Zweifel/Glaubenszweifel
Andere Schreibweise: Doubt/religious doubt (engl.)
(erstellt: März 2024)
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1. Zweifel – ein Begriff in unterschiedlichen Kontexten
Zweifeln ist zunächst ein Phänomen, das nach Verunsicherung klingt und damit negativ besetzt ist. Denn wer zweifelt, läuft Gefahr, einer falschen Fährte zu folgen oder einem Irrtum aufzusitzen. Gleichzeitig ist der Zweifel aber seit jeher die Ursache neuer Erkenntnis, denn wer zweifelt, setzt sich kritisch damit auseinander, was zuvor als selbstverständlich angenommen wurde. Ein Blick in die Naturwissenschaft macht dies deutlich: Kopernikus und Keppler zweifelten an der damaligen Vorstellung vom Verhältnis der Planeten und gaben so den Impuls für eine neues Weltbild. Cecilia Helena Payne-Gaposchkin zweifelte daran, dass die stoffliche Zusammensetzung von Erde und Sternen die Gleiche ist. Infolgedessen entdeckte sie, dass Sterne hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium bestehen und veränderte so die Astronomie grundlegend. Zweifel ist seit jeher die Ursache neuer Erkenntnis, er ist ein erkenntnistheoretisches Prinzip (vgl. 2.).
Auch im Kontext des Lernens wird auf das Phänomen des Zweifels zurückgegriffen. Wenn zu Beginn eines Lernprozesses kognitive Dissonanzen (→ Kognitive Aktivierung
Innerhalb des Glaubens (→ Glaube
2. Zweifel als erkenntnistheoretisches Prinzip
Die moderne Wissenschaft basiert auf dem methodischen Zweifel (Blankertz, 1962). Ausgehend von Hypothesen gelangt sie zur Erkenntnis, indem sie Aussagen durch eine Experimentreihe, eine Argumentationsfolge oder eine empirische Erhebung falsifiziert oder verifiziert. Durch das erkenntnistheoretische Prinzip des Zweifels findet eine ständige Weiterentwicklung des Wissens statt. Denn wer an Aussagen zweifelt, reflektiert deren Wahrheitsgehalt (→ Wahrheit
René Descartes vertieft das Prinzip des Zweifels und gilt als Vater des methodischen Zweifels. Er denkt darüber nach, was wahrhaftig wahr ist und zieht infolgedessen absolut jede Aussage in Zweifel. In diesem Prozess unterliegt jede Aussage dem zweifelnden Denken. Er sucht nach der Wahrheit, die über jeden Zweifel erhaben ist bzw. nach einem „festen und unbeweglichen Ausgangspunkt“ (Beiner, 2006, 769). Er macht sich daran, „ein Prinzip höchster und absoluter Gewissheit zu finden, das alle anderen Gewissheiten unerschütterlich begründe und eine zusammenhängende Neugestaltung des menschlichen Wissens erlaube“ (Pröpper, 2011, 375). Diesen Punkt findet Descartes im Akt des Zweifelns bzw. des Denkens selbst. Cogitans sum – denkend bin ich, so lautet seine zentrale Erkenntnis. Descartes stellt fest, dass im Bereich der Philosophie (→ Philosophie, philosophische Bildung
3. Der Glaubenszweifel
3.1. Empirische Perspektiven auf das Phänomen des Glaubenszweifels von Jugendlichen
Der Glaubenszweifel umfasst als Grundmoment des Glaubens zum einen die existentielle Erfahrung der Glaubensunsicherheit. Menschen erfahren in als existentiell wahrgenommenen Situationen, dass der Glaube nicht das hält, was er verspricht. Zum anderen hat der Glaubenszweifel seinen Grund in der Überlegung, dass es philosophisch unentscheidbar ist, ob → Gott
Dass die beiden Ebenen des Zweifels nicht immer klar unterschieden werden, zeigt sich, wenn die Studie „Jugend – Glaube – Religion“ „Skepsis, Zweifel und Desinteresse in Bezug auf die Frage nach Gott“ (Schweitzer/Wissner/Bohner/Nowack/Gronover/Bos, 2018, 158f.) zusammenfasst, ohne diese unterschiedlichen Ebenen noch einmal genauer zu unterscheiden. Für die religionspädagogische bzw. religionsdidaktische Perspektive ist es jedoch entscheidend, genau zu diagnostizieren, welche Art des Zweifels Jugendliche (→ Religiosität, Jugendliche
3.2. Zweifel auf der kognitiven Ebene: Erkenntnistheoretische Überlegungen zum Begriff des Zweifelns
Die kognitive oder erkenntnistheoretische Ebene des Zweifels, die Jugendliche häufig unter den Begriffen „unwissenschaftlich oder unlogisch“ zur Sprache bringen (Schweitzer/Wissner/Bohner/Nowack/Gronover/Bos, 2018, 160), hat einen zweifachen theologischen Grund: die Unbeweisbarkeit der Existenz Gottes (3.2.1.) und die Ambivalenz geschichtlicher Offenbarung (3.2.2.).
