Sprachwahl: DE EN
Sprachwahl: DE EN

1968

Vor 50 Jahren erschien die "Gute Nachricht für Sie. NT68". Es war eine Revolution in der modernen Bibelübersetzung und der Beginn einer Erfolgsgeschichte über Grenzen von Ländern und Kirchen hinweg. Begeben Sie sich auf eine Zeitreise und entdecken Sie ein halbes Jahrhundert "Gute Nachricht"!

50 Jahre sind eine lange Zeit – wer die Lebenswelt von 1968 mit unserem Alltag heute vergleicht, begreift den Riesensprung. Wer kann sich heute noch eine Welt ohne Handy oder Computer vorstellen? Der 50. Geburtstag der "Gute Nachricht Bibel" führt uns zurück in diese Zeit. Sie war die erste Bibelübersetzung in modernem Deutsch, interkonfessionell übersetzt und auch ohne Kenntnis der klassischen Bibelsprache gut verständlich.

Wir laden Sie ein, in die Geschichte von 50 Jahren Gute Nachricht Bibel einzutauchen. Was führte zu ihrer Entstehung? Was war neu? Und wo prägt sie moderne Bibelübersetzungen bis heute? Feiern Sie mit uns anlässlich dieses runden Geburtstags mit interessanten Einblicken und spannenden Geschichten zur "Gute Nachricht Bibel".


1968 – Die Welt im Aufbruch

Vor 50 Jahren kommt etwas in Bewegung. Eine Generation steht auf für Frieden, Freiheit und mehr Menschlichkeit und stellt dabei die Verhältnisse, in denen sie lebt in Frage. Von "Flower Power" in Kalifornien bis zum "Prager Frühling" – die Welt wird 1968 von einem Aufbruch erfasst.

Ob in New York, Paris, Berlin, Tokio oder Sao Paolo. Überall auf der Welt gehen im Frühjahr 1968 junge Menschen auf die Straße. Einige protestieren gegen Benachteiligung und Ausbeutung, andere lehnen sich gegen eine Gesellschaft auf, in der sie selbst mit ihren Wünschen und Träumen keinen Platz zu haben scheinen. Ihre Anliegen sind verschieden, aber es gibt ein Thema, das sie alle verbindet. Die schrecklichen Bilder des Vietnamkriegs und die Forderung nach Frieden – Frieden im eigenen Land und in der Welt.

"I have a dream!" – Martin Luther King steht wie kaum ein anderer für diesen Aufbruch. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA, an deren Spitze der Baptistenprediger steht, ist nur der Anfang. Sie wächst zur Bewegung einer ganzen Generation, die auf der Suche nach Freiheit und neuen Idealen die bestehenden Verhältnisse in Frage stellt. Der 4. April 1968 wird zum einschneidenden Ereignis: Martin Luther King stirbt bei einem Attentat. Der Traum von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit über die Grenzen von Herkunft und Hautfarbe hinweg aber bleibt lebendig und macht ihn zur Ikone der Bewegung.

Studentenrevolte in Deutschland

In Bundesrepublik ist der Lebensstandard derweil so hoch wie nie zuvor. Die Wirtschaft boomt. Aus dem Radio erklingt Heintjes "Mama". Doch immer häufiger mischen sich darunter auch lautere Töne: Vier "Pilzköpfe" aus Liverpool stürmen mit dem Song "Revolution" die Hitparade. In die Kinos locken eine rebellische Uschi Glas, Oswalt Kolle und Pepe Nietnagel mit seinen "Lümmeln von der ersten Bank". Frech, freizügig und laut – und ein Schock für die "spießigen Alten". Im Frühjahr 1968 erfassen die Studentenproteste auch die Universitätsstädte in der Bundesrepublik. Studentinnen und Studenten demonstrieren gegen den Krieg und die "befreundete Schutzmacht" USA; gegen Nazi-Altlasten, gegen Polizeigewalt und die Notstandsgesetze der Großen Koalition. Es formiert sich die außenparlamentarische Opposition. In der DDR blickt man vor allem auf die Reformen des "Prager Frühlings" und sein jähes Ende durch russische Panzer. Größere Proteste bleiben aus. Doch die Situation ist angespannt – gerade für parteikritische, kirchliche Kreise. Die Sprengung der Leipziger Universitätskirche im Mai ‘68 wird zum symbolträchtigen Ereignis für die Christinnen und Christen im "real existierenden Sozialismus".

