Deutsche Bibelgesellschaft

Sprache, einfache; Sprache, leichte

(erstellt: Februar 2022)

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1. Hinführung: Einfache und leichte Sprache in der religionspädagogischen Praxis

Im Rahmen eines Einschulungsgottesdienstes trägt die Lehrerin Psalm 100 in verständlicher und den Kindern angemessener Sprache vor. Sie elementarisiert dabei theologisch den Inhalt auf die Freundlichkeit Gottes, über die sich die Menschen freuen können und die sie „Danke“ sagen lässt. Eine Kirchengemeinde, in deren Einzugsgebiet Menschen in heterogener Vielfalt leben, verfasst ihre Gemeindebriefe in einfacher Sprache, informiert so über das gemeindliche Leben und lädt alle Interessierten zur Teilnahme ein. In der einschlägigen religionsdidaktischen Literatur sind Arbeits- und Praxishilfen zu finden, die Religionslehrkräfte zielgruppenspezifisch im inklusiven Unterricht unterstützen. Die Verwendung leichter und einfacher Sprache ist auch für den liturgischen Gebrauch eingefordert worden. Zur Gestaltung von Gottesdiensten liegen mittlerweile dementsprechende biblische Texte und Gebete in leichter und einfacher Sprache vor (→ Bibel in leichter Sprache) (Gideon/Arnold/Martinsen, 2017; Katholisches Bibelwerk, 2018).

Die Beispiele zeigen: Der Ansatz, Verständlichkeit und Verstehen mittels leichter und einfacher (religiöser) Sprache und Kommunikation zu fördern und befördern, ist in der schulischen und gemeindlichen religionspädagogischen Praxis vielfältig realisiert und findet vielgestaltige Anwendung. Das Ziel, nicht allein Menschen mit Lern- und Sprachschwierigkeiten, sondern möglichst vielen Menschen kommunikative und informationelle Teilhabe in gesellschaftlich-religiösen Kontexten zu verschaffen, ist unstrittig. Allerdings sind mit dem Aufweis praktischer Relevanz und Anwendung die Potenziale religionspädagogischer Rezeption und Reflexion einfacher und leichter Sprache bei Weitem nicht ausgeschöpft.

2. Leichte Sprache – Ursprung und Entwicklung

„Leichte Sprache“ in nahezu allen gesellschaftlichen kommunikativen Kontexten zur Geltung zu bringen, ist ein unabgeschlossenes, sich fortschreibendes Vorhaben. Es ist ursprünglich mit und für Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt worden, um ihnen durch eine barrierefreie Sprache und Kommunikation einen sozialen Anschluss und gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen. Die Anfänge liegen u.a. in der US-amerikanischen Selbstbestimmungsbewegung der 1970er-Jahre, in der Sag es einfach-Initiative der europäischen Vereinigung der International League of Societies for Persons with Mental Handicap (I.L.S.M.H.; heute: Inclusion Europe) (www.inclusion-europe.eu), die Ende der 1990er-Jahre Richtlinien für die Erstellung von leicht lesbaren Informationen für Menschen mit geistiger Behinderung herausgab, sowie in dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das die Vereinten Nationen im Jahre 2006 verabschiedeten (www.behindertenrechtskonvention.info). In Deutschland hat die Organisation People FirstMensch zuerst das Leichte Sprache-Projekt auf den Weg gebracht (www.menschzuerst.de).

Im deutschsprachigen Raum sind umfängliche Grundsätze zur sprachlichen und gestalterischen Umsetzung von leichter Sprache (in schriftlicher Kommunikation) in einem Regelwerk kodifiziert, das vom Netzwerk Leichte Sprache entwickelt wurde (www.leichte-sprache.org). Der gemeinnützige Verein setzt sich für die Verbreitung von leichter Sprache ein.

Mittlerweile adressiert der Ansatz weitere Zielgruppen: Analphabeten, Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrungen, mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen, ältere Menschen und Menschen mit Demenzerkrankung. Ihnen allen sollen Zugänge zu möglichst allen gesellschaftlichen Bereichen verschafft werden. Anja Dworski resümiert: „Leichte Sprache ist eine Reaktion auf die Vielfalt in unserer Gesellschaft. Künftig wird es noch notwendiger sein, Inhalte in unterschiedlichen Sprachniveaus anzubieten, um die Komplexität des Alltags, der Politik, des Rechts, der Kultur, der Wissenschaft und auch der Religion möglichst vielen Menschen zu vermitteln. Leichte Sprache kann eine Möglichkeit sein, Barrieren, die durch Sprache entstehen, abzubauen“ (Dworski, 2017, 256).

