Sprache, einfache; Sprache, leichte
(erstellt: Februar 2022)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Sprache_einfache_Sprache_leichte.201014
1. Hinführung: Einfache und leichte Sprache in der religionspädagogischen Praxis
Im Rahmen eines Einschulungsgottesdienstes trägt die Lehrerin Psalm 100 in verständlicher und den Kindern angemessener Sprache vor. Sie elementarisiert dabei theologisch den Inhalt auf die Freundlichkeit Gottes, über die sich die Menschen freuen können und die sie „Danke“ sagen lässt. Eine Kirchengemeinde, in deren Einzugsgebiet Menschen in heterogener Vielfalt leben, verfasst ihre Gemeindebriefe in einfacher Sprache, informiert so über das gemeindliche Leben und lädt alle Interessierten zur Teilnahme ein. In der einschlägigen religionsdidaktischen Literatur sind Arbeits- und Praxishilfen zu finden, die Religionslehrkräfte zielgruppenspezifisch im inklusiven Unterricht unterstützen. Die Verwendung leichter und einfacher Sprache ist auch für den liturgischen Gebrauch eingefordert worden. Zur Gestaltung von Gottesdiensten liegen mittlerweile dementsprechende biblische Texte und Gebete in leichter und einfacher Sprache vor (→ Bibel in leichter Sprache
Die Beispiele zeigen: Der Ansatz, Verständlichkeit und Verstehen mittels leichter und einfacher (religiöser) Sprache und Kommunikation zu fördern und befördern, ist in der schulischen und gemeindlichen religionspädagogischen Praxis vielfältig realisiert und findet vielgestaltige Anwendung. Das Ziel, nicht allein Menschen mit Lern- und Sprachschwierigkeiten, sondern möglichst vielen Menschen kommunikative und informationelle Teilhabe in gesellschaftlich-religiösen Kontexten zu verschaffen, ist unstrittig. Allerdings sind mit dem Aufweis praktischer Relevanz und Anwendung die Potenziale religionspädagogischer Rezeption und Reflexion einfacher und leichter Sprache bei Weitem nicht ausgeschöpft.
2. Leichte Sprache – Ursprung und Entwicklung
„Leichte Sprache“ in nahezu allen gesellschaftlichen kommunikativen Kontexten zur Geltung zu bringen, ist ein unabgeschlossenes, sich fortschreibendes Vorhaben. Es ist ursprünglich mit und für Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt worden, um ihnen durch eine barrierefreie Sprache und Kommunikation einen sozialen Anschluss und gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen. Die Anfänge liegen u.a. in der US-amerikanischen Selbstbestimmungsbewegung der 1970er-Jahre, in der Sag es einfach-Initiative der europäischen Vereinigung der International League of Societies for Persons with Mental Handicap (I.L.S.M.H.; heute: Inclusion Europe) (www.inclusion-europe.eu
Im deutschsprachigen Raum sind umfängliche Grundsätze zur sprachlichen und gestalterischen Umsetzung von leichter Sprache (in schriftlicher Kommunikation) in einem Regelwerk kodifiziert, das vom Netzwerk Leichte Sprache entwickelt wurde (www.leichte-sprache.org
Mittlerweile adressiert der Ansatz weitere Zielgruppen: Analphabeten, Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrungen, mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen, ältere Menschen und Menschen mit Demenzerkrankung. Ihnen allen sollen Zugänge zu möglichst allen gesellschaftlichen Bereichen verschafft werden. Anja Dworski resümiert: „Leichte Sprache ist eine Reaktion auf die Vielfalt in unserer Gesellschaft. Künftig wird es noch notwendiger sein, Inhalte in unterschiedlichen Sprachniveaus anzubieten, um die Komplexität des Alltags, der Politik, des Rechts, der Kultur, der Wissenschaft und auch der Religion möglichst vielen Menschen zu vermitteln. Leichte Sprache kann eine Möglichkeit sein, Barrieren, die durch Sprache entstehen, abzubauen“ (Dworski, 2017, 256).
Dementsprechend hoch sind die Anforderungen an eine leichte Sprache. Texte in leichter Sprache beziehen sich derzeit hauptsächlich auf (medial) schriftliche Ausgangstexte (z.B. Gebrauchsanweisungen, Gesetzestexte, amtliche Verlautbarungen, Zeitungsartikel, Verhaltensregeln in öffentlichen Räumen). Sie sollen als angepasste Texte eine Brücke zwischen den jeweiligen Zielgruppen und „schwierigen“ Texten schlagen. In diesem Sinne sollen sie einen „Anschluss an die sonst verschlossene Kommunikationswelt gewährleisten und nicht lediglich eine neue sprachliche Sonderwelt eröffnen, die ihre Nutzer letztlich doch wieder abzukoppeln droht. […] Diese Anforderungsbeschreibung dürfte in Praxis und Forschung weitgehend Konsens sein“ (Bock/Lange/Fix, 2017, 12). Es stellt sich die Frage, ob dieser Anspruch ebenso bei mündlicher Kommunikation erhoben wird.
3. Leichte und einfache Sprache: Unterscheidungen und Regeln
Wie bereits erwähnt, orientiert sich die Leichte Sprache-Praxis an bestimmten Sprach- und Typografie-Grundsätzen, nach denen Texte zu verfassen und zu gestalten sind. Diese ca. 40 Anweisungen zum Gebrauch von Wörtern, Zahlen und Zeichen, Sätzen sowie den Einsatz von Bildern und Layout sind in einem Regelwerk zusammengefasst, das vom Netzwerk Leichte Sprache entwickelt wurde (www.leichte-sprache.org
Leichte Sprache ist eine Sprachvariante adressaten- bzw. zielgruppenfreundlicher Sprache, eine andere ist einfache Sprache. Feste Kriterien, um leichte von einfacher Sprache zu unterscheiden, gibt es nicht. Veröffentlichungen postulieren bzw. verweisen allerdings auf gängige Grundregeln der einen oder anderen Sprachvariation. Auf der sprachlichen Ebene gehören das Sprachniveau, der Inhalt, Stilmittel, grammatikalische Satzstrukturen, der Satzbau, Wörter sowie Zahlen und Zeichen zu den geläufigsten Aspekten der Identifizierung von Texten in leichter und einfacher Sprache. Nach Birgitt Neukirch lässt sich sagen:
Texte in leichter Sprache
- sind auf einem sehr einfachen Sprachniveau mit einem begrenzten Wortschatz verfasst,
- geben die inhaltlichen Schwerpunkte des Ausgangstextes strukturiert wieder, ergänzen zusätzliche Informationen zur größeren Verständlichkeit des Textes und führen lebensnahe Beispiele an,
- verzichten auf Metaphern, Redewendungen, doppeldeutige Wörter, Anspielungen, Ironie oder Sarkasmus und vermeiden Negationen,
- gebrauchen das Präsens, Aktiv- statt Passivsätze, direkte statt indirekte Rede und verzichten auf den Genitiv und Konjunktiv,
- haben einen Satzumfang von maximal 12 Wörtern, stellen wichtige Informationen an den Anfang, fügen Zwischenüberschriften ein, treffen eine Aussage pro Satz und geben zusammenhängende Inhalte in einem Abschnitt wieder,
- verzichten auf seltene Wörter, Fremdwörter, nominalisierte Verben und Adjektive, Füllwörter, Pronomen, verwenden kurze Wörter, erklären unvermeidbare Fachbegriffe und Abkürzungen, unterteilen unverichtbare Komposita durch einen Medio.punkt in Stamm-Wörtern oder Binde-Strichen und verwenden durchweg die gleichen Begriffe für die gleiche Sache oder Person,
- verwenden Ziffern statt Zahlwörter und Angaben wie zum Beispiel „viel“ oder „wenig“ für große Zahlen.
Texte in einfacher Sprache
- sind auf einem einfachen Sprachniveau verfasst und gebrauchen die Alltagssprache mit einfachen Strukturen,
- geben den gesamten Inhalt des Ausgangstextes wieder,
- erklären Metaphern, Redewendungen, doppeldeutige Wörter und verzichten auf Ironie und Sarkasmus,
- vermeiden den Genitiv und den Konjunktiv,
- weisen eine einfache Satzstruktur möglichst ohne Nebensätze auf,
- erklären Fremdwörter, Fachbegriffe oder Abkürzungen, vermeiden Komposita oder nominalisierte Verben und Adjektive und achten auf die Eindeutigkeit von Begriffen und Pronomen,
- bevorzugen Ziffern statt Zahlwörter (Neukirch, 2020, 25).
Die Auflistung lässt deutliche Parallelen in der Grundausrichtung von leichter und einfacher Sprache erkennen. Demzufolge ist anzunehmen, dass hier eher zwei sehr ähnliche Praxis-Ansätze mit ähnlichen Zielstellungen und Adressatengruppen, aber verschiedenen Ursprüngen vorliegen (Bock/Lange/Fix, 2017, 14). Einerseits werden mit „leicht“ Texte attribuiert, die primär für Menschen mit Lernschwierigkeiten (Alternativbezeichnung für den Ausdruck Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bzw. Behinderung) angepasst wurden. Andererseits werden mit „einfach“ Texte attribuiert, die primär für funktionale Analphabeten bzw. für Menschen mit geringen Lesekompetenzen angepasst wurden. Für die praktische Wirkung, d.h. die Verständlichmachung und Adressatenorientierung ist aber vielmehr entscheidend, dass ein Text seinen Zweck beim Adressaten adäquat erfüllt (Bock/Lange/Fix, 2017, 14).
4. Kommunikative und diskursive Hürden
Es unterliegt weiterhin einem Verständigungsprozess, was als leichte und einfache Sprache respektive leicht verständliche und adressatenangemessene Sprache aufzufassen ist. Begriffsannäherungen bleiben uneindeutig. Umstritten sind beispielweise die Regellisten. Deren Grundsätze nebst konkreter Anwendung werden in der einschlägigen Forschung kritisch untersucht und unterschiedlich bewertet. In der Praxis allerdings scheint die Frage nach der Umsetzung postulierter Regeln an Bedeutung zu gewinnen. Demzufolge gilt es, im Diskurs um leichte und einfache Sprache den Austausch zwischen Forschung und Praxis, aber auch zwischen verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zu befördern, um bestehende Verständigungsprobleme auszuräumen und gemeinsam das Projekt weiterzuentwickeln. Zum jetzigen Zeitpunkt scheinen Forschung und Praxis eher spannungsreich und miteinander konkurrierend aufeinander bezogen zu sein. Dabei ist das Ziel der Barrierefreiheit und gesellschaftlicher Teilhabe unstrittig. Aus wissenschaftlicher Perspektive wird u.a. für die linguistische Fundierung plädiert und die konkrete Umsetzung kritisiert. Wie beispielsweise ist leichte und einfache Sprache sprachwissenschaftlich in den Blick zu nehmen, theoretisch zu untermauern und für die Praxis fruchtbar zu machen? Aus der Perspektive der Praxis wird der wissenschaftlich beanspruchte Primat der Theorie sowie die mangelnde Diskursbeteiligung der Leichte Sprache-Nutzer und Nutzerinnen mit ihren Praxiserfahrungen und subjektiven Einschätzungen beklagt (Dworski, 2017, 255f.; Bock/Lange/Fix, 2017, 16-19).
5. Religionspädagogische Anforderungen und Herausforderungen
5.1. Die Frage nach dem Umgang mit Regeln
Wie bereits ausgeführt, legt die Leichte Sprache-Praxis Wert auf die Einhaltung bestimmter Sprach- und Typografie-Regeln, die als kodifizierte Normen in einem vom Netzwerk Leichte Sprache entwickelten Regelwerk festgehalten sind (www.leichte-sprache.org
Der Blick auf ein konkretes Beispiel führt zu aufschlussreichen Beobachtungen. Das Büro für Leichte Sprache des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschlands Erfurt (CJD) hat Informationen in leichter Sprache zum Thema Christliche Feiertage rund ums Jahr herausgegeben. Der Einleitungstext führt einerseits die bereits aufgeführten Regeln konkret vor Augen und veranschaulicht andererseits den Umgang mit diesen Grundsätzen (Wolff, o.J., 5f.).
Zum besseren Nachvollzug der Einleitungstext in einem aufbereiteten Überblick (siehe auch Abb. 1 für eine tabellarische Ansicht):
- Wer sind die Christen? –– Satz: direkte Frage –– Inhalt: Verallgemeinerung; „die Christen“ als eine homogene Gruppe
- Das Christentum ist eine Religion. –– Satzbau: kurze Sätze –– Inhalt: Religion wird als bekannt vorausgesetzt
- Christen glauben an Jesus Christus. –– Gliederung: eine Aussage pro Satz –– Inhalt: exklusiver Bezug auf Jesus Christus; Christus wird als bekannt vorausgesetzt
- Für sie ist Jesus der Sohn von Gott. –– Grammatikalische Struktur: Präposition von + Dativ statt Genitiv –– Inhalt: Glaubensaussage
- Er wollte ihnen zeigen, | dass sie Gott vertrauen können. –– Gliederung: lange Sätze in zwei Zeilen –– Formatierung: linksbündig, kein Blocksatz –– Inhalt: Vertrauen auf Gott als elementare jesuanische Botschaft
- Die Geschichte von Jesus steht in der Bibel. –– Inhalt: Bibel wird als bekannt vorausgesetzt
- Die Bibel besteht aus zwei Teilen. –– Zahlen: Gebrauch eines Zahlwortes
- Es gibt das Neue Testament und das Alte Testament. –– Satzbau: Subjekt + Prädikat + Objekt –– Inhalt: Verzicht auf Erklärung von Testament
- Sie erzählen von Jesus und von Gott. –– Grammatikalische Struktur: Präsens als Tempus –– Inhalt: theologisch-narrative Besonderheit der Testamente
- Deshalb nennt man die Bibel auch: Das Wort Gottes. –– Grammatikalische Struktur: Aktivsätze statt Passivsätze –– Formatierung: Hervorhebung durch Fettung –– Inhalt: das Wort Gottes als stehender Begriff für Bibel
- Viele Christen gehen in die Kirche. –– Zahlen: „viel“ oder „wenig“ statt großer Zahlen –– Inhalt: mehrdeutiger Gebrauch von in die Kirche gehen: 1. eine Kirche betreten/besuchen; 2. zum Gottesdienst gehen
- Vor allem an Sonntagen und an Feiertagen. –– Satzbau: max. 12 Wörter je Satz –– Inhalt: Verweis auf „klassische“ Gottesdienstzeiten
- Kirchen sind oft schöne Gebäude. –– Inhalt: Kirche als bauliches Objekt
- Viele Kirchen haben einen Turm und bunte Fenster. –– Inhalt: äußere Merkmale von Kirchen
- In der Kirche wird geredet, gesungen und gebetet. –– Grammatikalische Struktur: Passivsatz statt Aktivsatz –– Inhalt: Funktion von Kirchen; umschreibende Bedeutung von Gottesdienst feiern
- Es gibt Christen auf der ganzen Welt. –– Inhalt: Umschreibung für globales Christentum
- Auch in Deutschland gibt es viele Christen. –– Satzbau: wichtige Informationen am Anfang –– Inhalt: lebensweltlicher Bezug
- Es gibt 2 Gruppen:
- Evangelische Christen.
- Katholische Christen.
- Den Unterschied zwischen den 2 Gruppen | erklären wir beim Text über den Reformations-Tag. –– Typografie: übersichtliche Gestaltung langer Sätze –– Wörter: Trennung von zusammengesetzten Wörtern durch Bindestrich –– Inhalt: Verzicht auf weitere Erklärung zugunsten des sachlogischen Aufbaus des Abschnitts
- Der Text beginnt auf Seite 26. –– Wörter: Verzicht auf Abkürzungen
Das konkrete Textbeispiel dokumentiert die geläufigsten Aspekte für Texte in leichter Sprache und untermauert die genannten Grundregeln, die sich auf den Wort- sowie Zahlen- und Zeichengebrauch, auf Satzbau und Gliederung, den grammatikalischen Aufbau von Sätzen, den Einsatz von Stilmitteln sowie typografische Eigenschaften beziehen. Es zeigt sich: Bestimmte Sprach- und Typografie-Regeln werden grundsätzlich, aber nicht durchgängig regelkonform eingehalten. Die Verwendung von Zahlwörtern statt Ziffern und der Gebrauch von Passiv- statt Aktivsätzen sind hier zu nennen. Auch Texte, die als Leichte Sprache-Texte gelten dürfen, sind keineswegs einheitlich, d.h. strikt regelkonform.
5.2. Die Frage nach der inhaltlichen Darstellung von Texten
Ein weiterer Blick auf das Beispiel verdeutlicht, wie anspruchsvoll die Aufgabe des Verständlichmachens und Vereinfachens ist. Einerseits ist Verständlichkeit lediglich ein Teilaspekt gelingender Kommunikation. Andererseits stellt sich auch religionspädagogisch dringlich die Frage nach einer angemessenen inhaltlichen Darstellung. Exemplarisch zeigt sich am Beispiel:
- 1.Zugunsten größtmöglicher Verständlichkeit werden Inhalte vereinfacht und auf Grundaussagen reduziert („Auch in Deutschland gibt es viele Christen. Es gibt 2 Gruppen: Evangelische Christen; Katholische Christen) oder verallgemeinert (z.B.: „Wer sind die Christen?“). Es zeigt sich: Inhaltliche Schieflagen scheinen billigend in Kauf genommen zu werden. Christen (und auch Christinnen (!)) in Deutschland sind religiös heterogen und lassen sich nicht ausschließlich zwei Gruppen zuordnen.
- 2.Der Text ist nicht voraussetzungslos. Theologisch wird ein hermeneutisches Vorverständnis vorausgesetzt. Theologische Konzepte (z.B. Jesus als Sohn Gottes) oder ein religiös-christlicher Wortschatz können je nach Zielgruppe und Grad des Vorwissens hermeneutische Barrieren aufbauen (z.B. Bibel, Jesus Christus, Testament).
- 3.Im religiös-christlichen Kontext wird Alltagssprache in mehrdeutige Sprachbilder transformiert (z.B. „in die Kirche gehen“), die Verstehenshürden sein können.
- 4.Ein elementares, religiös-christliches Symbolverständnis wird zugrunde gelegt: Die Bibel wird als dickes Buch mit einem Kreuz auf dem Einband abgebildet.
Fazit: Das Beispiel verdeutlicht, dass die Aufgabe, selbst einen Text in leichter oder einfacher Sprache zu verfassen, gleichermaßen herausfordernd ist. Diese bewegt sich in dem Spannungsfeld von Verständlichkeit und inhaltlicher Darstellungskomplexität. Bei der Auswahl und dem Einsatz von Unterrichtsmaterialien in leichter bzw. einfacher Sprache, aber ebenso bei selbst erstellten Leichte Sprache-Texten haben Religionslehrende je neu didaktische Entscheidungen zu treffen, indem sie die (Heterogenität ihrer) adressierten Lerngruppen, die → Elementarisierung
Die Anforderungsbeschreibungen (→ Anforderungssituationen
5.3. Die Frage nach den Textsorten
Um einen leichteren Zugang zur Erschließung von Texten zu schaffen, werden in der Leichte Sprache-Praxis meist schriftliche Ausgangstexte angepasst bzw. neu formuliert. Im Religionsunterricht gelangen unterschiedliche Textsorten zur Anwendung (z.B. biblische, poetische und liturgische Texte, religiöse Sachtexte, theologische Fachtexte), die unterschiedliche Herausforderungen und Potenziale für leichte Sprache bergen. Die Veröffentlichung des CJD Erfurt Christliche Feiertage rund ums Jahr ist ein Sachtext, der grundlegend über christliche Feiertage informieren und Wissen vermitteln will und dies gut durch parataktische Satzstrukturen realisieren kann. Aber auch hier zeigt sich schon, dass ein Zugang über maximale Einfachheit nicht genügen kann. Die Frage nach der Sach- und Adressatenangemessenheit ist gleichermaßen zu berücksichtigen.
Im schulischen und gemeindlichen religionspädagogischen Kontext ist der Umgang mit biblischen Texten nach wie vor unverzichtbar und somit der Einsatz und Gebrauch biblischer Texte in leichter Sprache plausibel und nachvollziehbar (Fuchs/Neumann, 2019). Allerdings sind die Reaktionen darauf höchst unterschiedlich. Aus Gesprächen mit Religionslehrkräften und gemeindepädagogischen Fachkräften nenne ich exemplarisch die folgenden Stellungnahmen. Einerseits: Die eigene biblische Sozialisation sowie der persönliche Umgang mit der Bibel scheinen auf den Prüfstand gestellt zu werden. Man fürchtet um den „Glanz“ der vertrauten biblischen Texte, die lebensgeschichtlich bedeutsam geworden und nicht aufgebbar sind. Theologisch wird kritisch angefragt, wie sich der Sinngehalt des Ausgangstextes verändern wird. Religionspädagogisch wird befürchtet, dass ein kontinuierlicher Einsatz solcher Texte die Entwicklung der sprachlichen Anforderungen im Fachunterricht Religion beeinträchtigt. Andererseits: Allen Schülern und Schülerinnen sollen die biblischen Texte gleichermaßen verständlich zugänglich gemacht werden. Darin spiegelt sich der Anspruch Martin Luthers (→ Luther, Martin
Es scheint Konsens darüber zu bestehen, dass narrative Texte wie die Evangelien vielfältige Möglichkeiten bieten (→ Narratologische Analyse; Erzähltextanalyse
6. Religionspädagogische Perspektiven
Die exemplarisch skizzierten religionspädagogischen Anforderungen und Herausforderungen verstehen sich als Impulse, den Sensus für einen kriteriengeleiteten und reflektierten Einsatz leichter bzw. einfacher Sprache im Religionsunterricht zu schärfen. Die Chancen und Grenzen dieser sprachlichen Varietät hinsichtlich der gesellschaftlichen Teilhabe von erwachsenen Menschen mit Lernschwierigkeiten wird gegenwärtig breit diskutiert. Wie es allerdings um die didaktische Dimension dieses Ansatzes bestellt ist, wird fachdidaktisch zu klären, mithin auch religionsdidaktisch zu reflektieren und theoretisch aufzuarbeiten sein (Riegert/Musenberg, 2017). Dann nämlich wird es um Fragen gehen, die über die Partizipations-, Lern- und Brückenfunktion leichter Sprache hinausweisen und die Möglichkeiten der fachbezogenen Bildung im (inklusiven) Religionsunterricht betreffen (→ Inklusion
7. Forschungsperspektiven und weitere Entwicklung
Für die Religionspädagogik gilt: Das grundsätzliche Plädoyer für den Einsatz leichter Sprache in einem inklusiven Religionsunterricht ist unstrittig. In der Praxis kann mittlerweile ein interessantes Spektrum an Angeboten abgerufen werden: Eine frei verfügbare Sammlung biblischer Texte für die Grundschule und Sekundarstufe I liegt beispielsweise in drei unterschiedlich komplexen Übertragungen vor (www.diffbibel.de
Die religionspädagogische Forschung zum Phänomen leichter und einfacher Sprache steht allerdings noch am Anfang. Leichte und einfache Sprache avanciert zum Gegenstand verschiedener empirischer Forschungsrichtungen mit entsprechend unterschiedlichen Methoden und Fragestellungen. Am wissenschaftlichen Diskurs beteiligen sich beispielsweise die Linguistik und die Sprachdidaktik, die Sonderpädagogik, die Sozialwissenschaften, die Übersetzungswissenschaften sowie die Design- und Typografieforschung (Bock/Lange/Fix, 2017). Sich interdisziplinär an diesem Diskurs zu beteiligen, kann religionspädagogisch dazu verhelfen, leichte und einfache Sprache von komplementären Blickwinkeln aus zu beleuchten, wie Monika E. Fuchs und Nils Neumann anhand von Bibeltexten in leichter Sprache jüngst aufgezeigt haben (Fuchs/Neumann, 2019).
Der religionspädagogische Diskurs über die Bedeutung der Sprache im Fachunterricht Religion, im Rahmen dessen sich domänenspezifische Konturen eines sprachsensiblen Religionsunterrichts anbahnen, befindet sich derzeit im Aufwind. Dabei hat sich die Hinwendung zur (Fach)Sprachendidaktik als hilfreich erwiesen. Mit ihrer Aufmerksamkeit für Texte könnten in Sachen leichter und einfacher Sprache bedenkenswerte religionspädagogische Impulse für Fragen des Umgangs mit vermeintlich „schweren“ Texten religiöser und theologischer Kommunikation gewonnen werden (Fix, 2017).
Die bereits vorliegenden Ergebnisse aus Praxisprojekten in der sozialen Arbeit, in Schule und Museen (→ Museum
Alles in allem bleibt abzuwarten, wie sich das komplexe, religionspädagogisch herausfordernde Feld leichter und einfacher Sprache entwickeln wird und welche vielfältigen Wege in Theorie und Praxis in Zukunft eingeschlagen werden.
Literaturverzeichnis
- Bock, Bettina M., Zwischen Vermeiden und Zumuten. Ein Blick auf die „Leichte Sprache“ in religiöser Kommunikation, in: zeitzeichen 1 (2021), 33-36.
- Bock, Bettina M./Lange, Daisy/Fix, Ulla, Das Phänomen „Leichte Sprache” im Spiegel aktueller Forschung – Tendenzen, Fragestellungen und Herangehensweisen, in: Bock, Bettina M./Fix, Ulla/Lange, Daisy (Hg.), „Leichte Sprache“ im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung, Berlin 2017, 11-31.
- Dworski, Anja, Leichte Sprache. Vielfalt als gesellschaftliche Realität anerkennen, in: Katechetische Blätter (KatBl) 4 (2017), 253-256.
- Fix, Ulla, „Schwere“ Texte in „Leichter Sprache“. Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen (?) aus textlinguistischer Sicht, in: Bock, Bettina M./Fix, Ulla/Lange, Daisy (Hg.), „Leichte Sprache“ im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung, Berlin 2017, 163-188.
- Fuchs, Monika E./Neumann, Nils, Bibeltexte in leichter Sprache zwischen Unterkomplexität und Exklusivität, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 3 (2019), 272-286.
- Gidion, Anne/Arnold, Jochen/Martinsen, Raute (Hg.), Leicht gesagt! Biblische Lesungen und Gebete zum Kirchenjahr in Leichter Sprache, Hannover 2017.
- Katechetische Blätter, Themenheft „Leichte Sprache“, 4 (2017).
- Katholisches Bibelwerk (Hg.), Bibel in Leichter Sprache. Evangelien der Sonn- und Festtage im Lesejahr C, Stuttgart 2018.
- Neukirch, Birgitt, Bibeltexte in leichter oder einfacher Sprache – eine Anleitung, in: rpi-Impulse. Beiträge zur Religionspädagogik aus EKKW und EKHN, 1 (2020), 24f.
- Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für evangelische Bildungsarbeit, Themenheft „Sprache“, 1 (2018).
- Riegert, Judith/Musenberg, Oliver, Zur didaktischen Bedeutung Leichter Sprache im inklusiven Unterricht, in: Bock, Bettina M./Fix, Ulla/Lange, Daisy (Hg.), „Leichte Sprache“ im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung, Berlin 2017, 387-399.
- Relpod – der religionspädagogische Podcast des RPI der EKKW und EKHN. Nr. 06, Einfache Sprache 08.05.2020. Online unter: www.anchor.fm/relpod
, abgerufen am 24.06.2021. - Stolt, Birgit, Martin Luthers „Rhetorik des Herzens“, Tübingen 2000.
- Wolff, Patrick/Büro für Leichte Sprache vom CJD Erfurt, Christliche Feiertage rund ums Jahr. Informationen in Leichter Sprache, Erfurt o.J.
Abbildungsverzeichnis
- Textbeispiel für geläufige Aspekte für Texte in leichter Sprache © Andrea Schulte
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