Kirchen zwischen Aufstand und Stillstand

In Westdeutschland erfasst die Kritik an Politik, Gesellschaft und Kultur bald auch die Kirchen. Zunächst vor allem die Theologen an den Unis: Neue Strömungen wie die Befreiungstheologie reagieren auf eine Welt, die in eine "Erste" und eine "Dritte" unterschieden wird. Die Schöpfung zu bewahren und das Reich Gottes in dieser Welt zu bauen – das geht nicht, ohne gesellschaftliche Ungerechtigkeit zu bekämpfen! Für viele junge Christen wird die Kirche zum Ort des Umdenkens, von dem Veränderungen für die Welt ausgehen müssen. In Jesus sehen sie nicht nur den Heiland und Retter der Welt, sondern auch den Revolutionär, der die gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage stellt. Das gilt nicht nur für junge Theologiestudenten. In den USA und bald auch in Deutschland wächst die Zahl der "Jesus People", einer charismatischen Erweckungsbewegung, die ihr Leben teils in christlichen Kommunen organisiert – frei von den Konventionen der Kirche und ganz in der Nachfolge von Jesus.

Auch etliche 68er-Biografien zeigen eine kirchliche Prägung: Der Student Benno Ohnesorg, dessen Tod im Herbst 1967 zum Fanal der Proteste geworden war, schloss sich der Evangelischen Studentengemeinde an. Studentenführer und "Bürgerschreck" Rudi Dutschke engagierte sich während seiner Jugend in der DDR in der evangelischen Jungen Gemeinde. Doch in den Kirchenleitungen tut man sich schwer mit den Ideen und Forderungen der Jungen. Dass es um Fragen geht, die das Weltgeschehen bestimmen, lässt sich aber nicht bestreiten. Auch der Ruf nach gelebter Ökumene wird lauter.  "Siehe, ich mache alles neu" – unter diesem Motto treffen sich im Juli 1968 Vertreter von über 200 Kirchen zur ökumenischen Weltkirchenkonferenz in Uppsala, wo die drängenden Fragen der Zeit diskutiert werden. In den evangelischen Kirchen in Deutschland kommt davon nur wenig an. "Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren." Viele junge Pfarrer – und eine wachsende Zahl an Pfarrerinnen – beziehen diese 68er-Parole auch auf ihre eigene Berufsgruppe. Mit Kreativität und dem Mut, Neues auszuprobieren, sind sie es, die Raum für neue Themen und Formen des Glaubens schaffen. Neue Lieder finden Gehör, neue Formate ihr Publikum. So bringt die Theologin Dorothee Sölle mit dem "politischen Nachtgebet" das Gebet aus der Kirche auf die Straße.

"Meine Sprache ist anders"

Auch in der Katholischen Kirche betreten immer häufiger Priester mit Jeans und Gitarre die Kirche. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Zwar findet seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Heilige Messe in deutscher Sprache und nicht mehr auf Latein statt. Doch für viele Gläubige bleiben die drängenden Fragen der Zeit unbeantwortet. Auf dem Katholikentag in Essen treten die Konflikte offen zu Tage. Es geht um weltpolitische Themen ebenso wie um Glaubensfragen, um mehr Partizipation, mehr Gewissensfreiheit, Ämter für Frauen und die "Antibabypille". Aber es geht auch um eine neue Sprache. So sagt ein Mann bei einer Kundgebung: "Man übergibt mir die Bibel. Ich verstehe sie nicht. Meine Sprache ist anders." Das Wort Gottes in einer modernen Sprache – der Aufbruch hat gerade erst begonnen.

Kirchen zwischen Aufstand und Stillstand

Grenzen überwinden – eine moderne Bibel

Am Anfang steht die Vision: eine Bibel in modernem, zeitgemäßem Deutsch, die auch Menschen verstehen, die nicht mit der Kirchensprache vertraut sind. Für die Württembergische Bibelanstalt (Vorgängerin der Deutschen Bibelgesellschaft) ist es ein Experiment und Wagnis zugleich. Journalisten und Schriftsteller werden angefragt, um die Texte in die "Sprache von heute" zu übersetzen. Theologen bleiben beratend im Hintergrund. Schließlich soll es eine Bibel sein, die sprachlich am Puls der Zeit ist – nicht aus der Kirche, sondern aus der Mitte der Gesellschaft.

Das Ergebnis erscheint 1968: die "Gute Nachricht für Sie. NT68". Ein Taschenbuch mit Fließtext ohne Kapitel- und Versziffern dafür mit ausdrucksstarken Zeichnungen von Horst Lemke, dem Illustrator der Erich Kästner-Bücher. Die abgebildeten Namenszüge großer Tageszeitungen auf dem Cover sagten unmissverständlich: Hier geht es nicht um eine kirchlich-betuliche "Frohe Botschaft", sondern um eine "Gute Nachricht" – klar, prägnant, aktuell!

Mehr Beteiligung, mehr Ökumene

Das NT68 wird zum Erfolg. Weit über 300 000 Exemplare werden in den ersten Jahren verkauft. Bereits für 1971 plant man eine neue Ausgabe mit überarbeitetem Text. Auch dabei betritt man Neuland: Mit Beginn der Überarbeitung werden auch die katholischen Bibelwerke für das Projekt gewonnen: das Katholische Bibelwerk in Stuttgart ebenso wie die Bibelwerke in Österreich und der Schweiz, außerdem die Biblisch-pastorale Arbeitsstelle der Berliner Bischofskonferenz der DDR. Auch evangelische Freikirchen beteiligen sich. Es beginnt eine Arbeit über Grenzen hinweg – über Ländergrenzen wie Kirchengrenzen. 1982 erscheint schließlich die vollständige Ausgabe mit Altem Testament: Gute Nachricht. Bibel in heutigem Deutsch. Sie ist die erste Bibel, die gemeinsam von Freikirchen, katholischen und evangelischen Bibelwerken im deutschsprachigen Raum verantwortet wird. Die erste und einzige interkonfessionelle Bibel bis heute.

Auch nach 50 Jahren "die Moderne"

Über die Jahre kommen viele zeitgemäße Bibelübersetzungen hinzu. Die Maßstäbe aber hat die Gute Nachricht Bibel gesetzt und sie behält ihre Vorreiterrolle. Neben der Lutherbibel und der katholischen Einheitsübersetzung etabliert sie sich als die dritte große Bibelübersetzung, als Bibel für alle. Die Entwicklung zeigt aber auch: Die Arbeit an einer Bibel in moderner, zeitgemäßer Sprache ist nie abgeschlossen. Um dem Anspruch "Sprache von heute" gerecht zu bleiben, müssen regelmäßig Überarbeitungen vorgenommen werden, zuletzt in einer umfangreichen Neubearbeitung 1997. Anlässlich ihres 50. Geburtstags erscheint die Gute Nachricht Bibel im Oktober 2018 in einer neuen Gestaltung mit neuem Layout und einem aktuell durchgesehenen Text.

Die Moderne

Die Geschichte der "Gute Nachricht" beginnt bereits 1966 mit der amerikanischen Übersetzung "Good News for Modern Man. Today’s English Version". Eine Bibelübersetzung in ein einfaches Englisch – kein ehrwürdiges "Gospel", sondern "News"!

Nach dem Erscheinen des Neuen Testaments auf Deutsch dauert es weitere 14 Jahre bis die "Gute Nachricht Bibel" in ihrer vollständigen Fassung mit Altem und Neuem Testament vorliegt. In den Folgejahren entwickelt sich die "Gute Nachricht" zur wichtigsten deutschen Bibelübersetzung neben der Lutherbibel und der katholischen Einheitsübersetzung.

Klicken Sie auf die Bildergalerie und tauchen Sie ein in die Geschichte von 50 Jahren "Gute Nachricht Bibel".

"Ein lebendiges Experiment"

"Gute Nachricht für Sie. NT68" hieß das Buch, das die Württembergische Bibelanstalt, Vorläuferin der Deutschen Bibelgesellschaft, vor 50 Jahren veröffentlichte. Es handelte sich um eine ganz neue Art der Bibelübersetzung, die die Sprache der Menschen ihrer Zeit sprechen sollte. Barbara Beuys, Historikerin, Journalistin und Buchautorin, die als junge Studentin an der Übersetzung beteiligt war, erinnert sich.

Was mir beim Rückblick zuerst in den Kopf kommt, ist die Taxifahrt vom Stuttgarter Hauptbahnhof zur Württembergischen Bibelanstalt. War ich in einem fremden Land angekommen? Ich verstand kein Wort des Taxifahrers. Aufgewachsen im Rheinland, war mir die Gegend südlich des Mains ziemlich unbekannt. In der Bibelanstalt erfuhr ich nicht nur einen freundlichen Empfang, sondern merkte erleichtert, hier wird Hochdeutsch gesprochen.

Gottes Wort für die heutige Zeit

Wenig später ging es weiter nach Tübingen. Dort erwarteten mich ein Professor der evangelischen Theologie und ein intensives Gespräch über die Frage, wie weit theologische Sprachformeln, seit Jahrhunderten gebräuchlich, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verändert werden dürfen. Denn das war das Ziel der Übersetzung des Neuen Testamentes, für die die Württembergische Bibelanstalt mich 1967 angeheuert hatte: Menschen unserer Zeit sollen nicht Formeln hören, zu denen sie keinen Zugang mehr haben, sondern mit dem Wort Gottes in ihrem heutigen Verständnis-Horizont angesprochen werden.

Das Wort "Auferstehung" war für mich ein solcher theologischer Stolperstein. Es existiert in der deutschen Sprache nur in Anbindung an die Theologie und wird außerhalb des biblischen Kontextes nicht genutzt. Eine verständliche Übersetzung der Evangelien müsse einen anderen sprachlichen Ausdruck dafür finden, dafür kämpfte ich vehement in diesem Gespräch. An Einzelheiten habe ich keine Erinnerungen, wohl aber an den Eindruck, von einem theologischen Experten ernst genommen zu werden. Ob er einer Streichung von "Auferstehung" und ähnlich versteinerten Ausdrücken am Ende zustimmen könne, ließ der Professor offen. Doch ich fuhr zurück mit dem guten Gefühl, mich auf ein lebendiges Experiment eingelassen zu haben.

Journalisten als Übersetzer

Die Risikobereitschaft der Bibelanstalt war erstaunlich. Sie hatte in Anzeigen um Übersetzer geworben, die das Neue Testament aus dem Englischen – und nicht wie üblich aus dem Griechischen – "in heutiges Deutsch" übersetzen sollten. Nach eingereichten Übersetzungsproben wurden zwei erfahrene ältere Journalisten beauftragt – und ich: eine 24 Jahre alte Studentin. Ich hatte gerade meine Promotion in US-Geschichte an der Kölner Universität abgeliefert und schrieb nebenher Buchbesprechungen für DIE ZEIT und englische Artikel für die International Herald Tribune.

Die Anzeige der Bibelanstalt hatte meine Experimentierlust und meine Vorliebe für Sprache herausgefordert. Mein Interesse an Religion ging zurück in meine Zeit am Gymnasium. In dem gemischt-konfessionellen Mädchengymnasium in Düsseldorf gehörten heftige Diskussionen zwischen den protestantischen und katholischen Schülerinnen zum Schulalltag - undenkbar heute. Das folgende Studium in Geschichte, Philosophie und Soziologie hatte mich darin bestärkt, welch prägende Kraft die Religion durch die Jahrhunderte besaß.

Allerdings glaubte ich nicht wirklich an einen positiven Ausgang meiner Stuttgarter Bewerbung. Ich war rheinisch-katholisch sozialisiert, das bedeutete einen weltoffenen Horizont. Aber zugleich war es immer noch selbstverständlich, dass Katholiken am Karfreitag demonstrativ die Teppiche im Garten ausklopften. Doch die Württembergische Bibelanstalt hatte keine Berührungsängste. Wir einigten uns, dass ich das Johannes-Evangelium, die Briefe und die Offenbarung übersetzen sollte. Dicke Brocken, aber ich liebe Herausforderungen. Nach der Begegnung mit dem Professor in Tübingen hing über meinem Schreibtisch eine Strichliste: Sechs Seiten musste ich pro Tag übersetzen, um den Abgabetermin einzuhalten. Ein gewaltiges Pensum, aber der Kraftakt kam zu einem pünktlichen Ende.

Neue Vorschläge für theologische Begriffe

Nach meiner Übersetzungsarbeit besahen sich theologische Fachkräfte das Werk. Die Übersetzung der ursprünglich griechischen Texte des Neuen Testamentes auf dem Umweg über das Englische in ein modernes Deutsch war ein gewagtes Unternehmen. Dass es an meinem Text Korrekturen gab, darauf war ich vorbereitet. Zugleich konnte ich feststellen, dass zentrale theologische Begriffe, die für mich sprachlich "abgegriffen" waren, in der neuen Übersetzung durch meine Vorschläge ersetzt wurden. Mein Tübinger Gespräch war nicht umsonst gewesen. In der allerersten Ausgabe des "NT68" heißt es bei Johannes 20,8-9 über den Schüler Jesu, der nach der Beerdigung des Meisters in das leere Grab geht: "Er sah alles und glaubte. Sie hatten bis dahin immer noch nicht die Schrift verstanden. Dort steht ja, daß er nach dem Tod wieder lebendig werden muß." Nach dem Tod wieder lebendig werden: das ist auch für Christen schwer zu glauben – aber sie werden hier mit einer theologischen Aussage konfrontiert, der sie in ihrer sprachlichen Eindeutigkeit nicht ausweichen können.

Diese bewusste Konfrontation wurde schon drei Jahre später rückgängig gemacht. Wer "Die Gute Nachricht" von 1971 liest, erfährt bei Johannes 20,8-9: "Er sah alles und kam zum Glauben. Denn bis dahin hatten sie die heiligen Schriften immer noch nicht verstanden. Dort steht ja, daß Jesus nach dem Tod auferstehen muß."

Das Experiment des "NT68" wurde zur Grundlage meiner kritischen Sympathie für den Protestantismus. Neben meiner journalistischen Tätigkeit begann ich 1979, historische Sachbücher zu schreiben. "Und wenn die Welt voll Teufel wär. Luthers Glaube und seine Erben" erschien 1981.

Erinnerungen

"Freuen dürfen sich alle …"

Im Bibelreport (Ausgabe 3, 1971)  gibt der Theologe und Übersetzer Rudolf Kassühlke Einblick in die Arbeit an der "Gute Nachricht"-Übersetzung. Als Beispiel wählt er dafür die Bergpredigt mit den bekannten "Seligpreisungen". Dabei schildert er auch das Prinzip der "dynamischen Äquivalenz" für sinngemäße, "kommunikative" Übersetzungen, das bis heute in modernen Bibelübersetzungen Anwendung findet:

Die Gute Nachricht: Die ökumenische Fassung des Neuen Testaments ist da

Zur Buchmesse erscheint unter dem Titel "Die Gute Nachricht" eine Übersetzung des Neuen Testaments in einfaches modernes Deutsch, die das sogenannte NT68 ("Gute Nachricht für Sie") ablösen soll. An entscheidenden Stellen wird diese Übersetzung gegenüber ihrer Vorgängerin neue Wege einschlagen. Wie und warum, das soll hier an einem Beispiel gezeigt werden.

Matthäus 5,1-10

1Als Jesus die Menschenmenge sah, stieg er auf einen Berg und setzte sich. Seine Jünger traten zu ihm. 2Dann entfaltete er ihnen seine Botschaft:
3Freuen dürfen sich alle, die mit leeren Händen vor Gott stehen;
denn sie werden Gottes Volk sein, wenn er sein Werk vollendet.
4Freuen dürfen sich alle, die unter der Not der Welt leiden; denn Gott wird ihnen ihre Last abnehmen.
5Freuen dürfen sich alle, die auf Gewalt verzichten;
denn Gott wird ihnen die ganze Erde zum Besitz geben.
6Freuen dürfen sich alle, die brennend darauf warten, daß Gottes Wille geschieht;
denn Gott wird ihre Sehnsucht stillen.
7Freuen dürfen sich alle, die barmrherzig sind;
denn Gott wird auch mit ihnen barmrherzig sein.
8Freuen dürfen sich alle, die ein reines Herz haben;
denn sie werden Gott sehen.
9Freuen dürfen sich alle, die Frieden schaffen;
denn sie werden Gottes Kinder sein.
10Freuen dürfen sich alle, die verfolgt werden, weil sie tun, was Gott verlangt;
denn sie werden mit Gott in der neuen Welt leben.

Manche werden beim Blick auf die hier abgedruckten Texte fragen: "Ist das nicht zu frei? Das ist doch keine Übersetzung mehr!" Die Mitarbeiter an der neuen Übersetzung sind anderer Meinung. Was haben sie sich bei ihrer Arbeit gedacht?

Zunächst muß man sich klarmachen, daß es beim Übersetzen von einer Sprache in die andere nicht damit getan sein kann, einfach die Wörter gegeneinander auszutauschen; denn in vielen Fällen haben zwei Sprachen gar keine Wörter von genau derselben Bedeutung, und außerdem hat jede Sprache ihr eigenes System, die Wörter zu kombinieren. Der Übersetzer darf darum nicht fragen: "Welche Wörter stehen da?", sondern: "Welchen Sinn hat die Aussage? Was bedeuten die Wörter in ihrem Zusammenhang?"

Das führt zu dem Übersetzungsprinzip der "dynamischen Gleichwertigkeit" anstelle lediglich "formaler Gleichheit". Bei diesem neuen Prinzip geht es darum, soweit nötig, die Form einer Aussage zu verändern, un ihren Inhalt zu bewahren. "Dynamisch" heißt eine solche Übersetzung, weil sie beim heutigen Leser oder Hörer denselben Eindruck hervorrufen will, den die ursprünglichen Addressaten der Botschaft empfingen. Es geht um dieselbe "Wirkung" – die biblische Botschaft ist ja eine Mitteilung, die etwas bewirken will, also in sich selbst dynamisch! Damit möglichst viele von dieser Wirkung erreicht werden, benutzt die dynamische Übersetzung eine Sprache, die der Umgangssprache nahesteht, ohne in die Vulgärsprache abzugleiten.

Selig …

Das griechische Wort, mit dem jede der sog. "Seligpreisungen" beginnt, hat Luther mit "selig" übersetzt. "Selig" hatte zu seiner Zeit die Bedeutung "wohlgeartet, gut, glücklich, gesegnet, heilsam". Heute ist man nur noch "selig", wenn man gestorben, betrunken oder sehr verliebt ist. Das Wort ist also für die Übersetzung an dieser Stelle unbrauchbar geworden. "Glückselig" ist auch nicht besser, weil es Übersetzerdeutsch ist und in der lebendigen Sprache nicht verwendet wird. NT68 versuchte es in Anlehnung an die englische Vorlage mit "glücklich"; aber das sagt im Zusammenhang unseres Textes zu wenig. Eine Untersuchung des griechischen Wortes ergibt, daß einer bestimmten Gruppe von Menschen Freude zugesprochen wird. Das besondere an dieser Freude ist, daß Gott sie schenkt und sie deshalb unvergänglich ist und Hilfe bringt. Sie fängt jetzt schon an und wird einmal zur Vollendung gebracht. Die Übersetzung muß aber neben der Information auch den einladenden Charakter der Aussage wiedergeben. Alle diese Überlegungen führten dazu, daß jede "Seligpreisung" nun den Rahmen bekommen hat: "Freuen dürfen sich alle, die …"; denn Gott wird …" Die ausdrückliche Nennung Gottes hat noch einen anderen Grund: Aus Furcht davor, den Namen Gottes zu mißbrauchen, hatten sich die Juden angewöhnt, ihn nach Möglichkeit gar nicht zu nennen. Das führte dazu, daß sie statt von "Gott", vom "Himmel" sprachen und Gottes Tun passivisch ausdrückten, Man sagte also: "Sie sollen getröstet werden" um auszudrücken: "Gott wird sie trösten".