Dementsprechend hoch sind die Anforderungen an eine leichte Sprache. Texte in leichter Sprache beziehen sich derzeit hauptsächlich auf (medial) schriftliche Ausgangstexte (z.B. Gebrauchsanweisungen, Gesetzestexte, amtliche Verlautbarungen, Zeitungsartikel, Verhaltensregeln in öffentlichen Räumen). Sie sollen als angepasste Texte eine Brücke zwischen den jeweiligen Zielgruppen und „schwierigen“ Texten schlagen. In diesem Sinne sollen sie einen „Anschluss an die sonst verschlossene Kommunikationswelt gewährleisten und nicht lediglich eine neue sprachliche Sonderwelt eröffnen, die ihre Nutzer letztlich doch wieder abzukoppeln droht. […] Diese Anforderungsbeschreibung dürfte in Praxis und Forschung weitgehend Konsens sein“ (Bock/Lange/Fix, 2017, 12). Es stellt sich die Frage, ob dieser Anspruch ebenso bei mündlicher Kommunikation erhoben wird.

3. Leichte und einfache Sprache: Unterscheidungen und Regeln

Wie bereits erwähnt, orientiert sich die Leichte Sprache-Praxis an bestimmten Sprach- und Typografie-Grundsätzen, nach denen Texte zu verfassen und zu gestalten sind. Diese ca. 40 Anweisungen zum Gebrauch von Wörtern, Zahlen und Zeichen, Sätzen sowie den Einsatz von Bildern und Layout sind in einem Regelwerk zusammengefasst, das vom Netzwerk Leichte Sprache entwickelt wurde (www.leichte-sprache.org). Im Sinne dieser Richtlinien entscheiden Menschen mit Lernschwierigkeiten als Prüfer und Prüferinnen über die Eignung eines Textes als Text in leichter Sprache.

Leichte Sprache ist eine Sprachvariante adressaten- bzw. zielgruppenfreundlicher Sprache, eine andere ist einfache Sprache. Feste Kriterien, um leichte von einfacher Sprache zu unterscheiden, gibt es nicht. Veröffentlichungen postulieren bzw. verweisen allerdings auf gängige Grundregeln der einen oder anderen Sprachvariation. Auf der sprachlichen Ebene gehören das Sprachniveau, der Inhalt, Stilmittel, grammatikalische Satzstrukturen, der Satzbau, Wörter sowie Zahlen und Zeichen zu den geläufigsten Aspekten der Identifizierung von Texten in leichter und einfacher Sprache. Nach Birgitt Neukirch lässt sich sagen:

Texte in leichter Sprache

  • sind auf einem sehr einfachen Sprachniveau mit einem begrenzten Wortschatz verfasst,
  • geben die inhaltlichen Schwerpunkte des Ausgangstextes strukturiert wieder, ergänzen zusätzliche Informationen zur größeren Verständlichkeit des Textes und führen lebensnahe Beispiele an,
  • verzichten auf Metaphern, Redewendungen, doppeldeutige Wörter, Anspielungen, Ironie oder Sarkasmus und vermeiden Negationen,
  • gebrauchen das Präsens, Aktiv- statt Passivsätze, direkte statt indirekte Rede und verzichten auf den Genitiv und Konjunktiv,
  • haben einen Satzumfang von maximal 12 Wörtern, stellen wichtige Informationen an den Anfang, fügen Zwischenüberschriften ein, treffen eine Aussage pro Satz und geben zusammenhängende Inhalte in einem Abschnitt wieder,
  • verzichten auf seltene Wörter, Fremdwörter, nominalisierte Verben und Adjektive, Füllwörter, Pronomen, verwenden kurze Wörter, erklären unvermeidbare Fachbegriffe und Abkürzungen, unterteilen unverichtbare Komposita durch einen Medio.punkt in Stamm-Wörtern oder Binde-Strichen und verwenden durchweg die gleichen Begriffe für die gleiche Sache oder Person,
  • verwenden Ziffern statt Zahlwörter und Angaben wie zum Beispiel „viel“ oder „wenig“ für große Zahlen.

Texte in einfacher Sprache

  • sind auf einem einfachen Sprachniveau verfasst und gebrauchen die Alltagssprache mit einfachen Strukturen,
  • geben den gesamten Inhalt des Ausgangstextes wieder,
  • erklären Metaphern, Redewendungen, doppeldeutige Wörter und verzichten auf Ironie und Sarkasmus,
  • vermeiden den Genitiv und den Konjunktiv,
  • weisen eine einfache Satzstruktur möglichst ohne Nebensätze auf,
  • erklären Fremdwörter, Fachbegriffe oder Abkürzungen, vermeiden Komposita oder nominalisierte Verben und Adjektive und achten auf die Eindeutigkeit von Begriffen und Pronomen,
  • bevorzugen Ziffern statt Zahlwörter (Neukirch, 2020, 25).

Die Auflistung lässt deutliche Parallelen in der Grundausrichtung von leichter und einfacher Sprache erkennen. Demzufolge ist anzunehmen, dass hier eher zwei sehr ähnliche Praxis-Ansätze mit ähnlichen Zielstellungen und Adressatengruppen, aber verschiedenen Ursprüngen vorliegen (Bock/Lange/Fix, 2017, 14). Einerseits werden mit „leicht“ Texte attribuiert, die primär für Menschen mit Lernschwierigkeiten (Alternativbezeichnung für den Ausdruck Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bzw. Behinderung) angepasst wurden. Andererseits werden mit „einfach“ Texte attribuiert, die primär für funktionale Analphabeten bzw. für Menschen mit geringen Lesekompetenzen angepasst wurden. Für die praktische Wirkung, d.h. die Verständlichmachung und Adressatenorientierung ist aber vielmehr entscheidend, dass ein Text seinen Zweck beim Adressaten adäquat erfüllt (Bock/Lange/Fix, 2017, 14).

4. Kommunikative und diskursive Hürden

Es unterliegt weiterhin einem Verständigungsprozess, was als leichte und einfache Sprache respektive leicht verständliche und adressatenangemessene Sprache aufzufassen ist. Begriffsannäherungen bleiben uneindeutig. Umstritten sind beispielweise die Regellisten. Deren Grundsätze nebst konkreter Anwendung werden in der einschlägigen Forschung kritisch untersucht und unterschiedlich bewertet. In der Praxis allerdings scheint die Frage nach der Umsetzung postulierter Regeln an Bedeutung zu gewinnen. Demzufolge gilt es, im Diskurs um leichte und einfache Sprache den Austausch zwischen Forschung und Praxis, aber auch zwischen verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zu befördern, um bestehende Verständigungsprobleme auszuräumen und gemeinsam das Projekt weiterzuentwickeln. Zum jetzigen Zeitpunkt scheinen Forschung und Praxis eher spannungsreich und miteinander konkurrierend aufeinander bezogen zu sein. Dabei ist das Ziel der Barrierefreiheit und gesellschaftlicher Teilhabe unstrittig. Aus wissenschaftlicher Perspektive wird u.a. für die linguistische Fundierung plädiert und die konkrete Umsetzung kritisiert. Wie beispielsweise ist leichte und einfache Sprache sprachwissenschaftlich in den Blick zu nehmen, theoretisch zu untermauern und für die Praxis fruchtbar zu machen? Aus der Perspektive der Praxis wird der wissenschaftlich beanspruchte Primat der Theorie sowie die mangelnde Diskursbeteiligung der Leichte Sprache-Nutzer und Nutzerinnen mit ihren Praxiserfahrungen und subjektiven Einschätzungen beklagt (Dworski, 2017, 255f.; Bock/Lange/Fix, 2017, 16-19).

5. Religionspädagogische Anforderungen und Herausforderungen

5.1. Die Frage nach dem Umgang mit Regeln

Wie bereits ausgeführt, legt die Leichte Sprache-Praxis Wert auf die Einhaltung bestimmter Sprach- und Typografie-Regeln, die als kodifizierte Normen in einem vom Netzwerk Leichte Sprache entwickelten Regelwerk festgehalten sind (www.leichte-sprache.org). Für dieses sind die Grundsätze eine Form der Qualitätskontrolle. Damit wird der Anspruch formuliert, alle Textsorten und sprachlichen Varietäten durch die Anwendung eines bestimmten Sets an Regeln so modifizieren zu können, dass sich die Teilhabe-Chancen der Adressatenkreise verbessern. Dieser Anspruch stößt religionspädagogisch jedoch auf Schwierigkeiten. Die im schulischen und gemeindlichen religionspädagogischen Kontext verortete kommunikative Praxis religiöser Sprachformen (z.B. Bibeltexte, Gebete, liturgische Texte, religiöse Sachtexte, theologische Fachtexte) würden demnach nach denselben allgemeingültigen Regeln verständlich gemacht werden müssen wie beispielsweise ein Zeitungsartikel.

Der Blick auf ein konkretes Beispiel führt zu aufschlussreichen Beobachtungen. Das Büro für Leichte Sprache des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschlands Erfurt (CJD) hat Informationen in leichter Sprache zum Thema Christliche Feiertage rund ums Jahr herausgegeben. Der Einleitungstext führt einerseits die bereits aufgeführten Regeln konkret vor Augen und veranschaulicht andererseits den Umgang mit diesen Grundsätzen (Wolff, o.J., 5f.).

Zum besseren Nachvollzug der Einleitungstext in einem aufbereiteten Überblick (siehe auch Abb. 1 für eine tabellarische Ansicht):

  • Wer sind die Christen? –– Satz: direkte Frage –– Inhalt: Verallgemeinerung; „die Christen“ als eine homogene Gruppe
  • Das Christentum ist eine Religion. –– Satzbau: kurze Sätze –– Inhalt: Religion wird als bekannt vorausgesetzt
  • Christen glauben an Jesus Christus. –– Gliederung: eine Aussage pro Satz –– Inhalt: exklusiver Bezug auf Jesus Christus; Christus wird als bekannt vorausgesetzt
  • Für sie ist Jesus der Sohn von Gott. –– Grammatikalische Struktur: Präposition von + Dativ statt Genitiv –– Inhalt: Glaubensaussage
  • Er wollte ihnen zeigen, | dass sie Gott vertrauen können. –– Gliederung: lange Sätze in zwei Zeilen –– Formatierung: linksbündig, kein Blocksatz –– Inhalt: Vertrauen auf Gott als elementare jesuanische Botschaft
  • Die Geschichte von Jesus steht in der Bibel. –– Inhalt: Bibel wird als bekannt vorausgesetzt
  • Die Bibel besteht aus zwei Teilen. –– Zahlen: Gebrauch eines Zahlwortes
  • Es gibt das Neue Testament und das Alte Testament. –– Satzbau: Subjekt + Prädikat + Objekt –– Inhalt: Verzicht auf Erklärung von Testament
  • Sie erzählen von Jesus und von Gott. –– Grammatikalische Struktur: Präsens als Tempus –– Inhalt: theologisch-narrative Besonderheit der Testamente
  • Deshalb nennt man die Bibel auch: Das Wort Gottes. –– Grammatikalische Struktur: Aktivsätze statt Passivsätze –– Formatierung: Hervorhebung durch Fettung –– Inhalt: das Wort Gottes als stehender Begriff für Bibel
  • Viele Christen gehen in die Kirche. –– Zahlen: „viel“ oder „wenig“ statt großer Zahlen –– Inhalt: mehrdeutiger Gebrauch von in die Kirche gehen: 1. eine Kirche betreten/besuchen; 2. zum Gottesdienst gehen
  • Vor allem an Sonntagen und an Feiertagen. –– Satzbau: max. 12 Wörter je Satz –– Inhalt: Verweis auf „klassische“ Gottesdienstzeiten
  • Kirchen sind oft schöne Gebäude. –– Inhalt: Kirche als bauliches Objekt
  • Viele Kirchen haben einen Turm und bunte Fenster. –– Inhalt: äußere Merkmale von Kirchen
  • In der Kirche wird geredet, gesungen und gebetet. –– Grammatikalische Struktur: Passivsatz statt Aktivsatz –– Inhalt: Funktion von Kirchen; umschreibende Bedeutung von Gottesdienst feiern
  • Es gibt Christen auf der ganzen Welt. –– Inhalt: Umschreibung für globales Christentum
  • Auch in Deutschland gibt es viele Christen. –– Satzbau: wichtige Informationen am Anfang –– Inhalt: lebensweltlicher Bezug
  • Es gibt 2 Gruppen:
    • Evangelische Christen.
    • Katholische Christen.
    Zahlen: Ziffern statt Zahlwörter –– Typografie: Aufzählungspunkte –– Inhalt: konfessionelle Unterscheidung
  • Den Unterschied zwischen den 2 Gruppen | erklären wir beim Text über den Reformations-Tag. –– Typografie: übersichtliche Gestaltung langer Sätze –– Wörter: Trennung von zusammengesetzten Wörtern durch Bindestrich –– Inhalt: Verzicht auf weitere Erklärung zugunsten des sachlogischen Aufbaus des Abschnitts
  • Der Text beginnt auf Seite 26. –– Wörter: Verzicht auf Abkürzungen

Sprache einfache; Sprache leichte

Das konkrete Textbeispiel dokumentiert die geläufigsten Aspekte für Texte in leichter Sprache und untermauert die genannten Grundregeln, die sich auf den Wort- sowie Zahlen- und Zeichengebrauch, auf Satzbau und Gliederung, den grammatikalischen Aufbau von Sätzen, den Einsatz von Stilmitteln sowie typografische Eigenschaften beziehen. Es zeigt sich: Bestimmte Sprach- und Typografie-Regeln werden grundsätzlich, aber nicht durchgängig regelkonform eingehalten. Die Verwendung von Zahlwörtern statt Ziffern und der Gebrauch von Passiv- statt Aktivsätzen sind hier zu nennen. Auch Texte, die als Leichte Sprache-Texte gelten dürfen, sind keineswegs einheitlich, d.h. strikt regelkonform.

5.2. Die Frage nach der inhaltlichen Darstellung von Texten

Ein weiterer Blick auf das Beispiel verdeutlicht, wie anspruchsvoll die Aufgabe des Verständlichmachens und Vereinfachens ist. Einerseits ist Verständlichkeit lediglich ein Teilaspekt gelingender Kommunikation. Andererseits stellt sich auch religionspädagogisch dringlich die Frage nach einer angemessenen inhaltlichen Darstellung. Exemplarisch zeigt sich am Beispiel:

  1. 1.Zugunsten größtmöglicher Verständlichkeit werden Inhalte vereinfacht und auf Grundaussagen reduziert („Auch in Deutschland gibt es viele Christen. Es gibt 2 Gruppen: Evangelische Christen; Katholische Christen) oder verallgemeinert (z.B.: „Wer sind die Christen?“). Es zeigt sich: Inhaltliche Schieflagen scheinen billigend in Kauf genommen zu werden. Christen (und auch Christinnen (!)) in Deutschland sind religiös heterogen und lassen sich nicht ausschließlich zwei Gruppen zuordnen.
  2. 2.Der Text ist nicht voraussetzungslos. Theologisch wird ein hermeneutisches Vorverständnis vorausgesetzt. Theologische Konzepte (z.B. Jesus als Sohn Gottes) oder ein religiös-christlicher Wortschatz können je nach Zielgruppe und Grad des Vorwissens hermeneutische Barrieren aufbauen (z.B. Bibel, Jesus Christus, Testament).
  3. 3.Im religiös-christlichen Kontext wird Alltagssprache in mehrdeutige Sprachbilder transformiert (z.B. „in die Kirche gehen“), die Verstehenshürden sein können.
  4. 4.Ein elementares, religiös-christliches Symbolverständnis wird zugrunde gelegt: Die Bibel wird als dickes Buch mit einem Kreuz auf dem Einband abgebildet.

Fazit: Das Beispiel verdeutlicht, dass die Aufgabe, selbst einen Text in leichter oder einfacher Sprache zu verfassen, gleichermaßen herausfordernd ist. Diese bewegt sich in dem Spannungsfeld von Verständlichkeit und inhaltlicher Darstellungskomplexität. Bei der Auswahl und dem Einsatz von Unterrichtsmaterialien in leichter bzw. einfacher Sprache, aber ebenso bei selbst erstellten Leichte Sprache-Texten haben Religionslehrende je neu didaktische Entscheidungen zu treffen, indem sie die (Heterogenität ihrer) adressierten Lerngruppen, die → Elementarisierung der Inhalte sowie die kommunikative Praxis des Religionsunterrichts zu bedenken haben. Letztendlich geht es um die religionspädagogisch-theologische Kompetenz der Religionslehrenden im Umgang mit den Phänomenen leichter und einfacher Sprache. Demzufolge haben Religionslehrkräfte einerseits über die Verständlichkeit der Textangebote, andererseits über die besonderen Anforderungen religiös-theologischer Kommunikation zu befinden.

Die Anforderungsbeschreibungen (→ Anforderungssituationen) untermauern den Projektcharakter religionsdidaktischer Zugänge zu leichter und einfacher Sprache. Religionsunterrichtliche Erprobungsräume unter Beteiligung der Schüler und Schülerinnen sind deshalb gewollt und erwünscht. „Welche sprachlichen Mittel je nach Text und Kontext angemessen sind, ist immer wieder neu zu entscheiden. Letztendlich geht es bei der Erstellung von ‚Leichte Sprache‘-Texten immer um das Finden von Kompromissen in Spannungsfeldern: Wer solche Texte erstellt, muss Festlegungen treffen zwischen starker sprachlicher Umformulierung und weitgehender Beibehaltung des ursprünglichen Sprachgestus, zwischen dem Erklären und Ersetzen von Bildern und dem Setzen auf das individuelle Deuten und Erfahren von schwer zugänglichen Bildern, zwischen Unter- und Überforderung, zwischen Vermeiden und Zumuten“ (Bock, 2021, 36). Ob jede Realisierung allerdings zu einer guten und gelungenen Kommunikation beiträgt, ist nicht nur ein Thema der Praxiserprobung, sondern wäre auch als Gegenstand zukünftiger religionspädagogischer Forschung angezeigt.

5.3. Die Frage nach den Textsorten

Um einen leichteren Zugang zur Erschließung von Texten zu schaffen, werden in der Leichte Sprache-Praxis meist schriftliche Ausgangstexte angepasst bzw. neu formuliert. Im Religionsunterricht gelangen unterschiedliche Textsorten zur Anwendung (z.B. biblische, poetische und liturgische Texte, religiöse Sachtexte, theologische Fachtexte), die unterschiedliche Herausforderungen und Potenziale für leichte Sprache bergen. Die Veröffentlichung des CJD Erfurt Christliche Feiertage rund ums Jahr ist ein Sachtext, der grundlegend über christliche Feiertage informieren und Wissen vermitteln will und dies gut durch parataktische Satzstrukturen realisieren kann. Aber auch hier zeigt sich schon, dass ein Zugang über maximale Einfachheit nicht genügen kann. Die Frage nach der Sach- und Adressatenangemessenheit ist gleichermaßen zu berücksichtigen.

Im schulischen und gemeindlichen religionspädagogischen Kontext ist der Umgang mit biblischen Texten nach wie vor unverzichtbar und somit der Einsatz und Gebrauch biblischer Texte in leichter Sprache plausibel und nachvollziehbar (Fuchs/Neumann, 2019). Allerdings sind die Reaktionen darauf höchst unterschiedlich. Aus Gesprächen mit Religionslehrkräften und gemeindepädagogischen Fachkräften nenne ich exemplarisch die folgenden Stellungnahmen. Einerseits: Die eigene biblische Sozialisation sowie der persönliche Umgang mit der Bibel scheinen auf den Prüfstand gestellt zu werden. Man fürchtet um den „Glanz“ der vertrauten biblischen Texte, die lebensgeschichtlich bedeutsam geworden und nicht aufgebbar sind. Theologisch wird kritisch angefragt, wie sich der Sinngehalt des Ausgangstextes verändern wird. Religionspädagogisch wird befürchtet, dass ein kontinuierlicher Einsatz solcher Texte die Entwicklung der sprachlichen Anforderungen im Fachunterricht Religion beeinträchtigt. Andererseits: Allen Schülern und Schülerinnen sollen die biblischen Texte gleichermaßen verständlich zugänglich gemacht werden. Darin spiegelt sich der Anspruch Martin Luthers (→ Luther, Martin), den er für seine Bibelübersetzung reklamiert, „dass man die Worte recht fasst und den Affekt, und fühls im Herzen“, so dass das Evangelium für alle Menschen zur frohen Botschaft werde (Stolt, 2000, 55). Monika E. Fuchs und Nils Neumann zeigen anhand dreier Beispiele auf, dass Bibeltexte in leichter Sprache gegenüber dem Ausgangstext legitime und unvermeidliche Interpretationen vornehmen, wie jede Übersetzung und jede Übertragung auch (Fuchs/Neumann, 2019, 285). Folglich haben diese in ihrer spezifischen Zielgruppe ihre prinzipielle Legitimation, aber auch ihre Grenze (Fuchs/Neumann, 2019, 278).

Es scheint Konsens darüber zu bestehen, dass narrative Texte wie die Evangelien vielfältige Möglichkeiten bieten (→ Narratologische Analyse; Erzähltextanalyse), sie für Lernende mit unterschiedlichen Sprach- und Lesekompetenzen sowie unterschiedlichem Vorwissen aufzubereiten (Bock, 2021, 35; Fuchs/Neumann, 2019, 280). „Im dezidiert auch und gerade erzähldidaktischen Anliegen einer adressatenbezogenen Kommunikation lässt sich die Distanz zwischen den Merkmalen Leichter Sprache und den biblischen Erzähltexten tendenziell offenbar leichter überbrücken, zumal diese ohnehin weniger abstrakte Gedanken und dafür eher parataktische Satzstrukturen aufweisen“ (Fuchs/Neumann, 2019, 280).

6. Religionspädagogische Perspektiven

Die exemplarisch skizzierten religionspädagogischen Anforderungen und Herausforderungen verstehen sich als Impulse, den Sensus für einen kriteriengeleiteten und reflektierten Einsatz leichter bzw. einfacher Sprache im Religionsunterricht zu schärfen. Die Chancen und Grenzen dieser sprachlichen Varietät hinsichtlich der gesellschaftlichen Teilhabe von erwachsenen Menschen mit Lernschwierigkeiten wird gegenwärtig breit diskutiert. Wie es allerdings um die didaktische Dimension dieses Ansatzes bestellt ist, wird fachdidaktisch zu klären, mithin auch religionsdidaktisch zu reflektieren und theoretisch aufzuarbeiten sein (Riegert/Musenberg, 2017). Dann nämlich wird es um Fragen gehen, die über die Partizipations-, Lern- und Brückenfunktion leichter Sprache hinausweisen und die Möglichkeiten der fachbezogenen Bildung im (inklusiven) Religionsunterricht betreffen (→ Inklusion; → Inklusive Lehr- und Lernprozesse, religionspädagogisch). Einerseits: Der Einsatz leichter und einfacher Sprache ist grundsätzlich hilfreich, um Lernbarrieren zu überwinden und abzubauen. Andererseits: (Sprachliche) → Heterogenität der Lerngruppen im Fachunterricht Religion ist eine reale Gegebenheit. Demzufolge verortet sich der Gebrauch leichter und einfacher Sprache als produktiver Umgang mit Heterogenität im größeren Kontext der religionsunterrichtlichen Sprachförderung und Sprachbildung, die sowohl auf ein Kontinuum des Sprachgebrauchs als auch auf eine fortschreitende Kompetenzentwicklung setzen (→ Kompetenzaufbau, kumulativ/Wiederholung), und allen Schülern und Schülerinnen zu Gute kommen. Dieses (fach)sprachendidaktisch fundierte Verständnis einer Praxis einfacher und leichter Sprache im Religionsunterricht wird sich wesentlich an den Voraussetzungen der jeweiligen Lerngruppe sowie den Anforderungen der jeweiligen Kommunikationssituation orientieren. In diesem Sinne ist eine solche Praxis Teil eines fortgeschriebenen religionsdidaktischen Elementarisierungsprogramms, das im Fragen nach den elementaren Zugängen auch die elementaren sprachlichen Zugänge der Schüler und Schülerinnen prominent im Blick hat. Die von Monika E. Fuchs und Nils Neumann aufgezeigte Bedeutung von Übertragungen biblischer Texte in leichte und einfache Sprache plausibilisiert diese Perspektive. Übertragungen und Übersetzungen unterstützen Lernende in ihrem Bemühen, erste verständliche Zugänge zur Bibel zu finden.

7. Forschungsperspektiven und weitere Entwicklung

Für die Religionspädagogik gilt: Das grundsätzliche Plädoyer für den Einsatz leichter Sprache in einem inklusiven Religionsunterricht ist unstrittig. In der Praxis kann mittlerweile ein interessantes Spektrum an Angeboten abgerufen werden: Eine frei verfügbare Sammlung biblischer Texte für die Grundschule und Sekundarstufe I liegt beispielsweise in drei unterschiedlich komplexen Übertragungen vor (www.diffbibel.de). Zwei- bis dreifach differenzierende Unterrichtsmaterialien für die Grundschule und Sekundarstufen (z.B. zu den Festen im Kirchenjahr) können genutzt werden (www.eduki.com). Vorhandene Praxiserfahrungen und vielfältige Praxiserprobungen werden in den einschlägigen gemeinde- und religionspädagogischen Zeitschriften dokumentiert (z.B. Katechetische Blätter, 2017; Praxis Gemeindepädagogik, 2018).

Die religionspädagogische Forschung zum Phänomen leichter und einfacher Sprache steht allerdings noch am Anfang. Leichte und einfache Sprache avanciert zum Gegenstand verschiedener empirischer Forschungsrichtungen mit entsprechend unterschiedlichen Methoden und Fragestellungen. Am wissenschaftlichen Diskurs beteiligen sich beispielsweise die Linguistik und die Sprachdidaktik, die Sonderpädagogik, die Sozialwissenschaften, die Übersetzungswissenschaften sowie die Design- und Typografieforschung (Bock/Lange/Fix, 2017). Sich interdisziplinär an diesem Diskurs zu beteiligen, kann religionspädagogisch dazu verhelfen, leichte und einfache Sprache von komplementären Blickwinkeln aus zu beleuchten, wie Monika E. Fuchs und Nils Neumann anhand von Bibeltexten in leichter Sprache jüngst aufgezeigt haben (Fuchs/Neumann, 2019).

Der religionspädagogische Diskurs über die Bedeutung der Sprache im Fachunterricht Religion, im Rahmen dessen sich domänenspezifische Konturen eines sprachsensiblen Religionsunterrichts anbahnen, befindet sich derzeit im Aufwind. Dabei hat sich die Hinwendung zur (Fach)Sprachendidaktik als hilfreich erwiesen. Mit ihrer Aufmerksamkeit für Texte könnten in Sachen leichter und einfacher Sprache bedenkenswerte religionspädagogische Impulse für Fragen des Umgangs mit vermeintlich „schweren“ Texten religiöser und theologischer Kommunikation gewonnen werden (Fix, 2017).

Die bereits vorliegenden Ergebnisse aus Praxisprojekten in der sozialen Arbeit, in Schule und Museen (→ Museum) (Bock/Lange/Fix, 2017) sensibilisieren religionspädagogisch für die Frage nach den je unterschiedlichen Zielgruppen und Orten einer Leichte Sprache-Praxis in Schule und Gemeinde, um ein differenziertes Verständnis von adressatenangemessener guter und gelungener Kommunikation zu gewinnen. Auf dem Terrain angewandter Forschung müsste dafür allerdings der Austausch mit Praktikern und Expertinnen, die unmittelbar mit der Umsetzung von leichter Sprache betraut sind, intensiviert werden.

Alles in allem bleibt abzuwarten, wie sich das komplexe, religionspädagogisch herausfordernde Feld leichter und einfacher Sprache entwickeln wird und welche vielfältigen Wege in Theorie und Praxis in Zukunft eingeschlagen werden.

Literaturverzeichnis

  • Bock, Bettina M., Zwischen Vermeiden und Zumuten. Ein Blick auf die „Leichte Sprache“ in religiöser Kommunikation, in: zeitzeichen 1 (2021), 33-36.
  • Bock, Bettina M./Lange, Daisy/Fix, Ulla, Das Phänomen „Leichte Sprache” im Spiegel aktueller Forschung – Tendenzen, Fragestellungen und Herangehensweisen, in: Bock, Bettina M./Fix, Ulla/Lange, Daisy (Hg.), „Leichte Sprache“ im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung, Berlin 2017, 11-31.
  • Dworski, Anja, Leichte Sprache. Vielfalt als gesellschaftliche Realität anerkennen, in: Katechetische Blätter (KatBl) 4 (2017), 253-256.
  • Fix, Ulla, „Schwere“ Texte in „Leichter Sprache“. Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen (?) aus textlinguistischer Sicht, in: Bock, Bettina M./Fix, Ulla/Lange, Daisy (Hg.), „Leichte Sprache“ im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung, Berlin 2017, 163-188.
  • Fuchs, Monika E./Neumann, Nils, Bibeltexte in leichter Sprache zwischen Unterkomplexität und Exklusivität, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 3 (2019), 272-286.
  • Gidion, Anne/Arnold, Jochen/Martinsen, Raute (Hg.), Leicht gesagt! Biblische Lesungen und Gebete zum Kirchenjahr in Leichter Sprache, Hannover 2017.
  • Katechetische Blätter, Themenheft „Leichte Sprache“, 4 (2017).
  • Katholisches Bibelwerk (Hg.), Bibel in Leichter Sprache. Evangelien der Sonn- und Festtage im Lesejahr C, Stuttgart 2018.
  • Neukirch, Birgitt, Bibeltexte in leichter oder einfacher Sprache – eine Anleitung, in: rpi-Impulse. Beiträge zur Religionspädagogik aus EKKW und EKHN, 1 (2020), 24f.
  • Praxis Gemeindepädagogik. Zeitschrift für evangelische Bildungsarbeit, Themenheft „Sprache“, 1 (2018).
  • Riegert, Judith/Musenberg, Oliver, Zur didaktischen Bedeutung Leichter Sprache im inklusiven Unterricht, in: Bock, Bettina M./Fix, Ulla/Lange, Daisy (Hg.), „Leichte Sprache“ im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung, Berlin 2017, 387-399.
  • Relpod – der religionspädagogische Podcast des RPI der EKKW und EKHN. Nr. 06, Einfache Sprache 08.05.2020. Online unter: www.anchor.fm/relpod, abgerufen am 24.06.2021.
  • Stolt, Birgit, Martin Luthers „Rhetorik des Herzens“, Tübingen 2000.
  • Wolff, Patrick/Büro für Leichte Sprache vom CJD Erfurt, Christliche Feiertage rund ums Jahr. Informationen in Leichter Sprache, Erfurt o.J.

Abbildungsverzeichnis

  • Textbeispiel für geläufige Aspekte für Texte in leichter Sprache © Andrea Schulte

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