Platonismus
(erstellt: Oktober 2023)
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1. Platon
Platon gilt als einer der bedeutendsten antiken griechischen Philosophen († 348/347 v. Chr. in Athen). Er ist Schüler des Sokrates und Gründer der Platonischen Akademie, der ältesten institutionellen Philosophenschule Griechenlands, von der aus sich seine Lehren über die antike Welt verbreiteten. Als Denker und Schriftsteller widmet sich Platon der Erkenntnistheorie und Ethik, der Kosmologie und Anthropologie sowie der Staats- und Kunsttheorie. Sein bevorzugtes Darstellungsmittel ist der literarische Dialog, in dem er verschiedene Denkansätze in einen lebendigen Diskurs führt, ohne dass immer ersichtlich wäre, welche Quellen er aufgreift und welchen Ansichten er selbst zuneigt bzw. welche er eigenständig entwickelt. Charakteristisch ist dabei sein Rückgriff auf religiös- mythische Motive und handwerklich-lebenspraktische Zusammenhänge, um die Anschaulichkeit und Lebendigkeit seiner Dialektik zu befördern.
Eine seiner philosophischen Hauptfragen ist, wie gesichertes Wissen über richtiges Denken und Handeln erlangt und von bloßen Meinungen unterschieden werden kann. Dies führt ihn von den wandelbaren Objekten der Sinneserfahrung zu unkörperlichen und unveränderlichen Gegebenheiten einer rein geistigen Welt der sogenannten „Ideen“ als Ur- und Vorbildern der Sinnendinge. Jedes Element der physischen Welt hat Anteil an der Idee, deren Abbild (eikōn, eidōlon) es ist. Die Idee bestimmt ursächlich dessen Sein und Beschaffenheit.
Anthropologisch kommt die Ideenlehre in der Auffassung der Seele (psychē) als immaterielles, dem Leib übergeordnetes und unsterbliches Prinzip des Lebens zum Ausdruck (vgl. Meyer, 76–85). Sie ist prä- und postexistent, existiert also vor der Entstehung des Leibes und besteht nach seiner Auflösung unversehrt fort. Die Seele vermag als Vernünftiges (logistikon) geistige Entscheidungen zu treffen, integriert aber die irrationalen Elemente des Begehrens (epithymētikon) und des Muthaften (thymoeides), wie das berühmte Gleichnis von einem geflügelten und zu dem „überhimmlischen Ort“ (Phaidros 247c) der Ideenwelt auffahrenden Seelengespann zum Ausdruck bringt (Phaidros 246a–250c). Die Seele erlangt Harmonie, wenn der vernünftige Seelenteil über die anderen beiden Teile dominiert (vgl. Politeia 438d–441c; 443c–445e). Ontologisch stellt sie ein Mittleres zwischen Sinnen- und Ideenwelt dar (vgl. Szlezák, 307).
Der Körper gilt als „Gefäß“, „Wohnstatt“ der Seele, negativ ausgedrückt als ihr
„Grab“ oder „Gefängnis“ (vgl. Gorgias 493a; Kratylos 400c; Phaidros 250c). Dementsprechend bedeutet der Tod die Befreiung der Seele vom Materiellen und führt zu Erkenntnis. Konnte sie im Leib nur zwischen Sinnen- und Ideenwelt vermitteln, vermag sie die Ideen nun ungetrübt von „Gehör, Gesicht, Schmerz und Lust“ (Phaidon 65c) zu schauen. Ihr ethisches Handeln gibt ihr Individualität und entscheidet über ihr Schicksal nach dem Tod. Gegenüber der archaischen Zeit, die in der postmortalen Seele nur ein Schattenbild (eidōlon) des lebendigen Selbst sehen konnte, wird die Seele zum den Körper dominierenden „Selbst“ des Menschen (vgl. die klassische Darstellung von Rohde). Der Seele ist Erkenntnis möglich, da sie in der Präexistenz die Ideen unmittelbar schauen konnte und sich dieser Schau auf Erden nun zu erinnern vermag (zum Theorem der Anamnesis vgl. Menon 81aff.; Phaidros 248a–250c). Damit hat die Seele eine ins Jenseits übergreifende Biographie vor und nach ihrer irdischen Existenz. Im Hintergrund steht der orphisch-pythagoreische Glaube an eine Seelenwanderung. Das ethische Bemühen und die Ideenschau früherer Leben entscheiden über die Aussicht, auf Erden und im Jenseits Glück zu erlangen (Szlezák, 339). Von Platon gibt es drei eschatologische Mythen, in denen er seine philosophische Sicht in die überlieferte Bilderwelt vom Hades aus der orphischen Mysterienreligion einträgt (Gorgias 523a–527a; Phaidon 110b–115a; Politeia 614b–621b). Wichtige Themen sind Lohn und Strafe sowie die Wahl der Lebenslose.
Der platonische Seelenbegriff bestimmt über die Anthropologie hinaus auch die Konzeption der Welt (vgl. Szlezák, 309f). Alle Bewegung und alles Leben wird von der Weltseele gelenkt, selbst die Gestirne, das „himmlische Geschlecht der Götter“ (Timaios 39e). Auch die Seele selbst ist göttlich, aber nicht ein Letztes und Ungewordenes, sondern das Erste unter den gewordenen Dingen (vgl. Nomoi 892a). Der sichtbare Kosmos als Abbild der intelligiblen Welt ist ein durch des Gottes Fürsorge „beseeltes und vernunftbegabtes Lebewesen“ (Timaios 30b). Die Welt muss „dem vollkommenen und von der Vernunft erkennbaren Lebewesen so ähnlich wie möglich sein“ (39e) und daher verschiedene, den vier Elementen entsprechende Arten von Lebewesen enthalten: „die eine der Götter himmlisches Geschlecht, eine andere das geflügelte, die Luft durchwandelnde, die dritte die im Wasser hausende Art, die vierte die auf ihren Füßen wandelnde und auf dem Festland lebende“ (39e–40a). In dieser prallen Lebensfülle ist der Kosmos „ein wahrnehmbarer Gott“ (Timaios 92c). Mit der Verankerung dieser keine Lebensleere duldenden Weltordnung in der Vernunft des Demiurgen tritt Platon Lehren entgegen, die die Welt entweder als materiell-atomistische (Demokrit) oder als bewegungslose (Parmenides) beschreiben.
Für ein Verständnis der platonischen Kosmologie ist die im Timaios verwendete metaphorische Sprache zu beachten. Da die sichtbare Welt nur Abbild der intelligiblen ist, kann der kosmologische Diskurs auch nur eine „wahrscheinliche Darlegung“ bzw. „Mythos“ (eikōs logos / mythos; Timaios 29b–d) sein (Poetsch, 320–322). Darunter fällt insbesondere die Rede vom Demiurgen, der als göttlicher Handwerker aus der präkosmischen „Chora“ die sichtbare Welt entstehen lässt (vgl. Schwindt, 2022, 105–115). Er ist kein Schöpfergott im Sinne einer creatio ex nihilo, sondern Bearbeiter und Former des Vorhandenen. Viel diskutiert wird die Aussage, dass der Kosmos geworden sei (Timaios 28b). Denkt Platon an ein einmaliges historisches Ereignis oder an ein überzeitliches Geschehen, das sich nur der didaktischen Anschaulichkeit halber eines zeitlichen Moments bedient? Handelt es sich um eine einmalige Schöpfung oder eine creatio continua? Da Platon in Timaios 28b die Welt als Gewordenes bezeichnet, die Seele in Phaidros 245c–d aber als ungeworden, scheint er die Weltentstehung als einen ständigen Prozess zu verstehen, wobei zwischen Ewigkeit und Zeit zu unterscheiden ist (vgl. Erler, 456f.).
Auch in seiner Kosmographie und →Dämonologie
2. Platonismus, Mittelplatonismus
Platons Schriften sind in der Antike in hohem Maß schulbildend geworden.
„Platoniker“ erhielten entweder eine Ausbildung an der von Platon begründeten Akademie oder knüpften ausdrücklich an Platons Lehren an, setzten aber auch eigene Akzente. Meist unterteilt man den antiken Platonismus in die Ältere Akademie (von Platon bis Krates von Athen), die Jüngere Akademie (von Arkesilaos bis Philon von Larisa), den Mittelplatonismus und den Neuplatonismus. Während die Ältere und die Jüngere Akademie die Ideenlehre bzw. die damit verbundenen ontologischen Prämissen skeptisch betrachtete und zum Teil ablehnte, steht der Mittelplatonismus, der die Zeit des Neuen Testaments umspannt, für eine Überwindung der Skepsis und Rückbesinnung auf Platons Lehre.
Der Begriff des „Mittelplatonismus“ ist nicht leicht zu bestimmen (vgl. Eisele, 138– 142). Wie schon das Präfix „Mittel-“ suggeriert, wird er meist definiert über seine zeitliche Erstreckung zwischen der skeptischen Phase der Akademie und den Vorläufern Plotins, der den Neuplatonismus repräsentiert (so z. B. Zintzen, IX). Damit ergibt sich eine Zeitspanne von ca. 80 v. Chr. bis 220 n. Chr. Versucht man dagegen eine inhaltliche Qualifizierung, stößt man auf einen Grundbestand von drei minimalen Gemeinsamkeiten, die die platonische Philosophie dieser Zeit bezeugen: die Transzendenz Gottes, die Existenz der Ideen (als Gedanken Gottes) und die Unsterblichkeit der Seele (Klauck, 124; Rich). Die Rückbesinnung auf Platon geht mit der Rezeption von Elementen aus anderen Philosophenschulen einher. So findet sich im Mittelplatonismus der Logosbegriff aus der aristotelischen Logik, die Zahlenlehre des Neupythagoreismus und Philosopheme aus der Stoa. Zu Letzterer ist dennoch eine klare Grenze gezogen. Die Stoa postuliert zwar eine Zweiheit der beiden Prinzipien des „Tätigen“ und des „Leidenden“, versteht diese aber als Grundmomente des einen, unvergänglichen Seins und das in materialistischer Weise. Eine davon abgetrennte Ideenwelt kennt sie ebenso wenig wie einen transzendenten Schöpfergott. Theologisch führt die stoische Immanenz zu einem →Pantheismus
Die Quellenbasis für den Mittelplatonismus beschränkt sich auf wenige Autoren, von denen besonders zwei rezeptionsgeschichtlich von Bedeutung sind: Plutarch und →Philo von Alexandrien
2.1. Plutarch von Chaironeia
Der griechische Historiker und Philosoph Plutarch (ca. 50 n. Chr.–120 n. Chr.) hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, das sich in philosophischer und kosmologischer Hinsicht eng an Platon anlehnt. In seinen religionsphilosophischen Schriften wie z. B. dem Dialog De E apud Delphos tendiert er „zu einer Art modalistischem Monotheismus“ (Eisele, 157). So kann jeder der traditionellen Gottheiten als „der Gott“ die transzendente Welt zentral repräsentieren. Da nicht einmal die Sonne diesem Gott in ihrem göttlichen Wesen gleichkommt, ist er radikal transzendent gedacht.
Diese Diastase führt Plutarch wie Platon zu einer Dämonologie der Vermittlung zwischen Himmel und Erde und Ausfüllung aller Weltenräume (vgl. Schwindt, 2002, 229–238). Daneben kennt Plutarch dem Menschen beigesellte Schutzdämonen, die teils als selbständige Geister geschaffen sind, teils als Totengeister mit irdisch-menschlicher Vergangenheit. Die damit gegebene Verbindung von Dämonologie und Seelenlehre bestimmt auch Plutarchs eschatologische Mythen, die an das platonische Vorbild, aber auch an die Seelen- und Affektenlehre des Stoikers Poseidonios anknüpfen (vgl. Klauck, 135–139; Schwindt, 2002, 237). Kern von Plutarchs Seelendämonologie ist die Vorstellung vom Dämon als einer sich läuternden und gen Himmel strebenden Totenseele. Trost und Zuversicht vermögen keine Botendämonen oder die Götter selbst, sondern nur der Glaube an eine kosmische Ordnung zu geben, die dem Menschen über den Weg seiner eigenen postmortalen
„Dämonisierung“ Unsterblichkeit verleiht.
2.2. Philo von Alexandrien
Der jüdische Religionsphilosoph und Bibelexeget Philo von Alexandrien (ca. 20 v. Chr.–45 n. Chr.) zeigt sich der platonisch-akademischen Traditionslinie eng verbunden. Die vorrangig exegetischen Interessen und seine allegorische Methode bedingen allerdings eine mangelnde Systematik seiner Diktion, die meist übergangslos theologische, kosmologische und soteriologische Gedanken aneinanderreiht. Philos kosmologische Hauptschrift De Opificio Mundi bietet eine am Timaios orientierte Exegese der →Schöpfungserzählung
Im Hinblick auf sein Bestreben, griechisch-philosophisches und biblisches Denken zusammenzuführen, orientiert der Alexandriner seine Schöpfungsvorstellung aber nicht nur an Platon, sondern auch am Mittelplatonismus mit der Grundfrage, wie die Vermittlung zwischen dem transzendenten „überdrobigen Gott“ (hyperanō theos) und dem Kosmos zu denken ist. Zu nennen ist besonders Eudoros (vgl. Männlein-Robert), dessen Transzendenzspekulation von der pythagoreischen Lehre der ersten Prinzipien ausgeht. Danach wird ein oberstes Prinzip vorausgesetzt, „das Eine“ genannt, und darunter ein Paar von Gegensätzen: eine Monade und eine Dyade als ihr Gegenteil (vgl. Dillon, 1981, 17–19). Eudoros setzt das oberste Eine zum kausalen Prinzip von Monade und Dyas an und nennt es den „obersten Gott“. Dieser kann als ein transzendentes Schöpferprinzip gedacht werden, sofern anders als in der Kosmologie des Timaios das oberste Eine Urheber sowohl der Ideen als auch der Materie ist (Dillon, 1981, 30, Anm. 15). Philo knüpft offensichtlich daran an, sofern das transzendente Eine seinem Schöpfergott bzw. seinem Logos, die Monade dem in Gen
Sowohl in biblischer wie in platonischer Sicht ist die sichtbare Welt eine mit Lebewesen ausgefüllte Welt. Philo übernimmt diese Vorstellung in enger Anlehnung an Platon (De Providentia 2,110), weitet die kosmische „Fülle“ aber in mittelplatonischer Manier in die unsichtbare Welt des Logos hin aus (Schwindt, 2022, 153–156). Der göttliche Logos repräsentiert einen Raum, „den Gott selbst ganz und gar mit unkörperlichen Kräften ausgefüllt hat“ (De Somniis 1,62). Dem Logos mit seiner Eigenschaft, ein von Logoi erfüllter Raum zu sein, kommt in der philonischen Kosmologie und Soteriologie eine zentrale Bedeutung zu. In der Rolle des aktiven Prinzips aus der mittelplatonischen Prinzipienlehre vermittelt und repräsentiert er Vernunft und Macht des Schöpfergottes. Als von körperlosen Kräften ausgefüllter Raum steht der Logos für die weltzugewandte Seite Gottes (De Confusione Linguarum 136.172).
Das Philo in seiner Logoslehre beschäftigende Problem vom Verhältnis zwischen Transzendenz und Immanenz reflektiert er auch angelologisch und dämonologisch (vgl. Eisele, 196–240; Schwindt, 2022, 154–156). In De Gigantibus 6 beschreibt er die Engel als „in der Luft fliegende Seelen“, sieht in ihnen also keine selbständigen Geistwesen. In Gen
In →Jakobs Traum der Himmelsleiter
Dem Logos kommt eine Herrscherstellung über den →Kosmos
3. Platonismus und Neues Testament
Schon die Septuaginta und die jüngeren griechisch verfassten Schriften des Alten Testaments zeigen Anklänge an pagan-hellenistische Vorstellungen in Anthropologie und →Eschatologie
3.1. Das Lukasevangelium
Der Himmel im Gegenüber zur Erde wird bei →Lukas
3.2. Das Johannesevangelium
Im →vierten Evangelium
Die präexistent-himmlische Herkünftigkeit Christi prägt über den Prolog hinaus das gesamte Evangelium. Wie die Platoniker deutet Joh die Welt in ihrem Sein und Sosein von einem Vorgängigen und Übergängigen her. Über dem messianischen Offenbarer ist nicht nur der Himmel dauerhaft geöffnet (Joh 1,51
3.3. Paulus
Die religiös-kulturelle Verwurzelung des Paulus im Frühjudentum geht mit einer Vertrautheit mit Grundlinien der damaligen philosophischen Schulen einher, wie nicht nur die lk Areopagrede, sondern auch Stellen aus seinen Briefen belegen. Die jüngste Forschung hat sich der Frage nach der Philosophizität des Apostels intensiv zugewandt (Dodson/ Pitts; Malherbe; Vollenweider). Seine Auseinandersetzung mit philosophischen Methoden und Inhalten geschieht in Anknüpfung und Widerspruch. Letzterer baut sich vor allem in seiner Verkündigung des „Wortes vom Kreuz“ (1 Kor 1,18
In der Beschreibung der Gottes- und Christusbeziehung der Glaubenden bedient sich Paulus des Paradigmas der Teilhabe (Schnelle), und zwar in einer Weise, die an die platonische Seinslehre erinnert. Für die platonische Philosophie stellt die „Teilhabe“ (methēxis) „eine im Ansatz substanzialistische Basiskategorie“ (Vollenweider, 663) dar, die von Paulus aber wesentlich dynamisch, personal und relational gedacht wird. Christsein ist Teilhabe am gekreuzigten und auferstandenen Kyrios und Sohn Gottes.
Die leibliche Dimension dieser Teilhabe, die in Korinth für die Verstorbenen in Frage gestellt wird, diskutiert Paulus mittels einer protologischen Eschatologie, die sich ebenfalls im Platonismus und hellenistischen Judentum zu findender Argumentationsmuster bedient (Schwindt, 2022, 280–312). In seinem Plausibilisierungsversuch, eine transzendente Auferstehungsleiblichkeit für die Christusgläubigen zur erweisen (1 Kor 15
Auch Philo kämpft mit diesem Vermittlungsproblem. Der Alexandriner übernimmt die platonische Vorstellung, dass alle Kosmosräume, insbesondere die Astralsphären, von Lebewesen erfüllt bzw. beseelt sind (De Gigantibus 7f.; De Plantibus 12), beharrt aber auf einem strikten Dualismus von Materie und Geist, der der Körperlichkeit eine zwischen Welt und Gott vermittelnde Funktion verwehrt. Insbesondere in der Lehre von dem Aufstiegsmysterium der Seele bleibt für eine Heilsrelevanz des Leiblichen kein Platz mehr (vgl. De Somniis 1,134f.). Damit scheint der Alexandriner von dem Leibskeptizismus und Pneumatismus der antipaulinischen Front nicht weit entfernt zu sein. Dies lässt gut verstehen, warum Paulus die Leugner einer leiblichen Auferstehung mittels deren eigenen Weltvorstellungen zu überzeugen trachtet. Sowohl der Mittelplatoniker Philo als auch Paulus sehen in der vollständigen Erfülltheit des Kosmos mit Lebewesen einen Hinweis auf die Existenz einer transzendenten Wirklichkeit. Während aber für den Alexandriner das Geistig-Psychische das alles Schöpfungssein verbindende Grundelement bildet, ist es für Paulus das Leibliche.
Dass Paulus platonisierendes Denken stets in Anknüpfung und Widerstand spiegelt, wird in der Anthropologie hinreichend deutlich (van Kooten; Wasserman). So stellt die Vorstellung vom „inneren Menschen“ offensichtlich eine Figur platonischer Provenienz her (Platon, Politeia 589a; Philon, De Congressu 97). In seiner Schilderung der rettungslosen Verlorenheit des „inneren Menschen“ in Röm 7,22–23 kontrastiert Paulus diesen mit dem wertschätzenden Blick der Platoniker auf das intelligible Selbst des Menschen (Vollenweider, 660; Betz). Ebensowenig platonisch spricht Paulus von der täglichen Erneuerung des „inneren Menschen“ (2 Kor 4,16) in ihrer christozentrischen und pneumatisch- eschatologischen Vermitteltheit. Umstritten ist die philonisch-mittelplatonische Valenz der paulinischen Adam-Christus-Typologie und die Logos-Theologie als Hintergrund der Heils- und Weisheitsdebatte von 1 Kor 1–4
3.4. Deuteropaulinen
Der Kolosser- und der Epheserbrief stehen als nachpaulinische Schreiben für eine Christologie und Ekklesiologie, die sich verstärkt philosophisch- kosmologischer Motive und Vorstellungen bedient, um in einen Diskurs mit Adressatengruppen zu treten, die in Vergangenheit und Gegenwart von solchen Paradigmen beeinflusst wurden. Im Hintergrund steht das weitverbreitete, von E. Schweizer „Weltangst“ genannte Empfinden, dass Himmel und Erde, Göttliches und Menschliches durch dämonische Mächte auseinandergerissen scheinen, sodass die Einheit des Kosmos zerbrochen ist. Die religiöse Verehrung des Kosmos weicht einer Phobie, der man mit Astrologie und Magie zu begegnen sucht.
Kol setzt sich kritisch mit einer von ihm als „Philosophie“ (Kol 2,8
„Blut des Kreuzes“) ergänzt. Schon die erste Prädikation Christi als „Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15
Eph entfaltet die Motive der präsentischen und herrscherlichen Christusfülle weiter (Schwindt, 2022, 312–351). Gegenüber der dämonischen Verdunkelung der Gottesgegenwart im Kosmos betont Eph, dass Christi Auferstehung eine „überhimmlische“ Erhöhung Jesu Christi bedeutet (en tois epouraniois; Eph 1,20), die einen Herrschaftswechsel induziert. Die durch diese Erhöhung ermöglichte Welteinung Eph 1,10
Die Emphase, mit der Eph die Unifizierung von Kosmos und Kirche mittels der Zwei-zu-Eins-Formel vor Augen stellt (in Eph 2,14–18
3.5. Hebräerbrief
Das nachpaulinische Schreiben des Hebr verbindet jüdisch-apokalyptische Strömungen mit weisheitlich-mystischen Vorstellungen und greift im Ganzen des NT am deutlichsten auf eine Transzendenz-Ontologie zurück, die mittelplatonische Züge trägt (Eisele). Christologie und Eschatologie sind in Hebr 8–9 durch das strikte Gegenüber zweier verschiedener Wirklichkeitsbereiche gekennzeichnet, das Sein des ewigen himmlischen Heiligtums und das des vergänglichen irdischen Heiligtums (Hebr 8,5
Das hier zum Tragen kommende Urbild-Abbild-Denken begegnet zwar auch in der Apokalyptik, doch bleibt das dem Abbild überlegene Urbild dort Raum und Zeit verhaftet. Das platonische Urbild dagegen repräsentiert einen ontologischen Status, der einen rein noetischen Charakter besitzt. Platons Aufstiegsbilder beschreiben räumlich den Eingang ins Unräumliche und nur unsinnlich Wahrnehmbare (Eisele, 377). Auch Hebr 11,3
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