Gottesknecht
(erstellt: Januar 2018)
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1. Allgemeines zum Begriff עֶבֶד ‘ævæd
1.1. Das hebräische Wort עֶבֶד ‘ævæd (in der Septuaginta als δούλος dulos oder παῖς pais wiedergegeben) bezeichnet die untergeordnete Position gegenüber einem Höhergestellten, oft einen Bediensteten gegenüber seinem Arbeitgeber, auch Soldaten gegenüber ihrem Vorgesetzten usw. Für eine Frau in unfreier Stellung steht אָמָה ‘āmāh „Magd“ (Gen 21,10
1.2. עֶבֶד ‘ævæd ist jedoch auch Bezeichnung des Sklaven. Dabei sind zwei Formen von → Sklaverei
Eindeutig negative Konnotation hat der Begriff עֶבֶד ‘ævæd da, wo Völker als Sklaven bezeichnet werden. Das gilt besonders für die Erinnerung an Israels Sklavenrolle in Ägypten, aber auch für das Verhältnis zu „Kanaan“ (in Gestalt seines Ahnherren), das zur Existenz als „Sklave von Sklaven“, also niedrigster Sklave, verflucht wird (Gen 9,25
Die Einzelheiten sind hier nicht zu erörtern (s. die Lexikonartikel in ThWNT, THAT und ThWAT sowie de Vaux, Kap. III); es genügt, dass der Begriff עֶבֶד ‘ævæd eine große Spannweite hat und sehr hohe wie sehr niedere Positionen bezeichnen kann, immer aber ein Abhängigkeitsverhältnis und eine Verpflichtung gegenüber dem Herrn. Umgekehrt ist der Herr und Besitzer zur Fürsorge gegenüber seinem Sklaven verpflichtet.
Der Begriff wird gewöhnlich mit „Knecht“ oder „Sklave“ oder mit „Diener“ (engl. servant, franz. serviteur) übersetzt, die Wiedergabe richtet sich nach der je spezifischen Beziehung zum Herrn.
1.3. „Dein Knecht“ ist auch Selbstbezeichnung gegenüber einem Höhergestellten: eine Höflichkeitsanrede, mit der mitunter die Gunst oder das Wohlwollen des Mächtigeren gewonnen werden soll; über ein tatsächliches Abhängigkeitsverhältnis ist damit nichts gesagt.
So spricht der heimkehrende → Jakob
Wo man zum König oder zum Oberherrn spricht, ist „dein Knecht” die angemessene Selbstbezeichnung (1Sam 17,32.34.36
2. Gottes Knechte
Der profane Sprachgebrauch hat viele Analogien im Verhältnis von Menschen als Knechten zu Gott als Herrn. Die Entsprechung kann ausdrücklich namhaft gemacht werden (vgl. Ps 123,2
So ist der pejorative Gebrauch des Begriffs „Sklave“ im Verhältnis zur Gottheit der religiösen Sprache fremd; auch Kauf und Weiterverkauf von Sklaven gehören nicht hierher. Allerdings setzt eine Wendung in Jes 50,1
2.1. Die Anrede Jahwes im Gebet und der Ehrentitel für Einzelne
2.1.1. Wie man sich in der Anrede an den Höheren und Mächtigeren, insbesondere den König, als „dein Knecht“ bezeichnet, so auch im Gebet zu Gott. Die Selbstbezeichnung hebt einen besonderen Zug des Verhältnisses hervor: Sie ist nicht bloße höfische Etikette, sondern Jahwe wird als der Herr auf seine Fürsorgepflicht für den Knecht angesprochen und zugleich (wie prinzipiell auch im zwischenmenschlichen Gebrauch) der Treue oder Ergebenheit des Knechts versichert.
Dafür gibt es zahlreiche Belege in den Psalmen (Ps 19,12.14
Der Plural „deine Knechte“ kann teils als Selbstbezeichnung im Wechsel mit der „Wir“-Form (Jes 63,17
2.1.2. „Gottesknechte“ kann schließlich so viel bedeuten wie die Frommen, die treuen Jahweverehrer.
