Deutsche Bibelgesellschaft

Jerobeam I.

(10. Jh. v. Chr.)

(erstellt: November 2011)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/22356/

1. Name

Bei dem Namen Jerobeam (hebräisch: יָרָבְעָם jāråv’ām; griechisch: Ιεροβοαμ; lateinisch: Hieroboam) ist wie bei Jerubbaal (יְרֻבַּעַל → Gideon) umstritten, ob er die Wurzel רבב RBB „groß sein“ oder רוב RÛB (Nebenform zu ריב RÎB) „einen Rechtsstreit führen“ enthält. Er bedeutet dann entweder „der (Ahnen)gott ist groß“ bzw. „… möge groß sein“ oder „der (Ahnen)gott streitet / verteidigt“ bzw. „… möge streiten / verteidigen“.

Der Name ist biblisch für zwei Könige des Nordreichs Israel belegt (→ Jerobeam II.). Außerbiblisch findet er sich – zum Teil allerdings unsicher – 1. vielleicht auf einer Inschrift aus Hazor (8. Jh. v. Chr.; AHI 24.006), 2. auf einem Siegel aus Megiddo (8. Jh. v. Chr.; AHI 100.068; → Jerobeam II.) und 3. vielleicht auf einer Silbermünze (4. Jh. v. Chr.; AHI 106.047).

2. Biblische Darstellung

Nach der biblischen Darstellung war Jerobeam I., der Sohn Nebats, der erste König des Nordreiches Israel. Während der Regierungszeit → Salomos hatte er eine hohe Position als Aufseher über die → Fronarbeit erreicht. Als aber der Prophet → Ahija von Silo Jerobeam ankündigt, dass Jahwe zehn Stämme von dem Reich Salomons abreißen und Jerobeam geben wird, versucht Salomo, ihn zu töten. Er flüchtet nach Ägypten und bleibt bis zum Tod Salomos dort (1Kön 11,26-43). Nach Salomo besteigt dessen Sohn → Rehabeam den Thron, aber wegen der hohen Abgaben rebelliert das Volk gegen ihn unter Führung Jerobeams. Die zehn Stämme krönen ihn in → Sichem zum König, und das Reich wird in das Nordreich Israel und das Südreich Juda geteilt (1Kön 12,1-19).

Als König fürchtet Jerobeam, dass das Volk nach wie vor in Jerusalem opfern und daraufhin zu Rehabeam zurückkehren könnte. Deshalb lässt er zwei goldene Kälber (→ Goldenes Kalb) anfertigen und in → Bethel und → Dan aufstellen, wo das Volk sie verehren soll. Zudem lässt er Heiligtümer auf den → Kulthöhen errichten (1Kön 12,26-31). Dies gilt als die sogenannte „Sünde Jerobeams“. Allen folgenden Königen des Nordreichs Israel wird vorgeworfen, an ihr festgehalten zu haben. Sie habe schließlich zur Zerstörung Israels geführt (s. 2Kön 17,21-22).

Einige Exegeten sind der Auffassung, dass die verhältnismäßig ausführliche biblische Darstellung in 1Kön 11,26-14,20 wenigstens teilweise auf historisch zuverlässigen Quellen beruht. Man bekomme hier einen Einblick in das späte 10. Jh. v. Chr. Auch wenn zugestanden wird, dass die Darstellung stark bearbeitet worden ist, sollen die Königsannalen und andere alte Quellen noch identifizierbar sein.

Obwohl man alte Quellen nicht ausschließen kann, ist es wahrscheinlich, dass das biblische Bild Jerobeams weitgehend spätere Vorstellungen wiedergibt. Alte Quellen liegen ihm nur in sehr beschränktem Maße zugrunde. Der Text dient späteren theologischen und politischen Zwecken und ist Jerobeam gegenüber grundsätzlich negativ eingestellt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Königsannalen kritische Nachrichten über den angeblichen Gründer des Nordreichs bewahrt haben (vgl. 1Kön 14,19). So erweckt zum Beispiel der Name seiner Mutter Zerua, da er „die Aussätzige“ bedeutet, den Verdacht, dass die Angaben über seine Herkunft erfunden sind. Die kritische Tendenz wird in der griechischen Übersetzung noch verschärft: Nach 3Reg 12,24b LXX war Jerobeams Mutter eine Hure.

Das Buch der Könige ist weitgehend aus der Perspektive des Südreiches Juda geschrieben. Das gilt besonders für 1Kön 11,26-14,20. Diese Kapitel beschreiben den Ursprung der Trennung zwischen Israel und Juda sowie den Ursprung der Sünde Jerobeams, der alle Könige Israels angehangen haben sollen. Die ganze politisch-theologische Interpretation des Nordreiches in den → Königsbüchern, die vor allem die kultpolitischen Auseinandersetzungen im 7-5. Jh. v. Chr. widerspiegelt, beruht auf 1Kön 11,26-14,20.