Die geistlich Armen

Nach Luthers Übersetzung gilt nun diese "Freude von Gott" denen, die "geistlich arm" sind, oder nach anderen traditionellen Übersetzungen den "Armen im Geist". Beide Wendungen wurden mißverstanden, weil sie unnatürliches Deutsch sind und mit "geistig minderbemittelt" und "arm an Geist" verwechselt werden. Das Original meint aber nicht Schwachsinnige, sondern Menschen, die sich Gott gegenüber ihrer inneren Armut bewußt sind, die wissen, daß sie mit nichts Gottes Liebe verdienen können, die aber auch bereit sind, sich von Gott beschenken zu lassen. Die neue Übersetzung gibt das wieder durch: "die mit leeren Händen vor Gott stehen".

Das Himmelreich

"Denn ihrer ist das Himmelreich", sagt Luther. Das "Himmelreich", wie Matthäus sich ausdrückt, ist dasselbe wie das "Reich Gottes" in anderen neutestamentlichen Schriften. Diese Wendung war eine im Judentum sehr geläufige Kurzformel. Sie stand für alles, was der fromme Jude in der Zukunft von Cott erwartete. Innerhalb des Neuen Testaments kommt noch der Gedanke hinzu, daß mit dem Kommen Jesu dieses "Reich Gottes" schon angefangen hat, die endgültige Erfüllung aber noch aussteht. Im Alten Testament kommt die Wendung "Reich Gottes" nicht vor, wohl aber die gleichwertige Aussage: "Der Herr ist Köntg geworden". "Reich" ist mißverständlich, weil es zuerst lokal verstanden wird, im Sinn von "Bereich". Diese Bedeutung ist jedoch nicht die häufigste im Neuen Testament. Meistens geht es bei "Reich Gottes" um "Gottes König-sein", um seine Herrschaft. Einige Übersetzungen haben darum "Herrschaft Gottes", "Königsherrschaft Gottes" oder Gottesherrschaft" gebraucht. Die beiden letzten Ausdrücke wirken künstlich. Aber auch "Herrschaft Gottes" ist problematisch, weil "Herrschaft" bei vielen wegen seines "autoritären" Klanges negative Empfindungen weckt. Mit einem negativ wirkenden Ausdruck kann man aber kaum positive Zustimmung beim Leser wecken, und er soll, doch etwas von der freudigen Erwartung empfinden, die der ursprüngliche Leser empfand. Im Deutschen haben wir keine entsprechende gleichwertige Kurzformel. Muß der Übersetzer deshalb aufgeben und mit Bedauern bei "Reich Gottes" bleiben?

Eine eingehende Untersuchung aller Stellen, an denen "Himmelreich" oder "Reich Gottes", vorkommt, zeigte, daß dieser Begriff verschiedene Bedeutungen hat, von denen im jeweiligen Zusammenhang fast immer nur eine im Vordergrund steht. Das Beispiel des Alten Testaments ermutigte die Übersetzer dazu, statt des formelhaften Ausdrucks verständlichere Aussagen zu verwenden. Das Ergebnis sieht zusammengefaßt so aus: Wo "Reich Gottes" einen klar gegenwärtigen Bezug hat, heißt es: "Gott richtet jetzt seine Herrschaft auf". Weist der Bezug auf die Erfüllung in der Zukunft, so sagt die Übersetzung: "Wenn Gott sein Werk vollendet …" An den Stellen, wo vom Hineingehen oder -kommen ins "Reich Gottes" die Rede ist, steht dafür jetzt "Gottes neue Welt". Der jeweilige Zusammenhang bestimmt dann die genauere Formulierung. "Denn ihrer ist das Himmelreich" wurde so zu: "denn sie werden Gottes Volk sein, wenn er sein Werk vollendet".