Das ist nicht immer eindeutig: In Salomos Tempelweihgebet wird Jahwe mit der Wendung angerufen „der du den Bund und die Huld bewahrst deinen Knechten, die mit ganzem Herzen vor dir wandeln“ (1Kön 8,23
2.1.3. Namentlich bekannte Einzelne erhalten als treue Jahweverehrer den Ehrentitel „Gottesknecht“. So ist bei → Kaleb
→ Abraham
2.1.4. Zusammenfassend ist zu sagen: Einzelne Beter wenden sich als Glieder des Gottesvolks mit der Gebetsanrede „dein Knecht“ an Jahwe (entsprechend das Gesamtvolk im Plural); sie berufen sich damit auf die Verheißungen, die Jahwe seinem Volk gegeben hat. Als Knechte erwarten sie Zuwendung, Schutz und Hilfe des Herrn, der sie, wie in Lev 25,42.55
2.2. Gottes Beauftragte
Anders eine Reihe von Einzelgestalten, die Jahwe als Knechte einsetzt. Ihre Loyalität ist vorausgesetzt und steht in manchen Texten im Vordergrund; wesentlich ist, dass sie einen bestimmten Auftrag Jahwes auszuführen haben.
2.2.1. Pauschal kommt das in der deuteronomistischen Wendung (→ Deuteronomismus
2.2.2. Gelegentlich werden einzelne Propheten als Knecht Gottes bezeichnet, so → Ahija
2.2.3. „Knecht Gottes“ ist → Mose
Wenn Mose bei seinem Tod „Jahwes Knecht“ heißt (Dtn 34,5
2.2.4. Weitaus häufiger als Mose erscheint → David
In allen folgenden Texten, die meisten innerhalb des → Deuteronomistischen Geschichtswerks
Auch zwei Psalmentexte beziehen sich auf die Dynastiezusage: eine Bitte für den Gesalbten (Ps 132,10
2.2.5. Es gibt weitere Einzelne, die als Beauftragte Jahwes den Titel Gottesknecht tragen, so → Josua
2.3. Zusammenfassung
Die Rede vom „Gottesknecht“ im Alten Testament kann man in drei Typen einteilen:
a) Jahwes Knechte sind die Angehörigen des Gottesvolks Israel, Jahwes Verehrer, auch dann, wenn sie sich ihm gegenüber verschuldet haben. Die Volksgemeinde und vor allem ihre einzelnen Glieder wenden sich im Gebet als seine Knechte an Jahwe und erwarten Schutz und Hilfe ihres Herrn.
b) Einzelne aus dem Gottesvolk (in der Weisheit mit „Hiob“ als Typus eines Frommen auch außerhalb) werden wegen ihres besonderen Gehorsams oder ihrer herausragenden Frömmigkeit mit dem Ehrentitel Gottesknecht ausgezeichnet. Sie können für ihr vorbildliches Verhalten eine Zusage Jahwes erhalten, die für das ganze Volk bedeutsam ist: so Abraham, (Jakob) und David.
c) „Knechte“ Gottes im eigentlichen Sinn sind die Menschen, die einen Auftrag Jahwes auszuführen haben. Das sind im deuteronomistischen Sprachgebrauch pauschal „seine Knechte, die Propheten“ in der Sukzession Moses als des Vornehmsten unter ihnen; sie haben wie Mose Jahwes Wort und Willen zu verkünden. Einzelne Propheten im DtrGW sollen Jahwes geschichtliche Vorhaben ansagen. Durch David begründet Jahwe Israels gesicherte nationale Existenz. Als Knecht beauftragt sind Josua, Moses Nachfolger, Serubbabel zur Neubegründung des Tempels und vielleicht eines erneuerten davidischen Königtums, zuvor Nebukadnezar, durch den Jahwe Judas Existenz als Königreich ein Ende setzt.
Die „Typen“ können sich partiell überschneiden, z.B. ist David nicht allein Beauftragter, sondern auch durch seine Frömmigkeit und die an ihn ergangene Verheißung ausgezeichnet, und in der Anrede Jahwes partizipiert er an der allgemeinen Gebetssprache. Auch für andere Auftragnehmer ist zumindest Gehorsam (Nebukadnezar) oder besondere Treue gegenüber dem Herrn vorausgesetzt. Umgekehrt schließen die Typen a) und b) den Typ c) nicht ein.
3. „Gottesknecht“ bei Deuterojesaja
In solchen Vorgaben der Tradition formuliert → Deuterojesaja
3.1. Die Texte
3.1.1. Der Gottesknecht Israel
In einigen Texten des Deuterojesajabuchs (Jes 40-55) wird eindeutig Israel als Gottesknecht bezeichnet: „mein Knecht“ im Heilsorakel Jes 41,8f
3.1.2. Die Gottesknechtslieder
Daneben steht eine Reihe zusammengehöriger Texte, die – mit einer Ausnahme in Jes 49,3
Der Nachtragscharakter wird an Jes 50,10(.11) besonders deutlich: V. 10 „Wer unter euch Jahwe fürchtet, der höre auf die Stimme seines Knechts …“ ist eine Paränese im Anschluss an das Bekenntnis des Gottesknechts. V. 11 ist ein noch späteres Unheilswort über die Gegner des Gottesknechts.
