Deutsche Bibelgesellschaft

Erklärvideos, bibeldidaktisch

(erstellt: Februar 2025)

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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.400057

1. Hinführung

Bewegte Bilder werden in der Alltagsrealität von Jugendlichen täglich konsumiert. Gemäß der JIM-Studie 2023 konsumieren auf dem Videoportal TikTok ca. 82% der Jugendlichen Videos im Internet täglich oder mehrmals pro Woche und rund 84% der 12- bis 19-Jährigen nutzen Videostreaming-Dienste im Abonnement. Dieser hohe Konsum bewegter Bilder eröffnet einerseits bildungsdidaktische Chancen, birgt andererseits auch Gefahren, denen mit einer entsprechenden Medienkompetenz begegnet werden kann. Spätestens seit dem Boom von allgemein anwendbarer KI kursieren im Netz auch manipulierte Bilder und Videos, sogenannte Deep Fakes. Diese mit Hilfe von Techniken der KI generierten, abgeänderten oder verfälschten Videos führen die mögliche Sprengkraft solcher Videos vor Augen und verdeutlichen die Manipulierbarkeit von Menschen durch Bewegtbilder. Aus diesem Grund ist es wichtig, Bewegbilder nicht nur zu konsumieren, sondern sich mit der Spielart und der Kritik von diesen auseinanderzusetzen. Diese Prämisse sollte besonders in der schulischen Bildung Beachtung finden (vgl. u.a. den Medienkompetenzrahmen des Schulministeriums NRW). Im Religionsunterricht finden neben kirchengeschichtlichen Erklärvideos (→ Erklärvideos, kirchengeschichtsdidaktisch) insbesondere biblisch-theologische Erklärvideos Verwendung. Im Folgenden werden diese Videos in Typen differenziert, Beurteilungskriterien entwickelt und Einsatzmöglichkeiten im Religionsunterricht vorgestellt.

2. Definition des Begriffs Erklärvideo

Ein Erklärvideo ist von Dokumentationen und Dokumentarfilmen abzugrenzen: Als Dokumentation werden alle Non-Fiction- oder Factual-Filme bezeichnet, deren Ziel es ist, reale Ereignisse, Fakten oder Personen relativ wahrheitsgetreu darzustellen und dadurch Wissen zu vermitteln bzw. für bestimmte Ereignisse zu sensibilisieren. Ein deutlicherer Schwerpunkt liegt auf der journalistischen Tätigkeit, wenn es beispielsweise um einen Bericht über bestimmte politische und gesellschaftliche Themen geht (u.a. investigativer Journalismus). Dokumentarische Kurzfilme oder Dokumentarfilme hingegen bewegen sich oft im Grenzbereich zwischen Erzählung und Wirklichkeit, sodass man in diesem Zusammenhang von einer relativen Authentizität sprechen kann. Dokumentarisches Erzählen unterliegt dem künstlerischen Anspruch oder der Prägung der Autorin oder des Autors, auch wenn authentisch über eine historische oder gegenwärtige Situation berichtet wird. Im Gegensatz dazu sind Erklärvideos dezidiert pragmatisch, d.h. sie verfolgen das konkrete Ziel, einen Sachverhalt möglichst anschaulich und meist ohne erzählerischen Anspruch darzustellen. Häufig steht die Beantwortung einer fest umrissenen Frage im Mittelpunkt eines Videos (z.B. „Was steht in den Prophetenbüchern des Alten Testaments?“), sodass Erklärvideos insgesamt möglichst kurz gehaltene informative und oft digital animierte Videos sind. In verschiedenen Publikationen werden anstelle des Begriffs Erklärvideo andere Bezeichnungen verwendet: Neben dem Terminus Erklärfilm findet man in der Literatur auch die Begriffe Lernvideo, Lehrvideo, Simpleshow, Tutorial etc. (→ Erklärvideo; Schöne, 2019; Valentin, 2015, 5). Im Folgenden wird einheitlich der Begriff Erklär­video als über­geordnete Bezeichnung für alle erklärenden Videos gebraucht, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass in allen Videos eine kommunikative Transferleistung stattfindet, die den Versuch beschreibt, einen Sachverhalt oder ein Phänomen durch die sprachliche Darlegung verständlich zu machen, auch wenn Käbisch und Memminger zufolge der Begriff eines „Verstehfilms“ hermeneutisch angemessener wäre (Käbisch/Memminger, 2024, 1.; → Erklärvideos, kirchengeschichtsdidaktisch).

3. Erklärvideos, bibeldidaktisch – kritische Anmerkungen

Erklärvideos können auf Grund ihrer Konzeption in zahlreichen Lernsituationen Verwendung finden (vgl. 6. Einsatz im Unterricht) und sind mit Blick auf unterrichtliche Organisationskonzepte wie Flipped-Classroom oder dem Blended-Learning lohnend. Da aber das Angebot an bibeldidaktischen Erklärvideos in den letzten Jahren stark gestiegen ist, ist zu betonen, dass nicht alle Videos uneingeschränkt zu empfehlen sind bzw. unkritisch verwendet werden sollten. Problematisch ist, sich bei der Auswahl allein nach den Abrufzahlen bei YouTube oder der Positionierung in der Playlist zu richten. So erfuhr beispielsweise das Video zum Buch Genesis von BibleProject bis Anfang Juni 2024 7,8 Millionen Aufrufe. Die Videos des 2013 in den USA gegründeten Unternehmens BibleProject, dasmit BibleProject – Deutsch seit kurzem auch in Deutschland Fuß gefasst hat, sindtechnischäußerst professionellproduziert und nahezu omnipräsent, wenn man Videos zu biblisch-theologischen Themen im Netz sucht. Die Gründer des Unternehmens, Tim Mackie und Jonathan Collins, wollen zeigen, „dass die Bibel eine einheitliche Geschichte ist, die zu Jesus führt“ (deutschsprachige Homepage von BibleProject). Dieses lineare Bibelverständnis situiert sich im Kontext einer biblizistisch-missionarischen Bewerbung der Inhalte von BibleProject. Mit einer seriösen Form biblisch-theologischer Hermeneutik haben die Videos von BibleProject nichts zu tun. Sofern außerdem Ambiguitätstoleranz als Unterrichtsziel und Multiperspektivität als Unterrichtsprinzip für das Fach Religionslehre gelten (→ Erklärvideos, kirchengeschichtsdidaktisch), sind die Videos als ungeeignet einzustufen, da das Kontroversprinzip gerade mit Hilfe bibeldidaktischer Überlegungen umgesetzt werden kann.

