Sexualität, bibeldidaktisch
(erstellt: März 2024)
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1. Einleitung
→ Sexualität
2. Sexualpädagogik
2.1. Begriffe und Positionen
„Sexualpädagogik“ erforscht und reflektiert sexuelle Sozialisation und intentionale erzieherische Einflussnahme auf die Sexualität von Menschen, wohingegen „Sexualerziehung“ die „kontinuierliche, intendierte Einflussnahme auf die Entwicklung sexueller Motivationen, Ausdrucks- und Verhaltensformen sowie von Einstellungs- und Sinnaspekten der Sexualität von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ meint und auch Aufklärung und Beratung einschließt (Sielert, 2015, 12). Der jüngere Begriff „Sexuelle Bildung“ betont mehr die Selbstformung, bezieht sich dabei „auf alle Lebensalter […] und befasst sich mit der Frage nach der Bedeutung von Sexualität in der Ganzheit menschlichen Seins“, ist aber auch „politische Bildung, da sich Sexualität und Gesellschaft wechselseitig beeinflussen“ (Valtl, 2013, 135;137).
Sexualpädagogik bzw. Sexuelle Bildung gibt es im Hinblick auf die Programmatik nur im Plural, was bereits die Historie zeigt. Vom 17. Jahrhundert bis Mitte des 20. Jahrhunderts stand Sexualpädagogik vor allem unter dem Zeichen von Restriktion und Repression, in den 1960er Jahren lag der Akzent auf der Emanzipation, in den 1970er Jahren stand die Aufklärung im Zentrum, in den 1980ern der Professionalisierungs- sowie der Gefahren- und Präventionsdiskurs, ab 2000 ist der Bildungsdiskurs hinzugekommen (vgl. Sielert, 2015, 13-22).
Bezüglich der formalen Beschreibung des Zieles von Sexualpädagogik, des „selbstbestimmten und verantwortungsvollen Umgangs mit Sexualität“ (vgl. Steinherr, 2020, 9; Bruns-Bachmann u.a., 2012, 6) besteht Konsens. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung dieser Formel hingegen lässt sich nicht nur Pluralität beobachten, sondern auch eine Polarisierung zwischen sogenannten „(neo-)konservativen“ und „(neo-)emanzipatorischen“ Ansätzen. Auch christliche Sexualpädagogiken sind Akteure in diesem Diskurs, wobei in den letzten Jahren ein Trend zur emanzipatorischen, freilich dabei christlich grundierten Sexualpädagogik (siehe Leimgruber, 2011; Kahle, 2016) zu verzeichnen ist.
2.2. Jugendliche und Sexualität
Die große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland erhält schulische Sexualaufklärung; darüber hinaus wird das Internet zunehmend als Informationsquelle genutzt (vgl. Nord, 2017).
Jugendliche erfahren die physiologischen und psychischen Merkmale der Geschlechtsentwicklung und durchlaufen die typische Abfolge sexueller Aktivitäten von Schmusen bis Geschlechtsverkehr, den ca. 50% aller 17-Jährigen schon praktiziert haben (vgl. Wendt, 2019, 23;27-29;33-35). Bei der Mehrheit der Jugendlichen erfolgt der erste Geschlechtsverkehr im Rahmen einer festen Partnerschaft (vgl. Wendt, 2019, 48).
Romantische Beziehungen sind Jugendlichen wichtig. Zwei Drittel haben bis zum Alter von 17 ihren ersten Partner bzw. ihre erste Partnerin (vgl. Wendt, 2019, 72). Die Abfolge der Motivationen für eine romantische Beziehung ist gemäß dem Modell von Brown (zitiert nach Wendt, 2019, 82) „Konsolidierung des Selbst“ („initiation phase“), „Erwerb von Status in der Peergruppe“ („status phase“), „Emotionale und sexuelle Befriedigung in einer Partnerschaft“ („affection phase“) und „Aufbau langfristiger, befriedigender Partnerschaften“ („bonding phase“).
Als Entwicklungsaufgaben Heranwachsender im Bereich Sexualität gelten neben dem „verantwortungsvollen Umgang mit der Sexualität“ die „Einbindung in soziale Bindungen“ und die „Platzierung im Kern des Selbstverständnisses der Person“ (Fend, zitiert nach Wendt, 2019, 16).