Wer mit dem Gottesknecht der Gottesknechtslieder gemeint ist, gehört zu den umstrittensten Fragen alttestamentlicher Exegese.
3.1.3. Weitere Texte
Drei weitere Texte von Jahwes Knecht werden verschieden gedeutet. Am einfachsten ist die Frage für Jes 44,26
Schwieriger ist Jes 43,10
Es bleibt Jes 42,19
Jes 54,17
3.2. Der Streit um den Gottesknecht der „Lieder“
3.2.1. Lösungsvorschläge
Die zahlreichen Antworten kann man so einteilen:
3.2.1.1. Der Gottesknecht der „Lieder“ ist derselbe wie in den übrigen Texten, nämlich Israel. Es gibt zwei oder drei Varianten dieser kollektiven Deutung:
a) ganz Israel, das „empirische Israel“,
b) ein Teil Israels, das „bessere“ Israel oder die Gruppe der Exulanten im babylonischen Exil,
c) ein Ideal Israels: Israel, wie es werden soll.
Die Lösungen b) und c) gehen manchmal ineinander über, sofern man das Ideal schon als erreicht oder im Lauf des Deuterojesajabuchs verwirklicht ansieht. Grundsätzlich sind jedoch beide Lösungen zu unterscheiden.
3.2.1.2. Der Gottesknecht der „Lieder“ ist ein Einzelner (individuelle Deutung).
Die individuellen Lösungen kann man nach dem vorausgesetzten Amt unterscheiden. Drei Möglichkeiten kommen in Betracht:
a) ein königliches Amt,
b) ein mosaisches Amt,
c) ein prophetisches Amt.
Für konkrete Amtsträger kommt der zeitliche Ansatz hinzu: Ist es eine vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Gestalt?
3.2.1.3. In sog. „fließenden“ Lösungen ist nicht überall dieselbe Gestalt gemeint, z.B. Israel im ersten und zweiten Text (Jes 42,1-4
3.2.2. Diskussion der kollektiven Auffassung
3.2.2.1. Für die kollektive Deutung der Gottesknechtslieder auf ganz Israel spricht der Kontext des Deuterojesajabuchs. Es gibt eine Reihe von gleichen Prädikaten für den dort ausdrücklich „Jakob / Israel“ genannten Knecht und für den Knecht der Gottesknechtslieder:
Beide sind erwählt (בחר bḥr) Jes 41,8f
Dass der Knecht der Lieder eine individuelle Gestalt ist, Israel aber ein Kollektiv, lässt sich mit der Vorstellung der „corporate personality“ erklären, das heißt, Israel wird wie in den Heilsorakeln in der Gestalt seines Erzvaters Jakob / Israel angesprochen, und in diesem Ahnherrn ist seine Erwählung garantiert (vgl. u. 3.2.2.3 a).
Schließlich erhält der Knecht im zweiten Gottesknechtslied den Namen „Israel“ (Jes 49,3
3.2.2.2. Gegen die kollektive Deutung spricht bereits, dass der Gottesknecht der Lieder außer in Jes 49,3
„Israel“ in Jes 49,3
Die Eliminierung der Passage, um an der kollektiven Lösung festhalten zu können, ist nur eine Notlösung. Vollends scheitert der Versuch, die Infinitive in V. 5 als ‚begleitenden Umstand‘ (Ges-K § 114f.o) zu deuten, weil nur ein verschrobener Satz herauskäme: „Jetzt hat Jahwe zu mir gesagt, der mich (kollektiv = Jakob / Israel!) … sich zum Knecht gebildet hat, indem er Jakob zu sich zurückführt …“.
Es gibt weitere Unterschiede zwischen dem Knecht innerhalb und dem außerhalb der Gottesknechtslieder. In Jes 49,4a
3.2.2.3. Den genannten Problemen einer kollektiven Deutung der Lieder auf ganz Israel suchen verschiedene kollektive Varianten zu entgehen.
a) Man deutet den Gottesknecht der Lieder auf einen Teil Israels, das „bessere“ Israel oder die Exulanten im babylonischen Exil. Das geht schon deshalb nicht, weil der „Jakob / Israel“ genannte Gottesknecht in den Einleitungen der Heilsorakel immer das ganze Israel meint. An diesen Texten mit der namentlichen Identifikation hängt die kollektive These: Wenn der Knecht hier und dort derselbe sein soll, kann er nur ganz Israel sein. Überdies haben auch die Exulanten (oder ein anderer Teil Israels) nicht unschuldig gelitten.
