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Haare / Haartracht (NT)

Schlagworte: Haare

(erstellt: Juli 2023)

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1. Haartrachten in der Umwelt des NT

1.1. Allgemeines

Es ist nur in Grundzügen möglich, die Haar- und Barttracht des antiken Griechenlands mit seinen Poleis, des hellenistischen Kulturkreises und des römischen Reiches zu beschreiben. Einerseits liegt dies an der zeitlichen und kulturellen Bedingtheit und Wandelbarkeit von Haartrachten, andererseits auch an dem großen geografischen, multiethnischen, -kulturellen und -religiösen Raum, den die hellenistische Welt und das römische Imperium umspannen. Im Folgenden müssen einige wenige, allgemeine Linien genügen, die sich v. a. auf das 1. und 2. Jh. n. Chr. konzentrieren. Grundsätzlich gilt: Die Haartracht kann Altersstufen, sozialen Rang und soziale Einstellungen anzeigen, und zwar innerhalb einer religiösen oder ethnischen Einheit. Die Quellenlage hat insofern eine Schlagseite, da diese vorwiegend die Sicht der männlichen Elite wiedergibt.

Langes, volles Haar ebenso wie der Vollbart galt in der Antike als Zeichen von Kraft und auch der Göttlichkeit. Haarpracht konnte man mit Vitalität assoziieren. Ein Mangel an Haaren, sei es durch Zwangsschur oder -rasur oder aufgrund von Alter und Krankheit, wurde nicht gern gesehen.

Männer trugen ihr Haar meist kurz und einfach frisiert. Trugen sie stattdessen aufwändige Frisuren, galten sie mitunter als effeminiert oder homosexuell. In der Öffentlichkeit zeigten sich (freie) Männer meist unbedeckt, auch wenn die phrygische Mütze eine weit verbreitete Kopfbedeckung in Kleinasien und darüber hinaus war. Die Kopfbedeckung bei Männern war freiwillig, sie konnte aber auch einen Sklaven oder einen Mann von inferiorer Stellung anzeigen. Römer und Griechen waren zumeist rasiert. Der Bart galt insbesondere als Zeichen der Philosophen, was jedoch weniger den „Beruf“ darstellte, sondern der sichtbare Ausdruck einer Distanz zum Lebensstil des Durchschnitts war. Der Bart war in diesem Falle ein klares Statement.

Frauen trugen das Haar lang, teils einfach, teils aufwändig frisiert. Zum Schmuck dienten Nadeln und Haarbänder oder -reife. Eingeflochtene Haarteile oder Perücken modifizierten das körpereigene Kopfhaar und erlaubten voluminösere Frisuren. Kurzhaarigkeit war bei Frauen verpönt und kurzhaarigen Frauen wurde mitunter eine homosexuelle Neigung nachgesagt. In der Öffentlichkeit traten Frauen im griechisch-römischen Kulturkreis und im Judentum verhüllt auf. Hierbei ist aber nur sehr selten an einen Gesichtsschleier zu denken, vielmehr mit einem Überwurf des Gewandes oder einer Stola, um das Haupthaar zu bedecken. Jedoch muss man in diesem Falle auch Unterschiede hinsichtlich des Standes und des Alters der Frau berücksichtigen: Mädchen und junge unverheiratete Frauen verhüllten nicht oder kaum das Haupthaar. Mit der Ehe änderte sich dies und von nun an bedeckten sie ihr Haupt in der Öffentlichkeit und die Frisuren wurden strenger. Man kann hierin einen Ausdruck der Kontrolle über die Sexualität der Frau erkennen. Das offene, ungeordnete lange Frauenhaar hatte eine stark sexuelle Bedeutung und zeigt auch Unterwerfung und Verfügbarkeit an, mithin einen Kontrollverlust der Frau über sich selbst. Körperhaare wurden abrasiert oder abgesengt, auch Cremes und Salben konnten zum Einsatz kommen. Was bei Frauen einem Schönheitsideal entsprach, galt bei Männern als effeminiert und suspekt.

