Deutsche Bibelgesellschaft

Leistungsmessung, Leistungsbewertung

Schlagworte: Prüfen, Beurteilen, Benoten

(erstellt: Januar 2015)

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1. Leistungsmessung ist ein Problem

Eine zentrale Aufgabe jedes Lehrers und jeder Lehrerin neben Lehren, Erziehen, Beraten und Innovieren ist es, die Leistungen seiner Schüler und ihrer Schülerinnen zu messen und zu beurteilen. Festgelegt wird das in den Bundesländern durch die Verordnung über die Notenbildung (NVO). Als Leistung wird im Humanbereich normalerweise das Ergebnis oder der Vollzug einer Tätigkeit angesehen, die zielgerichtet erfolgt, für die ein Gütemaßstab vorliegt und die mit Anstrengung verbunden ist (vgl. Heckhausen, 1974, 13f.; Klafki, 1996, 228; Winter, 20012, 141f.). Das ist in der Theorie und in der praktischen Durchführung vor allem deshalb ein Problem, weil die gerechte Beurteilung von Leistungen zwar ein Erfordernis der → Gesellschaft darstellt, die Lernenden aber unter Umständen in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit hindert, da die gängige Praxis eben nicht gerecht ist beziehungsweise bezüglich des Religionsunterrichts dadurch sogar ein Widerspruch zu Grundprinzipien des christlichen Umgangs mit Menschen entsteht. Die Probleme sind deshalb vielseitig (praktische Beispiele bei Zimmermann, 2008, 296f.): Probleme mit der besonderen Rolle des Religionsunterrichts innerhalb des Fächerkanons, Probleme der Definition von Leistung auf Lehrerseite, Probleme mit Verfahren und Formen der pädagogischen Diagnostik und Bewertung, das Problem der Diskrepanz zwischen dem Anspruch der verkündigten Rechtfertigung und der Realität der Notengebung in ihrer Auswirkung auf Schülerseelen, Probleme mit der Überprüfung von Bildungsstandards und Kompetenzen und ihre Folgen für die Praxis des Religionsunterrichts und vieles mehr. Leistungsbewertung stellt so auf der individuellen (vgl. 2.), der systemischen (vgl. 3.) und der theologischen Ebene (vgl. 4.) ein Problem dar, es gibt aber durchaus praktische Versuche, dieses Problem zu entschärfen (vgl. 5.), z.B. durch innovative Formen der Leistungsbewertung (vgl. 6.).

2. Das individuelle Problem

2.1. Funktionen von Leistungsbewertung

Leistungsbewertungen in Form von Zensuren erstellt der Lehrer beziehungsweise die Lehrerin für sich selbst, aber auch für den einzelnen Schüler, die Eltern, den nachfolgend Unterrichtenden, schulische Entscheidungsinstanzen wie Notenkonferenzen, Prüfungsausschüsse etc. beziehungsweise weiterführende (Bildungs-)Einrichtungen wie Schulen, Betriebe und andere. Je nach Adressat der Leistungsbeurteilung stehen unterschiedliche Funktionen von Leistungsmessung/-bewertung im Vordergrund, dabei kann man zwischen pädagogischen und öffentlich-rechtlichen unterscheiden.

Die pädagogische Rückmeldefunktion dient sowohl den Lehrerinnen und Lehrern, indem sie an der Zensurenverteilung ablesen können, wie erfolgreich ihr Unterricht war. Sie dient auch den Schülerinnen und Schülern, denn die Note soll sie informieren, wo sie mit ihren Leistungen im Vergleich zu den Mitschülerinnen und Mitschülern, aber auch in der Entwicklung der eigenen individuellen Leistung stehen. Aber auch Eltern erhalten so eine Mitteilung über den Leistungsstand ihrer Kinder.

Die Anreizfunktion soll Schülerinnen und Schüler motivieren, im Sinne der Disziplinierungsfunktion werden aber auch negative Anreize im Sinne einer Bestrafung verfolgt.

Die Sozialisierungs-, Klassifikations- und Selektions- bzw. Zuteilungsfunktion bewegt sich zwischen pädagogischer und öffentlich-rechtlicher Funktion, indem Schülerinnen und Schüler mit Leistungsnormen in Berührung gebracht werden, die die Gesellschaft vorgibt (Sozialisierungsfunktion) und die sich unter Umständen von denen in ihrem Elternhaus gültigen unterscheiden. Durch die unterschiedlichen Noten werden sie unterschiedlichen Bildungsgängen zugeordnet und für sie geeigneten Institutionen „zugeteilt“.