Zudem widerspricht die Geschichte der Zweiteilung Israels dem Bild von der Entstehung der beiden Königtümer, das die außerbiblischen und vor allem die archäologischen Quellen zeigen. Hinweise auf Staatsstrukturen gibt es in Juda erst seit dem späten 8. Jh. v. Chr., während das Nordreich Israel deutlich früher, schon im 9. Jh. v. Chr., ein wichtiges Königreich gewesen ist. Deshalb ist die biblische Darstellung, die das wirtschaftlich viel stärkere Nordreich als einen Ableger Judas deutet, historisch unwahrscheinlich. Dieser Befund untergräbt die Glaubwürdigkeit der gesamten Darstellung in 1Kön 11,26-14,20.

3. Der historische Jerobeam

Von dem historischen König Jerobeam wissen wir wenig. Weil die Geschichte seiner Thronbesteigung und Kultpolitik dem theologischen Konzept der Königsbücher folgt, kann man 1Kön 11,26-14,20 nur begrenzt als eine historische Quelle für die frühe Königszeit benutzen. Jerobeam wird außerhalb des Alten Testaments in den zeitgenössischen Quellen nicht erwähnt. Daher bleibt es unklar, ob er tatsächlich im 10. Jh. v. Chr. regiert hat. Die traditionellen Datierungen seiner Regierungszeit (z.B., 931/0-910/09, 927/6-907 und 922-901 v. Chr.) beruhen auf der biblischen Chronologie. Für die frühe Königszeit gibt es wenige Möglichkeiten, ihre Zuverlässigkeit festzustellen.

Es ist auch unsicher, ob Jerobeam ein Dynastie- oder Reichsgründer gewesen ist. Die Darstellung dient so stark der theologisch-politischen Interpretation des Südreiches, dass dies auch eine spätere Erfindung sein kann. Zudem ist die Verlässlichkeit der Königsbücher besonders für die frühe Königszeit allgemein ungewiss, so dass man die Historizität jeder Einzelheit in 1Kön 11,26-14,20 separat untersuchen muss.

Mögliche Spuren alter Quellen oder Königsannalen findet man in 1Kön 12,25. Demnach hat Jerobeam → Sichem und → Pnuël ausgebaut. Aus den Annalen stammt vielleicht auch die Bemerkung in 1Kön 14,20, dass die Regierungszeit Jerobeams 22 Jahre betrug. Weil man aber nicht weiß, wann er regiert hat, ist es schwierig, seine Regierungszeit mit den archäologischen Befunden in Beziehung zu setzen. Über das 10. Jh. ist in Palästina archäologisch noch wenig bekannt. Es gibt keinen eindeutigen Hinweis auf Staatstrukturen, die mit denen des Nordreichs Israel vergleichbar wären. Auch wenn es an Versuchen nicht mangelt, hat man die in 1Kön 12,25.29-31 erwähnten Bautätigkeiten Jerobeams archäologisch nicht verifizieren können. So hat man versucht, Stratum IX von → Sichem (Tell Balāṭa; Koordinaten: 1768.1800; N 32° 12' 49'', E 35° 16' 55'') mit 1Kön 12,25 zu verbinden, aber die Verbindung setzt voraus, dass die biblische Chronologie für die frühe Königszeit zuverlässig ist. Ein großes Kultzentrum wurde in → Tel Dan (Tell el-Qādi; Koordinaten: 2112.2948; N 33° 14' 51'', E 35° 39' 05'') ausgegraben, aber seine Frühdatierung und die Verbindung mit Jerobeam sind umstritten. → Bethel (Bētīn; Koordinaten: 172.148; N 31° 55' 32'', E 35° 14' 20'') wurde nur teilweise ausgegraben, aber die Funde widersprechen der biblischen Darstellung. Bethel hatte in der Bronzezeit einen Tempel, aber im 13. Jh. v. Chr. wurde die Stadt zerstört. Davon hat sie sich erst ab dem 7. Jh. v. Chr. wieder erholt. Die späte Blütezeit Bethels fiel in das 6. Jh. v. Chr., was mit der Spätdatierung der Kritik an Jerobeams Kultpolitik zusammenpasst.

4. Jerobeams Kultpolitik

Jerobeam wird häufig mit den goldenen Kälbern oder Stieren in Zusammenhang gebracht (→ Goldenes Kalb). Tatsächlich weist das hebräische Wort עֵגֶל ‘egæl auf junge Stierbullen. Viele Forscher gehen davon aus, dass die Notizen von den goldenen Stieren den ursprünglichen Kern von 1Kön 12,27-31 bilden. Auch wenn man eine Frühdatierung des Kerns ablehnt, wird allgemein angenommen, dass man im Nordreich oder in den alten Gebieten des Nordreichs (vor allem in Bethel) goldene Stiere verehrt hat.