2.3. Grundfragen
Aus den Anliegen der Sexualpädagogiken ergeben sich zwei Themenkreise, die hier in Form von Fragen umrissen werden, die auch für die religions- und bibeldidaktische Erschließung des Themas im RU bedeutsam sind.
1. Die Begriffe „Selbstbestimmung und Verantwortung“ beruhen auf bestimmten programmatischen Vorstellungen. Worin äußert sich Selbstbestimmung konkret, und worin Verantwortung? Welche Normen sollen hierbei gelten und wie werden diese gewonnen? Soll Sexualpädagogik z.B. die individuelle Freiheit als alleinigen Maßstab vertreten oder die Einbettung von Sexualität in die Liebe betonen (vgl. Steinherr, 2020, 45)?
Es ist zu klären, in welcher Form die bildungsbezogene Fokussierung auf Sexualität sinnvoll ist, ohne eine „Sexualisierung“ zu forcieren (vgl. Sielert, 2015, 63). Angesichts der Kontroversen um die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ (Sielert u.a., 2012) ist zu fragen, wie die Perspektiven von Minderheiten einzubeziehen sind, ohne die der Mehrheiten zu delegitimieren. Entsprechend ist auf Ebene der Ziele und Methoden zu reflektieren, inwieweit Dekonstruktion der (Mehrheits-)Traditionen und bewusste „Verwirrung“ (Bruns-Bachmann u.a., 2012, 40) angemessen sind, aber auch inwieweit Sexualpädagogik affirmativ sein darf, ohne tradierte (Mehrheits-)Normen kritisch zu hinterfragen.
2. Sexualität ist als Grunddimension des Menschseins Gegenstand von Bildung. Zu reflektieren ist jedoch, in welcher Form sexuelle Bildung, die – über klassische Sexualkunde hinausgehend – einen intimen, höchstpersönlichen Bereich der Lebensgestaltung der Jugendlichen berührt, im System Schule angeboten werden soll. Hier sind zum einen Rechte der Lernenden berührt, aber auch der Erziehungsberechtigten, die möglicherweise die Programmatik der angebotenen sexuellen Bildung nicht teilen. Zum anderen muss diskutiert werden, inwieweit Kontroversitätsgebot und Indoktrinationsverbot (→ Beutelsbacher Konsens
Diese Fragen zeigen, wie vielfältig und komplex die Diskussionen verlaufen und dass alle Beteiligten, unabhängig davon, welchem gesellschaftlichen Lager sie angehören, den normativen Anspruch ihrer Ziele reflektieren und offenlegen müssen, damit die Adressaten tatsächlich „selbstbestimmt“ agieren können.
3. Sexualität als Thema im Religionsunterricht
3.1. Grundsätzliche Überlegungen
Indem die Lehrpläne des (evangelischen und katholischen) RU den Themenbereich Liebe und Sexualität ausweisen (siehe unten), setzen sie voraus, dass RU einen Beitrag zur Sexualbildung leisten kann. In der wissenschaftlichen Religionspädagogik wird dies jedoch offen diskutiert. So werden als „skeptische Einwände“ (vgl. Schwarz, 2022, 53-57) u.a. vorgetragen: 1. Die Geschichte der Leib- und Sexualitätsfeindlichkeit in der Kirche und die repressive Sexualmoral mit ihrer Ausgrenzung anderer sexueller Orientierungen sind verheerend. 2. In der aktuellen Gesellschaft erfahren kirchliche Positionen zu diesem Thema einen enormen Akzeptanz- und Relevanzverlust. 3. Die kirchliche Lehre bietet keine konzeptualisierte Sexualbildung, was auch damit zusammenhängt, dass die sich auf Liebe und Sexualität beziehenden Bibeltexte nur bedingt geeignet für Sexualbildung sind, weil sie zu unspezifisch bzw. zu repressiv sind. 4. Die aktuelle (evangelische) kirchliche Lehre zur verantwortlichen, aber sonst freien Sexualität unterscheidet sich in ihren ethischen Konsequenzen kaum von der Mehrheitsauffassung der Gesellschaft. 5. Jugendliche haben bereits (gute) Erfahrungen mit Sexualität gemacht und sind entsprechend informiert. 6. Es besteht die Gefahr, dass im RU die Intimitätsgrenzen überschritten werden.