Die Bezeichnung des Volkes Israel als Gottesknecht im Singular kommt nur bei Dtjes und in einigen abhängigen oder späteren Texten vor (in Sprache und Stil abhängig sind Jer 30,10
Mit Israels Aufteilung ist das Problem, dass der Knecht eine Aufgabe an Israel hat, nicht zu lösen.
b) Es bleibt die kollektive Variante, in den Gottesknechtsliedern sei ein ideales, noch zukünftiges Israel gemeint, ein Israel, wie es eigentlich sein soll. Damit wären die Texte weit von der geschichtlichen Realität des Propheten und seiner Hörer entfernt. Sie sind zudem nirgends als Appell an Israel formuliert. Die Aufgabe „Israels“ an Israel ist auch damit nicht erklärt.
Letzten Endes ist eine solche Deutung nur für das fertige Deuterojesajabuch möglich, etwa indem man es als ein Drama mit einer Entwicklung Israels versteht und darin eine Scheidung innerhalb Israels entdeckt (vgl. etwa die bedeutende Dtjes-Auslegung W.A.M. Beukens oder die Arbeiten H. Leenes). Für die ursprüngliche Verkündigung des Propheten an seine exilischen Zeitgenossen sind die Probleme dadurch nicht gelöst.
3.2.3. Diskussion der individuellen Lösungen
3.2.3.1. Auf ein königliches Amt verweisen die Erwählungsprädikate, die der Knecht mit Israel gemein hat (s.o. 3.2.2.1.). Dass der König zu seinem Amt von der Gottheit (im Mutterleib) erschaffen, dass er erwählt und berufen ist oder dass die Gottheit ihn an der Hand fasst, wird schon in altorientalischen Königsurkunden betont. Königliche Züge trägt der Knecht der Lieder in der Präsentation als Jahwes Beauftragter für die Völker, in seinem weltweiten Amt (Jes 42,1.4
Als vergangene Könige Judas hat man → Usija
Als gegenwärtiger König kommt für die Zeit Dtjes’s nur der Perserkönig → Kyros
Vorgeschlagen wurde auch der Davidide → Serubbabel
Scheiden historische Herrscher aus, bleibt als königliche Gestalt nur ein künftiger „Messias“ zu erwägen (s.u.).
3.2.3.2. Mosaische Traditionselemente kann man in der Tora-Erteilung nach Jes 42,(1.)4 sehen, in der Rückführung Israels nach 49,5
Es geht hier um Elemente der Tradition, die in das Bild des Gottesknechts eingegangen sind, nicht um eine Dichtung über den vergangenen oder die Erwartung eines künftigen Mose: Mose ist nicht der Gottesknecht, die Texte haben nur einige Züge der Mosegestalt aufgenommen.
3.2.3.3. Als Prophet erscheint der Knecht durch seine Amtsführung, wie besonders Jes 49,2
Auch für diesen Aspekt des Gottesknechtsamts hat man bestimmte vergangene Propheten genannt. Schon → Mose
Vor allem ist in Jeremias Berufungserzählung die Verbindung von prophetischem und königlichem Amt vorgegeben: Er ist „zum Propheten über die Völker“ bestimmt, Jahwe setzt ihn „über Völker und Königreiche“, hat ihn „im Mutterleib gebildet“ (Jer 1,5.10
Mit solcher prophetischer Tradition wird das prophetische Amt beschrieben. Die „Lieder“ sind jedoch keine Dichtung über Jeremia.
4. Deuterojesajas theologisches Konzept vom Gottesknecht
4.1. Herkunft und Zusammenhang der Texte
4.1.1. Es gibt in den drei ersten Gottesknechtsliedern keinerlei Anzeichen dafür, dass sie von einer vergangenen Gestalt handeln. Im Gegenteil: Der Gottesknecht hat eine Aufgabe, die jetzt auszuführen ist. Nur das vierte Lied blickt im Mittelteil auf seine Aufgabe und sein Geschick zurück, Anfangs- und Schlussteil sprechen von seiner Zukunft.
