Eine zweite Vision: Der Zweikampf zwischen Widder und Ziegenbock
1Im dritten Regierungsjahr des Königs Belschazzar hatte ich, Daniel, wieder eine Vision. 2In der Vision sah ich mich in der Residenzstadt Susa in der Provinz Elam, und zwar in der Nähe des Ulai-Kanals.
3Als ich genauer hinsah, stand da am Wasser ein Widder mit zwei mächtigen Hörnern. Das eine Horn war größer als das andere, obwohl es erst nach dem anderen gewachsen war. 4Ich sah, wie der Widder mit den Hörnern nach Westen, Norden und Süden stieß. Kein anderes Tier konnte sich gegen ihn behaupten, niemand konnte es mit ihm aufnehmen. Darum durfte er sich alles erlauben und wurde immer mächtiger.
5Während ich den Widder beobachtete, kam plötzlich ein Ziegenbock von Westen. Er flog nur so über die Erde, ohne den Boden zu berühren; zwischen den Augen trug er ein einziges, starkes Horn. 6-7Als er bei dem Widder am Wasser angekommen war, stürzte er sich wutentbrannt auf ihn. Der Zorn gab ihm solche Kraft, dass er dem Widder beide Hörner abbrach. Der Widder konnte ihm nicht standhalten; da ihm niemand zu Hilfe kam, warf der Bock ihn zu Boden und zertrampelte ihn.
8Der Ziegenbock wurde immer mächtiger, aber auf dem Höhepunkt seiner Macht brach sein großes Horn ab. An seiner Stelle wuchsen vier kräftige Hörner, jedes nach einer anderen Himmelsrichtung. 9Aus einem von ihnen kam ein weiteres Horn hervor, zunächst ganz klein, aber dann wuchs es gewaltig nach Osten und auch nach Süden zum Heiligen Land hin.
10Dann wuchs es bis zum Heer des Himmels hinauf, es warf einige von dem Heer und von den Sternen auf die Erde und zertrat sie. 11Sogar bis zum Herrn des Himmelsheeres drang es vor; es nahm ihm das tägliche Abend- und Morgenopfer weg und entweihte sein Heiligtum. 12In frevelhafter Weise setzte es einen anderen Opferdienst an die Stelle des täglichen Opfers und warf so die Wahrheit zu Boden. Alles, was es unternahm, gelang ihm.
13Da hörte ich zwei Engel miteinander reden. Der eine fragte: »Wie lange soll das dauern, was in der Vision zu sehen war, dass die täglichen Opfer unterbunden werden und das Heiligtum durch frevelhafte Entweihung verödet? Wie lange darf er ungestraft die Macht des Himmels herausfordern?«
14Ich hörte den anderen Engel antworten: »Zweitausenddreihundert Mal wird kein Abend- und Morgenopfer dargebracht. Erst dann wird die Ordnung des Heiligtums wiederhergestellt.«
Die Deutung der Vision vom Widder und vom Ziegenbock
15Während ich über den Sinn dieser Vision nachgrübelte, sah ich plötzlich jemand dastehen, der wie ein Mann aussah. 16Und ich hörte über dem Ulai-Kanal eine Stimme, die ihm zurief: »Gabriel! Erkläre ihm, was er geschaut hat!«
17Der Engel Gabriel trat auf mich zu und ich erschrak darüber so sehr, dass ich zu Boden stürzte. Er sagte zu mir: »Du Mensch, du hast geschaut, was in der letzten Zeit geschehen wird.«
18Während er das sagte, lag ich wie betäubt am Boden, mit dem Gesicht zur Erde. Der Engel fasste mich bei der Hand und richtete mich auf. 19Dann sagte er: »Ich enthülle dir jetzt, was geschehen wird, wenn das Strafgericht Gottes seinen abschließenden Höhepunkt erreicht. Denn es geht bei dem, was du geschaut hast, um die Zeit, in der das Ende kommt.
20Der Widder mit den beiden Hörnern ist das Reich der Meder und Perser, 21der zottige Ziegenbock das Reich der Griechen. Das große Horn zwischen den Augen des Ziegenbocks ist der erste König des Griechenreiches. 22Dass das Horn abbricht und an seiner Stelle vier andere Hörner nachwachsen, bedeutet: Aus dem einen Reich werden vier Reiche entstehen, die jedoch nicht so mächtig sind wie das eine.
23Wenn die Zeit dieser Reiche zu Ende geht und das Maß ihrer Untaten voll ist, wird ein anmaßender und hinterlistiger König auftreten. 24Seine Macht wird groß sein, aber nicht durch eigene Kraft. Alles, was er unternimmt, wird ihm gelingen. Mächtige Gegner wird er vernichten, er wird aber auch gegen das heilige Volk Gottes vorgehen und unerhörte Zerstörungen anrichten.
25Er wird dabei so geschickt vorgehen, dass er mit seinen Täuschungen Erfolg hat. Er wird überheblich werden und viele ahnungslose Menschen umbringen. Aber weil er sich gegen den höchsten Herrn erhebt, wird er ohne menschliches Zutun vernichtet werden. 26Auch was du über die Abend- und Morgenopfer gehört hast, wird eintreffen.
Halte geheim, was du geschaut hast; denn es betrifft eine ferne Zukunft.«
27Ich, Daniel, war ganz zerschlagen und lag tagelang krank. Als ich wieder aufstehen konnte, nahm ich meinen Dienst beim König wieder auf; aber meine Vision ließ mir keine Ruhe, denn ich konnte sie immer noch nicht begreifen.