Vieles spricht dafür, dass die Notiz zu den Stierbildern ein späterer Zusatz zu 1Kön 12,27-31 sind und dass mit der Sünde Jerobeams ursprünglich nur der Bau von Höhenheiligtümern (→ Kulthöhe) gemeint war. Außer in einigen Glossen werden die Stierbilder im weiteren Verlauf der Königsbücher ignoriert, obwohl Jerobeams Sünde als Hauptgrund für den Untergang Israels gilt. Die Stierbilder bleiben in den Königsbüchern ein isoliertes Phänomen, während die Kulthöhen die Zielscheibe der Kritik und damit ein integraler Bestandteil der Königsbücher sind. Der ältere Text in 1Kön 12,27-31 interessierte sich lediglich für die Opfer und die Kulthöhen. Die Stierbilder-Notiz führt dagegen ein neues Thema in die Geschichte ein. Wenn wir annehmen, dass sie eine der jüngsten Ergänzungen von 1Kön 12,27-31 ist, werden die thematischen Spannungen zum Rest des Abschnitts verständlich. Es ist auch bemerkenswert, dass die anderen Stellen der Königsbücher, die direkt von 1Kön 12-13 abhängig sind, sich auf eine Fassung beziehen, in der die Höhen eine herausragende Stellung haben. Es gibt auch technische und literarkritische Überlegungen, die nahelegen, dass V. 28aβ-30 später zu V. 27-31 hinzugefügt worden sind.

Auch wenn Jerobeam ursprünglich nur wegen des Ortes der Jahweverehrung kritisiert wurde, ist die kultpolitische Darstellung von 1Kön 12,27-31 insgesamt eine späte literarische Konstruktion, die darauf zielt, die Religion des Nordreiches als illegitim zu präsentieren. Nach den Königsbüchern durfte man nur in Jerusalem opfern. Die Zufügung der Stierbilder-Notiz diente einer späteren theologischen Konzeption, in der die Abgötterei das Ziel der Kritik ist. Ob Jerobeam Kultheiligtümer auf den Kulthöhen gebaut hat, bleibt im Dunkeln, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein König alle Kultheiligtümer im ganzen Land erbaut hat. Kultheiligtümer gab es vor Jerobeam in allen Teilen Palästinas, und nach ihm wurden noch neue erbaut. Erst nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 587 v. Chr. kam das Konzept der Kultzentralisation auf und damit die Kritik an Jerobeam. Durchgesetzt wurde die Kultzentralisation erst während der Zeit des zweiten Tempels. Über die Kultpolitik des historischen Jerobeam gibt es keine zuverlässigen Nachrichten.

Literaturverzeichnis

  • Debus, J., 1967, Die Sünde Jerobeams (FRLANT 93), Göttingen
  • Hölscher, G., 1923, Das Buch der Könige, seine Quellen und seine Redaktion, in: H. Schmidt (Hg.), ΕΥΧΑΡΙΣΤΗΡΙΟΝ (FS H. Gunkel; FRLANT 36), Göttingen, 158-213
  • Köckert, M., 2007, Die Entstehung des Bilderverbotes, in: B. Groneberg / H. Spieckermann (Hgg.), Die Welt der Götterbilder (BZAW 376), Berlin, 272-290
  • Levin, C., 2008, Die Frömmigkeit der Könige von Israel und Juda, in: J. Pakkala / M. Nissinen (Hgg.), Houses Full of All Good Things (Essays in Memory of Timo Veijola; PFES 95), Helsinki / Göttingen,129-168
  • McKenzie, S., 1991, The Trouble with Kings: The Composition of the Book of Kings in the Deuteronomistic History (VTS 42), Leiden / New York
  • Pakkala, J., 2008, „Jeroboam without Bulls“, ZAW 120, 501-525
  • Petry, S., 2007, Die Entgrenzung JHWHs. Monolatrie, Bilderverbot und Monotheismus im Deuteronomium, in Deuterojesaja und im Ezechielbuch (FAT 27), Tübingen
  • Würthwein, E., 1977, Die Bücher der Könige I., 1. Kön 1-16 (ATD 11/1), Göttingen
  • Zimmerli, W., 1969, Das zweite Gebot, in: ders., Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze, München, 234-248

PDF-Archiv

Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:

Abbildungen

Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz) und ihrem Präsidenten Othmar Keel.

VG Wort Zählmarke
Deutsche Bibelgesellschaftv.4.23.1
Folgen Sie uns auf: