Deutsche Bibelgesellschaft

Zweifel/Glaubenszweifel

Andere Schreibweise: Doubt/religious doubt (engl.)

(erstellt: März 2024)

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1. Zweifel – ein Begriff in unterschiedlichen Kontexten

Zweifeln ist zunächst ein Phänomen, das nach Verunsicherung klingt und damit negativ besetzt ist. Denn wer zweifelt, läuft Gefahr, einer falschen Fährte zu folgen oder einem Irrtum aufzusitzen. Gleichzeitig ist der Zweifel aber seit jeher die Ursache neuer Erkenntnis, denn wer zweifelt, setzt sich kritisch damit auseinander, was zuvor als selbstverständlich angenommen wurde. Ein Blick in die Naturwissenschaft macht dies deutlich: Kopernikus und Keppler zweifelten an der damaligen Vorstellung vom Verhältnis der Planeten und gaben so den Impuls für eine neues Weltbild. Cecilia Helena Payne-Gaposchkin zweifelte daran, dass die stoffliche Zusammensetzung von Erde und Sternen die Gleiche ist. Infolgedessen entdeckte sie, dass Sterne hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium bestehen und veränderte so die Astronomie grundlegend. Zweifel ist seit jeher die Ursache neuer Erkenntnis, er ist ein erkenntnistheoretisches Prinzip (vgl. 2.).

Auch im Kontext des Lernens wird auf das Phänomen des Zweifels zurückgegriffen. Wenn zu Beginn eines Lernprozesses kognitive Dissonanzen (→ Kognitive Aktivierung) erzeugt werden, zweifeln die Lernenden an ihren bisherigen Konzepten und erwerben neue Erkenntnisse.

Innerhalb des Glaubens (→ Glaube) kommt dem Zweifel eine grundlegende Bedeutung zu: „Jeder wirklich religiöse Mensch zweifelt mitunter an seinem Glauben. Oder er könnte zumindest zweifeln“ (von Stosch, 2019, 347). Zweifel ist ein Grundmoment des Glaubens. Der Begriff des Zweifels lässt sich in Bezug auf den Glauben weiter ausdifferenzieren: Der Glaubenszweifel umfasst sowohl auf existentieller Ebene die → Erfahrung der Glaubensunsicherheit wie auch auf kognitiver Ebene die philosophisch unbeantwortbare Frage nach der Existenz Gottes.

2. Zweifel als erkenntnistheoretisches Prinzip

Die moderne Wissenschaft basiert auf dem methodischen Zweifel (Blankertz, 1962). Ausgehend von Hypothesen gelangt sie zur Erkenntnis, indem sie Aussagen durch eine Experimentreihe, eine Argumentationsfolge oder eine empirische Erhebung falsifiziert oder verifiziert. Durch das erkenntnistheoretische Prinzip des Zweifels findet eine ständige Weiterentwicklung des Wissens statt. Denn wer an Aussagen zweifelt, reflektiert deren Wahrheitsgehalt (→ Wahrheit) und eröffnet so Perspektiven für neue Erkenntnis. Der methodische Zweifel bringt daher Wissenschaft und Forschung voran und wird deshalb auch als „Motor wissenschaftlicher Erkenntnis“ (Janßen, 1988, 1387) bezeichnet.