Die Haarschur galt meist für beide Geschlechter als entehrend, sehr kurze oder geschorene Haare konnten auch das Zeichen von Sklaven sein. Die Kahlschur war eine Strafe für Ehebrecherinnen. Im Rahmen von Haaropfern und -weihen war die Schur hingegen positiv konnotiert. Dies geschah etwa bei Gelübden, der Erreichung bestimmter Lebensalter (z.B. bei Geschlechtsreife; der erste Bart konnte abrasiert und geweiht werden) oder Trauerriten. Trauernde Männer schnitten sich die Haare, Frauen derangierten ihre Frisuren. Römische Männer hingegen, die sich für gewöhnlich rasierten, ließen sich in Trauerphasen einen Bart stehen.

1.2. Haarmoden im 1. und 2. Jh. n. Chr.

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Während des ersten Jahrhunderts wandelte sich die weibliche Haarmode häufig. Modisch stilbildend waren Frisuren und Kopfbedeckungen der Frauen der Kaiserfamilie, deren Portraits auf Münzen oder Statuen die Öffentlichkeit des Reiches zu Gesicht bekam. Die ersten auf römischen Münzen abgebildeten Frauen waren Livia, die Mutter des Augustus, und Octavia, dessen Schwester. Beide Frauen tragen auf den Münzprägungen den sogenannten nodus (Abb. 1 und Abb. 2). Hierbei wird der vordere Teil des Haupthaares zu einem flachen
Haare (NT) 2
Knoten aufgerollt, die restlichen Haare sind nach hinten gekämmt und bilden im Nacken einen Haarknoten. Teils ist das Haar gescheitelt, sodass auch der nodus an der Frontseite geteilt wird. Die Schlichtheit dieser Frisur bringt das Anliegen des moralischen Restaurationsprogramms der augusteischen Zeit zum Ausdruck. Während der julisch-claudischen Dynastie bleiben die Frauenfrisuren einfach.

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Die Herrenfrisur bleibt zur Zeit der julisch-claudischen Dynastie typisch römisch: Die Haare sind kurzgeschnitten und am Vorderkopf geordnet in die Stirn gekämmt. Augustus lässt sich so abbilden. Typisch ist für Augustus-Abbildungen die gabelzangenartige Frisur der in die Stirn gekämmten Haare. Statuen zeigen ihn häufig in priesterlicher Funktion und kehren damit seine pietas gegenüber den Göttern hervor, womit ebenfalls das augusteische Restaurationsprogramm propagiert wird. Auf diesen Statuen und Abbildungen bedeckt Augustus mit einem Teil seiner Toga seinen Hinterkopf (capite velato), wie es Römer taten, wenn sie Kulthandlungen vornahmen (Abb. 3 und 4). Diese Sitte der Bedeckung des Kopfes im Kult ist allerdings nicht allein auf Männer beschränkt.

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Die Frauenfrisuren in der Zeit der flavischen Dynastie sind deutlich aufwändiger und opulenter als zuvor. Das beste Beispiel ist der sogenannte orbis comarum (Abb. 5). Ein Teil der Haare ist nach vorne gekämmt, wird zu zahlreichen kleinen Locken gedreht, die geordnet aufeinandergeschichtet einen aufgetürmten Haarkranz auf der Stirn bilden. Der restliche Teil der Haare ist nach hinten gekämmt und im Nacken zu einem kunstvollen Knoten gewunden. Da für diese Frisur eine Unmenge an Haaren nötig ist, wurden mitunter Fremdhaarteile – tierische wie menschliche – eingeflochten.

Mit Beginn des 2. Jh. n. Chr. vereinfachen sich die Frauenfrisuren. Mehrere geflochtene, in Variationen um den Kopf gelegte Zöpfe bestimmen die Mode, ebenfalls wie onduliertes Haar. Die Herrenfrisuren der Kaiser bestimmen nun Locken oder mehrere Löckchen in der Stirn (Abb. 6).

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2. Haar und Haartracht im Neuen Testament

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Das Neue Testament erwähnt Haare und Haartracht nur an wenigen Stellen. Bärte erwähnt es nicht. Frauenhaar wird weitaus häufiger und eingehender besprochen als Männerhaar. Insbesondere die neutestamentliche Briefliteratur bespricht das Frauenhaar im Rahmen von Anweisungen für den Gottesdienst (1Kor 11,2-16) und in Texten, die der Haustafeltradition nahestehen (1Tim 2,9; 1Petr 3,3). Es bestand offenbar eine größere Notwendigkeit, die Aufmachung und den Umgang mit Frauenhaaren zu reglementieren. Dies ist keine genuine Tendenz der ersten Gemeinden der Christusgläubigen, sondern erklärt sich aus kulturellen Einflüssen der Umwelt der Gemeinden.

2.1. Das Haargewand des Täufers

Johannes der Täufer trägt in der Darstellung des NT (Mk 1,6; Mt 3,4) ein Gewand aus Kamelhaaren. Diese Bedeckung über und über mit Haaren ist ein Kennzeichen des Typus eines sogenannten „wilden Mannes“, der in Distanz zur Zivilisation lebt oder sich von dieser bewusst distanziert. Letzteres ist beim Täufer der Fall. Seine reservierte Haltung wird auch an seinem Wirkungsort, der Wüste beim Jordan, kenntlich. Dieser haarige Aufputz unterstreicht optisch die Gerichtspredigt des Täufers.

Kamelhaargewand und Ledergürtel des Täufers spielen auf die anscheinend typische Tracht des Propheten Elija in 2Kön 1,8 an. Dieser wird als „Haaresmann“ bezeichnet (אִישׁ בַּעַל שֵׂעָר îš baʿal śeʿār) bezeichnet, der einen Lendenschurz trägt. Das NT stilisiert Johannes modisch durch seinen Kamelhaarmantel als zweiten Elija.

2.2. Die Sünderin in Lk 7,36-50

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In Lk 7,36-50 liegt Jesus bei einem Symposion eines Pharisäers zu Tisch (Abb. 8). Von hinten tritt eine Sünderin (ἁμαρτωλός harmatōlos) an ihn weinend heran, ihre Tränen benetzen seine Füße, die sie mit ihrem Haar trocknet (Lk 7,38). Hierzu muss die sündige Frau ihr Haar geöffnet tragen oder lösen. Vielleicht öffnet sie ihr Haar spontan, um die unbeabsichtigt mit den Tränen benetzten Füße Jesu zu trocknen, da sie nichts anders zur Hand hat. Drei Bedeutungsebenen können sich bezüglich der Haare überschneiden, gleich ob die Geste spontan erfolgt oder geplant ist:

1. Offenes Frauenhaar ist stark erotisch konnotiert. Zudem küsst sie Jesu Füße. Sollte sie eine stadtbekannte Prostituierte gewesen sein (was unklar ist), ist der erotische Zug zusätzlich verstärkt. In Lk 7,47 deutet Jesus das Handeln der Frau an ihm: Sie habe viel geliebt (ἠγάπησεν πολύ ēgapēsan poly). Diese Deutung Jesu hat in der erzählten Welt und für die Leserinnen und Leser autoritative Geltung. Zwei weiter Bedeutungen können mitschwingen, stehen aber weniger im Vordergrund:

2. Offenes, unfrisiertes Haar war für eine Frau unschicklich. Das gelöste Haar der Frau macht ihre soziale Stellung als Sünderin für alle Beteiligten sichtbar. Sie berührt Jesus mit diesem Zeichen ihrer inferioren, ausgegrenzten sozialen Stellung.

3. Dass sie ihr langes Haar, das selbstverständlich damals zu einer Frau gehörte, als Tuch verwendet, um ihre Tränen von Jesu Füßen zu wischen, betont die Selbstdemütigung. Jesus liegt mit bereits gewaschenen Füßen zu Tisch (dies muss man im Kontext antiker Symposien annehmen), sodass der Dienst der Frau alles andere als notwendig ist, sondern sich als inszenierte Ehrerbietung zu erkennen gibt. Das Küssen der Füße ist auch als Ehrfurchtsgestus bekannt. Offenes Haar tragen Frauen auch im Rahmen von Bußhandlungen, so etwa auch Aseneth im Roman Joseph und Aseneth (10,14-17). Das Lösen der Haare kann im Kontext der Erzählung auch als Zeichen der selbstdemütigenden, eherfürchtigen Buße verstanden werden.

2.3. Die Salbung in Betanien Joh 12,1-8

Die Salbung in Betanien in Joh 12,1-8 ist mit der vorangehenden Erweckung des Lazarus (Joh 11) eng verzahnt. Bereits der Beginn der Erweckungsperikope in Joh 11,2 verweist auf das Kommende: Maria, die Schwester des Lazarus, war die, die Jesu Füße salbte und mit ihrem Haar trocknete. Auch die Hauptprotagonisten beider Perikopen sind dieselben. Was Joh 11,2 vorausnahm, erzählt Joh 12,3. Die Salbung und das Trocknen mit den Haaren bildet einen Rahmen um beide Perikopen. Zugleich nimmt sie die Fußwaschung Jesu an seinen Jüngern in Joh 13 vorweg.

Die Salbung der Füße Jesu mit reinem, kostbarem Nardenöl (μύρου νάρδου πιστικῆς πολυτίμου myrou nardou pistikēs polytimou) und das Abtrocknen mit den Haaren ist erotisch aufgeladen. Davon zeugt das Hohelied, auf das das Johannes-Evangelium öfter Bezug nimmt. In Hld 1,12-14 preist die Geliebte den Geliebten und zieht hierbei insbesondere Vergleiche mit Düften heran. In Hld 1,12 spricht die Geliebte über ihren Geliebten: „Solange der König zu Tische liegt, verströmte meine Narde ihren Duft.“ Diese Stelle passt auffällig zur Szenerie in Joh 12,2-3. Im sogenannten Gartenlied des Hohelieds charakterisiert der Geliebte die Geliebte in Hld 4,13-14 mit einem Garten, in dem neben anderen Gewürzkräutern die Narde wächst. Ovid (ars amatoria III, 443) kennt Nardenöl in erotischen Kontexten, bezieht dies aber auf Männer, die damit ihr Haar tränken.

Diesen erotischen, liebenden Kontext verstärkt das offene, lange Haar der Maria, mit dem sie die Füße Jesu abtrocknet. Auch im Hohelied wird das lange, offene Haar der Geliebten gepriesen (Hld 6,5). Die Salbung und das Aufwischen des Öls mit den Haaren ist Teil der sehr intimen Mahlszene, in der Jesus mit den drei Geschwistern beisammen ist. Die Handlung Marias ist Ausdruck intimer Liebe zu Jesus.

Maria wischt nicht spontan mit den Haaren die Füße Jesu ab, sondern dies ist Teil einer bewussten Performance. Ihre Haare sind nicht nur Tuch, sondern sie duften nach dem Abwischen ebenfalls nach Narde. Jesus und sie duften gleich, was ihre Zuordnung als Herr und als Gläubige zueinander unterstreicht. Im Kontext rahmt der Duft der Haare (Joh 11,2; Joh 12,3) den Leichengestank des Lazarus (Joh 11,39). Der Duft bezeichnet auch das Atmen und Leben und ist das Gegenteil des Todes. Wie Jesus lebenspendenden Duft verbreitet, so tun es auch die an ihn Glaubenden.

2.4. Die Haartracht im Gottesdienst der korinthischen Gemeinde (1Kor 11,2-16)

In 1Kor 11,2-16 thematisiert Paulus bestimmte Sitten im Gottesdienst in Korinth, die das Haupthaar betreffen. Was in Korinth getan wurde und was Paulus fordert ist unklar.

2.4.1. These 1: Kopfbedeckungen im Gottesdienst

Sollte es um Kopfbedeckungen im Gottesdienst gehen, würde dies bedeuten, dass Männer barhäuptig, Frauen mit bedecktem Kopf beten und prophezeien sollen. In Korinth scheinen zumindest Teile der Gemeinde das Gegenteil zu tun: Paulus würde kritisieren, dass Männer sich das Haupt nach Sitte der römischen Elite bedecken (capite velato) und Frauen ihre Kopfbedeckung im Gottesdienst ablegen.

2.4.2. These 2: Haartrachten im Gottesdienst

Ginge es Paulus um die Haartracht, so würde er für Männer Kurzhaarfrisuren fordern. Was er für Frauen fordert, ist uneindeutig. Er könnte eine gepflegte Hochsteckfrisur verlangen. Der Apostel würde sich damit gegen Frauen wenden, die im Gottesdienst ihre Frisur auflösen und derangieren, was insbesondere in Zuständen der Ekstase zusätzlich provokant wäre. Offene Frauenhaare sind in einigen Kulten bekannt, die Korintherinnen würden also das nachahmen, was sie aus ihrer Umwelt kennen.

Paulus könnte sich auch gegen kurzgeschnittenes Frauenhaar wenden. Langes Haar ist ein natürliches Kennzeichen der Frau, kurzes das der Männer. Paulus würde von den Korintherinnen und Korinthern verlangen, ihre Haare entsprechend ihrem Geschlecht zu tragen und nicht die Grenzen der Geschlechterrollen zu verwischen.

2.5. Weisungen zu weiblicher Haartracht in Haustafeltraditionen

1Petr 3,1-6 wenden sich an die christlichen Frauen, die mit einem Nichtchristen verheiratet ist. Wollen deren nicht-christliche Männer sich nicht zum Christentum bekehren, so sollen die Frauen durch einen tadellosen Lebenswandel als Ehefrau, den Unterordnung, Gottesfurcht und Reinheit kennzeichnen, den Ehemann auf passive Weise dem Christentum nahebringen. Aufwändige Haarmoden (1Petr 3,3 ὁ ἔξωθεν ἐμπλοκῆς τριχῶν […] κόσμος ho exōthen empoklēs trichōn kosmos) sowie goldener Schmuck oder prächtige Kleider sollen nicht die Attraktivität ausmachen. Stattdessen soll der verborgene Mensch des Herzens (ὁ κρυπτὸς τῆς καρδίας ἄνθρωπος ho kryptos tēs kardias anthrōpos) der Schmuck der Frauen sein, der sich durch einen sanftmütigen und stillen Geist auszeichnet.

Die Kritik an aufwändiger Kleidung, Schmuck und Frisuren ist ein sehr allgemeiner Topos. Rückschlüsse auf die Sozialstruktur der ersten christlichen Gemeinden sind nicht leicht. Auch die Gegenüberstellung von äußerem Schmuck und verborgenem Menschen – seines Zeichens ebenfalls ein allgemeiner und verbreiteter Topos – spricht eher für einen rhetorisch aufgebauten Kontrast, der auf ein bestimmtes, ethisch erwünschtes Verhalten zielt und kaum eine bestimmte soziale Schicht in den Gemeinden vor Augen hat. Der Verzicht auf aufwändige Frisuren ist Teil der missionarischen Aufgabe der Frau in einer Ehe mit einem nicht-christlichen Mann.

In 1Tim 2,9 sollen sich die Frauen im Gottesdienst nicht mit ausgefallenen Frisuren (πλέγμα plegma) oder Goldschmuck, Perlen oder kostbarer Kleidung auf sich aufmerksam machen, sondern Würde, Schamgefühl und Besonnenheit sollen ihr Schmuck sein. 1Tim 2,9 greift wie 1Petr 3,3 allgemeine ethische Topoi auf, kein spezifisch christliches Ethos. Auch in 1Tim 2,9 kann man nicht ohne Weiteres auf die Sozialstruktur der Gemeinden schließen, allerdings scheint der Gottesdienst als öffentlicher Ort wahrgenommen worden zu sein, an dem man sich auch präsentieren konnte. Dass neben den Frisuren auch Perlen und Goldschmuck genannt wird, kann vielleicht doch darauf deuten, dass insbesondere wohlhabende Frauen angesprochen sind.

Welche Frisur in 1Petr 3,3 gemeint ist, ist unklar. Martin (2019) votiert für den orbis comarum, der insbesondere in der Zeit der Flavier prominent war. Für ihn bezeichnet ἐμπλοκῆς τριχῶν empoklēs trichōn eine aufwändige Flechtfrisur, in die auch Haarteile eingeflochten sein können (Martin 2019, 301-303). Laut Martin bezieht sich auch die Kritik in 1Tim 2,9 an bestimmten Frisuren auf den orbis comarum (Martin 2019, 308-311). An beiden Stellen ist das Vokabular verschieden (1Petr 3,3 ὁ ἔξωθεν ἐμπλοκῆς τριχῶν […] κόσμος ho exōthen empoklēs trichōn kosmos; 1Tim 2,9 πλέγμα plegma), sodass unklar ist, ob damit dieselbe Frisur oder ein sehr ähnlicher Frisurentyp gemeint ist. Ob an einer oder an beiden Stellen der orbis comarum gemeint ist, bleibt hypothetisch.

Literaturverzeichnis

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  • Ebner, M. 2000, Wenn alle »ein einziger« sein sollen ... Von schönen theologischen Konzepten und ihren praktischen Problemen: Gal 3,28 und 1 Kor 11,2-16, in: E. Klinger / St. Böhm / Th. Seidl (Hgg.), Der Körper und die Religion. Das Problem der Konstruktion von Geschlechterrollen, Würzburg, 159-183
  • Friesen, M., 2018, Das lange Haar in 1 Kor 11,14-15a. Reevaluation der paulinischen Argumentation im Kontext antiker Haarmode und populärer Naturphilosophie, BZ 62, 270-289
  • Gielen, M., 1999, Beten und Prophezeien mit unverhülltem Kopf? Die Kontroverse zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde um die Wahrung der Geschelchtsrollensymbolik in 1Kor 11,2-16, ZNW 90, 220-249
  • Gill, D. W. J., 1990, The Importance of Roman Portraiture for Head-Coverings in 1 Corinthians 11:2-16, TynB 41,2, 245-260
  • Harlow, M. (Hg.), 2019, A Cultural History of Hair Vol. 1, New York, London
  • Martin, T.W., 2019, Dating First Peter to a Hairdo (1 Pet 3:3), Early Christianity 9, 298-318
  • Myerowitz Levine, M., 1995, The Gendered Grammar of Ancient Mediterranean Hair, in: H. Eilberg-Schwartz / W. Doninger (Hgg.), Off with her Head! The Denial of Women's Identity in Myth, Religion, and Culture, Berkeley
  • Thompson, C., 1988, Hair Styles, Head-Coverings, and St. Paul. Portraits from Roman Corinth, Biblical Archaeologist 51,2, 99-11.

Abbildungsverzeichnis

  • aureus mit Marcus Antonius und seiner Frau Octavia, die einen nodus trägt. (© The Trustees of the British Museum)
  • Livia, Mutter des Augustus, mit nodus. Münze aus der Zeit des Kaisers Tiberius (© The Trustees of the British Museum)
  • Statue des Augustus als pontifex maximus, capite velato Nationalmuseum Rom (CC 0)
  • Opfernder Römer capite velato Ident.Nr. Fr. 2084 Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, © Foto: Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz (CC-BY-NC-SA), Objekt verschollen, nur Fotografie
  • Büste der Julia Flavia mit orbis comarum (CC-BY-SA 3.0)
  • Porträtkopf des Kaisers Hadrian, Basalt, um 120 n. Chr. Ident.Nr. Sk 358 Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, © Foto: Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz (CC-BY-NC-SA)
  • Johannes der Täufer als Kind. Statuette, Andrea del Verocchio 1451/1500 Ident.Nr. 121 Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, © Foto: Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz (CC-BY-NC-SA)
  • Christus im Haus des Pharisäers Simon, Dierick Bouts (1410 - 6.5.1475) © Foto: Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Ident.Nr. 533A Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz (CC BY-NC-SA)

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