Während die Rückmeldefunktion pädagogisch einleuchtet, hinsichtlich ihrer objektiven Aussagekraft gerade im Blick auf Ziffernnoten aber in Frage gestellt wird, ist die Anreiz- und Zuteilungsfunktion gerade auch hinsichtlich des Religionsunterrichts in individueller Perspektive problematisch (s.u.).

2.2. Bezugsnormen von Leistungsbewertung

Man unterscheidet bei der Bestimmung der individuellen Leistung zwischen drei verschiedenen Möglichkeiten, Bezugsnormen zu wählen. Bei der sachlichen Bezugsnorm werden die Leistungen der Schülerinnen und Schüler an einem fachlichen Kriterium gemessen, das bereits vor der jeweiligen Aufgabenbearbeitung feststeht und sich üblicherweise aus den erarbeiteten Zielen und Kompetenzen für die Klasse ableiten lässt. Sicherlich würde sich der Großteil der Lehrkräfte ausschließlich in dieser Beurteilungspraxis verorten, weil ihres Erachtens die Gütekriterien einer gerechten, maßstabsbezogenen Beurteilung so am ehesten erfüllt sind.

Die soziale Bezugsnorm spielt bei der Zuweisung einer gemessenen Leistung (z.B. Punkte durch richtige Antworten in einer Religionsarbeit) zu einer Bewertungsnote aber immer auch implizit eine Rolle (Schrader/Helmke, 2002, 45). Bei dieser Bezugsnorm werden die Leistungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler mit den Leistungen der anderen Schülerinnen und Schüler in der Klasse, in der Klassenstufe, zwischen Schulen eines (Bundes-)Landes (z.B. Zentralabitur, PISA oder TIMSS) verglichen und in der Klassenarbeit eigenen Vorgaben, z.B. eines Durchschnitts im guten Bereich, mit Hilfe der Veränderung des Punkte-/Notenschlüssels angepasst.

Bei der individuellen Bezugsnorm werden die Leistungen der Schülerinnen und Schüler daran gemessen, welche Leistungen sie in der Vergangenheit erbracht haben. Eine im Vergleich zur Vergangenheit bessere Leistung würde positiv bewertet. Dabei erhält unter Umständen ein im Klassenvergleich besseres Ergebnis in einer Überprüfung die gemäß der individuellen Leistungsmöglichkeit schlechtere Bewertung.

2.3. Diagnostik statt Leistungsbewertung

Die oben genannten Probleme für das Individuum berücksichtigend wurde vermehrt seit den 1980er Jahren gefordert, statt von Leistungsbewertung von „pädagogischer Diagnostik“ (Ingenkamp, 2008) zu sprechen. Unter „Statusdiagnostik“ soll zwar auch im klassischen Sinn versucht werden zu ermitteln, ob die ausgewiesenen Kompetenzen, Lern- und Erziehungsziele erreicht worden sind. Wichtiger aber sei die „Prozessdiagnostik“ (Gaude, 1989, 131f.), die den individuellen Verlauf der Entwicklung in einem Fach oder einem Persönlichkeitsbereich untersucht beziehungsweise die „Bedingungsdiagnostik“, die auf die konkrete Person und die Situation Einflüsse feststellt, welche auf das individuelle Lernen Einfluss nehmen. Leistungsmessung und -bewertung dürften eben nicht Selektionsfunktion haben, sondern müssten ausschließlich konstruktiven pädagogischen Zwecken verpflichtet sein.