René Descartes vertieft das Prinzip des Zweifels und gilt als Vater des methodischen Zweifels. Er denkt darüber nach, was wahrhaftig wahr ist und zieht infolgedessen absolut jede Aussage in Zweifel. In diesem Prozess unterliegt jede Aussage dem zweifelnden Denken. Er sucht nach der Wahrheit, die über jeden Zweifel erhaben ist bzw. nach einem „festen und unbeweglichen Ausgangspunkt“ (Beiner, 2006, 769). Er macht sich daran, „ein Prinzip höchster und absoluter Gewissheit zu finden, das alle anderen Gewissheiten unerschütterlich begründe und eine zusammenhängende Neugestaltung des menschlichen Wissens erlaube“ (Pröpper, 2011, 375). Diesen Punkt findet Descartes im Akt des Zweifelns bzw. des Denkens selbst. Cogitans sum – denkend bin ich, so lautet seine zentrale Erkenntnis. Descartes stellt fest, dass im Bereich der Philosophie (→ Philosophie, philosophische Bildung) eine Eindeutigkeit und Sicherheit in Bezug auf das Wissen nicht zu haben ist. Sicher bleibt in diesem Prozess aber: Bei allem Zweifel muss es ein → Subjekt geben, das zweifelt und denkt. Daher ist seit Descartes klar: Beim Vorgang des Zweifels wird sich der Mensch seiner selbst absolut gewiss. Der absolut sichere Ausgangspunkt ist damit gefunden. „Descartes fand mit dem methodischen Zweifel an allem Denkinhalt die gesuchte unmittelbare Gewissheit im Selbstbewusstsein des Zweifelnden“ (Blankertz, 1962, 1946). Denn „der Zweifel als Akt des Denkens kann zwar jeden Denkinhalt in Frage stellen, nicht aber die Tätigkeit des Denkens selbst“ (Beiner, 2006, 769). Sicher und wahr erkennt damit der Mensch sich selbst als zweifelndes und denkendes Subjekt. Mit Descartes erreicht der Zweifel seine erkenntnistheoretische Bedeutung und wird fortan das methodische Prinzip der modernen Wissenschaft.

3. Der Glaubenszweifel

3.1. Empirische Perspektiven auf das Phänomen des Glaubenszweifels von Jugendlichen

Der Glaubenszweifel umfasst als Grundmoment des Glaubens zum einen die existentielle Erfahrung der Glaubensunsicherheit. Menschen erfahren in als existentiell wahrgenommenen Situationen, dass der Glaube nicht das hält, was er verspricht. Zum anderen hat der Glaubenszweifel seinen Grund in der Überlegung, dass es philosophisch unentscheidbar ist, ob → Gott existiert oder nicht. Die Tübinger Studie „Jugend – Glaube – Religion“ kann diese beiden Ebenen des Glaubenszweifels auch empirisch nachweisen. Ein Beleg für eine existentielle Dimension des Zweifels findet sich, wenn Zweifel im Zusammenhang mit Krisen- oder Leiderfahrungen thematisiert wird: „Die Befragten drücken aus, dass sie aufgrund der Krisen und des offensichtlichen, teilweise unbegreiflichen Leids beginnen, Gott zu hinterfragen und am Gottesglauben zu zweifeln“ (Schweitzer/Wissner/Bohner/Nowack/Gronover/Bos, 2018, 224). Zum anderen wird Zweifel auf kognitiver bzw. erkenntnistheoretischer Ebene von Jugendlichen thematisiert, wenn sie religiöses Wissen in seinem Wahrheitsgehalt anzweifeln und die fehlende Beweiskraft religiöser Aussagen zur Sprache bringen. „Jugendliche, die nicht glauben, begründen ihren Nichtglauben damit, dass es keine Beweise gibt und sie an nichts glauben wollen, das sie noch nie gesehen haben“ (Schweitzer/Wissner/Bohner/Nowack/Gronover/Bos, 2018, 204).

Dass die beiden Ebenen des Zweifels nicht immer klar unterschieden werden, zeigt sich, wenn die Studie „Jugend – Glaube – Religion“ „Skepsis, Zweifel und Desinteresse in Bezug auf die Frage nach Gott“ (Schweitzer/Wissner/Bohner/Nowack/Gronover/Bos, 2018, 158f.) zusammenfasst, ohne diese unterschiedlichen Ebenen noch einmal genauer zu unterscheiden. Für die religionspädagogische bzw. religionsdidaktische Perspektive ist es jedoch entscheidend, genau zu diagnostizieren, welche Art des Zweifels Jugendliche (→ Religiosität, Jugendliche) beschäftigt: Zweifel, der aus existentiellen Leiderfahrungen resultiert oder Zweifel, dessen Grund in einer szientistische Weltsicht liegt.

3.2. Zweifel auf der kognitiven Ebene: Erkenntnistheoretische Überlegungen zum Begriff des Zweifelns

Die kognitive oder erkenntnistheoretische Ebene des Zweifels, die Jugendliche häufig unter den Begriffen „unwissenschaftlich oder unlogisch“ zur Sprache bringen (Schweitzer/Wissner/Bohner/Nowack/Gronover/Bos, 2018, 160), hat einen zweifachen theologischen Grund: die Unbeweisbarkeit der Existenz Gottes (3.2.1.) und die Ambivalenz geschichtlicher Offenbarung (3.2.2.).

3.2.1. Die Frage nach der Existenz Gottes

Die Frage nach der Existenz Gottes wird theologiegeschichtlich in den Gottesbeweisen verhandelt. Hier findet sich die Vorstellung, dass der Mensch mit den Mitteln der Vernunft die Existenz Gottes sicher begründen kann. Bei diesen sogenannten Gottesbeweisen gibt es zwei Ansatzpunkte: die apriorischen Gottesbeweise, die ohne Rückgriff auf die Erfahrung eines Menschen auskommen, und die aposteriorischen Beweise, die auf den sinnlichen Erfahrungen der Menschen aufbauen (von Stosch, 2019, 23). Der prominenteste apriorische Gottesbeweis ist von Anselm von Canterbury. Anselm weist ohne eine Art der Welterfahrung nach, dass Gott existieren muss. Allein über die Definition von Gott kommt Anselm zu dem Schluss, dass Gott existiert. Die zweite Art der Gottesbeweise nimmt eine Erfahrung des Menschen zum Ausgangspunkt. Ein Vertreter dieser Art der Gottesbeweise ist Thomas von Aquin. Er geht im Anschluss an Aristoteles davon aus, dass aus der Erfahrung, dass alles in Bewegung ist, auf eine erste Ursache, einen ersten Beweger geschlossen werden kann und setzt diesen mit Gott gleich (von Stosch, 2019, 23-27). Gemeinsam ist beiden Beweisarten, dass sie annehmen, dass die Existenz Gottes durch Denk- und Reflexionsprozesse beweisbar ist. Im mittelalterlichen Denken, in dem die Frage, ob es Gott gibt, unstrittig ist, sind diese Arten der Argumentation möglich. Doch dies ändert sich mit der Aufklärung. Denn Immanuel Kant, der Vater der → Aufklärung, schließt diese Art der Beweise der Existenz Gottes aus. Für ihn ist die Frage nach Gott in der Kategorie der praktischen Vernunft angesiedelt und daher nicht beweisbar. Beweisführungen im Sinne einer Ursachen-Wirkung-Beziehung sind nur in der theoretischen Vernunft möglich. Damit bekommt der Zweifel an der Existenz Gottes ein neues Gewicht. Bei Kant wird Gott zum Postulat der praktischen Vernunft. „Gott ist hier aber nicht erkannt, sondern nur postuliert. Im Bereich der objektiven Erkenntnis kommt Gott nicht vor“ (Krings/Simons, 2003, 621). Die Existenz Gottes wird angenommen – postuliert – lässt sich aber nicht beweisen. Diese Argumentation prägt die Theologie bis heute. Ob Gott existiert oder nicht, lässt sich aus philosophischer und theologischer Perspektive nicht beweisen.

Für Glauben und Zweifel hat dies weitreichende Folgen. „Ob der Glaube an Gott allerdings nur einem menschlichen Bedürfnis entspringt, ist zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen strittig. Wie der Nichtgläubige den Glauben an Gott nicht widerlegen kann, kann der Gläubige die Motive für den Unglauben nicht einfach beiseiteschieben“ (Tück, 2008, 134). Denn Glaube kann nur begründen, warum es vernunftgemäß ist, die Existenz Gottes anzunehmen. Die gegenwärtige Theologie begegnet dem erkenntnistheoretischen Zweifel an der Existenz Gottes daher, in dem sie rational begründet, warum der Glaube an Gott nicht unvernünftig ist. Sie führt „tragfähige gute Gründe“ dafür an, „dass es rational verantwortbar ist“, christlich zu glauben (Werbick, 2010, 20). Ausräumen kann sie den Zweifel an der Frage, ob Gott existiert, aber nicht. „Rational verantwortbar heißt damit aber nicht wahr“ (Werbick, 2010, 80; Hervorhebung im Original). Es bleibt erkenntnistheoretisch auf philosophischer Ebene legitim, dem Zweifel nachzugeben und die Existenz Gottes kritisch zu hinterfragen. „Es ist und bleibt ein Wagnis, dem Versprechen der Liebe um Gottes Willen zu glauben“ (Werbick, 2001, 29).

Aus dieser philosophischen Unentscheidbarkeit der Existenz Gottes folgt die erkenntnistheoretische Dimension des Zweifels: Denn die Sicherheit, dass es Gott gibt, lässt sich nur in der Perspektive des Glaubens, also durch Glaubens- oder Gnadenerfahrungen erlangen.