Gleichermaßen kritisch sind die Erklärvideos von Crosspaint oder GlaubwürdigCH zu bewerten. So heißt es beispielsweise auf der Homepage von Crosspaint: „Crosspaint’s Mission ist Erweckung. Natha und sein Team [Anm. Nathanael Bubenzer ist Mitgründer des schweizerischen Unternehmens Crosspaint] möchten eine Leidenschaft in Menschen für Jesus Christus wecken. Nur die Bibel und der Heilige Geist können das tun und deswegen erklären wir die Bibel in einfacher Sprache und verständlichen Kurzvideos“ (Homepage von Crosspaint). Eindeutigkeit ist leicht vermittelbar und für die exkludierende Botschaft von Crosspaint trifft das auch zu, hat aber wenig mit hermeneutischen Fragehorizonten zu tun, die sich den Lesenden mit Blick auf die biblischen Schriften eröffnen und die eine Basis für die Bibeldidaktik bilden sollten.

Das Schweizer Unternehmen GlaubwürdigCH postuliert die Irrtumslosigkeit der Bibel – eine Sichtweise konservativer evangelikaler Theologen (vgl. Chicago Erklärungen 1978-1986): „Aufgrund dessen, dass Gott allwissend und moralisch perfekt ist, kann man erwarten, dass seine Offenbarung keine Fehler enthält. Weil Jesus die Irrtumslosigkeit der Bibel und damit ihre Genauigkeit bis auf den einzelnen Buchstaben vertrat, sollte jeder, der ihn als Sohn Gottes anerkennt, ebenfalls diese Ansicht vertreten“ (https://glaubwürdig.ch/neues-testament/28-irrtumslosigkeit-bibel/, abgerufen am 31.7.2024). Neben dieser Aussage, die den historischen, narrativen und historiographischen Aspekt biblischer Schriften verneint, finden sich auf der Homepage weitere äußerst fragwürdige Behauptungen, wie der, dass Gott auch in Krankheiten zu dem einzelnen Menschen reden würde. Dieses dualistische Denken (schwarz-weiß; gut-böse...) transportiert sich in den von GlaubwürdigCH produzierten Erklärvideos.

Insgesamt muss gesagt werden, dass derartige biblisch-theologische Erklärvideos immer eine eindeutig-deutende Schwerpunktsetzung der biblischen Geschichten bieten, die unbedingt kritisch zu hinterfragen ist. Folgende Differenzierungsmöglichkeiten und der Kriterienkatalog können bei der Einschätzung der Videos eine Hilfe sein.

4.        Differenzierungsmöglichkeiten

Erklärvideos zur Bibel weisen eine thematische und gestalterische Vielfalt auf. Sie unterscheiden sich z.B. in ihrer Länge, ihren Inhalten, ihrem Kommunikationsstil, ihrer didaktischen und technischen Aufbereitung und – wie oben bereits dargestellt - in der Intention ihrer Autorinnen und Autoren (vgl. Wolf, 2015a, 31f.). Im Folgenden werden einige Unterscheidungsmöglichkeiten aufgezeigt, auch wenn eine eindeutige Zuordnung aufgrund der Gestaltungsart der Erklärvideos nicht immer möglich ist.

4.1.   Länge

Erklärvideos sind von unterschiedlicher Länge. Oft werden Sachverhalte innerhalb weniger Minuten erklärt, während wenige Videos auch bis zu 60 Minuten lang sein können. Bei Letzteren erweist sich eine Abgrenzung gegenüber Dokumentationen als schwierig (siehe hierzu 2.). Deutlich wird dies am Beispiel des 32 Minuten langen FWU-Videos Die Bibel: Entstehung, Aufbau und Rezeption, das nach der Differenzierung von Wolf (2015b, 122f.) Merkmale einer Dokumentation aufweist, zugleich jedoch verschiedene Aspekte in Bezug auf die Bibel erklärt (Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte, wesentliche Inhalte und Zusammenhänge u.Ä.), sodass es grundsätzlich als Erklärvideo bezeichnet werden kann. In der Regel zeichnen sich Erklärvideos allerdings durch ihre Knappheit aus (vgl. z.B. Arnold/Zech, 2019, 9).

4.2.   Inhalte

Online-Erklärvideos zur Bibel lassen sich auf inhaltlicher Ebene vier grundlegenden Typen zuordnen:           

Typ A: Was ist die Bibel?

Videos des Typs A behandeln z.B. die Entstehungsgeschichte der Bibel (von der münd­lichen zur schriftlichen Tradition) oder ihren Aufbau (Altes und Neues Testament, Kategorisierung der biblischen Bücher, usw.). Exemplarisch dafür ist das Erklärvideo Christentum – Bibel auf dem Multimedia-Portal des Frankfurter Kooperationsprojekts relithek.de. Hier wird ausgehend von der Bedeutung, die die Bibel für Christen und Christinnen haben kann, zunächst die Herkunft des Begriffs Bibel sowie der grobe Aufbau der Bibel dargestellt. Es folgt eine Zusammen­fassung wesentlicher Inhalte alt- und neutestamentlicher Texte. Nach einem kurzen Abriss der Entstehungsgeschichte des bibli­schen Kanons geht das Erklärvideo auf die weltweite Verbreitung sowie auf unterschiedliche Ausgaben und Übersetzungen der Bibel ein. Abschließend wird erneut die Bedeutung der Bibel für Menschen heutzutage erklärt und die Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten (Lektüre, Gottesdienst, Geschenk zu besonderen Anlässen) aufgezeigt. Ein ähnliches Beispiel ist das Video, Was ist die Bibel? bei katholisch.de.

Typ B: Einzelne biblische Bücher und Bibelgeschichten

Erklärvideos des Typs B behandeln alt- oder neutestamentliche Bücher, deren Inhalte grob zusammengefasst werden, oder einzelne biblische Erzäh­lungen. Hier wird meist der Inhalt des Buches oder der Geschichte in narrativer und zugleich knapp zusammengefasster Form wiedergegeben – ergänzt durch Kommentare, Hinweise und Hintergrundinformationen an ausgewählten Stellen. Das seit 2015 von Reclam unterstützte Sommers Weltliteratur to go fasst z.B. in unterschiedlichen Videos unter der Bezeichnung Die Bibel to go biblische Bücher und Erzählungen zusammen und erklärt dabei ausgewählte Aspekte zum Kontext der Geschichten mit Hilfe von Playmobilfiguren (Der Gründer, Michael Sommer selbst ist zudem im evangelischen Content-Netzwerk, Yeet zu finden). Mischformen aus Typ A und Typ B finden sich beispielsweise in den Erklärvideos bei BibelCartoon (z.B. das Video Die Geschichte von Abraham).Hier werden Aufbau, Entstehung und zeitlich-geographische Einordnung dargestellt und wesentliche Inhalte der jeweiligen Texte wieder­gegeben.

Typ C: Themen und Begriffe – an biblischen Texten erklärt

Zahlreiche Erklärvideos wollen einen Zugang zur Bibel über bestimmte Themen oder Begriffe vermitteln. So finden sich beispielsweise Erklärvideos zu den Begriffen „Barmherzig­keit“ bei katholisch.de oder bei HalloBenjaminTV. Darin werden auch Bezüge zu ausgewählten biblischen Erzählungen hergestellt.

Typ D: „Wie schlage ich eine Bibelstelle nach?“ – Erklärvideos

Video-Tutorials zur Bibel beziehen sich meist auf die Frage: „Wie schlage ich eine Bibelstelle nach?“. Beispiele für diese Kategorie sind die Videos Reli in der Grundschule – Wie finde ich eine Bibelstelle?! von Frau Dilger – Deine Relilehrerin oder Wie findet man eine Bibelstelle? von Projekt Schalom.

4.3.   Sprachhandlung und Kommunikationsstil

Erklärvideos zur Bibel unterscheiden sich darüber hinaus in ihrer sprachlichen Darstellungsform und in den folgenden Kommunikationsstilen:

  1. 1.Dokumentarische Erklärvideos: Diese Erklärvideos unterscheiden sich kaum von einer Dokumentation, denn es wird auf eine relativ sachgetreue Art und Weise versucht, z.B. die Struktur und den Aufbau der Bibel zu erörtern, Informationen zu deren Entstehung zu geben, verschiedene Möglichkeiten ihres Gebrauch aufzuzeigen usw.. Häufig werden auch O-Töne von Expertinnen bzw. Experten eingespielt (siehe 4.4.).
  2. 2.Digital Storytelling: Erklärvideos dieses Typs folgen dem Leitsatz „Erklären ist gut, erzählen ist besser“ (Arnold/Zech, 2019, 35). Durch die Kombination aus einfachen Erzählungen und vielgestaltigen Multimediainhalten in den Videos werden Informationen zu ausgewählten Themen präsentiert, die nicht nur informieren wollen, sondern ggf. auch überzeugen oder unterweisen (vgl. Tenberg, 2021, 18).

Exkurs: Digital Storytelling im Kontext bibeldidaktischer Erklärvideos

Zur Kategorie des Digital Storytelling gehören unter anderem Erklärvideos, die Nacherzählungen biblischer Geschichten enthalten (→ Erzählen). Sie weisen in der Regel folgende Merkmale auf:

  1. 1.
  2. 2.Eine dramatische oder spannende Fragestellung zu einer konkreten Thematik steht am Anfang und wird am Ende des Videos beantwortet (Tenberg, 2021, 18);
  3. 3.
  4. 4.Die Sachhinhalte sind in eine kurze Erzählung eingebettet, die eine subjektive Perspektive auf die behandelte Thematik schafft (Tenberg, 2021, 18). In Hinblick auf Erklärvideos zur Bibel ist zu differenzie­ren zwischen Erklärvideos, in denen die biblische Geschichte selbst den Rahmen darstellt und anhand derer bestimmte Aspekte erklärt werden („Das ist Abraham. … Damals lebten die Menschen nicht in Häusern …“), sowie solchen, in denen die Rahmenerzählung mit einer außenstehenden Figur gestaltet wird („Das ist Max. Max fragt sich, warum die Bibel für seine Oma ein so wichtiges Buch ist. …“) (vgl. Käbisch, 2021, 100f.).
  5. 5.
  6. 6.Darstellungen begrenzen sich auf das Wesentliche; Zusammenhänge, Hintergründe usw. werden nicht oder nur sehr knapp erklärt. Innerhalb kürzester Zeit werden zahlreiche Aspekte aufgriffen (vgl. Käbisch, 2021, 101).
  7. 7.
  8. 8.Die enthaltenen Themen, Probleme oder Fragestellungen werden für die Rezipienten und Rezipientinnen nahbar, sodass Lösungen und Antworten nachvollziehbar gemacht (vgl. Käbisch, 2021, 100f.) und sachliche Inhalte auf einer emotional ansprechenden bzw. berührenden Weise präsentiert werden. Zu diesem Zweck wird die Erzählerstimme gezielt eingesetzt und die Darstellung durch lautliche bzw. musikalische Untermalung unterstützt (vgl. Tenberg, 2021, 18). In Erklärvideos zur Bibel werden Themen in didaktisch reduzierter Form dargestellt und mithilfe verschiedener Techniken in einen für die Adressatinnen und Adressaten nachvollziehbaren (Lebens-)Kontext gestellt.
  9. 9.
  10. 10.Die Identifikation mit den Handlungsträgern wird ermöglicht (vgl. Tenberg, 2021). Es werden Bezüge zwischen den biblischen Figuren und ihren Lebenssituationen und den Adressatinnen und Adressaten geschaffen – in der Form „Fühlst du dich manchmal allein und verlassen? Genauso ging es vor vielen Jahrhunderten von Jahren auch …“);
  11. 11.
  12. 12.Der „Merkwert“ bzw. Mehrwert und die lebensweltliche Anschlussfähigkeit werden verdeutlicht. Bei Erklärvideos zur Bibel geschieht dies häufig durch Aussagen wie „Wenn wir also erkennen, dass …, dann können wir dem Beispiel Abrahams / Davids / Jesu folgen und …“ (vgl. Käbisch, 2021, 100f.).
  13. 13.

Lochner (2014) identifiziert darüber hinaus sechs Erzähltechniken, die Käbisch (2021), der im Folgenden zitiert wird, anhand des Kurzvideos Das erste Buch Mose to go (Genesis in 13,5 Minuten) von Sommers Weltliteratur folgendermaßen nachvollzogen hat:

  1. 1.
  2. 2.Verdichtung: Der große Erzählbogen von der Erschaffung der Welt (Gen 1) bis zu Jakobs Be­stattung (Gen 50) wird auf wenige Szenen verdichtet. Pro Kapitel der Genesis stehen im Schnitt 16 Sekunden zur Verfügung.
  3. 3.
  4. 4.Vereinfachung und Überspitzung: Differenzierte Figurenkonstellationen u.a. in der Josefs­no­velle werden vereinfacht und die Akteure auf eine einzige Charaktereigenschaft reduziert.
  5. 5.
  6. 6.Held, Antiheld und Bösewicht: Das Verhältnis von Kain und Abel (Gen 4), Isaak und Esau (Gen 25 und Gen 27) oder Josef und seinen Brüdern (Gen 37) folgt in Teilen der Erzähllogik von Held, Antiheld und Bösewicht. [Anm.: Der Begriff des Antihelden ist ein Ausdruck des modernen Subjekts, der im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Ambivalenzen und Widersprüchen zu verstehen ist. In Hinblick auf biblische Schriften wäre passender mit dem Aktantenmodell zu arbeiten, d.h. von Held, Opponent, Adjuvant sowie Adressat und Adressant zu sprechen (vgl. Ebner/Heininger, 2018, 79)].
  7. 7.
  8. 8.Wissensverteilung: Spannung, Neugierde und Überraschungsmomente werden erzeugt, in­dem erotisch oder sexuell konnotierte Erzählungen explizit übergangen werden (zum Beispiel Hagar und Ismael Gen 16 oder Juda und Tamar Gen 38). Gott greift unkonventionell in die Hand­lung ein, spricht Jugendsprache und wird – obwohl unsichtbar – als Hippie dargestellt.
  9. 9.
  10. 10.Abwechslung: Die gesamte Inszenierung […] kommt ohne Verweilpausen aus. Es wird gehandelt statt geredet.
  11. 11.
  12. 12.Subtext: Eine versteckte Botschaft der unkonventionellen Inszenierung besteht u.a. darin, dass die Darstellung Gottes als Hippiefigur etablierte Gottesbilder und -erwartungen durch­kreuzt. Die Inszenierung kann daher als eine subtile Interpretation des Bilderverbots (vgl. Ex 20,1-6) verstanden werden. (Käbisch, 2021, 102)
  13. 13.

Weitere Kriterien lassen sich in Hinblick auf die Sprachhandlung der erklärenden Person(en) bzw. Stimme(n) ansetzen: Wird monologisch oder dialogisch erklärt? Werden die Rezipientinnen und Rezipienten direkt angesprochen? Ist die erklärende Person zu sehen oder handelt es sich um sogenannten Voice-Over bzw. eine/-n Off-Erzähler/-in? Handelt es sich um eine erklärende Zeichentrickfigur oder einen Avatar? usw. (vgl. Wolf, 2015a, 31f.; Tenberg, 2021, 25). Darüber hinaus können insbesondere bei narrativ gestalteten Erklärvideos unterschiedliche Perspektiven (auktorial, personal, neutral, wechselnd usw.) sowie Erklärverläufe (chronologisch, Ortswechsel o.Ä.) bestimmt werden. Außerdem finden sich humorvolle Darstellungen. Beispielsweise die Videos von Sommers Weltliteratur arbeiten mit besonderen Sprechweisen der einzelnen biblischen Figuren (Slang, Jugendsprache o.Ä.) oder zusätzlich eingefügten Kommentaren (z.B. in Bezug auf die Satan-Figur in der Hiob-Erzählung: „Die […] hat also offenbar noch nicht ihre eigene Firma aufgemacht“).

In Bezug auf den Kommunikationsstil unterteilt Tenberg (2021) die Erklärvideos nach ihrer jeweiligen Intention:

  1. 1.Direkte Instruktionen verfolgen das Ziel, eine Handlung nachvollziehbar und nachahmbar zu machen (vgl. Tenberg, 2021, 29), z.B. das Nachschlagen einer Bibelstelle (→ Instruktion, direkte).
  2. 2.Überblicksbetrachtungen erklären meist in einem sachlichen Stil Aspekte, „die räumlich oder zeitlich weit entfernt bzw. schwer zugänglich oder wahrnehmbar sind (historische, ethnologische oder geografische Erklärvideos)“ (Tenberg, 2021, 29). In der Regel wollen sie Wissen vermitteln, häufig aber auch Verständnis hervorrufen oder auf Einstellungen und Haltungen einwirken (vgl. Tenberg, 2021, 29).
  3. 3.Zusammenhangsbetrachtungen wollen ein besseres Verständnis in Bezug auf schwer zugängliche Funktionen, Prozesse, Reaktionen etc. wecken. Wichtig sind die unmittelbaren Funktionszusammenhänge und die dahinterliegenden, detailgenauen Gesetzmäßigkeiten (vgl. Tenberg, 2021, 29).
  4. 4.Visualisierungen sind nicht auf das Können (motorisch) oder das Wissen (kognitiv) ausgerichtet, sondern auf eine Bewertung (affektiv). Sie sind besonders dann relevant, wenn es um affektiv aufgeladene Themen geht (z.B. Sterbehilfe, Abtreibung oder Migration), sodass die Adressatinnen und Adressaten zur Einordnung des Wahrgenommenen aufgefordert sind.

4.4.   Filmstil und technische Realisierung

Zu den Unterscheidungsmerkmalen der differenten technischen Umsetzung von Erklärvideos gehören u.a. der Einsatz von Farbe und Licht, Musik und Sound, veranschaulichenden Symbolen, Gemälden, Texten u.Ä. und vor allem aber auch der Gebrauch von Software zur Erstellung von Erklärvideos:

  1. 1.Dokumentarische Erklärvideos (Documentaries) arbeiten in der Regel mit O-Tönen von Expertinnen oder Experten (mit oder ohne bildliche Einblendung). Dabei kann es sich um Personen handeln, die als Sprecher/-innen fungieren und nicht explizit als Fach­expertinnen oder -experten benannt sind (wie z.B. im FWU-Video Die Bibel: Entstehung, Aufbau und Rezeption). Oder es handelt sich um Personen, die als Expertinnen oder Experten benannt werden (z.B. durch Einblendung der Profession), das gesamte Video kommentieren (vgl. z.B. der im Video Woher kommt die Bibel sprechende Diplom-Theologe M. Voss) oder nur an ausgewählten Stellen ihr Expertenwissen einbringen (vgl. z.B. die Kommentare des Direktors des Bibelmuseums Frankfurt im Video Christentum – Bibel auf relithek.de).
  2. 2.Analoge Legetricktechnik: Hier werden Buchstaben, Begriffe, Bilder o.Ä. nacheinander ins Bild gelegt. Sie ist insbesondere dazu geeignet, mittels beschrifteter oder ikonischer Kärtchen ein Thema sukzessive zu entwickeln. Dazu wird i.d.R. aus dem Off erklärt (Arnold/Zech, 2019, 27). Ein Beispiel zu dieser Technik bietet das von Schülerinnen bzw. Schülern einer Gesamtschule erstellte Erklärvideo Prozess der Kanonisierung.
  3. 3.Digitale Legetricktechnik: Bei dieser Technik werden „Software oder Plattformen ver­wendet, die bereits eine Auswahl an vorgefertigten Zeichnungen bereitstellen und die­se z.B. mittels einer ebenfalls digitalisierten Hand ins und aus dem Bild schieben“ (Arnold/Zech, 2019, 29). Zu dieser Kategorie kann beispielsweise das Video Die Entstehung der Bibel und ihr Aufbau von Study History gezählt werden, in dem vorgefertigte Graphiken nach und nach eingeblendet werden.
  4. 4.Scribble-Technik: Bei dieser Technik entstehen einfache, handgezeichnete Darstellungen Schritt für Schritt, während der/die Sprecher/-in einen Sachverhalt erläutert. Sie wird verwendet, um auf dynamische Weise komplexe Erklärinhalte mithilfe von Comiczeichnungen, Graphiken oder Symbolen (z.B. Glühbirne zur Darstellung einer Idee oder eines Aha-Erlebnisses) anschaulich zu gestalten und dadurch die Aufmerksamkeit der Rezipierenden zu erhalten. Diese Technik findet unter anderem bei katholisch.de Anwendung.
  5. 5.Stop-Motion-Stil: Mehrere einzelne Bilder werden aneinandergefügt und mithilfe einer geeigneten Software zu einem Film zusammengeschnitten. Durch „vereinfachende Technik, z.B. durch eine halbtransparente ‚Spur‘, die das letzte gemachte Foto anzeigt [, werden] genaue Bewegungen von Gegenständen ermöglicht“ (Arnold/Zech, 2019, 29). Kommentierende Off-Texte begleiten diese Videos (vgl. Käbisch, 2021, 104). Dadurch entstehen kurze Animations- bzw. Trickfilme, in denen die Figuren zu Handlungsträgern werden. Mit dieser Technik arbeiten unter anderem katholisch.de oder HalloBenjaminTV.
  6. 6.Whiteboard-Stil (auch: Zeichentechnik): Hier erklärt eine (Lehr-)Person „Fachin­halte, meist unterstützt von parallel angefertigten Zeichnungen (daher auch Marker-Stil genannt) oder vorab herausgesuchten Grafiken“ (Arnold/Zech, 2019, 30).
  7. 7.Screencast: Der Bildschirm (z.B. Folien einer PowerPoint- oder Prezi-Präsentation) bzw. das, was die erklärende Person am Computer tut (z.B. die Verwendung eines Lernprogramms) wird mithilfe einer geeigneten Software direkt abge­filmt. Das Gezeigte wird in der Regel von einem Sprecher bzw. einer Sprecherin kom­mentiert und mit Musik oder Geräuschen unterlegt (Arnold/Zech, 2019, 26).
  8. 8.Realdreh: Es wird ein Ort, ein Gegenstand, eine Handlung o.Ä. gefilmt, während ein/-e Sprecher/-in im Bild oder aus dem Off spricht. Dieser Kategorie sind beispielsweise die Videos bei Sommers Weltliteratur to go zuzuordnen.
  9. 9.Green-Screen-Video: Eine Lehrperson erklärt Fachinhalte, die vor einem Green Screen steht, so dass – mithilfe des sogenannten Chroma-Key-Verfahrens – vor einen digital veränderbaren Hintergrund oder in eine veränder­bare Umgebung erklärt werden kann (Arnold/Zech, 2019, 31).
  10. 10.Video-Blog: Im Gegensatz zum Green-Screen-Video werden hier über die Kamera hinaus in der Regel keine weiteren digitalen Geräte verwendet. Die gefilmte bzw. sich selbst filmende Person spricht und zeigt dabei unter Umständen Gegenstände in die Kamera. Beispielsweise das Erklärvideo Reli in der Grundschule – Wie finde ich eine Bibelstelle?! von Frau Dilger – Deine Relilehrerin ist dieser Formzuzuordnen.

Sowohl Green-Screen Videos als auch Video-Blogs sind der von Arnold & Zech (2019, 27) definierten Kategorie von E-Lectures zuzuordnen. Die Variante Microlecture, die sich insbesondere durch ihre Kürze (max. 60 Sek.) auszeichnet (vgl. Arnold/Zech, 2019, 27), ist bei Erklärvideos zur Bibel aufgrund der Komplexität der Themen nicht zu finden.

Die beschriebenen Stile und Techniken werden häufig miteinander kombiniert, wie beispielsweise am Erklärvideo zur Bibel auf relithek.de zu beobachten ist: Hier werden vor allem Darstellungen im Stop-Motion-Stil verwendet, aber auch inszenierte Situationen (in der Bibel lesende Personen) gefilmt, reale Gegenstände (Bibelausgaben, Bücherregal mit verschiedenen Bibelübersetzungen) gezeigt und O-Töne eines im Video sichtbaren Experten eingespielt.

4.5.   Produzentinnen/Produzenten und religiöse Prägung

Hinter online verfügbaren Erklärvideos stehen Produzentinnen und Produzenten, die sowohl auf inhaltlicher als auch technischer Ebene ein unterschiedliches Maß an Professionalität aufweisen. „Der Expertenstatus von Erklärvideoproduzenten reicht von Inhaltslaien bis hin zu Inhaltsexperten“ (Wolf, 2015a, 31f.). Während hinter einigen Erklärvideos ein ganzes Filmteam steht, die ein professionelles Drehbuch entwerfen, Texte und Kommentare durch professio­nelle Sprecher/-innen und die visuelle Darstellung in aufwändiger Feinarbeit mithilfe von geeigneter Software gestalten, stellen andere Videos das Ergebnis der Arbeit von Einzelpersonen dar, die sich selbst mit ihrem Smartphone filmen, während sie ihr Wissen darbieten und dabei gegebenenfalls Hilfsmittel zur Veranschaulichung in die Kamera halten (vgl. Wolf, 2015a, 31f.). Die Produktionsweise sagt noch nichts über die inhaltliche Qualität der Erklärvideos aus.

Produzentinnen und Produzenten verfolgen bestimmte Ziele und Absichten, über die sich die rezipierenden Personen bewusst sein sollten: Besteht ihr Anspruch darin, über einen Sachverhalt objektiv zu informieren und ihn in seiner Breite und Tiefe darzustellen? Stützen sie sich dabei auf aktuelle wissenschaftliche bzw. empirische Erkenntnisse? Oder geht es ih­nen darum, die eigene Meinung kundzutun und auf die Denkweise der rezipierenden Personen einzu­wirken? Wollen sie überzeugen oder mis­sionieren? Insbesondere bei der Verwendung von biblisch-theologischen Erklärvideos im unterrichtlichen Kontext ist es wichtig, die Intention zu verstehen, als Lehrkraft selbst über Urteils­kompetenz zu verfügen und diese letzt­lich auch bei den Lernenden zu fördern (→ Erklärvideo).

Erklärinhalte und Erklärweise hängen demnach eng mit der Deutungsperspektive der Produzentinnen und Produzenten zusammen. Die Videos von relithek.de oder katholisch.de bemühen sich beispielsweise um eine relative Authentizität. Anders verhält es sich bei Anbietern wie BibleProject oder crosspaint (vgl. 3.), deren Erklärvideos Sachlichkeit vorgeben, aber zutiefst biblizistisch-missionarische Botschaften transportieren. Aussagen wie die von crosspaint verdeutlichen diese Absicht: „Für deine Rettung hat Gott in Jesus Christus alles gegeben … Wenn du an ihn glaubst, gehst du nicht mehr verloren ... Nimmst du die Rettung an?“.Eine seriöse Form der Hermeneutik und Exegese ist in diesen Videos nicht zu erkennen. Das wird nicht zuletzt auch an sachlich unzutreffenden und sogar antijudaistischen Aussagen ersichtlich, beispielsweise wenn in den Erklärvideos zum Neuen Testament von der „Bekehrung der Juden zum Christentum“ gesprochen wird (vgl. BibleProject).

5.        Bewertung von Erklärvideos: Kriterien

Auf Basis der Bewertung anhand von Kriterienrastern lässt sich abwägen, ob und inwiefern Erklärvideos den lern- und entwicklungspsychologischen sowie soziokulturellen Voraussetzungen der Rezipierenden bzw. Lernenden gerecht werden und somit die notwendigen Anforderungen für den Einsatz im Unterricht erfüllen (→ Erklärvideo). Es liegen bereits verschiedene Kriterienraster zur Bewertung von Erklärvideos vor; so z.B. bei Zimmermann/Schlegel (2022), bei Kulgemeyer (2018) oder bei Sperl (2016). Im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojekts FALKE an der Universität Regensburg wurden darüberhinausgehend Kriterien guten Erklärens entwickelt, die sich größtenteils auch auf Erklärvideos anwenden lassen und bei der Auswahl für den Unterricht geeigneter Erklärvideos oder bei der Bewertung im Unterricht produzierter Erklärvideos hilfreich sein können (vgl. zum Folgenden: Schilcher u.a., i.E.):

  1. 1.Strukturiertheit: Wird zu Beginn der Erklärung deutlich gemacht, was genau erklärt werden soll? Ist die Erklärung Schritt für Schritt aufgebaut? Ist ein roter Faden erkennbar? Gibt es ein deutliches Ende (z.B. eine Zusammenfassung der wesentlichen Erklärinhalte)?
  2. 2.Adressatenorientierung: Ist der Schwierigkeitsgrad für die betreffende Altersstufe angemessen? Wurde didaktisch reduziert? Wird eine adäquate Fachsprache verwendet? Dienen passende Beispiele oder Analogien der Veranschaulichung des Erklärgegenstands? Wird ggf. ein Bezug zur Lebens- und Erfahrungswelt der Schüler/-innen hergestellt?
  3. 3.Sprachliche Verständlichkeit: Ist das sprachliche Niveau angemessen? Werden unbekannte (Fach-)Begriffe erklärt? Sind die Sätze klar aufgebaut?
  4. 4.Sprech- und Körperausdruck: Unterstützt die Sprechweise (Lautstärke, Geschwindigkeit usw.) den Verstehensprozess der Adressatinnen und Adressaten? Werden Sprechpausen so gesetzt, dass die Zuhörenden gut folgen können? Sofern die erklärende Person im Video zu sehen ist: Unterstützt der Einsatz von Gestik und Mimik die Erklärung?
  5. 5.Visualisierung: Wird die Erklärung durch visuelle Medien unterstützt? Ist die Visualisierung ansprechend gestaltet? Wird sie durch die erklärende Person adäquat eingesetzt?

In Hinblick auf bibeldidaktische Erklärvideos ist ferner zu prüfen, ob die Inhalte dem aktuellen wissenschaftlich-theologischen Stand entsprechen und im Video didaktisch sinnvoll erklärt werden. Wie oben dargestellt, lassen sich bei einigen online verfügbaren Erklärvideos fachliche Fehler oder lückenhafte Darstellungen identifizieren, auch wenn sie technisch als qualitativ hochwertig zu bezeichnen sind. Derartige Erklärvideos wirken sich negativ auf den Verstehens- und Lernprozess von Schülerinnen und Schülern aus. Die Bewertung kann Aufschluss darüber geben, ob durch ihren Einsatz aus religions­didaktischer Sicht „wirklich eine größere Beteiligung, eine effektivere Ansprache und damit bessere Lernchancen sowohl im Präsenz- wie auch im Distanz­unterricht verbunden sind“ (Zimmermann/Schlegel, 2022, 1.). Schließlich können aber auch Erfahrungs­berichte zeigen, inwiefern Erklärvideos sich auf Bildungsprozesse auswirken (vgl. Zimmermann/Schlegel, 2022).

6.        Einsatz im Unterricht

Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten kann der Einsatz von selbst produzierten oder rezipierten Lernvideos einen Beitrag leisten, um die Medienkompetenz oder die Digital Literacy von Schülerinnen und Schülern zu fördern und neue Lernwege zu eröffnen (vgl. Narr/Friedrich, 2021).

6.1.   Rezipierte Erklärvideos

Vor dem Hintergrund des in Kap. 5 genannten Kriterienkatalogs kann eine mögliche Checkliste zur Bewertung von Erklärvideos für den Religionsunterricht erstellt werden. Diese könnte folgendermaßen aussehen:

 

Merkmal

Erläuterung

Einstufung

Strukturiertheit

1

Struktur geben

Am Anfang des Videos wird vorgestellt, was erklärt wird und am Ende wird dies erneut zusammengefasst

--- -- - + ++ +++

2

Regel-Beispiel-Strategie

Zunächst wird das zu erklärende Prinzip erklärt und dann mit Hilfe von Beispielen verdeutlicht

--- -- - + ++ +++

Adressatenorientierung

3

Reduktion

Die Erklärung ist auf das Wesentliche konzentriert

--- -- - + ++ +++

4

Vorwissen

Die Erklärung knüpft an das Vorwissen der Zuschauenden an

--- -- - + ++ +++

5

Beispiele

Die Erklärung verwendet anschaulische Beispiele aus der Alltagswelt der Zuschauenden (z.B. im Buch Rut – Fremdheitserfahrungen)

--- -- - + ++ +++

Sprachliche Verständlichkeit

6

Modelle und Analogien

Eine Übertragung des Erklärten auf einen bekannten Phänomenbereich (z.B. Erfahrungswelt der Figuren der biblischen Schriften i.V. zu Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler)

--- -- - + ++ +++

7

Relevanz verdeutlichen

Die Erklärung stellt heraus, warum das erklärte Prinzip wichtig ist

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Visualisierung

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Darstellungsformen

Das Gesagte wird passend illustriert (u.a. durch Animationen (Comic))

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Sprachebene

Theologische Fachtermini werden über die Alltagssprache der Zuschauenden eingeführt (z.B. Schöpfungsmythen – Vorstellungen, wie die Welt, auf der wir leben, entstanden ist)

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Ausdruck der Sprechweise

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Interesse wecken

Das zu Erklärende weckt Interesse bei den Zuschauenden

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Verständnisüberprüfung

Am Ende wird mit Hilfe einer Fragestellung dazu eingeladen, selbst mit der erklärten Information zu arbeiten (u.a. Was erzählt die Urgeschichte über das Menschsein?)

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Direkte Ansprache

Die Erklärung spricht die Adressatinnen- und Adressatengruppe direkt an

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Beachtung wissenschaftlich-theologischer Kriterien

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Korrektheit der Inhalte

Die dargestellten/präsentierten Inhalte entsprechen wissenschaftlich-theologischen Erkenntnissen

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Quellenangaben

Die verwendete Literatur/die verwendeten Texte werden spätestens am Ende des Erklärvideos eingeblendet.

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Tab. 1 Mögliche Checkliste zur Bewertung von Erklärvideos für den RU. © Annika Krahn

hand-swipe-horizontalWischen, um alle Daten anzuzeigen.

Neben der Notwendigkeit eines Bewertungsleitfadens (den man z.B. auch mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam erarbeiten kann) zeigt sich die Wichtigkeit der Erkenntnis, dass Erklärvideos – so gut sie auch sind – die Interaktion der Lernenden ausschließen und ein Adaptieren lediglich dann möglich ist, wenn sich die Lernenden die Videos über die Video Plattform YouTube selbst aussuchen. Ein sinnvolles Erklären hingegen nimmt die Bedürfnisse der Adressatinnen und Adressaten auf und inkludiert sie in das Erzählen. Ein dozierender Frontalunterricht (mancher YouTube-Videos) ist demnach nicht mit einem gelungenen Erklärvideo zu verwechseln.

Darüber hinaus ist auch „gutes Erklären keine direkte Transmission von Wissen“ (Kulgemeyer, 2018, 8), und so eignet sich die Rezeption von Erklärvideos durch Lernende vor allem zur Nachbereitung von Unterricht (z.B. bei Unverständnis), als Hilfestellung bei Hausaufgaben oder zur Vorbereitung von Referaten oder kleineren Kompetenzüberprüfungen. Erklärvideos bieten Lehrenden hingegen die Chance, bestimmte Lehr-Lerninhalte erneut zu veranschaulichen, (relativ) kurz in neue Themen einzuführen oder eine Projekt-, Stationen-, Wochenplanarbeit zu unterstützen.