Argumente, die für eine Thematisierung von Sexualität im RU sprechen sind, dass 1. Christen ihre Sexualität leben bzw. Sexualität auch religiöse oder spirituelle Aspekte hat, 2. das Thema „Liebe und Sexualität“ bei Jugendlichen hohe Relevanz hat, 3. Grundprinzipien von Liebe, Achtsamkeit und Sinnenbezogenheit auch im christlichen Glauben bzw. in der Bibel anzutreffen sind und Orientierungspotential bieten, 4. kulturgeschichtlich relevante Inhalte aus dem christlichen Glauben bzw. der biblischen Tradition stammen, 5. sich in der kritischen Auseinandersetzung mit repressiven, Sexualität missbrauchenden Texten Problem- und Urteilsfähigkeit lernen lässt, und 6., insofern schulischer Unterricht immer (semi-)öffentlich ist, er die Grenzräume von privat und öffentlich bespielen und damit auch Sexualität in den Blick nehmen kann.
3.2. Religionsdidaktische Zielsetzungen
Die aktuellen Ansätze von Schwarz (evangelisch) und Reese-Schnitker (katholisch) werden hier vorgestellt und (unter 3.3.) bibeldidaktisch aufgegriffen.
Gemäß der Konzeption von Schwarz (2022, 61) soll RU das Thema in „realitätsbewusster Bescheidenheit“ aufnehmen und als Beitrag zur „Daseinshermeneutik“ der Schülerinnen und Schüler im Zeichen des „Empowerments“ gestalten. Mit Empowerment ist „eine (Be-)Stärkung der Lernenden, Sexualität in Auseinandersetzung mit theologischen Perspektiven als individuell bedeutsames wie sozio-kulturell bedingtes und ambivalentes Phänomen sexuell selbstbestimmt wahrnehmen, deuten und mündig wie menschenfreundlich gestalten zu können“ gemeint (Schwarz, 2022, 61). Bildungsrelevant sind einerseits Such- und Orientierungsbewegungen der Einzelnen, Grundbedürfnisse und Wünsche im Hinblick auf Beziehungen sowie der körpersprachliche Zusammenhang zwischen Empfinden, Erfahren und Sinn (vgl. Schwarz, 2022, 61-62). Andererseits gilt es, Sexualität betreffende soziale und religiöse Normen, und darin auch die der christlichen Traditionen zu explorieren und zu analysieren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und deren Tragweite zu diskutieren (vgl. Schwarz, 2022, 63-64). Der Dialog mit dem Thema soll nicht nur kognitiv, sondern ästhetisch-expressiv in unterschiedlichsten Medien wie Sprache, Musik, Tanz, Film, Malerei erfolgen und auch dabei die christlichen Traditionen (z.B. das Hld) einschließen (vgl. Schwarz, 2022, 64).
Reese-Schnitker (vgl. 2022, 294) reflektiert in ihrem Entwurf im Anschluss an Leimgruber (2011), welche Kompetenzen die Schülerinnen und Schüler auf den Ebenen der Identität, der Sprache und Kommunikation, den Inhalten, dem Sozialen, der Ethik, dem Interreligiösen und den Medien ausbilden sollen. Ihr Schwerpunkt liegt darauf, dass die Schülerinnen und Schüler „einen lebensförderlichen Umgang mit Sexualität und sexuellen Identitäten auszubilden lernen“ (Reese-Schnitker, 2022, 295). Dies umfasst die Suche „nach der eigenen (sexuellen) Identität“ und „nach einer würdigen, verantworteten Sprache für Sexualität“ sowie die „Gewaltprävention durch die Arbeit an biblischen Texten, die sexualisierte Gewalt thematisieren“ (Reese-Schnitker, 2022, 295).
3.3. Bibeldidaktische Leitlinien
Den Impulsen von Schwarz und Reese-Schnitker folgend soll eine Bibeldidaktik zum Thema Sexualität Jugendliche bei ihren Such- und Orientierungsbewegungen im Zeichen des „Empowerments“ unterstützen und ihnen Deutungen und Sprache zur Sexualität anbieten, damit sie sich selbst und andere verstehen und akzeptieren sowie problematischen Umgang mit Sexualität erkennen und ansprechen können. Diese inhaltlichen Ziele sind mit dem Grundverständnis von Bibeldidaktik (→ Bibeldidaktik, diskursiv
Aus Sicht der Unterrichtenden ist es einerseits die Kernaufgabe, Unterrichtsarrangements anzubieten, die Jugendliche zum Umgang mit den religiösen Quellen motivieren, gerade angesichts indifferenter oder ablehnender Einstellungen Jugendlicher der Bibel gegenüber. Andererseits soll die Einführung in und die Präsentation der biblischen Themen und Texte fachlich fundiert und adressatenorientiert sein, so dass die Schülerinnen und Schüler im Sinne der kognitiven Aktivierung selbständig weiterarbeiten können (vgl. Fricke/Murmann, 2020). Essentielle Elemente aus fachlicher Sicht sind, auch angesichts der Diskurse in der Sexualbildung (siehe oben 2.), Unterscheidungen zwischen 1. Freiheit und Normativität sowie 2. Naivität und Machtdiskurs bzw. zwischen einem affirmativen und einem kritisch-dekonstruierenden Umgang mit den religiösen Quellen, darüber hinaus 3. Sensibilität für die Feinheiten der normierenden, lehrhaften, erzählenden und poetischen Gattungen in der Bibel. Arbeit an dem Thema „Sexualität in der Bibel“ sollte dem „Empowerment“ dienen, so dass die positiven Facetten zur Sprache kommen, aber auch die negativen nicht verschwiegen werden, damit sich eine inhaltsbezogene Urteilsfähigkeit ausbilden kann.
4. Sexualität und Bibel
4.1. Hermeneutisch-exegetische Reflexion
Aus rezeptionsästhetischer und -hermeneutischer Sicht wohnt dem (biblischen) Text eine Polyvalenz inne, die durch jeden neuen Leseakt augenfällig wird (vgl. Croatto, 1989, 27-31). Dieser bringt den Text „zu aktuellem Dasein“ (Jauß, 1994, 129). Die Lebendigkeit biblischer Texte und damit deren Relevanz erweist sich also direkt in der Rezeption derer, die Texte hören oder lesen. Förderliche Bedingungen für eine solche Rezeption sind, wenn die Freiheit der Interpretation willkommen ist und die Vielfalt von Textbedeutungen begrüßt wird. Auch die Exegese bezieht heute die Wirkungsgeschichte mit in ihren Methodenkanon ein, jedoch ohne den Anspruch aufzugeben, dass sich die „damalige“ Bedeutung des Textes aus dem historischen, literarischen, semantischen und theologischen Zusammenhang ergibt. Demnach ist nicht jeder beliebige Interpretationsakt gerechtfertigt (vgl. auch Eco, 1992, 22). So stellt sich die Aufgabe, diese konkurrierenden Sichtweisen konsistent aufeinander zu beziehen. Nachdem die biblischen Texte zur Sexualität sehr heterogen sind (vgl. zum Ganzen Dabrock u.a., 2015, 17-23) und darüber hinaus der Makrokontext der Auslegung, d.h. die kirchlichen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und Diskurse zu Sexualität und Sexualpädagogik, durch Auseinandersetzungen „aufgeladen“ ist (siehe oben 2.), scheint dies nicht immer spannungsfrei möglich zu sein.
4.2. Liebe und Sexualität
Es ist Konsens, dass ein „Sexualität“ entsprechender, abstrakter Begriff in der Bibel nicht vorhanden ist (vgl. Zimmermann, 2018, 156). Gleichwohl gibt es zahlreiche Bibelstellen, die sich formal in unterschiedlichen Sprachweisen (Erzählungen, Weisungen, Dichtung) und inhaltlich auf einem breiten Spektrum zwischen Freiheit und Normierung (siehe unten) mit dem Sachverhalt befassen. Konsens ist ebenfalls, dass sich vom biblischen Zentralbegriff der Liebe her Leitgedanken für ein modernes christliches Grundverständnis von Sexualität gewinnen lassen. Mit Liebe wird nicht nur die Liebe Gottes zu den Menschen, die der Menschen zu Gott, sondern auch der von Menschen zu Menschen bezeichnet. Ob als Feindes-, Nächsten- oder Partnerliebe ist Liebe „eine Fähigkeit der Menschen, mit anderen eine Beziehung einzugehen und ‚nicht das Eigene zu suchen‘ (1Kor 13,5
4.3. Grundlagen: Geschlechtlichkeit und Reproduktion
„Der Mensch“ (hebr. adam) wird gemäß dem Schöpfungsmythos in Gen 1,27
Im Mythos von Gen 2
4.4. Normierungen für sexuelle Beziehungen
In einer Gruppe biblischer Texte finden sich androzentrische Normierungen (vgl. Bartelmus, 2008). Das Ehebruchsverbot in Verbindung mit dem Begehrverbot im Dekalog (Ex 20,14
Eine weitere Norm im AT ist, dass Sexualität nur in der Ehe gelebt und genossen werden soll (Spr 5,15–20
4.5. Freie Sexualität
In einer anderen Gruppe von Texten kommen die Freiheit in der Sexualität und im weiteren Sinn Freude an Erotik und erotischer Genussfähigkeit zum Ausdruck. Das „Lied der Lieder“ (Hld) lässt Leserinnen und Leser an der Begegnung zweier Menschen teilhaben, die sich aneinander freuen und „heiß“ auf die sexuelle Vereinigung sind. Das „Liebemachen“ (Schellenberg, 2020, 66; hebr. dodim) wird an einigen Stellen unverschlüsselt genannt – und zwar sowohl aus Sicht des Mannes als auch aus Sicht der Frau – (Hld 1,2
Zunächst wurden diese Lieder nur als Liebeslieder verstanden. Da bei den Propheten (z.B. Hos 2,4-25
Eine dezente Spur des Lobes auf Homoerotik lässt sich in Davids Gesang für Jonatan erkennen: „Du warst mir sehr lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen“ (2Sam 1,26f.
Freude an der Berührung ist schließlich in den Evangelien zu entdecken, wenn ausführlich geschildert wird, wie eine Frau eine intime Geste vornimmt, nämlich Jesus an den Füßen wäscht, diese mit ihrem Haar – Symbol für Vitalität und Erotik (vgl. Schroer/Staubli, 1998, 107) – trocknet, „unaufhörlich“ küsst und dann mit kostbarem Öl salbt, was von Jesus nicht nur angenommen, sondern auch positiv gewürdigt wird (Lk 7,37-46
4.6. Sexualität und Gewalt
Einzelne Texte zeigen, wie es im Kontext androzentrischer Machtstrukturen und Sexualitätskonzepte zu sexueller Gewalt kommt (z.B. Ri 19
4.7. Sexualaskese und Asexualität
Während im AT die Idee, sich aus religiösen Gründen des Geschlechtsverkehrs zu enthalten (vgl. 1Sam 21,5
4.8. Jenseits der Geschlechter
Aufgrund ihrer polaren Geschlechterkonzeption (siehe oben 4.3.) bietet die Bibel für Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zuordnen, bei Texten zur Sexualität wenig Identifikationsmöglichkeiten. Texte, die geeignet sind, „die volle Einbeziehung der sexuellen Vielfalt in die christlichen Kirchen zu fördern“ (Forcades i Vila, 2020, 254) können beispielsweise sein:
- Josef, der zwar Frau und Kinder hat (Gen 46,20
), kann aufgrund seines Aussehens und seines berühmten „Ärmelrocks“/“Prinzessinnenkleids“ als androgyn wahrgenommen werden (→ Josef, bibeldidaktisch, Sekundarstufe II ). - Jesus lässt seinen Lieblingsjünger auf seinem „Schoß“ ruhen (Joh 13,23
) und Gott selbst hat einen „Schoß“ (Joh 1,18 ), wobei gr. kolpos unter anderen Bedeutungen auch Mutterschoß i.S.v. „Vagina“ bedeuten kann (Forcades i Vila, 2020, 254). Diese „queeren Metaphern“ können zur Identifikation einladen (Forcades i Vila, 2020, 254). - Das Wort von Paulus, dass in Christus „nicht männlich und weiblich“ sei (Gal 3,28
), kann so verstanden werden, dass die Polarität der Geschlechter in der christlichen Gemeinschaft bzw. Kirche aufgehoben ist (vgl. Dinkelaker/Weidlich, 2022, 72).
4.9. Bilanz
Aus den unterschiedlichen Texten der Bibel lässt sich keine konsistente oder auch konkrete Sexualethik ableiten. Vielen Texten sind gleichberechtigte Vorstellungen selbstbestimmter Sexualität fremd. Als lebensförderliche Leitmotive kann man insgesamt herausarbeiten: gegenseitige Liebe, die sich in Respekt und Achtsamkeit äußert, Freude an Berührungen, Sexualität und sexueller Begegnung, und die verbindliche Partnerschaft, die in der Regel auch Reproduktivität beinhaltet. Aufgrund anderer hermeneutischer Prämissen könnte man jedoch aus den androzentrischen, leibfeindlichen und verbotsgesättigten Texten entsprechende Leitmotive erheben. Die Vielfältigkeit sexueller Orientierung oder Identität, die heute diskutiert wird, ist als eigener Wert in den biblischen Texten, falls überhaupt, nur am Rande im Blick.