Die Religionskritik legitimiert den Zweifel weiter. Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Sigmund Freud geben dem/der Zweifelnden Argumente an die Hand, um den Glauben an die Existenz Gottes kritisch in den Blick zu nehmen (→ Gotteskritik). In der gegenwärtigen Theologie ist der Zweifel als Frage nach der Existenz Gottes zur Voraussetzung der Gottesrede geworden (Werbick, 2010, 36).

Für die Theologie entsteht durch den fehlenden Beweis der Nichtexistenz Gottes aber nicht nur die Herausforderung, mit dem Zweifel leben zu müssen. Es entsteht in Folge der Nichtbeweisbarkeit der Nichtexistenz ein Deutungsraum, den Theologie und Christentum nutzen kann.

3.2.2. Zweifel als Konsequenz der Ambivalenz der Offenbarung

Zweifel ist dem christlichen Glauben grundlegend eingeschrieben. Neben der unbeantwortbaren Frage nach der Existenz Gottes liegt ein weiterer Grund für den Glaubenszweifel in der Art der christlichen → Offenbarung und damit verbunden in der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. In der griechischen Philosophie finden wir z.B. bei Platon die Vorstellung, dass jeder Mensch die Welt gleichermaßen wahrnimmt, indem er die Idee, die hinter dem wahrgenommenen Objekt steht, erkennt. Dagegen stellen konstruktivistische Wahrnehmungstheorien heraus, dass auf jede menschliche Wahrnehmung eine subjektive Deutung folgt, die die Art der Wahrnehmung maßgeblich beeinflusst. Gesellschaftliche Faktoren, zeitgeschichtliche Umstände, genderspezifische Einflüsse etc. lassen ein und dieselbe Situation in unterschiedlichstem Licht erscheinen. Aus der Vieldeutigkeit der Wahrnehmung ergibt sich eine Vielzahl der Deutungen, und diese Vielzahl findet sich auch in Bezug auf die geschichtliche Offenbarungsgestalt Jesus Christus (→ Christus/Christologie). Menschen begegnen vor 2000 Jahren dem Wanderprediger Jesu und kommen nach der konkreten Erfahrung mit ihm zu unterschiedlichen Interpretationen. Die einen sehen in ihm einen großen Propheten, die nächsten einen Wanderprediger, wie es zahlreiche zu dieser Zeit in Israel gab, wieder andere artikulieren nach seinem Tod, dass es sich hier um den Sohn Gottes gehandelt haben muss. Christinnen und Christen teilen die Deutung, dass Gott vor 2000 Jahren Mensch geworden ist, dass er sich im Leben, Tod und der Auferstehung Jesu geoffenbart hat. Diese Interpretation setzt bereits eine Glaubenserfahrung voraus. Die Ostererzählungen beschreiben den Zweifel der Menschen, die dem Auferstandenen begegnet sind. Denn für alle sichtbar ist nur, dass ein gekreuzigter Wanderprediger nicht mehr am Kreuz und nicht mehr im Grab zu finden ist (Spiegelhalter, 2013, 374f.). Nimmt man erstens die geschichtliche Dimension von Offenbarung als Inkarnation ernst und geht man zweitens von der Deutungsbedürftigkeit der menschlichen Wahrnehmung aus, ist ein weiterer Grund für den Glaubenszweifel gefunden. Denn die Lebens- und Sterbeereignisse des Wanderpredigers können, „nur dann als Offenbarung [erscheinen], wenn sie vom Menschen in dieser Weise verstanden werden“ (Bongardt, 2009, 183). Interpretationsbedürftigkeit ist somit der geschichtlichen Offenbarung grundlegend eingeschrieben. „Indem er [Gott] sich zur geschichtlichen Realität seiner Liebe bestimmte und ihr so verbindliche Eindeutigkeit gab, nahm er zugleich die Zweideutigkeit alles Sichtbaren auf sich“ (Pröpper, 1978, 87). Diese Zweideutigkeit bzw. Interpretationsbedürftigkeit nährt aber auch den Zweifel daran, welche Interpretation denn die wahre ist.

Der Zweifel im Glauben hat erkenntnistheoretisch also nicht nur seinen Grund in der Frage nach der Existenz Gottes. Er hat auch seinen Grund in der Art der christlichen Offenbarung als geschichtliches Ereignis. Aufgrund dieser erkenntnistheoretischen Bedingungen der Offenbarung in ihrer Geschichtlichkeit und der menschlichen Erkenntnis, die in jeder Wahrnehmung auch immer deutet und um ihre Deutung weiß, ist der Zweifel untrennbar mit dem christlichen Glauben verbunden.

3.3. Existentielle Zweifel – Zweifel als Ergebnis von Krisenerfahrungen

Die zweite Seite des Zweifels vollzieht sich auf der existentiellen Ebene, denn „Glaubensgewissheit ist auch gegen den lebensgeschichtlichen Einbruch des Zweifels nicht durch rationale Vergewisserung allein zu sichern, sosehr rationale Argumente in der existentiellen Auseinandersetzung mit dem Glauben eine wichtige Rolle spielen“ (Werbick, 2001, 20). Ein Blick in die biblischen Texte macht deutlich, dass existentielle Zweifel dem Glauben nicht fremd sind. Zwar lässt sich der Begriff Zweifel im Sinne einer zweifelnden-ablehnenden Haltung angesichts der Offenbarung Gottes im Alten Testament nicht finden. Doch in Gen 18,12 zweifelt Sara an der Ankündigung, in hohem Alter noch ein Kind zu gebären. Mose artikuliert in Ex 3,11 seine Zweifel am Auftrag Gottes. Und auch in den Psalmen finden sich immer wieder Einschübe, die vom Zweifel des Beters an Gott oder an seiner Wirksamkeit erzählen (z.B. Ps 22). Den biblischen Personen werden die Fragen in den Mund gelegt, ob der angenommene Glaube und das Vertrauen in den sich offenbarenden Gott trägt, ob es möglich ist, dass Gott Sara in hohem Alter noch zur Mutterschaft verhelfen kann. Besitzt Gott die Macht, das geknechtete Volk aus Ägypten zu führen? Neutestamentlich ist die Person des ungläubigen Thomas bekannt, aber auch die Ostererzählungen umfassen das Motiv des Zweifels angesichts der Auferstehungsbotschaft. Ist es Gott möglich, seinen Sohn aus dem Tod zu retten? Die Frage nach der Macht Gottes in der Geschichte befeuert auch heute noch den existentiellen Zweifel an Gott in den menschlichen Leiderfahrungen.

Dass existentielle Zweifel aber nicht nur durch persönliche Leiderfahrungen, sondern auch durch die leidvollen Zustände der realen Welt und ihrer teilweise abgründigen Geschichte des Leids entstehen, ist ein Gedanke der gegenwärtigen Theologie, die sich an Johann Baptist Metz ausrichtet. „Eine am Gott Israels festhaltende ‚Mystik der offenen Augen‘ (J.B. Metz) wird immer wieder vom Zweifel erfasst werden. Der Glaube ist nicht frei von ihm“ (Striet, 2015, 151). Die Frage nach dem Leiden (→ Theodizee) wirft immer wieder die Fragen und damit den Zweifel auf, ob der christliche Gott existiert und ob das eigene Vertrauen in diesen Gott eschatologisch im Recht bleibt.

3.4. Zweifel und Schuld

Der ursprüngliche Zusammenhang von Glaube und Zweifel, wie er in den biblischen Erzählungen zu finden ist, wird im Laufe der Theologiegeschichte zerbrochen. Bereits im Neuen Testament wird der Zweifel als eine „Minderung des Glaubens“ verstanden (Untergaßmaier, 2001, 1230f.). Diese Deutung verstärkt sich im Laufe der Theologiegeschichte. Zunehmend wird das Phänomen des Zweifelns als moralisches Versagen gedeutet. Zweifel wird nicht als Teil des Glaubens verstanden, sondern wird immer mehr im Zusammenhang mit Schuld gesehen. So entwickelt sich die verhängnisvolle Vorstellung, dass der Verstand im Licht der Gnade die Wahrheit des Glaubens einsieht und der Mensch dieser Erkenntnis nur zustimmen muss (Hoffmann, 2015, 97). Wer im Licht der Gnade erkennt, muss glauben, was durch göttliche Gnade offenbar geworden ist. Wer nicht glaubt, dessen Erkenntnis ist durch die Erbsünde eingetrübt und er macht sich damit schuldig (→ Sünde/Schuld). Dieses Denken ist in der Theologie des 19. Jahrhunderts präsent (Hoffmann, 2018, 69-72) und auch im 20. Jahrhundert noch gegenwärtig. Hans Urs von Balthasar geht davon aus, dass das Nichterkennen der Göttlichkeit des Gekreuzigten „nicht ohne eine Form der Schuld geschehen kann: sei es Verstricktsein in eine kollektive Ablehnung, sei es persönliche Selbstverweigerung aus Bosheit oder Schwäche“ (Balthasar, 1988, 491). Vergleichbares findet sich in der Fundamentaltheologie von Hans Jürgen Verweyen. Nach Verweyen kann jeder Mensch genau wie der römische Hauptmann bereits angesichts des Sterbens Jesu die Göttlichkeit des Gekreuzigten erkennen – wenn er nur möchte. Es „verwundert vor allem die Ansicht, auch die Jünger Jesu hätten den Gekreuzigten nur als gescheitert ansehen können. Sie selbst, nicht Jesus, waren gescheitert. […] Sie konnten, aber wollten nicht wahrhaben, dass nichts Jesus seinem Leben aus Gott entreißen vermochte“ (Verweyen, 2008, 155). An diesen beiden Beispielen wird deutlich, wie der Zusammenhang von Zweifel und Glaube durch die Verbindung von Zweifel und Schuld ersetzt wird. Durch diese Verbindung gelang es lange Zeit nicht, Zweifel als schuldfreien Teil der Glaubensbeziehung zu verstehen.

4. Religionspädagogische Konsequenzen

4.1. Zweifel als Chancen der intensiven Auseinandersetzung

„Glauben: das kann man, wenn man will, muss es aber nicht“ (Werbick, 2010, 33). Christlicher Glaube versteht sich als eine Entscheidung Gottes für die Menschen und als Entscheidung des Menschen für Gott. Entscheidungen und Zweifel hängen häufig zusammen. Der Mensch zweifelt mitunter an seinen Entscheidungen. Angesichts der zunehmenden → Konfessionslosigkeit nehmen die Anfragen an christliche Deutungsperspektiven zu und damit eventuell auch der Zweifel, ob das Christentum die richtigen Antworten bereithält. In religionspädagogischen Prozessen kann die konstruktive Bedeutung des Zweifels für den Glauben deutlich gemacht werden.

In religionspädagogischer Hinsicht ist es entscheidend, zu diagnostizieren (→ Diagnose), welche Dimension von Zweifel vorhanden ist bzw. welche Dimension des Zweifels religionspädagogisch genutzt werden soll: die existentielle oder die erkenntnistheoretische (vgl. 3.1.). Beziehen sich Zweifel auf existentielle Erfahrungen des Verschweigen Gottes oder kommt der Zweifel durch den ungelösten Konflikt zwischen naturwissenschaftlichen und religiösen Aussagen zustande? Die Unterscheidung dieser beiden Dimensionen kann auch als inhaltlicher Aspekt erarbeitet werden, um hier eine begriffliche Klarheit herbeizuführen.

Unverzichtbar ist es, Zweifel aus seiner Verbindung mit dem Thema Schuld zu lösen. Zweifel muss vielmehr als intensive Auseinandersetzung und „In-Beziehung-treten“ (Lachner, 1999, 537) gedacht werden. Wichtig scheint es zudem, das Phänomen des Zweifels als Teil des Glaubens deutlich zu machen und so „die lebensgeschichtliche Dimension von Glauben zu fördern“, was auch bedeutet, Jugendliche eine „zeitweilige Distanzierung von Religion“ (Mendl, 2018, 68) zuzugestehen.

4.2. Das Thema Zweifel im Religionsunterricht

Zweifel ist ein Teil des Glaubens und macht daher auch vor Kindern und Jugendlichen nicht halt. Leidvolle Erfahrungen oder positive Begegnungen führen zu Fragen und damit auch zu Zweifel (Schweitzer/Wissner/Bohner/Nowack/Gronover/Bos, 2018, 205). Zweifel auf der kognitiven Ebene haben ihre Berechtigung und bringen die Entwicklung des Glaubens (→ Entwicklungspsychologie) voran. Am Stufenmodell von Fowler zeigt sich: Auf dem Weg zum individuierend-reflektierenden Glauben „werden Symbole und Geschichten in der Regel entmystifiziert, d.h. bisher gültige Bilder und Vorstellungen verlieren ihre Glaubwürdigkeit und müssen durch neue Vorstellungen ersetzt werden“ (Delling/Riegel, 2022, 50). Aus dieser Beobachtung darf aber nicht geschlossen werden, dass Zweifel – in den beiden Dimensionen – uneingeschränkt in der religionspädagogischen Arbeit genutzt werden können. Im Projekt RADEV wurde deutlich, dass Schülerinnen und Schüler eine recht hohe „Perturbationsresistenz“ besitzen und sich durch unterrichtliche, also inszenierte Arrangements eher schwer zu einer kritischen, zweifelnden Position bewegen lassen (Englert/Eck, 2021, 82). Es sind vielmehr eigene Erfahrungen – positiv oder negativ – die Jugendliche dazu bewegen, ihren Glauben in Zweifel zu ziehen (Schweitzer/Wissner/Bohner/Nowack/Gronover/Bos, 2018, 205). Geplant nutzen lassen sich Glaubenszweifel von Jugendlichen eher nicht. Wenn sie situativ z.B. im → Unterrichtsgespräch zur Sprache kommen, bieten sie aber durchaus religionsdidaktisches Potential, welches zur kognitiven Aktivierung der gesamten Lerngruppe führen kann (Leven/Riegel, 2018, 191).

4.3. Zweifel in interreligiöser Perspektive thematisieren

Das Phänomen des Zweifelns lässt sich im Kontext des interreligiösen Lernens (→ interreligiöses Lernen) nutzen. Denn im jüdischen Glauben (→ Judentum, als Thema christlich verantworteter Bildung) wird der Zweifel grundlegend positiv bewertet. „Zweifel und die aus dem Zweifel resultierende Form des Nachdenkens, des Suchens nach Antworten, [sind] konstitutiv […] fürs Judentum“ (Ginzel, 2023). Amos Oz bescheinigt dem jüdischen Denken „eine Art anarchistisches Gen des Zweifels, der kritischen Auseinandersetzung mit sich“ (Oz, 2017, 13). Texte aus dem Tanach, in denen der Mensch mit Gott disputiert, ihn in Frage stellt und anzweifelt, werden im Judentum stärker rezipiert als im Christentum. Im Kontext des interreligiösen Lernens ergibt sich die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit der jüdischen Perspektive des Zweifelns ein Kernelement des jüdischen Glaubens kennenlernen.

4.4. Zweifel zwischen Konfessionslosigkeit und Fundamentalismus

Die Relevanz von Religion wird gegenwärtig von den beiden Positionen des Fundamentalismus (→ Fundamentalismus/Biblizismus, bibeldidaktischer Umgang) und des Szientismus in Frage gestellt. Während szientistische Strömungen das Existenzrecht der Religion verneinen, etablieren fundamentalistische Kreise eine Form von Religion, in der Zweifel keinen Platz hat. Um die Position des christlichen Glaubens zwischen Fundamentalismus und Szientismus zu verdeutlichen, können sich die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen des Glaubens im Kontext mit dem Phänomen des Zweifels als nützlich erweisen. Die Thematisierung von Zweifel als Teil des Glaubens in existentieller wie in erkenntnistheoretischer Hinsicht eröffnet die Möglichkeit, die Charakteristik des christlichen Glaubens zu entfalten. In Abgrenzung zum Fundamentalismus lassen sich ungerechtfertigte Wahrheitsansprüche über die erkenntnistheoretische Unsicherheit in Bezug auf die Existenz Gottes zurückweisen. Dem Szientismus begegnet der Zweifel mit dem Hinweis auf den fehlenden Beweis der Nichtexistenz Gottes. Auch im Kontext der zunehmenden Konfessionslosigkeit entstehen hier Chancen. Denn aus dem Interpretationsfreiraum, der sich aus dem fehlenden Beweis ergibt, erfolgen – aus der Perspektive der und des Nichtglaubenden – Reflexionen auf Transzendenzerfahrungen (→ Transzendenz (und Immanenz)) des Menschen, die sich über Jahrhunderte zu einer Glaubensüberlieferung gebündelt haben. Theologie und christlicher Glaube kommen hier als eine Art der Interpretation ins Spiel.

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