3.2.1. Die Frage nach der Existenz Gottes
Die Frage nach der Existenz Gottes wird theologiegeschichtlich in den Gottesbeweisen verhandelt. Hier findet sich die Vorstellung, dass der Mensch mit den Mitteln der Vernunft die Existenz Gottes sicher begründen kann. Bei diesen sogenannten Gottesbeweisen gibt es zwei Ansatzpunkte: die apriorischen Gottesbeweise, die ohne Rückgriff auf die Erfahrung eines Menschen auskommen, und die aposteriorischen Beweise, die auf den sinnlichen Erfahrungen der Menschen aufbauen (von Stosch, 2019, 23). Der prominenteste apriorische Gottesbeweis ist von Anselm von Canterbury. Anselm weist ohne eine Art der Welterfahrung nach, dass Gott existieren muss. Allein über die Definition von Gott kommt Anselm zu dem Schluss, dass Gott existiert. Die zweite Art der Gottesbeweise nimmt eine Erfahrung des Menschen zum Ausgangspunkt. Ein Vertreter dieser Art der Gottesbeweise ist Thomas von Aquin. Er geht im Anschluss an Aristoteles davon aus, dass aus der Erfahrung, dass alles in Bewegung ist, auf eine erste Ursache, einen ersten Beweger geschlossen werden kann und setzt diesen mit Gott gleich (von Stosch, 2019, 23-27). Gemeinsam ist beiden Beweisarten, dass sie annehmen, dass die Existenz Gottes durch Denk- und Reflexionsprozesse beweisbar ist. Im mittelalterlichen Denken, in dem die Frage, ob es Gott gibt, unstrittig ist, sind diese Arten der Argumentation möglich. Doch dies ändert sich mit der Aufklärung. Denn Immanuel Kant, der Vater der → Aufklärung
Für Glauben und Zweifel hat dies weitreichende Folgen. „Ob der Glaube an Gott allerdings nur einem menschlichen Bedürfnis entspringt, ist zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen strittig. Wie der Nichtgläubige den Glauben an Gott nicht widerlegen kann, kann der Gläubige die Motive für den Unglauben nicht einfach beiseiteschieben“ (Tück, 2008, 134). Denn Glaube kann nur begründen, warum es vernunftgemäß ist, die Existenz Gottes anzunehmen. Die gegenwärtige Theologie begegnet dem erkenntnistheoretischen Zweifel an der Existenz Gottes daher, in dem sie rational begründet, warum der Glaube an Gott nicht unvernünftig ist. Sie führt „tragfähige gute Gründe“ dafür an, „dass es rational verantwortbar ist“, christlich zu glauben (Werbick, 2010, 20). Ausräumen kann sie den Zweifel an der Frage, ob Gott existiert, aber nicht. „Rational verantwortbar heißt damit aber nicht wahr“ (Werbick, 2010, 80; Hervorhebung im Original). Es bleibt erkenntnistheoretisch auf philosophischer Ebene legitim, dem Zweifel nachzugeben und die Existenz Gottes kritisch zu hinterfragen. „Es ist und bleibt ein Wagnis, dem Versprechen der Liebe um Gottes Willen zu glauben“ (Werbick, 2001, 29).
Aus dieser philosophischen Unentscheidbarkeit der Existenz Gottes folgt die erkenntnistheoretische Dimension des Zweifels: Denn die Sicherheit, dass es Gott gibt, lässt sich nur in der Perspektive des Glaubens, also durch Glaubens- oder Gnadenerfahrungen erlangen.
Die Religionskritik legitimiert den Zweifel weiter. Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Sigmund Freud geben dem/der Zweifelnden Argumente an die Hand, um den Glauben an die Existenz Gottes kritisch in den Blick zu nehmen (→ Gotteskritik
Für die Theologie entsteht durch den fehlenden Beweis der Nichtexistenz Gottes aber nicht nur die Herausforderung, mit dem Zweifel leben zu müssen. Es entsteht in Folge der Nichtbeweisbarkeit der Nichtexistenz ein Deutungsraum, den Theologie und Christentum nutzen kann.
3.2.2. Zweifel als Konsequenz der Ambivalenz der Offenbarung
Zweifel ist dem christlichen Glauben grundlegend eingeschrieben. Neben der unbeantwortbaren Frage nach der Existenz Gottes liegt ein weiterer Grund für den Glaubenszweifel in der Art der christlichen → Offenbarung
Der Zweifel im Glauben hat erkenntnistheoretisch also nicht nur seinen Grund in der Frage nach der Existenz Gottes. Er hat auch seinen Grund in der Art der christlichen Offenbarung als geschichtliches Ereignis. Aufgrund dieser erkenntnistheoretischen Bedingungen der Offenbarung in ihrer Geschichtlichkeit und der menschlichen Erkenntnis, die in jeder Wahrnehmung auch immer deutet und um ihre Deutung weiß, ist der Zweifel untrennbar mit dem christlichen Glauben verbunden.
3.3. Existentielle Zweifel – Zweifel als Ergebnis von Krisenerfahrungen
Die zweite Seite des Zweifels vollzieht sich auf der existentiellen Ebene, denn „Glaubensgewissheit ist auch gegen den lebensgeschichtlichen Einbruch des Zweifels nicht durch rationale Vergewisserung allein zu sichern, sosehr rationale Argumente in der existentiellen Auseinandersetzung mit dem Glauben eine wichtige Rolle spielen“ (Werbick, 2001, 20). Ein Blick in die biblischen Texte macht deutlich, dass existentielle Zweifel dem Glauben nicht fremd sind. Zwar lässt sich der Begriff Zweifel im Sinne einer zweifelnden-ablehnenden Haltung angesichts der Offenbarung Gottes im Alten Testament nicht finden. Doch in Gen 18,12
Dass existentielle Zweifel aber nicht nur durch persönliche Leiderfahrungen, sondern auch durch die leidvollen Zustände der realen Welt und ihrer teilweise abgründigen Geschichte des Leids entstehen, ist ein Gedanke der gegenwärtigen Theologie, die sich an Johann Baptist Metz ausrichtet. „Eine am Gott Israels festhaltende ‚Mystik der offenen Augen‘ (J.B. Metz) wird immer wieder vom Zweifel erfasst werden. Der Glaube ist nicht frei von ihm“ (Striet, 2015, 151). Die Frage nach dem Leiden (→ Theodizee
3.4. Zweifel und Schuld
Der ursprüngliche Zusammenhang von Glaube und Zweifel, wie er in den biblischen Erzählungen zu finden ist, wird im Laufe der Theologiegeschichte zerbrochen. Bereits im Neuen Testament wird der Zweifel als eine „Minderung des Glaubens“ verstanden (Untergaßmaier, 2001, 1230f.). Diese Deutung verstärkt sich im Laufe der Theologiegeschichte. Zunehmend wird das Phänomen des Zweifelns als moralisches Versagen gedeutet. Zweifel wird nicht als Teil des Glaubens verstanden, sondern wird immer mehr im Zusammenhang mit Schuld gesehen. So entwickelt sich die verhängnisvolle Vorstellung, dass der Verstand im Licht der Gnade die Wahrheit des Glaubens einsieht und der Mensch dieser Erkenntnis nur zustimmen muss (Hoffmann, 2015, 97). Wer im Licht der Gnade erkennt, muss glauben, was durch göttliche Gnade offenbar geworden ist. Wer nicht glaubt, dessen Erkenntnis ist durch die Erbsünde eingetrübt und er macht sich damit schuldig (→ Sünde/Schuld
4. Religionspädagogische Konsequenzen
4.1. Zweifel als Chancen der intensiven Auseinandersetzung
„Glauben: das kann man, wenn man will, muss es aber nicht“ (Werbick, 2010, 33). Christlicher Glaube versteht sich als eine Entscheidung Gottes für die Menschen und als Entscheidung des Menschen für Gott. Entscheidungen und Zweifel hängen häufig zusammen. Der Mensch zweifelt mitunter an seinen Entscheidungen. Angesichts der zunehmenden → Konfessionslosigkeit
In religionspädagogischer Hinsicht ist es entscheidend, zu diagnostizieren (→ Diagnose
Unverzichtbar ist es, Zweifel aus seiner Verbindung mit dem Thema Schuld zu lösen. Zweifel muss vielmehr als intensive Auseinandersetzung und „In-Beziehung-treten“ (Lachner, 1999, 537) gedacht werden. Wichtig scheint es zudem, das Phänomen des Zweifels als Teil des Glaubens deutlich zu machen und so „die lebensgeschichtliche Dimension von Glauben zu fördern“, was auch bedeutet, Jugendliche eine „zeitweilige Distanzierung von Religion“ (Mendl, 2018, 68) zuzugestehen.
4.2. Das Thema Zweifel im Religionsunterricht
Zweifel ist ein Teil des Glaubens und macht daher auch vor Kindern und Jugendlichen nicht halt. Leidvolle Erfahrungen oder positive Begegnungen führen zu Fragen und damit auch zu Zweifel (Schweitzer/Wissner/Bohner/Nowack/Gronover/Bos, 2018, 205). Zweifel auf der kognitiven Ebene haben ihre Berechtigung und bringen die Entwicklung des Glaubens (→ Entwicklungspsychologie
4.3. Zweifel in interreligiöser Perspektive thematisieren
Das Phänomen des Zweifelns lässt sich im Kontext des interreligiösen Lernens (→ interreligiöses Lernen
4.4. Zweifel zwischen Konfessionslosigkeit und Fundamentalismus
Die Relevanz von Religion wird gegenwärtig von den beiden Positionen des Fundamentalismus (→ Fundamentalismus/Biblizismus, bibeldidaktischer Umgang
Literaturverzeichnis
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