Malen/Zeichnen
Andere Schreibweise: Painting and drawing in religious education
(erstellt: Februar 2025)
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1. Zur Bedeutung von Malen/Zeichnen im Religionsunterricht
Die wenigen empirischen Einsichten, die es zum Malen und Zeichnen im Religionsunterricht gibt, bestärken den Eindruck aus der Schulpraxis, dass es sich hierbei – vor allem in der Grundschule, aber durchaus auch in anderen Schularten – um eine sowohl bei den Lernenden (Bucher, 2000, 96) als auch bei Religionslehrkräften sehr geschätzte (Domsgen, 2021, 228; Fischer, 2000, 7) Methode handelt. Gezeichnet und gemalt wird im Unterricht meist im → Schulheft
Im deutlichen Gegensatz zur großen Bedeutung des Zeichnens und Malens im Unterrichtsgeschehen steht die geringe Relevanz, die der Frage nach diesen Vollzügen in gegenwärtigen religionsdidaktischen Diskursen, in Grundlagenwerken, in Forschungsprojekten sowie in den verschiedenen Phasen der Ausbildung von Religionslehrkräften zugemessen wird. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Thematik in der Religionspädagogik erfolgte im Rahmen praxisorientierter Handreichungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts (z.B. Hoppe, 1897; Schneid, 1928), insbesondere dann aber in katechetischen bzw. religionspädagogischen Überlegungen ab den 1950er Jahren (z.B. Schneid, 1952; Pesch, 1957; Frör, 1958; Straub, 1964) sowie dann wieder verstärkt ab Ende der 1980er Jahre (Oberthür, 1988; Müller, 1990; Seinfeld, 1993) und zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit einer Grundlagenpublikation des Comenius-Instituts (Fischer/Schöll, 2000) und Überlegungen von Michael Landgraf zu seiner breit rezipierten „Kinderbibel zum Selbstgestalten“ (Landgraf, 2007).
Obgleich das Malen und Zeichnen der Religionslehrkräfte auf der einen und dasjenige der Schülerinnen und Schüler auf der anderen Seite im Unterricht häufig auf vielfältige Weise aufeinander bezogen sind, wird es im Folgenden getrennt voneinander betrachtet.
2. Zeichnen an der Tafel als Tätigkeit von Religionslehrkräften
Das „Wandtafelzeichnen“ (Dreher, 1957) hatte in der Praxisliteratur insbesondere im Zusammenhang eines katechetischen Religionsunterrichts Beachtung gefunden. Eine Vielzahl von Praxishilfen insbesondere ab den 1930er Jahren bot den Lehrkräften konkrete Vorlagen zum Abzeichnen für ihre Tafelzeichnungen zu Katechismusinhalten (z.B. Bauer, 1931; Schneid, 1952, vor allem Bd. 2, Dreher/Strittmatter, 1955; 1957; Straub 1964). Daneben wurden häufig Tipps für das Zeichnen selbst gegeben – z.B. zum richtigen Halten und Handhaben der Kreise, das Anbringen paralleler Striche durch die Arbeit mit gleichzeitig zwei Kreiden (Schneid, 1957, 8). Ferner wurden zum Teil ermutigende Worte an die Lehrer gerichtet, die an ihren zeichnerischen Fähigkeiten zweifeln. Verwiesen wird etwa darauf, dass es im Religionsunterricht nicht um Zeichenkunst gehe (Straub, 1937, 9) und man mutig zur Tat schreiten könne: „Darum, so oder so: Frischer Schwung und kein ängstliches Stricheln! Schnelles Hinwerfen und kein verzagtes Malen mit der Kreide!“ (Frör, 1958, 41). Auch in späteren Praxisbeiträgen für den Religionsunterricht finden sich immer wieder auch Tipps für das Zeichnen von Gegenständen, Menschen, Gesichtern (und dazugehöriger Details wie Augen, Ohren, Nase, Haartracht, Zähnen…), Pflanzen und Tieren, mit denen die Lehrkräfte zu eigenständigen Zeichnungen befähigt werden sollen (z.B. Romanek, 1983; für Tierzeichnungen: Rademacher, 2001).
