Deutsche Bibelgesellschaft

Biblia Hebraica: Die Geschichte der Textausgabe

Erste und zweite Auflage: Biblia Hebraica

Die textkritische Herausgabe der Hebräischen Bibel mit dem Namen »Bilbia Hebraica« wurde von dem Leipziger Alttestamentler Rudolf Kittel (1853–1929) begründet. Ihre erste Auflage erschien 1906 in zwei Bänden bei der Verlagsbuchhandlung J.C. Hinrichs in Leipzig, die zweite Auflage folgte 1913. Als Grundlage des hebräischen Textes wählte Kittel den sogenannten Textus receptus. Dabei handelt es sich um eine von Jakob ben Chajim bearbeitete Fassung des masoretischen Textes, die 1524/25 bei Daniel Bomberg in Venedig als Druckausgabe erschienen war und sich dann über Jahrhunderte als maßgeblicher hebräischer Bibeltext durchgesetzt hatte. Diesen hebräischen Text druckte Kittel mit den Vokal- und Betonungszeichen, aber ohne die masoretischen Kommentare und Notizen (Kleine und Große Masora). Am unteren Rand der Seiten fügte er einen knappen kritischen Apparat mit Textvarianten aus masoretischen Handschriften und aus den antiken Übersetzungen (vor allem der Septuaginta) hinzu. 1921 erwarb die Württembergische Bibelanstalt (WBA) von Hinrichs die Rechte für die Biblia Hebraica und veröffentlichte 1925 einen Nachdruck der zweiten Auflage. Zugleich wurde eine Neubearbeitung des Werks in Angriff genommen.

Dritte Auflage: Biblia Hebraica Kittel (BHK)

Obwohl bereits die ersten beiden Auflagen von Rudolf Kittel herausgegeben wurden, wird insbesondere die dritte von Rudolf Kittel vorbereitete Auflage als »Kittel-Bibel« bzw. als Biblia Hebraica Kittel (BHK) bezeichnet. Denn diese in den Jahren 1929–1937 erarbeitete dritte Auflage wurde völlig neu konzipiert. Ihre entscheidende und noch heute maßgebende Weichenstellung bestand darin, dass sie nunmehr den Text des Codex Leningradensis, eine zuverlässige und vollständige mittelalterliche Bibelhandschrift aus dem Jahr 1008, anstelle des Textus receptus abdruckte. Das wesentliche Verdienst gebührte dabei dem Orientalisten Paul Kahle (1875–1964), der die in St. Petersburg aufbewahrte Bibelhandschrift B 19a (Codex Leningradensis) untersuchte und die vorübergehende Entleihung der Bibelhandschrift an die Universität Leipzig vermittelte. So konnte die Biblia Hebraica im Jahr 1937 als eine urkundentreue Edition erscheinen, in der auch die Kleine Masora des Codex Leningradensis am äußeren Rand der Seiten abgedruckt wurde, freilich ohne weitere Bearbeitung oder Erläuterung.

Bibelwissenschaft unterstützen

Unser wissenschaftliches Angebot –  wissenschaftliche Ausgaben, WiBiLex, WiRelex, Exegese für die Predigt und mehr – sind auf Die-Bibel.de kostenlos für Sie verfügbar. Um dieses und weitere digitale Angebote für Sie entwickeln zu können, freuen wir uns über Ihre Unterstützung.

Eine weitere Neuerung der BHK war der zweigeteilte textkritische Apparat. Er bot in seinem oberen Teil bloße Varianten und minder wichtige Mitteilungen, dagegen notierte er in seinem unteren Teil die als bedeutsam angesehenen Lesarten und vorgeschlagenen Textänderungen. Dadurch sollte den Leserinnen und Lesern eine Hilfe beigegeben werden, um die Fülle der Informationen im Apparat entsprechend gewichten zu können.