Insgesamt bedarf es einer hohen reflexiven Kompetenz auf beiden Seiten, um geeignete Videos für den Gebrauch auszuwählen oder qualitativ hochwertige Erklärvideos zu erstellen. Die Förderung der Erklärkompetenz sowohl von Lehrkräften als auch von Schülerinnen und Schülern stellt somit eine wichtige Aufgabe dar, um die Reflexion über die inhaltliche und gestalterische Qualität sowie den Nutzen für den Lernprozess zu ermöglichen. Im Unterricht können Erklärvideos als a) Unterrichtsmedium oder als b) Unterrichtsgegenstand rezipiert werden.

a) Erklärvideos als Unterrichtsmedium
Erklärvideos können für alle Schulformen und für alle Altersstufen als Unterrichtsmedium einen gewinnbringenden Beitrag zum Religionsunterricht leisten. In der Primarstufe eigenen sich besonders Erklärvideos von HalloBenjaminTV oder Deine Relilehrerin und in den weiterführenden Schulen können u.a. Videos von relithek.de, Projekt Schalom oder katholisch.de gezeigt werden. Neben dem gemeinsamen Rezipieren von Erklärvideos im Klassenverband als ergänzendes oder stellvertretendes Erklären der Lehrkraft können verschiedene Erklärvideos zum gleichen Lerngegenstand als Selbstlernmedien zur eigenständigen Wissensaneignung durch Schülerinnen und Schüler verwendet werden. Dies ist beispielsweise im Rahmen von offenen Unterrichtsformen oder zur selbstständigen Nachbereitung und Vertiefung des im Unterricht vermittelten bzw. erworbenen Wissens möglich (→ Erklärvideo).

b) Erklärvideos als Unterrichtsgegenstand
Erklärvideos können als Unterrichtsgegenstand eingesetzt werden, um sie beispielsweise auf konkrete Aspekte (z.B. inhaltliche Korrektheit und Vollständigkeit) in unterschiedlichen Sozialformen zu analysieren, zu vergleichen oder zu bewerten. Dafür ist selbstverständlich eine grundlegende fachliche Kompetenz bei den Schülerinnen und Schülern vorauszusetzen, damit sie über die Inhalte der Videos angemessene Urteile fällen können. Aus diesem Grund bietet sich beispielsweise eine Rezension von bestimmten Erklärvideos als Unterrichtsgegenstand in unterschiedlicher Ausgestaltung in allen Jahrgangsstufen an. Z.B. erfolgt in der Primarstufe die Überprüfung der fachlichen Richtigkeit durch die Lehrkraft und für die Lernenden können u.a. ästhetische Aspekte im Vordergrund stehen. Außerdem bietet sich in der Primarstufe ein Erklärvideo als Denkanstoß an, um anschließend u.a. das Theologisieren mit den Schülerinnen und Schülern zu erproben. In den weiterführenden Jahrgangsstufen (z.B. Sekundarschule oder Haupt-, Real-, Gesamtschulen) kann die Überprüfung der fachlichen Richtigkeit je nach Verortung in der Reihenplanung auch durch die Lernenden selbst erfolgen.

6.2.   Selbst produzierte Erklärvideos

Die hohe Alltagsrelevanz bewegter Bilder und die Möglichkeit, Erklärvideos mit vergleichsweise geringem Aufwand selbst produzieren zu können, eröffnet viele Chancen für die Unterrichtsgestaltung auch im Religionsunterricht (→ Medienarbeit, aktive). Beispielsweise hat die gemeinsame Initiative des LMBFs und des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, Film und Schule NRW, einen Workshop für Lehrkräfte unter CC-Lizenz veröffentlicht, der einen Einstieg in die Filmbildung bietet und zur Erstellung von Erklärvideos anleitet. Dieser Workshop ist selbstverständlich auch für Religionslehrkräfte nutzbar:

Daneben ist in Bezug auf den Einsatz von Erklärvideos als Unterrichts- oder Lernprodukt Folgendes festzuhalten:

Die eigenständige und selbstorganisierte Produktion von Erklärvideos durch Lernende inner­halb eines vorgegebenen methodischen Rahmens ist angesichts der gegenwärtigen technischen Möglichkeiten eine durchaus sinnvolle und einfach durchzuführende Methode (vgl. Tenberg, 2021, 15f.). Beispielsweise können Erklärvideos innerhalb einer themengebundenen Projektarbeit erstellt werden, an deren Ende Arbeitsgruppen oder einzelne Lernende Erklärvideos zu jeweils vertieften thematischen Aspekten produzieren und z.B. ihren Mitschülerinnen und -schülern präsentieren. Im Gegensatz zu Präsentations­medien wie Powerpoint o.Ä. sind Inhalte, die mit Hilfe von bewegten Bildern und gesprochenen Kommentaren übermittelt werden, oftmals präziser und detailreicher (vgl. Tenberg, 2021, 15f.).

Die eigenständige Erstellung von Erklärvideos bietet sich darüber hinaus als „dynamische Dokumentation“ (Tenberg, 2021, 16) an, um Gelerntes längerfristig zu bewahren. Zusätzlich oder alternativ zur statischen Dokumentation im Sinne von Aufzeichnungen im Schulheft, am I-Pad o.Ä. sind Erklärvideos ein lebendiges Medium, das „unmittelbar aus dem Prozess der Wissenserar­beitung“ (Tenberg, 2021, 16) entsteht. Durch die nachträgliche Aufbereitung des Gelernten in eigenständiger Insze­nierung können Schülerinnen und Schüler somit ihren eigenen Lernprozess reaktivieren, rekonstruieren und dabei reflektieren.

Bei der eigenständigen Erstellung von Erklärvideos durch Schülerinnen und Schüler ist allerdings zu beachten, dass die Lernenden zum einen über fundiertes inhaltliches Wissen verfügen müssen, um fachlich kor­rekte Erklärungen zu erarbeiten, dass sie zum anderen aber auch Kriterien guten Erklärens ken­nen, um strukturell und formal adäquate Erklärvideos zu produzieren (→ Erklärvideo). Darüber hinaus bedarf es insbesondere in jüngeren Jahrgangsstufen einer konkreten Anleitung der Schülerinnen und Schüler im Gebrauch von Hard- und Software zur Erstellung von Erklärvideos.

Insgesamt sollte die Lehrkraft in dem Produktionsprozess als Experte oder Expertin fungieren, die den Lernenden sachdienliche Hinweise gibt und unterstützend zur Seite steht, anstatt allein eine abschließende Bewertung durchzuführen. Außerdem können bei der Erstellung von Erklärvideos KI-Anwendungen gemeinsam analysiert und thematisiert werden, um die Kompetenz der Digital Literacy von Schülerinnen und Schülern nachhaltiger zu fördern.

Literaturverzeichnis

Links zu den im Text exemplarisch genannten Erklärvideos:

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