Wärst du doch mein Bruder!
SIE
1Ich wünschte mir, dass du mein Bruder wärst,
den meine Mutter an der Brust genährt hat.
Dann dürfte ich dich unbekümmert küssen,
wenn ich dich draußen auf der Straße treffe,
und niemand würde dann die Nase rümpfen.
2Ich nähm dich mit zum Hause meiner Mutter;
du könntest mich im Zärtlichsein belehren,
ich gäbe dir gewürzten Wein zu trinken
und meinen Most von Früchten des Granatbaums.
3Sein linker Arm liegt unter meinem Kopf
und mit dem rechten hält er mich umschlungen.
4Ihr Mädchen alle, ich beschwöre euch,
dass ihr uns nicht in unsrer Liebe stört!
DIE MÄDCHEN
5aWer kommt dort herauf aus der Wüste,
gestützt auf den Arm ihres Liebsten?
Unüberwindlich wie der Tod
SIE
5bHier unterm Apfelbaum
hab ich dich aufgeweckt,
wo deine Mutter dich
empfing und auch gebar.
6Du trägst den Siegelring
an einer Schnur
auf deiner Brust.
So nimm mich an dein Herz!
Du trägst den Reif
um deinen Arm.
So eng umfange mich!
Unüberwindlich
ist der Tod:
Niemand entrinnt ihm,
keinen gibt er frei.
Unüberwindlich –
so ist auch die Liebe,
und ihre Leidenschaft
brennt wie ein Feuer.
7Kein Wasser kann die Glut der Liebe löschen
und keine Sturzflut schwemmt sie je hinweg.
Wer meint, er könne solche Liebe kaufen,
der ist ein Narr, er hat sie nie gekannt!
Besorgte Brüder
IHRE BRÜDER
8Noch ist unsre kleine Schwester
für die Liebe viel zu jung,
denn sie hat noch keine Brüste.
Kommt sie erst ins rechte Alter,
dass sie jemand freien will,
müssen ihre Brüder wachen.
9Sperrt sie sich wie eine Mauer,
schmückt man sie mit Silberzinnen.
Gleicht sie einer offenen Pforte,
schließt man sie mit Zedernbalken.
SIE
10Eine starke Mauer bin ich,
Türmen gleichen meine Brüste.
Trotzdem will ich mich ergeben,
bitte meinen Freund um Frieden.
Glücklicher als Salomo
ER
11Salomo hat einen Weinberg
auf dem Hang von Ba’al-Hamon.
Für die Ernte würde jeder
tausend Silberstücke zahlen;
darum wird er streng bewacht.
12Salomo gönn ich die tausend,
auch den Wächtern noch zweihundert –
ich hab meinen eigenen Weinberg!
Liebesruf
ER
13Du Mädchen in den Gärten,
die Freunde warten schon:
Lass deine Stimme hören
und rufe mich zu dir!
SIE
14Komm schnell zu mir, mein Liebster!
Komm, eile wie ein Hirsch;
sei flink wie die Gazelle,
die in den Bergen wohnt.