Zu Einzelfragen wie z.B., ob eher mit weißer Kreide (Martin, 1929), mit wenig Farbe (Dreher, 1957, V) oder mit farbiger Kreide gezeichnet werden soll (z.B. Haas, 1931; Schneid, 1954, 3; Brems, 1962, IX) oder ob Menschen an der Tafel gezeichnet werden sollten oder nicht, finden sich in der Praxisliteratur der 1950er und 1960er Jahre kontroverse Ansichten; Brems nimmt hier konfessionelle Unterschiede wahr, nach denen Personen eher in der evangelischen Praxis gezeichnet werden dürfen (Brems, 1962, XI). Keinen Konsens gab es auch bezüglich der Frage, in welchem Verhältnis die (veranschaulichende) Lehrerzeichnung zur Zeichnung aus der Hand der Schülerinnen und Schüler stehen sollte: Während einige Autoren betonen, dass das Abzeichnen der Tafelskizzen durch die Schüler im Unterricht ein „peinlicher Zeitverlust“ sei und nur zu „einem Kopieren führe“ und nicht zu einer „erlebnisechte[n] und ausdrucksstarke[n]“ Gestaltung (Dreher/Strittmatter, 1957, V) und daher das kindliche Zeichnen in erster Linie dem „Hausfleiß“ zuzuordnen sei (Schneid, 1954, 6), wurde in anderen Publikationen durchaus davon ausgegangen, dass die Schülerinnen und Schüler die Tafelskizze zumindest auf einen Zettel oder in ein Schmierheft direkt in der Stunde übernehmen (Brems, 1962, X). Gelegentlich findet sich auch die Anregung, die Tafelzeichnung zusammen mit den Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten (Brems, 1962, IX).
Als Hauptzweck der Lehrerzeichnung an der Tafel galt die Veranschaulichung von Lehrinhalten (z.B. Martin, 1929, 6; Straub, 1937, 10; Schneid, 1957). Bezüglich dessen, was jeweils veranschaulicht wird, lassen sich nach Kurt Frör drei Grundformen des „Gebrauchs geprägter Stilmittel zur Erarbeitung von Sinnzusammenhängen“ unterscheiden: das Sinnbild, das Sprechzeichnen und die erläuternde Zeichnung (Frör, 1958, 101-184).
Sinnbild:
Einige Autoren – insbesondere aus dem Kontext des kerygmatischen Religionsunterrichts bzw. der Evangelischen Unterweisung – betonten, dass die Tafelzeichnungen in „keinem Fall […] der Illustration biblischer Szenen dienen [sollen] […], sondern durch die Verbindung mit einem Katechismuslehrstück und durch die gegenseitige Beleuchtung der Teilbilder den inneren heilsgeschichtlichen Gehalt zum Vorschein bringen“ wollen (Dreher/Strittmatter, 1957, IV). Sinnbilder (wie z.B. das Dreieck mit einem Auge) wurden auch als Mittel der Strukturierung des Religionsunterrichts bzw. der Schülerhefte eingesetzt (Gojny, 2024, 195-197). Solche Visualisierungen katechetischer Inhalte mit einem festen Repertoire an Symbolen bzw. Zeichen waren aber nicht unumstritten. So kritisierte etwa Brems die kanonisierten Sinnbilder: „Wenn die Kinder an Gott denken, soll ihnen eine Geschichte wie die Isaias-Vision einfallen, sollen sie an den Vater unseres Herrn Jesus Christus denken, nicht aber an ein Dreieck mit einem Auge.“ (Brems, 1962, VIII) Auch Kurt Frör beleuchtete die Lehrerzeichnung als „Anschauungsbild“ kritisch; diese eigne sich nicht als Übertragung von Gedanken Erwachsener an Kinder (Frör, 1958, 49).
Sprechzeichnen:
Das Zeichnen der Religionslehrkraft spielte im Zusammenhang des sogenannten „Sprechzeichnens“ als eine „Brücke vom Denken über das Vorstellen zum Verstehen“ (Uhrig, 1970, 11) bei der Vermittlung biblischer Erzählungen eine zentrale Rolle. Diese Art des Zeichnens mit leicht zu erlernenden „Glyphen“ zu Bereichen wie „Mensch“, „Tier“, „Pflanzen“, „Geographisches“, „Räumliches“, Symbolisches“, die man wie ein ABC gebrauchen und nach bildsyntaktischen Regeln kombinieren kann, wurde von Uhrig ursprünglich als „ökumenisches Mittel der Verständigung unter Erwachsenen“ mit unterschiedlichen Muttersprachen, ggf. sogar anderen Denksystemen, entwickelt (Uhrig, 1970, 13; vgl. auch 14;17) und dann im Kontext der Münchener katechetischen Methode näher entfaltet (Straub, 1964, 3). Die Überlegungen Uhrigs hierzu nehmen explizit Bezug auf die Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs (Uhrig, 1970, 11). Das erzählbegleitende Sprechzeichnen, zu dem viele Fortbildungen angeboten wurden, galt lange Zeit – nicht nur im Zusammenhang eines katechetisch orientierten Religionsunterrichts – als wichtige Methode der Religions- und Gemeindepädagogik (vgl. die Aufnahme eines entsprechenden Beitrags im Methodenkompendium von Adam/Lachmann (Gerlach, 2010) und wird zum Teil auch in neueren Publikationen noch berücksichtigt (Kleine, 2013). Ihr Hauptzweck ist die Veranschaulichung des biblischen Textes, wobei dieser eine eigenständige Deutungsleistung zugesprochen wird. Für die Weiterarbeit der Kinder werden mehrere Möglichkeiten vorgeschlagen: Abzeichnen der Tafelzeichnung, um die biblische Erzählung oder den katechetischen Inhalt besser im Gedächtnis zu behalten, Nacherzählen der Geschichte anhand der Tafelzeichnung oder eine kreative Ausgestaltung der skizzierten Geschichte (Gerlach, 1979, 11).
Erläuternde Zeichnung:
Zeichnungen durch Religionslehrkräfte dienen bzw. dienten an der Tafel immer wieder auch dem Klären und Erläutern von Sachfragen; hierzu gehören Kartenskizzen, verschiedene graphische Darstellungen wie z.B. des Kirchenjahres, eines Zeitstrahls im Zusammenhang kirchengeschichtlichen Lernens, Lebenslinien und -kreise sowie gezeichnete Sacherklärungen (Frör, 1958, 157-184). Beispiele für solche von der Tafel übernommenen erläuternden Skizzen finden sich in Religionsschulheften (Gojny, 2024) seit der Konzeption des Hermeneutischen Religionsunterrichts bis in die Gegenwart. Dabei zeigt sich zum Teil eine erstaunliche Beharrungskraft bestimmter Tafelzeichnungen über viele Jahrzehnte hinweg (z.B. zu den Schöpfungstagen, zum Kirchenjahr).
Über diese drei Grundtypen der Lehrerzeichnung im Religionsunterricht hinaus finden sich in religionspädagogischer Praxisliteratur vereinzelt auch Vorschläge, wie die Tafelzeichnung durch die Hand der Lehrkraft im Zusammenhang anderer Methoden eingesetzt werden kann – etwa als „Bühnenbild“ für Theaterszenen zu Pfingsten, dem Barmherzigen Samariter oder Mose und Aaron beim Pharao (Romanek, 1983, 60f.).
3. Zeichnen und Malen als Tätigkeit von Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht
Bevor im Folgenden Grundformen (3.2) und didaktische Zielsetzungen (3.3.) des Zeichnens und Malens im Religionsunterricht skizziert werden, wird zuvor auf die herausragende Bedeutung von Kinderzeichnungen hingewiesen, die zu Hause, in Kindergärten und eben auch im Schulunterricht entstehen (3.1).
3.1. Kinder- und Jugendzeichnungen als Kulturerbe
Nach Ströter-Bender kann allgemein im Hinblick auf Kinder- und Jugendzeichnungen von einem „bedeutenden europäischen, von einem demokratischen Kulturerbe für breite Gruppen der Zivilgesellschaft“ gesprochen werden. „Dieses Kulturerbe changiert zwischen materiellen und immateriellen Traditionen in der Darstellung von Alltags- und Festkulturen, Gebräuchen und Märchen, Wünschen und Träumen, die sich in zahlreichen Themen der Kinder widerspiegeln“ (Ströter-Bender, 2021, XVII). Zugänglich ist dieses Kulturerbe u.a. in privaten Sammlungen, Archiven und Museen – nicht zuletzt auch in durch Schulmuseen gesammelten Schülerheften z.B. aus den Fächern Naturkunde, Geographie und Religion (Ströter-Bender, 2021, 8). Die entsprechenden Sammlungen zeigen, dass das Zeichnen und Malen im Religionsunterricht der Grundschule besonders gepflegt wurde (so z.B. die Sammlung von Wilhelm Daiber aus den Jahren 1924 bis 1929 mit 4000 Zeichnungen) (Reimer, 2021). Zugleich bieten sie auch Material zur Erforschung der Entwicklung des Zeichnens von Kindern und Jugendlichen (vgl. hierzu u.a. Richter, 1987, 20-127).
3.2. Grundformen
Das Zeichnen und Malen im Religionsunterricht von Schülerinnen und Schülern in Vergangenheit und Gegenwart bewegt sich bezüglich des Grades an Selbstbestimmung zwischen den Polen eines strikt reglementierten Abzeichnens von Lehrerzeichnungen an der Wandtafel (oder späterer Entsprechungen) und dem säuberlichen Ausmalen von Malvorlagen auf der einen und der „freien“ bildnerischen Tätigkeit auf der anderen Seite, die durch die die Institution Schule und den teilöffentlichen Charakter eines Klassenraums gleichwohl gerahmt wird.
Es gibt mitunter enge Verbindungen zu anderen unterrichtlichen Tätigkeiten wie z.B. dem → Erzählen
Typische Motive für Zeichnungen, die die Schülerinnen und Schüler entweder von der Tafel oder vom realen Objekt abgezeichnet haben bzw. zum Teil auch heute noch abzeichnen, sind z.B. die aus den Praxishilfen bekannten symbolhaften Zeichnungen zu Katechismusinhalten, Karten von Israel/Palästina, Szenen zu biblischen Geschichten, Heiligenlegenden, christlichen Feste, aber z.B. auch Votivtafeln, Monstranzen und Kirchenbauten bzw. deren Grundrisse (z.B. Weindel, 2003, 176-194).
Bezüglich freierer Formen des Zeichnens und Malens, die auch „schöpferisches Zeichnen“ genannt werden (Brems, 1962, X), kann unterschieden werden zwischen themengebundenen und nicht themengebundenen Impulsen; das themengebundene Zeichnen und Malen wiederum kann weiter untergliedert werden bezüglich der Sujets, z.B. biblische Geschichten, außerbiblische bzw. subjektbezogene Themen (z.B. Streit) und Gottesbilder (Oberthür, 1988, 80-94; zum Malen von Gottesbildern vgl. Kap. 4 des vorliegenden Artikels). Zum sogenannten „freien Malen“ bzw. dem Gestalten von „Fantasiebilder[n]“ (Niehl/Thömmes, 2014, 187) gibt es unterschiedliche konzeptionelle Überlegungen und methodische Anregungen sowohl für Einzelne als auch für Gruppen (z.B. Knecht, 1988).
U.a. in Schulmuseen gesammelte Religionsschulhefte aus Vergangenheit und Gegenwart (Gojny, 2024) zeigen, dass häufig Buntstifte verwendet werden, zum Teil auch Filzstifte – und dass gerne einzuklebende Ausmalbilder eingesetzt werden: häufig zu biblischen Szenen, zu christlichen Festen und Bräuchen, Kartenskizzen, Realien aus biblischer Zeit, seit der Problemorientierung auch zu ethisch-moralischen Fragen und etwa seit dem Ende des 20. Jahrhunderts z.B. auch Mandalas. In praxisorientierter Literatur wird auf das Anregungspotential abwechslungsreicher Angebote von Papier-Formaten und -Arten sowie Zeichen- und Maltechnik hingewiesen und es wird dazu ermuntert, auch Finger-, Kleister- und Wasserfarben, Wachsmal- und Ölkreiden, Tinte, Tusche, Holzbeize usw. einzusetzen (Kaiser-Berger, 2013; Oberthür, 1988, 102-106; Miller/Wertz, 1976, 12-23), gelegentlich die Farbauswahl bewusst einzugrenzen (z.B. nur Braun- oder Blautöne), mit Kohle oder Kreide auf Packpapier zu zeichnen, einzelne Schriftelemente zu integrieren oder auf goldenem Plakatkarton zu zeichnen (Goecke-Seischab, 2007, 210). Auch unterschiedliche Maluntergründe (wie „Karton, Stein, Holz, Ton, Glas, Folien“ (Röhring, 2007, 57) und das Einbeziehen ansprechender Materialien bei der kreativen und „sinnenorientierten“ Gestaltung von Hefteinträgen (Buck, 2010, 45f.; Buck, 2003) können das Repertoire erweitern.
3.3. Didaktische Funktionen
Die Ziele, die sich mit dem Zeichnen und Malen von Schülerinnen und Schülern in den (oft praxisorientierten) Beiträgen zum Thema verbinden, sind vielfältig und spiegeln unterschiedlich stark die Rahmung durch die jeweils prägende religionspädagogische Konzeption bzw. den prägenden religionsdidaktischen Ansatz:
In älteren Publikationen wird gelegentlich für das Zeichnen der Schülerinnen und Schüler in der häuslichen Nachbereitung des Religionsunterrichts ins Feld geführt, dass sich die Erledigung der Hausaufgaben sofort erkennen lässt (im Gegensatz etwa zum Auswendiglernen) und dass sorgfältiges Zeichnen und Malen „eine Möglichkeit des Ausdrucks ihres guten Willens, des Fleißes, der Sorgfalt und der Liebe zu den heiligen Wahrheiten durch das sorgfältige Führen des Werkheftes oder durch die Gestaltung des Blattes für den Wechselrahmen“ ist (Brems, 1962 VIII). Ebenfalls wird in Beiträgen älteren Datums (vor dem Hintergrund ungeteilter oder wenig gegliederter Landschulen) darauf verwiesen, dass das Zeichnen im Religionsunterricht u.a. der „ersprießlich“ zu gestaltenden „Stillbeschäftigung“ der Kinder und damit der Entlastung der Erzieher dient (Martin, 1929, 3; Straub, 1937, 8; Schneid, 1954, 6; Frör, 1958, 23). Heutzutage finden sich positive Erwähnungen einer disziplinierenden Funktion des Zeichnens und Malens kaum explizit; die Fülle von Ausmalbildern in Religionsschulheften lässt aber darauf schließen, dass das Vermeiden von Unruhe durch das Beschäftigen der Kinder auch gegenwärtig mitintendiert wird. Erhofft wird zudem, dass das Ausmalen z.B. von Mandalas die Konzentration und das Farbempfinden schult und die Schülerinnen und Schüler zur Ruhe kommen (Niehl/Thömmes, 2014, 36, 311f.).
Daneben wird bereits in Beiträgen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, die zum Teil explizit an Forderungen nach einer modernen Arbeitsschule anknüpfen (z.B. Haas, 1931, 3), immer wieder betont, dass die kindgemäße Tätigkeit des (vor allem selbstständigen, freien bzw. schöpferischen) Zeichnens und Malens den Schülerinnen und Schülern helfen kann, sich die Lerngegenstände besser anzueignen als beim reinen Zuhören oder Schreiben (Haas, 1931, 3). Konkret wird z.B. die Hoffnung geäußert, dass durch die zeichnende Tätigkeit der Stoff „geklärt, vertieft und eingeprägt“ und später besser erinnert wird (Martin, 1929, 6; ähnlich: Straub, 1937, 10; Frör, 1958, 20). Auch in der Gegenwart verbinden sich mit dem Zeichnen und Malen der Kinder Erwartungen einer Erhöhung der Lernfreude und Motivation sowie das Ziel, dass sich Kinder und Jugendliche durch das Malen und Zeichen die Lerngegenstände besser aneignen können. Dabei „nutzt [man] diese Form auch, weil jüngere Kinder noch nicht über die Fähigkeiten des Lesens und Schreibens verfügen, um die individuelle Tätigkeit der Auseinandersetzung mit einem Gegenstand zu stimulieren“ (Fischer, 2000, 7). Als ein besonderes Potential der Aneignung durch Malen und Zeichen im Religionsunterricht gilt, dass durch diese Tätigkeiten emotionale und affektive Zugänge zur religiösen Dimension geschaffen werden können (z.B. Seinfeld, 1993, 133; ähnlich vorher bereits Frör, der von dem Erreichen von „Tiefenschichten“ spricht: Frör, 1958, 22). Malen und Zeichnen gilt überdies als Möglichkeit, den Unterrichtsstoff zu vertiefen und zu wiederholen (Goecke-Seischab, 2007, 207) und ihn dadurch besser zu behalten (Miller/Wertz, 1976, 372).
Eine weitere zentrale Grundfunktion, die dem ‚freien‘ Malen und Zeichnen sowie allgemein dem ästhetischen bzw. kreativen Gestalten von Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht zugeschrieben wurde und wird, ist der individuelle Ausdruck eigener (religiöser) Vorstellungen und Empfindungen(Zeeh-Silva, 2012, 15f.; Röhrig, 2007, 56; Oberthür, 1988, 57, 123-124; Martin, 1929, 6;). So kann z.B. nach Frör ein Kind im schöpferischen Gestalten „die ihm gemäße Aussageform finden, in der es Antwort gibt auf die gehörte Botschaft und in der es in der Ganzheit seiner Person sich lebendig und ursprünglich ausdrücken kann“ (Frör, 1958, 20). Als ein besonderes Potential des bildnerischen Ausdrucks gilt, dass sich hier Kinder beteiligen können, die sich wort-sprachlich weniger gut ausdrücken können als ihre Altersgenossinnen und -genossen (Miller/Wertz, 1990, 370f.) (→ Inklusion
Kreative Betätigung im Religionsunterricht gilt auch als Chance, über die Produkte der kreativen Auseinandersetzung miteinander ins Gespräch zu kommen (Zeeh-Silva, 2012, 18; Goecke-Seischab, 2007, 207) und so kognitive Lernprozesse zu unterstützen (Miller/Wertz, 2012, 370). Damit dies gelingen kann, sind eine vertrauensvolle Atmosphäre und ein bewertungsfreier Raum Voraussetzung – und der Einsatz geeigneter Methoden, die dazu beitragen, dass sich die Kinder und Jugendlichen sowie die Lehrkraft wertschätzend über die Werke austauschen (wie z.B. das bewusste „Ausstellen“ der Bilder oder der Einsatz didaktisch-methodischer Zugänge aus dem Bereich der → Kinder-
Zeigen Heranwachsende durch ihre Bilder etwas von ihren religiösen Vorstellungen, kann dies den Lehrkräften helfen, die Entwicklung ihres religiösen Denkens besser einzuschätzen (Hilger/Rothgangel, 2000). Insofern können Bilder aus Schülerhand auch eine diagnostische Funktion haben.
Nicht zuletzt leisten das Zeichnen und Malen im Religionsunterricht einen Beitrag sowohl allgemein zur ästhetischen Bildung (→ Bildung, ästhetische
4. Zeichnen und Malen von Kindern und Jugendlichen im Kontext religiöser Bildung als Forschungsgegenstand
Das Zeichnen und Malen im Kontext religiöser Bildung wurde und wird immer wieder empirisch erforscht. Ein Fokus liegt dabei auf der Frage, wie sich das Gottesbild bei Kindern und Jugendlichen entwickelt (z.B. Hanisch, 1996) bzw. was das Malen von Gottes-Bildern über die Gotteskonzepte verrät (→ Religiöse Entwicklung, Forschungszugänge
Die Bearbeitung der Frage, inwiefern sich die Überlegungen zu „Sinn und Wirksamkeit des Malens und Zeichnens im Unterricht“ auch empirisch belegen lassen (Fischer, 2000, 8), stellt nach wie vor ein Forschungsdesiderat dar. Angesichts der Bedeutung, die das bildnerische Gestalten in der Praxis des Religionsunterrichts hat, wäre es zu wünschen, dass dieses deutlich mehr in den Fokus des Forschungsinteresses rückt als bislang – und dass in diesem Zusammenhang die Chancen, die das Malen und Zeichnen im Religionsunterricht jenseits der Grundschule birgt, noch genauer in den Blick kommen.
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