֶת־יוֹנָ֑ה וַיְהִ֤י יוֹנָה֙ בִּמְעֵ֣י הַדָּ֔ג שְׁלֹשָׁ֥ה יָמִ֖ים וּשְׁלֹשָׁ֥ה לֵילֽוֹת׃ 2וַיִּתְפַּלֵּ֣ל יוֹנָ֔ה אֶל־יְהוָ֖ה אֱלֹהָ֑יו מִמְּעֵ֖י הַדָּגָֽה׃ 3וַיֹּ֗אמֶר קָ֠רָאתִי מִצָּ֥רָה לִ֛י אֶל־יְהוָ֖ה וַֽיַּעֲנֵ֑נִי מִבֶּ֧טֶן שְׁא֛וֹל שִׁוַּ֖עְתִּי שָׁמַ֥עְתָּ קוֹלִֽי׃ 4וַתַּשְׁלִיכֵ֤נִי מְצוּלָה֙ בִּלְבַ֣ב יַמִּ֔ים וְנָהָ֖ר יְסֹבְבֵ֑נִי כָּל־מִשְׁבָּרֶ֥יךָ וְגַלֶּ֖יךָ עָלַ֥י עָבָֽרוּ׃ 5וַאֲנִ֣י אָמַ֔רְתִּי נִגְרַ֖שְׁתִּי מִנֶּ֣גֶד עֵינֶ֑יךָ אַ֚ךְ אוֹסִ֣יף לְהַבִּ֔יט אֶל־הֵיכַ֖ל קָדְשֶֽׁךָ׃ 6אֲפָפ֤וּנִי מַ֨יִם֙ עַד־נֶ֔פֶשׁ תְּה֖וֹם יְסֹבְבֵ֑נִי ס֖וּף חָב֥וּשׁ לְרֹאשִֽׁי׃ 7לְקִצְבֵ֤י הָרִים֙ יָרַ֔דְתִּי הָאָ֛רֶץ בְּרִחֶ֥יהָ בַעֲדִ֖י לְעוֹלָ֑ם וַתַּ֧עַל מִשַּׁ֛חַת חַיַּ֖י יְהוָ֥ה אֱלֹהָֽי׃ 8בְּהִתְעַטֵּ֤ף עָלַי֙ נַפְשִׁ֔י אֶת־יְהוָ֖ה זָכָ֑רְתִּי וַתָּב֤וֹא אֵלֶ֨יךָ֙ תְּפִלָּתִ֔י אֶל־הֵיכַ֖ל קָדְשֶֽׁךָ׃ 9מְשַׁמְּרִ֖ים הַבְלֵי־שָׁ֑וְא חַסְדָּ֖ם יַעֲזֹֽבוּ׃ 10וַאֲנִ֗י בְּק֤וֹל תּוֹדָה֙ אֶזְבְּחָה־לָּ֔ךְ אֲשֶׁ֥ר נָדַ֖רְתִּי אֲשַׁלֵּ֑מָה יְשׁוּעָ֖תָה לַיהוָֽה׃ ס

11וַיֹּ֥אמֶר יְהוָ֖ה לַדָּ֑ג וַיָּקֵ֥א אֶת־יוֹנָ֖ה אֶל־הַיַּבָּשָֽׁה׃ פ

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Übersetzung

1 Und Jhwh bestellte einen großen Fisch, um Jona zu schlucken; so war Jona im Bauch des Fisches drei Tage und drei Nächte.

2 Aber Jona betete zu Jhwh, seinem Gott, aus dem Bauch des Fisches.

3 Und er sprach: „Ich rief aus meiner Not zu Jhwh und er antwortete mir / aus dem Leib der Unterwelt schrie ich (um Hilfe) – du hörtest meine Stimme.

4 Und du hast mich in die Untiefe geworfen, in das Herz des Meeres, so dass mich Ströme umgaben / alle deine Wogen und deine Wellen gingen über mich hinweg.

5 Ich aber dachte: Ich bin vertrieben, weg von deinen Augen /

doch fahre ich fort, zu deinem Heiligen Tempel aufzublicken.

6 Die Wasser standen mir bis zur Kehle, die Tiefe umfing mich /

Schilf umwickelte mein Haupt.

7 Zu den Grundfesten der Berge stieg ich hinab, die Riegel der Erde hinter mir auf ewig / aber du führst mein Leben aus der Grube herauf Jhwh, mein Gott.

8 Als meine Lebenskraft schwach war, da dachte ich an Jhwh /

und mein Gebet kam vor dich, zu deinem heiligen Tempel.

9 Diejenigen, die flüchtige Nichtse verehren / verlassen ihre Treue.

10 Aber ich will mit [meiner] Stimme ein Danklied für dich opfern. Was ich gelobt habe, will ich erfüllen: / Rettung ist bei Jhwh!

11 Da redete Jhwh mit dem Fisch und er erbrach den Jona ans trockene Land.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V.1: „bestellen“ (hebr. מנה) ist ein Themawort des Jonabuches: Jhwh wird noch den Rizinus (4,6), einen Wurm (4,7) und den Ostwind (4,8) „bestellen“. So wird die Souveränität des Schöpfers über seine Schöpfung ausgedrückt.

Der „große Fisch“ korrespondiert der „großen Stadt Ninive“.

V.3: Der „Leib der Unterwelt“ (wörtl. „Leib der Scheol“) ist der Ort der äußersten Gottesferne, sozusagen Jonas persönliche Hölle.

V.5: „vertrieben“ (hebr.: גרשׁ) ist die Vokabel, die auch die Vertreibung des ersten Menschenpaares aus dem Paradies (Gen 3,24) und Kains nach dem Brudermord (Gen 4,14) bezeichnet. Hier ist einer nicht nur unglücklich ins Wasser gefallen, sondern fühlt sich von Gott vertrieben.

V.6: Die „Kehle“ (hebr. נפשׁ) bezeichnet als Organ die Lebenskraft (so in V.8 übersetzt) des Menschen. Hier bleibt jemandem die Luft weg. Die „Tiefe“ (hebr. תהום) ist Bezeichnung für das schöpfungswidrige Chaos (vgl. Gen 1,2).

V.7: „… stieg ich hinab“ – hinabgehen (hebr. ירד) ist ein weiteres Themawort in der ersten Hälfte des Jonabuches. Subjekt ist immer der Prophet. Jona geht hinab nach Japho (1,3) und steigt hinab in ein Boot (1,3). Während des Sturms steigt er hinab in den Schiffsbauch (1,5), und hier hat er endlich den tiefsten Punkt seines Abstiegs erreicht.

2. Kontext

Das Buch Jona beginnt nicht mit einer für Prophetenbüchern sonst üblichen Überschrift, sondern gleich mit einer Anweisung Gottes: „Und es geschah des Wort Jahwes zu Jona ben Amittai folgendermaßen: ‚Mache dich auf und geh zur großen Stadt Ninive und verkündige ihr, dass ihre Übeltaten vor mich gekommen sind!‘“ (Jon 1,1–2). Vor diesem Befehl will Jona fliehen, wobei sein Motiv zunächst unklar ist. Hat er Angst vor dem Zentrum der feindlichen Weltmacht? Oder ahnt er hier schon Gottes Erbarmen, mit dem er nicht einverstanden ist (so einige Ausleger)? Jedenfalls ist von nun an Jonas Geschichte eine „Abstiegsgeschichte“: Hinab nach Japho, hinab ins Schiff, hinab in den Bauch des Schiffes … (s. Anm. zu V. 7). Schließlich über Bord ins Meer, in den Bauch des Fisches und bis zu den Grundfesten der Erde. Dabei wird Jonas ursprünglicher Sehnsuchtsort – „weg von dem Angesicht Jhwhs“ (Jon 1,3) – zu seiner persönlichen Hölle: „Ich aber dachte: Ich bin vertrieben, weg von deinen Augen / doch fahre ich fort, zu deinem Heiligen Tempel aufzublicken“ (Jon 2,5). Ganz unten angekommen findet Jona zurück zu seinem Gott im Gebet. Das ist die Funktion des Psalms im Jonabuch. Jetzt kann alles noch einmal neu beginnen: „Da geschah das Wort Jhwhs zu Jona zum zweiten Mal folgendermaßen: ‚Mache dich auf, geh in die große Stadt Ninive, und verkündige ihr die Botschaft, die ich schon zu dir sagte‘.“ (Jon 3,1–2).

3. Literarkritische Aspekte

Jon 2,1–11 ist sprachlich zweigeteilt in einen in Prosa verfassten Rahmen in den Versen 1–2 und 11, sowie in den poetisch formulierten eigentlichen Psalm in den Versen 3–10. Die Rahmenteile binden den Psalm in die Jonaerzählung ein. Der Psalm selbst ließe sich auch ohne Jona als Sprecher oder den Kontext des Buches als Dank für die Errettung aus höchster Not verstehen. Die zahlreichen Motive, die auf Not in Meerestiefe oder das Ertrinken anspielen, sind wohl insgesamt metaphorisch zu deuten. Andererseits spielt im Rest des Jonabuches z.B. der Tempel (V.5 und 8) keine Rolle. So geht die traditionelle Exegese davon aus, dass der Psalm in Jona 2 eine sekundäre Einfügung darstellt. Andererseits ist nicht nur die Symmetrie der Jonaerzählung ohne den Psalm dahin. Vielmehr „funktioniert“ die gesamte Erzählung nicht, ohne die in diesem Gebet formulierte Einsicht des Propheten. So hat es ein Jonabuch ohne diesen Psalm wohl nie gegeben, wenn sich in Jon 2,3–10 auch möglicherweise ein Text findet, der dem Verfasser des Buches bereits vorlag.

4. Schwerpunkte der Interpretation

Der große Fisch, der Jona erst verschluckt (V.1) und dann ausspeit (V.11) ist das eindrücklichste und wirkmächtigste Bild des ganzen Jonabuches. Evtl. stehen hier große Seeungeheuer (vgl. Gen 1,21), die aus den Mythen des Zweistromlandes oder schon der griechischen Mythologie bekannt waren, Pate. Allerdings muss hier nicht ein Ungeheuer besiegt werden. Der große Fisch ist vielmehr ein ungefährliches Transportmittel.

Jona betet zu Jhwh „seinem“ Gott (V.2 und 7): Hier wird ausdrücklich auf die Beziehungsebene des Gebetes abgehoben. Die Suffixe „sein / mein“ sind inhaltlich bedeutsam. Der Psalm selbst (V.3–10) ist seiner Form nach eigentlich bereits ein Dankpsalm für überstandene Not. Die Gattung des Textes drückt seine Funktion als „Wendepunkt“ in der Jonaerzählung aus. Zugleich wird mit starken Bildern auf die Not des betenden Menschen zurückgeblickt. Die Bilder der (Meeres-)Tiefe, der Fluten und der Schlingpflanzen drücken die Verstrickung des Betenden aus. Das Bild der Grundfesten der Erde, wo der Mensch hinter den „Riegeln der Erde“ eingeschlossen ist, steigert das klaustrophobische Gefühl. All das geht an die Substanz der Person: Die Septuaginta übersetzt das Wort נפשׁ, das hier mit „Kehle“ (V.5) und „Lebenskraft“ (V.8) wiedergegeben wird, mit psyche. Das Wesen des Menschen ist in Gefahr, und das ist begründet in der (im Falle Jonas: selbst herbeigewünschten) Gottesferne (V.5).

In dieser Lage – „ganz unten“ – bleibt die Gottesgemeinschaft, manifestiert durch den „Tempel“ (V.5 und 8), ein herbeigesehnter Zustand. Im Gebet wird diese Gemeinschaft bereits erfahren: „aus dem Leib der Scheol rief ich – du hörtest meine Stimme“ (V.3). Jhwh führt „aus der Grube“ (V.7), heißt: Gott befreit aus dem „Loch“, in dem der betende Mensch selbst- oder fremdverschuldet sitzt, befreit so vom (drohenden) Tod und auch vom „sozialen Tod“ (B. Janowski). Dies geschieht hier durch das Gebet (V.8). Psalmen sind mehrfach adressierte Texte: Sie sprechen als Gebete Gott an (Du-Anrede ab V.3b); sie sprechen aber auch bekenntnishaft über Gott (Er-Aussagen in V.3a und 10b). Der Psalm wird durch ein doppeltes Bekenntnis gerahmt: Jhwh hat geantwortet (V.3a) und: Rettung ist bei Jhwh (V.10b)! Grund für dieses Bekennen ist die Gebetserfahrung, die in V.3b–10a geschildert wird. Am Ende steht: Vor Gott kann man nicht weglaufen. Vielmehr ist er derjenige, bei dem Hilfe aus der eigenen Verstrickung und der Enge des Lebens gesucht wird!

5. Perspektiven für die Predigt

Die in V.1 erwähnten drei Tage und drei Nächte sind wohl der Grund dafür, dass der Text in den Kontext der Karwoche rückt (vgl. auch Mt 12,39f.). Vielleicht ist der Psalm des Jona tatsächlich ein Weg, das „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“, das im NT ja nicht geschildert wird, zu illustrieren und zugleich nicht als den Tief-, sondern als den Wendepunkt der Passion zu markieren.