4.1.2. Die Texte vom Gottesknecht fügen sich genau in die Gesamtbotschaft Dtjes’s ein. Das gilt besonders für die drei ersten Gottesknechtslieder, und es gibt keinen Grund, sie Dtjes abzusprechen. Redaktionsgeschichtlich bilden sie mit dem vierten Gottesknechtslied einen zusammenhängenden Block, der zunächst für sich überliefert wurde und erst von der Redaktion (der „Naherwartungsschicht“, → Deuterojesaja
4.1.3. Die vier Texte bilden eine zusammenhängende Sequenz:
a) In Jes 42,1-4
b) In Jes 49,1-6
c) Jes 50,4-9
Mit diesem Bekenntnis schließt der Teil der Sequenz, der auf den Propheten selbst zurückgeht. Durch die drei Texte zieht sich die Gewissheit von Erfolg und Lohn des Knechts: schon in Jes 42,4
d) Was wurde aus dieser Gewissheit? Das vierte Gottesknechtslied, Jes 52,13-53,12
Es ist evident, dass dieser letzte Text nicht mehr von dem gleichen Autor stammt, der im zweiten und dritten Gottesknechtslied mit seinem „Ich“ auftrat und sein Vertrauen bekannte: Der Knecht ist gestorben und begraben. Der Text ist von einem seiner „Schüler“ verfasst, ist aber nicht von den drei ersten Texten zu trennen, sondern als Antwort auf die darin offen gebliebene Frage verfasst. Die Frage nach dem „Lohn“, d.h. nach dem Erfolg seines Auftretens, ist dem Autor durch eine göttliche Offenbarung beantwortet. (Die Annahme eines einzelnen Offenbarungsempfängers und Autors liegt nahe, auch wenn er für eine Gruppe spricht.)
e) Die drei ersten Texte beschreiben die dem Propheten von Jahwe zugewiesene Aufgabe.
Angesichts der gewaltigen Dimensionen dieser Aufgabe hat man oft dafür plädiert, dass hier und vor allem im vierten Gottesknechtslied von einer zukünftigen messianischen Gestalt die Rede sei – so wie die Texte z.T. im Judentum und besonders in der christlichen Botschaft angeeignet wurden.
Historisch sprechen zwei Gründe dagegen. Einmal ist die „Ich“-Rede der beiden Mitteltexte nicht als dichterische Fiktion, in der ein Zukünftiger spricht, erklärbar. Zum andern ist in der Botschaft Deuterojesajas kein Raum für einen erst noch kommenden Heilsmittler: Er ist sich gewiss, dass alles jetzt auf Israels Heimkehr und Jahwes Eroberung der Welt hinausläuft. Die Dimensionen des Amtes sind nicht Anmaßung des Propheten, sondern Konsequenz des endgültigen und weltweiten göttlichen Heilswerks, dessen Verkündigung ihm aufgetragen ist.
4.2. Die „autobiographische“ Deutung
Wenn das kollektive Verständnis in seinen Varianten und die individuelle Deutung auf einen konkreten König, einen vergangenen Propheten oder den kommenden Messias ausfällt, bleibt als Gottesknecht der „Lieder“ der Prophet selbst, herkömmlich die „autobiographische Deutung“ genannt. Die Bezeichnung ist irreführend: Es handelt sich nicht um eine Autobiographie des Propheten, sondern um die Beschreibung des dem Propheten in der gegenwärtigen Weltsituation aufgetragenen Amts. Autobiographische Züge kommen darin nur insoweit vor, als dieses Amt von einem Menschen auszuüben und zuletzt zu erleiden ist. In den Texten ist die prophetische Tradition verarbeitet und im Blick auf die Aufgabe des Propheten in Jahwes eschatologischem Aufbruch weitergeführt.
Wie Jahwe seinen weltweiten Plan mit seinem prophetischen Knecht durchführen will, wird erst verständlich, wenn man den Gottesknecht Israel hinzunimmt und das Zusammenwirken der beiden Knechte beachtet.
4.3. Das Konzept von den beiden Gottesknechten
Zwei Gottesknechte bei Dtjes, Israel und der prophetische Gottesknecht: Wie verhalten sich die beiden zueinander?