5. Bibeldidaktische Konkretionen
5.1. Lehr- und Bildungspläne
Gemäß Lehrplanrecherche (KMK, 2023) findet sich das Thema Liebe, Partnerschaft und Sexualität in den evangelischen und katholischen Lehr- und Bildungsplänen in allen Bundesländern außer Bremen, Berlin, Brandenburg (in Brandenburg jedoch im Fach LER) in der Sekundarstufe, dabei aber nicht immer in allen Schularten gleichzeitig. Die Pläne weichen je nach Bundesland in Form und Aussagekraft stark voneinander ab. Es gibt solche, die insgesamt nur inhaltliche Stichworte im Sinne von Überschriften nennen (z.B. BW; NW), andere, die prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzen einschließlich explizierter Inhalte ausweisen (z.B. BY; MV; TH), und solche, die neben den Inhalten auch fachliche, didaktische und methodische Hinweise und Reflexionen enthalten (z.B. RP). Die Mehrheit der Lehrpläne weist konkrete Bibeltexte durch Stichwortangabe oder Kapitel- und Versnennung aus. Auftretende biblischen Inhalte sind Gen 1-4
5.2. Beispiele bibeldidaktischer Konkretionen
Im Folgenden werden exemplarisch einige Konkretionen skizziert, ohne dass damit die Fülle der unter Abschnitt 4. dargestellten Texte abgebildet wird. Beispiele aus Unterrichtswerken werden nicht nur vorgestellt, sondern auch kommentiert.
5.2.1. Aus Prinzip … Liebe
In Unterrichtswerken findet sich als klassischer Einstieg das Stichwort „Liebe“ (vgl. Asshoff/Höppener, 2016, 23-27; Steinkühler, 2021, 84-86), zum einen als lebensweltlich bedeutsames Phänomen und zum anderen als übergeordnetes Prinzip in der Bibel, das den Blick für die andere bzw. den anderen ausdrückt. Nähe, Achtsamkeit, Respekt und Verantwortung sind in diesem Blick enthalten (vgl. Abb. 1 Misereor-Hungertuch 2017/2018 nach dem afrikanischen Sprichwort „Ich bin, weil du bist“, vgl. Steinkühler, 2021, 86).
In dieser Phase der Motivierung der Jugendlichen werden Elemente der Kunst und Popkultur (Songs) oder auch Texte von Jugendlichen selbst verwendet und biblischen Texten, die teilweise in modernen Fassungen zu Sprache kommen, zur Seite gestellt (bzw. viceversa) teilweise auch mit dem Impuls, die biblischen Texte um- oder fortzuschreiben, etwa 1 Kor 13
5.2.2. Sprache der Liebe (Hld)
In Unterrichtswerken ist die Arbeit am „schönsten aller Lieder“ (Steinkühler, 2021, 92) vor allem wegen seiner sprachlichen Bilder verbreitet. Schülerinnen und Schüler können entdecken, dass Sprache Verliebtheit, Sehnsucht, Nähe auf ganz unterschiedliche Weise zum Ausdruck bringen kann. Der Umgang mit dem Hld
5.2.3. Erlaubte und verbotene Liebe
Ausgehend von der biblischen Aussage, dass der Mensch nicht allein bleiben soll (Gen 2,18
Konträr zu diesem affirmativen Weg muss notwendig beim Thema Homosexualität und Bibel der kritisch-dekonstruierende Weg beschritten werden. Eine erste Stufe kann die Begegnung mit Verbotstexten wie Lev 20,13
5.2.4. Queer und trans?
Dass die Bibel auch offen für „Schräges“ ist, können die Jugendlichen an der Figur des Josef entdecken. Josef gilt als ausnehmend schön. Die Frau des Potiphar begehrt ihn, da er „schön an Gestalt und hübsch von Angesicht“ ist (Gen 39,6
5.2.5. Me too
Die Frage nach sexueller Gewalt und sexueller Selbstbestimmung wird in der Gegenwart anders gestellt als in der Antike. Dennoch kann die Erzählung von Tamar (2Sam 13
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Abbildungsverzeichnis
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