Zugleich aber ist der Text geeignet, Not und Verstrickung im Leben der Hörerinnen und Hörer zur Sprache zu bringen und zugleich mit der Aussage „Rettung ist bei Jhwh“ vorsichtig Perspektiven zu eröffnen. Jedenfalls ließe sich Jon 2,1–11 gut in eine kurze Nacherzählung der Jonanovelle insgesamt einbetten, in der der Tiefpunkt des Jona zugleich zu einem Wendepunkt wird – auch wenn Jona später immer wieder mit „seinem“ Gott hadert und das Buch nicht mit einer „wahren“ Aussage, sondern mit einer Frage endet.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Was für ein Prophet, dieser Jona. Unmöglich! Widerspenstig, stur und eigensinnig macht er, was er will - und vielleicht gerade so genau das, was Gott will?

Die Geschichte ist voller Humor und einfach schön erzählt, das gefällt mir.

Zugleich ist es eine tiefe Geschichte. Eine Geschichte vom Abstieg, von der Sehnsucht, sich von Gott und seinem Auftrag zu entfernen.

Die Exegese macht klar, der Weg des Jona führt nach ganz unten, bis in den Bauch des Fisches und dort, am tiefsten Punkt, zur Umkehr und zur Begegnung mit Gott. Davon singt der Psalm.

Er steht als Gebet im Zentrum der Geschichte und markiert den Wendepunkt: „Ich rief aus meiner Not zu Jhwh und er antwortete mir“ (2,3).

Angeregt werde ich zu der persönlichen Frage: Wie gehe ich um mit Gottes Auftrag? Was ist überhaupt mein Auftrag? Kennen die Predigthörer ihren Auftrag? Kenne ich das alles: ignorieren, ablehnen, weglaufen wollen? Kenne ich auch das andere: Gott holt mich immer wieder ein, auch und vielleicht gerade in den dunklen Tiefen?

Aufmerksam machen mich die Hinweise auf die Geschichte des Psalms und die Aufnahme des Textes im Neuen Testament. Beachten möchte ich die Gefahr, den Predigttext von Anfang an nur unter christlichem Aspekt zu verstehen. Fragen möchte ich, wie er als Teil einer innerjüdischen Auseinandersetzung zur Frage: „Gilt das Versöhnungsangebot Gottes auch den ‚Heiden‘?“ für uns heute Anregungen geben kann.

2. Thematische Fokussierung

Einleuchtend und anregend ist der Hinweis des Exegeten, die Predigt über den Psalm in die Erinnerung an die ganze Geschichte des Jona einzubinden. So ermöglicht die metaphorische Fülle des Buches eine unmittelbare Beziehung zum „Kasus“ des Tages und zu eigenen Lebenserfahrungen. 

Hilfreich ist die Erkenntnis, dass das Jonabuch nicht mit einer fertigen Antwort oder Wahrheit endet, sondern mit einer Frage Gottes an Jona.

Das fordert heraus, diese Offenheit in der Predigt zu bewahren und fruchtbar zu machen. Gerade bei den existenziellen Fragen, zu denen der Text anregt, ist dies entscheidend. Dogmatische Wahrheiten sind zu vermeiden. Zugleich wäre es zu wünschen, die Schönheit und Leichtigkeit der Sprache des Jonabuches in der Predigt anklingen zu lassen.

Das Buch und der Psalm rücken die Frage nach Nähe und Distanz ins Nachdenken: Je weiter man sich von Gott entfernt, desto näher kann man ihm kommen? Diesem Gedanken möchte ich nachgehen.

3. Theologische Aktualisierung

Zunächst: der Text hat als alttestamentlicher Text Jesus Christus nicht unmittelbar im Blick. Ich sehe dementsprechend keine einfache Möglichkeit mit ihm direkt von Christus zur Gemeinde zu sprechen.

Allerdings ist auch zu beachten: Der Text hilft, von Gott zu sprechen. Er zeigt einen Gott, der seinem Propheten „eine lange Leine“ lässt, der mit ihm geht und auf all seinen Umwegen und Ausweichversuchen folgt. Das Jonabuch erzählt von einem Gott, der zur Umkehr ruft, den Propheten genauso wie die Menschen in Ninive. Und der zu Neuanfängen ermutigt und anregt, neue Wege ermöglicht und fördert.

Diesen Gott hat auch Jesus gepredigt und in seinem Leben und Handeln gezeigt. Für diesen Gott ist er gestorben. Insofern kann man mit Jesus über diesen Gott reden. Die Predigt kann beides verbinden.