Die Leidtragenden und der Trost

Vers 4 spricht in fast allen Übersetzungen von Menschen, die "Leid tragen" oder "trauern". Darunter versteht man im heutigen Sprachgebrauch solche, die den Tod eines Angehörigen beklagen. Darum handelt es sich bei der Aussage des Textes aber nicht, auch nicht um Menschen, die ganz einfach traurig sind. Die Menschen, um die es hier geht, leiden darunter, daß die Welt so ist, wie sie ist: unbarmherzig, rücksichtslos, von Gott getrennt und verloren. Es sind Menschen, "die unter der Not der Welt leiden". Unter "trösten" verstehen die meisten "jemand beruhigend zureden"; viele sehen dabei gleich eine Mutter, die ihr Kind streichelt. Hier aber bedeutet "trösten" ein handfestes Eingreifen und Ändern der Lage, ein "Abnehmen der Last".

Die Sanftmütigen

Das sind keine Leute, die sich alles gefallen lassen und zu allem Unrecht schweigen. Sie haben es gelernt, mit dem Handeln Gottes zu rechnen. Darum wollen sie ihre Vorstellungen nicht mit Gewalt durchsetzen, weil sie befürchten, dann anderen Unrecht zu tun. Es sind Menschen, "die auf Gewalt verzichten", weil sie den längeren Atem haben.

Hunger und Durst nach Gerechtigkeit

Das ist heute ein ganz aktuelles Thema geworden. Nur darf man sich dafür nicht auf Matthäus 5,6 berufen. Unter "Gerechtigkeit" versteht man im Deutschen "ein Verhalten, das dem allgerneinen Rechtsempfinden entspricht". Für Matthäus ist es aber "ein Verhalten, das der von Gott gesetzten Norm entspricht". Auf keinen Fall ist Gerechtigkeit für ihn etwas von Gott Losgelöstes, sondern das, "was Gott verlangt". Wenn die Übersetzung das so auch ausdrückt, dann kann sie nicht mehr vom "Hungern und Dürsten" reden, sondern muß es unbildlich sagen: "die brennend darauf warten …" Sie werden dann auch nicht mehr "satt", sondern "Gott wird ihre Sehnsucht stillen".

Nicht überall muß sich die Übersetzung so radikal von der gewohnten Form lösen wie bei den genannten Beispielen. Ein Blick auf die folgenden Verse zeigt das sofort. "Ist das nicht zu frei?" Frei von der Form des Originals, ja. Aber auf keinen Fall vom Inhalt des Originals. Die Übersetzer versuchten, diesen Inhalt klar und eindeutig wiederzugeben, ohne ihn dem modernen Denken, anzupassen oder Informationen hinzuzufügen, die nicht im Original selbst enthalten sind. Das meinen sie den biblischen Autoren und ihren heutigen Lesern schuldig zu sein.

 

Rudolf Kassühlke ist Pastor des Bundes Evangelisch-freikirchlicher Gemeinden und Übersetzungssekretär des Evangelischen Bibelwerks in der Bundesrepublik. Durch die Mitarbeit von zwei katholischen Theologen in dem Übersetzerteam ist es möglich geworden, daß dieses Neue Testament nicht nur gemeinsam von allen deutschsprachigen Bibelgesellschaften, sondern auch zusammen mit den Katholischen Bibelwerken des deutschen Sprachraums herausgegeben wird.

weiterlesen


Angebote im Shop

Gute Nachricht Bibel. Klassik

26,90 €

versandkostenfreie Lieferung ab 29,00€

Gute Nachricht Bibel. Für Schule und Gemeinde

12,90 €

versandkostenfreie Lieferung ab 29,00€

Jetzt anmelden

Ich habe bereits ein Nutzerkonto:

Einloggen mit Ihrer E-Mail Adresse und Passwort.

Passwort vergessen?