Mit der sensationellen Entdeckung der Bibelhandschriften in den Höhlen von Qumran begann 1947 ein neuer und intensiver Abschnitt der alttestamentlichen Textforschung. Denn mit einem Mal standen Handschriften zur Verfügung, die rund 1000 Jahre älter waren als der Codex Leningradensis. Es lag auf der Hand, dass die Textvarianten der Qumranrollen im Apparat der Biblia Hebraica nicht fehlen durften. Doch aus technischen Gründen waren Veränderungen am Satz der BHK nur noch in ganz beschränktem Umfang möglich. Deshalb konnten die außerordentlich wichtigen Lesarten aus den beiden am besten erhaltenen Qumran-Texten, der Jesaja-Rolle (1QJesa) und dem Habakuk-Kommentar (1QpHab), nicht ohne weiteres in den bestehenden Apparat eingearbeitet werden. Als Notlösung wurden diese Textvarianten deshalb im Nachdruck der BHK von 1951 als ein dritter Apparat-Teil am unteren Seitenrand den Büchern Jesaja und Habakuk angefügt. Zugleich war klar, dass die Textfunde eine Neubearbeitung der Biblia Hebraica erforderlich machten.

Vierte Auflage: Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS)

Die vierte Auflage wurde in den Jahren 1967–1977 erarbeitet und von den Alttestamentlern Karl Elliger (1901–1977) und Wilhelm Rudolph (1891–1987) herausgegeben. Sie erschien 1977 wiederum als urkundentreue Edition (Codex Leningradensis) und erhielt den Namen Biblia Hebraica Stuttgartensia, mit dem auf den Verlagsort Stuttgart hingewiesen wurde. Die BHS bietet ebenfalls die kleine Masora am Seitenrand, die von dem französischen Hebraisten Gérard E. Weil (1926–1986) korrigiert und gründlich bearbeitet wurde. In den textkritischen Apparat wurden die Qumrantexte aufgenommen, sofern sie zum damaligen Zeitpunkt bereits wissenschaftlich erschlossen waren. Die Zweiteilung des Apparats in der BHK wurde jedoch aufgegeben, weil die Unterscheidung von »unwichtigen« und »wichtigen« Varianten in vielen Fällen nicht sicher zu treffen war. Die BHS ist gegenwärtig die einzige wissenschaftliche Textausgabe weltweit, die den gesamten Text der Hebräischen Bibel darbietet.

Fünfte Auflage: Biblia Hebraica Quinta (BHQ)

Erst seit den 2000er Jahren sind alle ca. 200 verschiedenen Bibelhandschriften aus den Höhlen von Qumran und der Gegend um das Tote Meer wissenschaftlich erschlossen. Allerdings sind kaum mehr als 20 Schriftrollen vollständig erhalten. Die übrigen Handschriften liegen nur fragmentarisch vor, in der Summe ca. 15 000 Bruchstücke. Die Textfunde haben zu vielen neuen Erkenntnissen geführt, die das Bild der Textüberlieferung der Hebräischen Bibel noch einmal grundlegend verändert haben. Auf diesem neuesten Stand der Textforschung wird gegenwärtig die Biblia Hebraica Quinta erarbeitet. Der Name weist auf die fünfte Auflage der Biblia Hebraica-Reihe hin (quinta = fünfte). Das Gesamtwerk ist auf zwanzig Einzelbände konzipiert. Neben der Kleinen Masora wird erstmals auch die Große Masora vollständig abgedruckt und damit der Anspruch einer genauen urkundentreuen Edition erfüllt. Schwerpunkt der BHQ ist die möglichst umfängliche Dokumentation aller Lesarten, ihre Beschreibung und Bewertung. Im Apparat werden deshalb nicht nur Textzeugen bei Abweichungen und Varianten genannt, sondern auch die positiven Zeugen, die den Masoretentext des Codex Leningradensis bestätigen. Jeder Einzelband enthält darüber hinaus einen dreifachen Anhang, in dem die Bearbeiterinnen und Bearbeiter Anmerkungen und Erklärungen zur Kleinen Masora, zur Großen Masora und zum textkritischen Apparat geben. Die bis 2024 erschienenen Bände der BHQ finden Sie hier.

Deutsche Bibelgesellschaftv.4.26.9
Folgen Sie uns auf: