Gemeinde (NT)
(erstellt: Juli 2020)
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1. Begrifflichkeit
Das Verständnis von Gemeinde im NT kommt am stärksten in dem Begriff ἐκκλησία / ekklesia zum Ausdruck. Dabei ist Gemeinde im NT explizit christologisch begründet. Diese christologische Begründung wird bei Paulus am deutlichsten entfaltet, ist aber ein Grundzug aller Texte im NT, die über Gemeinde handeln. In der Gemeinde wird κοινωνία / koinonia als geschwisterliches Zusammensein und Teilhabe an der Gemeinschaft der Christen erfahrbar. Im Unterschied zur συναγωγή / synagoge, die sich aus mindestens zehn Männern konstituiert (Traktat Berachot 6a), entsteht Gemeinde neutestamentlich da, wo sich zwei oder drei Männer und / oder Frauen im Namen Jesu versammeln (Mt 18,20
Wenn auch der Begriff ἐκκλησία / ekklesia als vorrangige Bezeichnung für Gemeinde im NT angesehen werden kann, wird „Gemeinde“ im NT weniger in konkreten definierten Termini sondern vornehmlich in Bildern und in metaphorischer Rede zur Anschauung gebracht.
2. Gemeinde als Leib Christi in den paulinischen Briefen
2.1. Die Gemeindebriefe
Paulus hatte durch seine zahlreichen Gemeindegründungen ausreichend Grund und Anlass, sich mit dem Wesen der christlichen Gemeinde auseinander zu setzen.
Dabei spielt für ihn der profane Begriff ἐκκλησία / ekklesia eine hervorgehobene Rolle. Zunächst bedeutet er eine ordnungsgemäß berufene Versammlung. Das kann die Heeresversammlung sein oder die politische Versammlung (Josephus, Ant XII 164; Ant XIX 332). Zur Volksversammlung in Athen (5. Jh. v. Chr.) etwa wurden alle männlichen Bürger über 18 Jahre durch einen Herold (κήρυξ / keryx) zusammengerufen.
Für Paulus ist die christliche Gemeinde durch Gott berufen und in Gott selbst begründet. So heißt es in 1Thess 1,1
In der Gemeinde ist Christus wirksam gegenwärtig, veranschaulicht in den zentralen Texten zur Gemeinde als „Leib“. Das Bild von der Gemeinde als Leib begegnet bei Paulus nur in 1Kor 12,12-27
Die Ursprünge der Leib-Vorstellung liegen zum einen in der hellen.-röm. Welt und der in ihr verbreiteten Vorstellung vom Gemeinwesen als Leib, an dem viele Funktionen zusammenwirken. So beschreibt z.B. Platon in Politeia 462c.d die Einheit des Staates im Bild des Leibes. Diese Einheit bedeutet gemeinsames Leid, aber auch gemeinsame Freude (vgl. 1Kor 12,26
Entscheidend ist bei Paulus, dass nicht die Glieder den Leib konstituieren. Die Gemeinde als Leib ist eine geistliche, d.h. vom Geist des Christus gewirkte und durchdrungene Wirklichkeit – eine Wirklichkeit, die die Glaubenden nicht selbst begründen. Sie werden vielmehr durch den Geist Christi zu diesem Leib gemacht bzw. in ihn hineingestellt. Hierbei ist die Deutung von 1Kor 12,13
Grundlegend für das paulinische Verständnis der Gemeinde ist demnach die Taufe. Sie ist Taufe auf Jesus Christus (Röm 6,3
Angesichts der Vielfalt hat der Leibgedanke bei Paulus stets ein paränetisches Ziel, um die Einheit der Gemeinde zu betonen. Dagegen findet das Bild vom Leib in soteriologischen Passagen keine Verwendung.
In Kol 2,19
Für die Ekklesiologie des Eph ist zudem die Bedeutung der kosmischen Hoheit und Macht Gottes bzw. Christi (Eph 1,3-23
Die Gemeinde ist nach Eph 1,22-23
Wichtig ist bei der Weiterführung des Bildes in Kol 2,19
2.2. Die Pastoralbriefe
Von Bedeutung ist dabei, dass ihr Charakter als Briefe an Einzelpersonen durch die allgemeine Beschreibung der Ämter und Gemeindestruktur auf die ganze Gemeinde erweitert wird (1Tim 3,1-13
Die in den Gemeindebriefen des Paulus erkennbare Struktur der Hausgemeinde ist in den Past der Struktur einer Ortsgemeinde gewichen (1Tim 3,15
Die durch die Ämter die Gemeinde leitenden Personen haben zudem eine besondere ethische Verantwortung. Sie fungieren als Vorbilder, insofern die Vorbildwirkung des Apostels auf dessen Nachfolger in der Verantwortung für die Gemeinde übergeht (1Tim 4,12
3. Markus und Matthäus
Für Mt ist dagegen wesentlich, dass in keinem anderen Evangelium die Ekklesiologie eine derart zentrale Rolle spielt. Dies zeigt sich schon daran, dass von den Synoptikern nur Mt den Begriff ἐκκλησία / ekklesia (Gemeinde) verwendet. Insbesondere Mt 16,18
In der Gemeinde des Mt gibt es bestimmte Gruppen: Propheten, Weise, Schriftgelehrte (Mt 5,12
Eine besondere Bedeutung gewinnt bei Mt die Person des Petrus (Mt 16,16
Bei Mt ist der Gottesdienst der bevorzugte Ort der Gegenwart Christi (Mt 28,20
Im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen und seiner Deutung (Mt 13,24-30
Der Aufenthalt in Jerusalem und die Passion sind bei Mt deutlich als Orte der Scheidung zwischen glaubender Gemeinde und ungläubigem Israel gesehen. Die Gemeinde ist das „Volk“ (ἔθνη / ethne) aus Juden und Heiden. Gottes Gottsein aber steht für Mt in enger Verbindung zu seiner Treue zum Volk (λαός / laos) Israel. Jesus wird sein Volk (λαός / laos) von ihren Sünden retten (Mt 1,21
4. Lukas
Gegen dieses Verständnis spricht jedoch Lk 3,1-2
Die „Mitte der Zeit“ ist daher keine eigene „Heilsepoche“, sondern das heilsgeschichtliche Bindeglied zwischen Israel und der Kirche. Die Kirche ist bei Lk nicht „das wahre Israel“, denn die Bezeichnung Israel ist bei Lk immer auf das jüd. Volk bezogen. Dabei hat das Moment der ‚Sammlung Israels‘ bei Lk eine hervorgehobene Bedeutung (Lk 1,16
Das Gemeindeverständnis des Lk ist untrennbar mit der Ausgießung des Heiligen Geistes (πνεομα ἅγιον / pneuma hagion) verbunden, der den Weg der Gemeinde vorzeichnet (vgl. Lk 1,8
5. Johannes
Das Johannesevangelium beschreibt eine Polarität von Ablehnung und Annahme ähnlich wie die Schriften der Qumrangemeinschaft (vgl. bes. 1QM; 1QS). Sie entspricht den dortigen Gegenüberstellungen von Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, Leben und Tod, Oben und Unten – und beinhaltet über Qumran hinaus noch den Gegensatz von Freiheit und Sklaverei. Dieser „Dualismus“ ist jedoch ein geschichtlich und heilsgeschichtlich bedingter und daher von Glauben oder Unglauben abhängig. Für das Verständnis von Gemeinde ist bei Johannes daher der Glaube mit der besonderen Charakterisierung durch den Begriff Freunde (φίλοι / filoi – Joh 15,13-15
Die Glaubenden als Kinder des Lichtes (Joh 12,36
Im Gegenüber zur Gemeinde der Glaubenden als den Freunden Jesu sind die Nichtglaubenden „aus der Welt“ (Joh 15,19
Trotz dieser klaren Gegenüberstellung von Glaube und Unglaube gilt die Liebe Gottes und sein rettendes Handeln in Jesus Christus dem ganzen Kosmos als der Menschenwelt (Joh 3,17
6. Erster Johannesbrief
7. Zweiter und Dritter Johannesbrief
8. Offenbarung des Johannes
Das Verhältnis von Ekklesiologie und Christologie steht in der Offenbarung im Vordergrund. Es geht um die enge Verbundenheit der Gemeinden mit Christus inmitten der Bedrängnisse, die mit konkretem Gemeindebezug in den Sendschreiben (Apk 2,1-3,22
Im Anschluss an die sieben Sendschreiben entfaltet die Offenbarung eine charakteristische, paränetisch ausgerichtete Christologie, für die zunächst Apk 4-5
Vorausschauend wird in Apk 7,1-12
Die in dieser Welt angefochtenen Gemeinde soll auf diese Weise getröstet werden, um in ihrer Bedrängnis das bereits vollendet bereitliegende eschatologische Heil nicht aus den Augen zu verlieren; durch eine klare Abgrenzung gegenüber der heidnischen Welt bewahrt sie ihren Glauben, der auf die Probe gestellt wird (vgl. Apk 2,23
9. Erster Petrusbrief
Für dieses Gemeindeverständnis des 1Petr ist das Motiv von Hirt und Herde wesentlich. Christus fungiert als der wahre Hirte; die Gemeinde erscheint im Bild der irrenden Schafe, die sich bekehrt haben zum Hirten und Bischof der Seelen (1Petr 2,25
Die Gemeinde wird im 1Petr mit einem geistlichen Haus verglichen, einem Bau, der durch den Eckstein Christus zusammengehalten wird (Jes 28,16
Die Gemeinde ist als dieses Haus im atl. Sinne „auserwähltes, heiliges Volk, Volk des Eigentums, königliche Priesterschaft, berufen zum Licht“ (vgl. dazu Ex 19,6
10. Jakobusbrief
11. Hebräerbrief
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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2. Übrige Literatur
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- Satake, Akira, 1966, Die Gemeindeordnung in der Johannesapokalypse, Neukirchen-Vluyn
- Schrage, Wolfgang, 1963, „Ekklesia“ und „Synagoge“. Zum Ursprung des urchristlichen Kirchenbegriffs, ZThK 60, 178-202
- Wolff, Christian, 2000, Der erste Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 7), Leipzig, Exkurs: Die Gemeinde als „Leib“, 301-305
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