3. Das systemische Problem

Leistungsüberprüfung im Religionsunterricht mit Ziffernnoten, die auch für die Versetzung relevant sind, gibt es z.B. in Baden-Württemberg erst seit dem Schuljahr 1974/75. Damals wurde im Zuge der Reform der Oberstufe auch auf Wunsch vieler Religionslehrerinnen und -lehrer ein System von Grund- und Leistungskursen eingeführt, bei dem auch Religion als ordentliches Lehrfach Berücksichtigung fand. Trotzdem kam es zu massiven Protesten von Pfarrern und Religionslehrern im Hinblick auf eine unbarmherzige Leistungsschule und die Beschneidung ihrer religionspädagogischen Freiheit. Deshalb wurde dann bei dem Religionspädagogen Prof. Dr. Karl Ernst Nipkow ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Sachlage darstellen und die Problematik der Notengebung im Religionsunterricht prüfen sollte (Nipkow, 1979). Religionsunterricht wird hierin im Ergebnis als Fach ausgewiesen, das sich in kritisch-konstruktiver Solidarität unter die gleichen Bedingungen stellt wie die anderen Schulfächer auch und dabei als Anwalt für ein pädagogisch verantwortetes Unterrichten, Lernen und Lehren bestrebt ist, Fehlentwicklungen aufzuzeigen und ihnen entgegenzusteuern (vgl. ausführlicher Zimmermann, 2006a; 2008). Alternativ wäre denkbar, dass sich das Fach seelsorgerlich definiert und durch einen bewussten Verzicht auf die Versetzungserheblichkeit versucht, möglichen Auswüchsen der Leistungsgesellschaft entgegenzuwirken. Dann müssten Methoden der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit im Zentrum stehen. Das allerdings hätte eine Isolierung des Faches Religion im Fächerkanon zur Folge und es bestünde die Gefahr, dass die Schüler und Schülerinnen das Fach nicht mehr ernst nehmen, so dass eine Vermittlung von notwendigem Sachwissen erschwert würde.

3.1. Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach

Der Religionsunterricht ist in den meisten Bundesländern ordentliches Lehrfach. Er ist durch den Artikel 7,3 grundgesetzlich abgesichert. Dieser muss im Zusammenhang mit Artikel 4 Grundgesetz, dem Recht auf Religionsfreiheit und Religionsausübung, gesehen werden: „Der Religionsunterricht ist in den → öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.“ Obwohl er „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt wird und damit inhaltlich von diesen verantwortet und ausgefüllt wird, untersteht er formal dem staatlichen Aufsichtsrecht, was bedeutet, dass er sich in seinen Rahmenbedingungen den staatlichen Vorgaben anzupassen hat. Das heißt, dass ein Religionslehrer oder eine Religionslehrerin sich zwar gegenüber den Kirchen hinsichtlich seiner fachlichen Lehre verantworten muss, er oder sie aber nicht entscheiden kann, keine Noten zu geben. So verweisen auch Bildungspläne für den evangelischen Religionsunterricht unter Aspekten wie Leistungsbewertung auf die „Allgemeinen Schulordnungen“ (Gnandt/Michalke-Leicht, 2007, 36-44: „rechtliche Bestimmungen für BW“) der jeweiligen Bundesländer. Im Religionsunterricht muss also wie in jedem anderen Fach auch beurteilt werden, das heißt je nach Bundesland gibt es Tests, Klassenarbeiten und Klausuren und es wird die mündliche Leistung bewertet. Hinsichtlich der Leistungsmessung finden sich also erst einmal formal keine Unterschiede zum Vorgehen in anderen Fächern.

3.2. Fehler bei der Leistungsmessung

Hinsichtlich der Praxis der Leistungsbewertung gibt es verschiedene Probleme, die für alle Fächer relevant sind, also auch Religionslehrerinnen und -lehrern bekannt sein sollten (Paradies/Wester/Greving, 2005, 34-37). Vor- und Zusatzinformationen (1.) z.B. über leistungsstarke/-schwache Geschwister oder über Aktivität in der eigenen Gemeinde und Anderes beeinflussen die Beurteilung der Leistung ebenso wie Sympathie und Geschlecht (2.) beziehungsweise „subjektive Theorien“ (3.), dass z.B. aktive Beteiligung Interesse am Fach verrät. Beim „Halo-Effekt“ (4.) und „logischen Fehlern“ wird von beobachtbaren Einzelmerkmalen auf einen Gesamteindruck geschlossen, der die Beurteilung beeinflusst. Haben Lehrende einmal eine Urteilstendenz gefunden, ist diese relativ stabil (5.). Während einige Lehrende eine Tendenz zu mittleren Noten zeigen (6.), gibt es Milde- oder Strengetendenzen (7.), bei denen entweder kleinere Mängel zu stark gewichtet (z.B. Form) oder eine Tendenz zur günstigen Beurteilung trotz gravierender Fehler verfolgt wird. Reihenfolgeneffekte verzerren teilweise das Beurteilungsergebnis, indem z.B. gute Arbeiten, die auf schlechte folgen, besser bewertet werden, schlechte nach guten schlechter. Diesen Fehlerquellen kann allerdings durch ein Bewusstsein derselben entgegengewirkt werden.

3.3. Leistungsmessung und -bewertung im kompetenzorientierten Religionsunterricht

Das Expertengutachten (Klieme u.a., 2003, 13) definiert ein Verständnis von → Bildungsstandards wie folgt: „Bildungsstandards formulieren Anforderungen an das Lehren und Lernen in der Schule. Sie benennen Ziele für die pädagogische Arbeit, ausgedrückt als erwünschte Lernergebnisse für Schülerinnen und Schüler. […] Sie legen fest, welche Kompetenzen die Kinder oder Jugendlichen bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe erworben haben sollen. Die Kompetenzen werden so konkret beschrieben, dass sie in Aufgabenstellungen umgesetzt und prinzipiell mit Hilfe von Testverfahren erfasst werden können“. Es soll aber nicht nur um Wissensinhalte oder um Fähigkeiten und Fertigkeiten gehen, sondern auch um deren Verknüpfung mit Einstellungen, Werthaltungen und Interessen (Elsenbast/Fischer/Schreiner, 2004, 7), wobei hier allerdings der schwerpunktmäßig kognitive Kompetenzbegriff zumindest der Klieme-Expertise deutlich wird. Dabei sollen alle Kompetenzen „mit wissenschaftlichen und professionellen Maßstäben prüfbar“ (ebd.) sein. Somit definieren Bildungsstandards normative Erwartungen, an denen das Schulsystem, aber auch die Einzelschule und der konkrete Fachunterricht gemessen und verglichen werden können. In einem Schulsystem, das mit Bildungsstandards als Referenzsystem arbeitet, soll die Planung des Lernprozesses zwar in der Hand der Lehrenden belassen werden, es geht aber letztendlich immer auch um vergleichende Qualitätsentwicklung. Dass diese größere Gestaltungsfreiheit und Verantwortung zu einer Verbesserung der Schulqualität führt, ist allerdings auch 15 Jahre nach der Reform nicht eindeutig. Während die Klieme-Expertise darauf Wert legt, dass bei diesem Prozess Bildungsstandards nicht als Kriterium für „Notengebung, Zertifizierung und Selektionsentscheidungen“ missbraucht werden dürfen (Klieme u.a., 2003, 48), sondern die diagnostische Funktion solcher Überprüfungen im kompetenzorientierten Unterricht (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht) im Vordergrund steht, scheint die Praxis allerdings der Befürchtung Recht zu geben, dass Kompetenzüberprüfung mit verstärkter (vergleichender) Leistungsmessung im Sinne der Ziffernbewertung gleichgesetzt wird (Obst, 2009, 36).

4. Das theologische Problem

4.1. Christliches Menschenbild und Leistungsbewertung

Die Frage nach Recht und → Gerechtigkeit, in deren Kontext auch das Thema Leistung zu verorten ist, spielt in vielen Teilen der biblischen Überlieferung eine zentrale Rolle: Kain und Abel, die Josefsgeschichte, viele → Gleichnisse Jesu, z.B. die Arbeiter im Weinberg, und in den Briefen des Paulus. Damit ist teilweise unmittelbar die Rechtfertigung des Menschen verbunden. Dass der Protestantismus mehr als die katholische Frömmigkeit eine Nähe zum Leistungsprinzip zeigt, ist unbestritten. Obwohl theologisch immer wieder betont wird, dass sich die Menschlichkeit des Menschen allein der Annahme durch Gott verdankt und nicht seiner Leistung, kann die Leistung aber, will man die Rechtfertigungsbotschaft nicht im Sinne der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre falsch verstehen, auch nicht zur Nebensache erklärt werden. Wichtig ist es, das Wie und das Wozu der Leistung zu bestimmen (Scheilke, 1995, 170f.) und so Maßstäbe des Handelns zu konkretisieren und Ziele kritisch zu überprüfen. In diesen Gedanken allein liegt durchaus ideologiekritisches Potenzial (→ Methoden der Ideologiekritik), das im Religionsunterricht hinsichtlich der Leistungsbewertung besprochen werden kann: Leistungsbeurteilungen dürfen nicht mit Urteilen über Personen verwechselt werden, einer Verabsolutierung von Leistung und einer Leistungsideologie muss aus theologischer Einsicht Einhalt geboten werden.

4.2. Die Auswahl der zu bewertenden Leistungen

„Leistungen müssten darauf befragt werden, ob sie dem gemeinsamen Leben dienen und den Schwächeren Lebensraum schaffen; sie sind darauf zu überprüfen, ob sie die Lebensbedingungen der Armen verbessern oder nur die ohnehin Privilegierten (pädagogisch: die Begabten, Anmerkung der Verfasserin) begünstigen“ (Scheilke, 1995, 171). Scheilke verweist hier auf den Ethiker Wolfgang Huber und appliziert das auf die Leistungsbewertung in der Schule. Somit erklärt er Leistungen theologisch erst dann zu positiven Leistungen, wenn sie über die individuelle Entwicklung zu „Vervollkommnung oder zur Selbstverwirklichung“ (Scheilke, 1995, 171) hinaus dem Anderen dienen. Der individualistisch verengte Leistungsbegriff soll so korrigiert und theologisch an einer ethischen Verantwortung im Blick auf → Gerechtigkeit ausgerichtet werden (→ Bildungsgerechtigkeit). Deshalb vertritt er auch für den Religionsunterricht an Grundschulen die These, auf Noten zu verzichten, Lernberichte zu schreiben (a.a.O., 173) und stattdessen die Thematik von Leistung und Versagen besonders zu berücksichtigen und den Umgang mit individuellen und gemeinschaftlichen Leistungen im Religionsunterricht ausdrücklich zu thematisieren. „Jede Leistung muß sich daran messen lassen, ob sie zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt. Dies gilt auch für die Leistung der Leistungsbeurteilung“ (a.a.O., 175). Hier wird das kritische theologische Potenzial deutlich, das in den letzten zehn Jahren der religionspädagogischen Diskussion eher verhalten geworden ist.

Als Konsens kann festgehalten werden, dass die gemessene Leistung von der prinzipiellen Wertschätzung des Kindes/Jugendlichen im Horizont eines christlichen Menschenbildes klar unterschieden werden muss. Auch der persönliche Glaube steht nicht zur Disposition. Wichtig ist es, herauszustellen, dass eine Abwertung durch Leistungsmessung nicht den Wert des Schülers oder der Schülerin als Mensch bestimmt, aber dass es dennoch im Bereich der religiösen Kompetenz für Schülerinnen und Schüler nachvollziehbare und überprüfbare Teilkompetenzen gibt (Obst, 2009, 211-220), auf die sich die Leistungsmessung bezieht.

5. Praktische Problemverbesserung

Durch die Berücksichtigung einiger Leitaspekte kann in der praktischen Umsetzung Leistungsmessung und -bewertung verbessert werden. Diese unterscheiden sich bei schriftlichen und mündlichen Beurteilungen.

5.1. Schriftliche Leistungsbeurteilungen

Leistungsmessungen sollten langfristig und zielorientiert vorbereitet werden, transparent gestaltet sein und in ihrer Durchführung möglichst Angstfreiheit anstreben. Sinnvoll ist, schon in der Anlage der Prüfungsklausuren die Merkmale guter Bewertung (Objektivität, Validität und Reliabilität) zu berücksichtigen, indem z.B. Parallelklausuren gemeinsam mit den Kollegen geplant (höhere Unabhängigkeit vom Prüfer), verschiedene Aufgabenniveaus konzipiert (z.B. Unterscheidung zwischen offenen, halboffenen und geschlossenen Fragen, Differenzierung nach Formen wie Reproduktion, Reorganisation, Transfer) und eventuell im Team korrigiert wird. Operatoren (https://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/cms/zentralabitur-gost/faecher/fach.php?fach=26), die angeben, welche Tätigkeiten beim Lösen von Prüfungsaufgaben erwartet werden, sollten frühzeitig Anwendung finden.

Da jede Leistungsüberprüfung mit Leistungsdruck und -angst auf Schülerseite verbunden ist, sollten diese die Validität der Messung beeinträchtigenden Aspekte bewusst hinsichtlich ihrer Wirkung reduziert werden. Ruhe sollte gewährt, die Aufgabentypen bekannt, die Zeit großzügig kalkuliert, mit leichten Aufgaben begonnen und eventuell sogar Entspannungsübungen integriert werden.

Die Korrektur berücksichtigt zuerst den Inhalt (Text- und Problemverständnis, Umgang mit der Fachsprache, richtige Verwendung von Zitaten, Qualität und Quantität der Argumente, Präzision der Aussage und anderes), aber auch die Darstellungsleistung durch die Form (Rechtschreibung, korrekte Grammatik, Zeichensetzung, Einhaltung der Zitierregeln, Gliederung, Stil eines Fachaufsatzes). Das Verhältnis beziehungsweise der Abzug durch Formfehler ist vom Lehrenden beziehungsweise der Fachkonferenz z.B. durch Abiturrichtlinien festgelegt und den Schülerinnen und Schülern mitzuteilen. Mögliche Punkte-/Notenverteilungsschlüssel gibt es z.B. von der KMK (Kultusministerkonferenz).

5.2. Beurteilung mündlicher Leistungen im Unterricht

Bei der Überprüfung der mündlichen Leistung muss unbedingt zwischen Aktivitätsgrad der Mitarbeit und mündlicher Leistung unterschieden werden, selbst wenn das Eine das Andere sicherlich mitbestimmt. Die Handhabung, ob die mündliche Beteiligung Bring- oder Holschuld, das heißt ob die Lernenden von sich aus Einsatz bringen müssen oder ob die Überprüfung passiver Schüler hinsichtlich ihrer mündlichen Leistungsstärke Aufgabe der Lehrenden ist, ist in den verschiedenen Bundesländern uneinheitlich (z.B. BW: Holschuld, NRW: Bringschuld). Die Schülerinnen und Schüler müssen im Vorhinein, möglichst zu Beginn des Schuljahres, über die Art der Leistungsfeststellung informiert sein (punktuelles Abhören und/oder kontinuierliche Kontrolle als Epochalnote). Eine mögliche Notendefinition, die sicher jeder Lehrer/jede Lehrerin selbst oder im Bemühen um größtmögliche Transparenz vielleicht sogar in Zusammenarbeit mit seinen/ihren Schülerinnen und Schülern erstellen sollte, könnte so aussehen (vgl. Zimmermann, 2006a):

Note 1: besonders reflektierte Beiträge (mehrperspektivisches, vernetzendes, auch unkonventionelles Denken), umfassendes Fachwissen (vor allem Präsenz auch des zurückliegenden Lehrstoffes), hohe Urteilskompetenz, differenziertes Ausdrucksvermögen bei konstanter, aktiver Mitarbeit

Note 2: reflektierte Beiträge (Denken in Zusammenhängen), umfangreiches Fachwissen, fundierte Urteilskompetenz, Sicherheit im Ausdruck bei konstanter, aktiver Mitarbeit

Note 3: insgesamt begründete Beiträge, Fachwissen, Urteilskompetenz und sprachliches Ausdrucksvermögen entsprechend den Anforderungen bei überwiegend konstanter Mitarbeit

Note 4: hinreichend begründete Beiträge mit Lösungen in Ansätzen, Fachwissen mit Lücken, eingeschränkte Urteilskompetenz und begrenztes Ausdrucksvermögen (keine zusammenhängende Darstellung in fehlerfreien ganzen Sätzen möglich) bei sporadischer, selektiver Mitarbeit

Note 5: mangelhafte Beiträge (minimale oder keine Lösungsansätze auch bei einfachen Fragen), Fachwissen mit großen Lücken, fehlende Urteilskompetenz, mangelhaftes Ausdrucksvermögen (Einwortsätze, kein Fachvokabular oder falsche Verwendung etc.)

Note 6: prinzipielles Überfordertsein, Verweigerungshaltung

6. Innovative Formen der Leistungsmessung und -bewertung zur Problemreduktion

Neuere Methoden der Leistungsbeurteilung verstehen Leistungsbeurteilungen vorwiegend als individuelle Rückmeldungen, quasi als Arbeitsprozessberichte, die jeweils versuchen, die Innenperspektive der Lernenden mit der Außenperspektive der Lehrenden zu verbinden und an den oder die Lernenden gerichtet sind. Dabei sollen Fragen nach Leistungsstand, Lernzusammenhang, Probleme beim Lernen und anderes thematisiert werden. Im Folgenden soll ganz kurz eine kleine Auswahl solcher Methoden vorgestellt werden, die versuchen, den individuellen Maßstab zu berücksichtigen, die Lernenden an der Bewertung zu beteiligen, beziehungsweise den Prozess des Lernens bei der Bewertung im Blick zu haben. Winter, 2012 und Gnandt/Michalke-Leicht, 2007 geben einen Überblick mit entsprechenden Praxisbeispielen zum Weiterlesen.

6.1. Den individuellen Maßstab berücksichtigen (z.B. Mehrfachkorrektur)

Bei einer „Mehrfachkorrektur“ wird eine Aufgabe korrigiert und mit ausführlichen Kommentaren zurückgegeben. Die Leistung ist nun, anhand der Rückmeldungen die Arbeit möglichst umfassend zu verbessern. Hilfreich ist dabei das Word-Korrekturprogramm, wenn man die Schülerinnen und Schüler bittet, ihre Beiträge in digitaler Form abzuliefern. Ein Vergleich der zur Endkorrektur vorliegenden Versionen kann dann ebenfalls in zwei Ansichten anschaulich digital erfolgen.

6.2. Die Schülerinnen und Schüler an der Bewertung beteiligen (z.B. Poolnote)

Eine Poolnote versucht, die Gesamtgruppenleistung zu bepunkten, überlässt die Aufteilung der Punkte als Zuweisung der Einzelleistungen innerhalb der Gruppe aber den Gruppenmitgliedern. Diese Aufteilung soll im Konsensprinzip erfolgen und wird von den Lehrenden nur noch übernommen. Zuvor muss ausführlich besprochen werden, welche Kriterien es für eine konstruktive, zielführende Gruppenarbeit gibt und welche Aufgaben die einzelnen Gruppenmitglieder übernehmen. Eine Dreiergruppe mit guter Einschätzung erhält z.B. 36 Punkte. Die Gruppe einigt sich dann darauf, dass eine Person 15 Punkte, die anderen 11 und 10 Punkte erhalten. Diese Punkte sind dann die Notenpunkte/Leistungsbewertung für die Gruppenarbeitsphase.

6.3. Den Prozess im Blick haben (z.B. Portfoliokonzept)

Dass Leistungsmessungen nicht nur punktuelle Ergebnisse im Blick haben, sondern auch den Prozess der Auseinandersetzung fokussieren, wird z.B. beim Portfoliokonzept deutlich. Selbstpräsentationen durch eine Mappe mit ausgewählten Arbeiten sind aus dem Bereich der Kunst, z.B. bei Bewerbungen an einer Kunsthochschule, geläufig. Beim „Portfolio“ sollte eine begründete Auswahl des Inhalts unter Gesichtspunkten der Dokumentation oder Leistungsentwicklung getroffen werden und außerdem eine reflexive Praxis durch den Lernenden selbst dokumentiert werden. Gerade diese Reflexion über das Erreichte ist ein wichtiger Bestandteil dieser Methode und gleichzeitig ihr wesentliches Ziel. Über Deckblätter zu einzelnen Arbeiten sollen Schülerinnen und Schüler ihre Auswahl begründen, ihr Produkt bewerten und Perspektiven einer Weiterarbeit festlegen.

Zum Thema „Präimplantationsdiagnostik“ könnte z.B. folgendes Portfolio gefordert werden:

1. Literaturverzeichnis mit 10 Titeln der letzten 10 Jahre in begründeter Auswahl.

2. Zwei Leserkommentare zu zwei verschiedenen Veröffentlichungen (eine davon muss eine theologische Position sein) der Literaturliste.

3. Jeweils ein Filmdokument, das Präimplantationsdiagnostik befürwortet, und eines, das sie ablehnend dokumentiert; Bewertung der gewählten Fragen und der Vorgehensweise des Films.

4. Je fünf begründete und ausgeführte Argumente für und gegen Präimplantationsdiagnostik mit abschließender persönlicher Stellungnahme.

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