Zwei Bedeutungen der Bezeichnung „Gottesknecht“ im übrigen Sprachgebrauch (s.o. 2.3. a.c) kommen vorrangig in Betracht:
a) Der prophetische Gottesknecht der Lieder ist von Jahwe beauftragt. Er soll die „Rechtsordnung“ zu den Völkern hinausbringen (Jes 42,1.4
b) Israel heißt Gottesknecht als das in seinem Ahnherrn Jakob erwählte Volk Jahwes. Seine Rolle als Knecht Gottes bedeutet zuerst, dass es Jahwes Rettung, Hilfe, Schutz erwarten kann, wie das die Gebete einzelner oder des ganzen Volkes in Anspruch nehmen: Der Herr hat Verantwortung für seinen Knecht. Wo Israel Jahwes Knecht genannt wird, ist von einer aktiv zu erfüllenden Aufgabe noch nicht die Rede. „Gottesknecht“ ist hier auch kein Ehrentitel, der Israel für vorbildlichen Gehorsam oder besondere Frömmigkeit verliehen werden könnte. Jedoch braucht Jahwe sein erwähltes Volk, um an ihm seine Rettungsmacht vor den Völkern zu demonstrieren. Das Volk ist Zeuge für Jahwe (Jes 43,10
Bei Israels Passivität soll es nicht bleiben. In Jes 43,10
c) Das Verhältnis der beiden Gottesknechte kommt vor allem im zweiten und dritten Gottesknechtslied zur Sprache:
Der prophetische Knecht soll Israel „zu ihm zurückführen“ (Jes 49,5
Israel ist noch nicht bereit, der Botschaft zu glauben und – als praktische Konsequenz – aufzubrechen. Das zeigt das Wort von der vergeblichen Mühe des Knechts in Jes 49,4a
Der Israelauftrag für sich allein wäre „zu wenig“ für die Knechtsaufgabe (Jes 49,6a
Die Abfolge der Texte zeichnet die komplexe Aufgabe des prophetischen Gottesknechts. Jes 40,5
Darum bleibt der Israelauftrag im zweiten Gottesknechtslied der Kern seines Völkerauftrags: Er muss Israel zu dem Gott versammeln (Jes 49,5
d) Das vierte Gottesknechtslied berichtet vom Leiden, Tod und Begräbnis des Gottesknechts und beantwortet die offene Frage, was aus seiner Gewissheit wurde. Es beruft sich auf ein Jahweorakel, das den Text rahmt und vom Lohn des Knechts spricht: von seiner Erhöhung aus tiefster Niedrigkeit zu höchster Würde und dem Erstaunen von Völkern und Königen, von seinem Leiden für „die Vielen“, die sein elendes Geschick als Strafe Gottes für seine Schuld missverstanden haben und nun begreifen, dass er stellvertretend die Folge ihrer eigenen Sünde getragen hat, schließlich von dem Lohn, den er zusammen mit den durch sein Leiden gerechtfertigten Vielen empfangen wird, nämlich dem Anteil an der Beute Gottes (Jes 53,12
Die Einzelheiten des schwierigen Textes Jes 52,13-53,12
Dass der Gottesknecht „zusammen mit den Vielen Beute teilen“ wird (Jes 53,12
e) Das Verhältnis des prophetischen Knechts zum Knecht Israel zeigt sich im zweiten Gottesknechtslied auch darin, dass er das Vertrauen auf Jahwe bewährt, das Israel verweigert. Israel klagt: „mein Recht geht an meinem Gott vorüber“ (Jes 40,27
f) Die Abfolge der beiden ersten Gottesknechtslieder wird erst voll verständlich, wenn man einen weiteren Text hinzunimmt. Im zweiten Gottesknechtslied ist von einem zuvor ergangenen Israelauftrag die Rede, der im ersten nicht erwähnt wird und ihm doch vorausgegangen sein muss. Er findet sich im Berufungstext (Jes 40,1-11
g) Zusammenfassend ist zu sagen: Die drei ersten Gottesknechtslieder spiegeln die Grundzüge der Verkündigung des Propheten und zeichnen das prophetische Amt, wie es in dieser Weltzeit, im eschatologischen Aufbruch Jahwes zur Eroberung der Welt, wahrzunehmen ist. Sie bilden eine sachliche Einheit und explizieren sukzessive, was schon im Berufungsbericht angesagt war: Jahwe wird sich durch die wunderbare Heimführung seines Volkes durch die Wüste zum Zion vor der Welt verherrlichen und wird so – durch Faszination – die Welt „erobern“, d.h. in seine Heilstat einbeziehen. Er braucht dazu die beiden Knechte: Israel, das sich auf den Weg macht und als „passiver Zeuge“ Jahwes Wunder an sich geschehen lässt und sie vor der Welt in Hymnen preist, und den Propheten, der durch seine Verkündigung als „aktiver Zeuge“ Israel auf den Weg bringt und Jahwe vor der Welt als den einzigen rettenden Gott proklamiert.