Unter dieser Prämisse legen sich vom Text (das gesamte Jonabuch im Blick) her folgende Schwerpunkte nahe (die vermutlich nicht alle gleichbehandelt werden können). Ich nenne aus der Exegese stichwortartig einige Aspekte:

  • Vor Gott kann man nicht fliehen. Er ist immer schon da.
  • Gnade geht vor „Recht“, auch die „Bösen“ haben die Möglichkeit zur Umkehr und zum Neubeginn. Darüber mögen sich die „Gerechten“ ärgern, ihnen gilt Gottes Frage: Sollte ich nicht… (Jon 4,11)?
  • Auch in der tiefsten Tiefe des Lebens ist Gott nicht abwesend, er lässt sich anrufen und hört.
  • Umkehr ist möglich, ein zweiter Anlauf, eine zweite Chance bekommen. Sowohl für die Menschen in Ninive als auch für Jona, den Propheten.
  • „Gott befreit aus dem ‚Loch‘, in dem der betende Mensch selbst- oder fremdverschuldet sitzt, befreit so vom (drohenden) Tod und auch vom ‚sozialen Tod‘ (B. Janowski). Dies geschieht hier durch das Gebet (V.8).“ (Zitat Teil A)
  • Ninive steht für eine von Gott abgewandte Welt - damit stellt sich die heute sehr aktuelle Frage: Wie gehen wir mit unserer Welt um, die sich zunehmend von Gott abwendet und meint, ohne Gott auskommen zu können? Soll sie verteufelt oder zur Umkehr gerufen werden? Lassen wir ihr die Chance, oder haben wir sie schon verloren gegeben? Jona ist von Gott gefordert – und wir? Laufen wir vor der Herausforderung davon, ziehen wir uns zurück oder stellen wir uns der Aufgabe. Der Text ermutigt zur Hoffnung, dass sich die Welt durch den Ruf zur Umkehr tatsächlich erfolgreich zum Guten ändern lässt und dass Gott ihr am Ende gnädig entgegenkommt.

4. Bezug zum Kirchenjahr

In diesem Fall prägt eher der Sonntag / Feiertag den Text und seine Interpretation, darauf ist zu achten. In der liturgischen Tradition gilt Karsamstag als Tag der Grabesruhe Jesu. Der Tag steht unter dem Zeichen des toten, begrabenen Jesus mit all der Trauer, Hoffnungslosigkeit und Verwirrung, die seine Freunde empfinden.

Das Apostolische Glaubensbekenntnis weist mit der Formulierung „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ noch auf einen weiteren Aspekt dieses Tages hin. Karsamstag als Tag des Abstiegs Jesu in die „scheol“: Die durch den Kreuzestod angebotene Erlösung gilt allen Menschen, den Lebenden und den Toten (vgl. 1Petr 3,19).

In der gegenwärtigen kirchlichen Praxis wird der Gottesdienst am Karsamstag allerdings nicht unter diesem Aspekt gefeiert. Er findet meistens als Abendgottesdienst und als Feier der Osternacht statt. Hier steht dann neben dem Gedenken an den Tod auch die Hoffnung auf das neue Leben liturgisch im Vordergrund. Schon früh haben Christen das Herabsinken des Jona in die Tiefen des Meeres, vor allem auch seine Gefangenschaft im Bauch des Fisches und die wunderbare Rettung als Verstehenshilfe gesehen für alles, was von Karfreitag bis Ostern geschah.

So wie der Fisch Jona nicht bei sich behalten konnte, hielt auch das Grab Jesus nicht fest. Der Tod muss ihn wieder hergeben. Hier kann der Hinweis auf die neutestamentliche Interpretation hilfreich und weiterführend sein.

Die Herausforderung bleibt bestehen, den Jonatext am Karsamstag zu Wort kommen zu lassen. Hilfreich dafür ist die metaphorische Fülle des Textes. Er spricht vom äußersten Ort der Gottferne. Von der Erfahrung der existentiellen Tiefe und Bedrohung und zugleich von Gottes Nähe.

  • Das kann meditativ geschehen: Wo sind meine Tiefen, wie weit bin ich von Gott entfernt?
  • Das kann seelsorgerlich geschehen: In den tiefsten Tiefen sind wir nicht ohne Gott. Jona erlebt es, Jesus zeigt es: Niemand ist in seinem Tod allein.
  • Das kann in der Stille geschehen: Die stille Zeit des Jona im Fisch, die stille Zeit zwischen Karfreitag und Ostern ist beredt, gefüllt von Gebet. Im Gottesdienst wird Raum für persönliche Stille gegeben und in die Stille hinein der Psalm des Jona gemeinsam gebetet: Als meine Lebenskraft schwach war, da dachte ich an Jhwh / und mein Gebet kam vor dich.

Autoren

  • Prof. Dr. Achim Behrens (Einführung und Exegese)
  • Dr. Anita Müller-Friese (Praktisch-theologische Resonanzen)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500109

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