Deutsche Bibelgesellschaft

Exodusbuch

(erstellt: Dezember 2005)

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1. Name und Stellung im Kanon

Das zweite Buch der Bibel trägt in der antiken griechischen Übersetzung des Alten Testaments den Namen ̉Έξοδος („Auszug“), den die Vulgata latinisierend zu „Exodus“ abwandelt. Diese Bezeichnung zeigt das Hauptthema des Buches an, den Auszug Israels aus Ägypten, und findet bis heute in der Einheitsübersetzung Verwendung.

Die jüdische Tradition nennt das Buch šəmôt („Namen“) und gibt damit das Nomen aus den Anfangswörtern des Buches wieder: wə’ellæh šəmôt („Und dies sind die Namen“).

Die lutherische Tradition bevorzugt die Bezeichnung „Zweites Buch Mose“ ohne dabei den lateinischen Namen abzulehnen. In allen Traditionen ist das Exodusbuch das zweite der fünf Bücher des ersten Teils des alttestamentlichen Kanons, der als „Fünf Bücher Moses“, „Pentateuch“ oder „Tora“ bezeichnet wird.

2. Inhalt und Struktur des Buches

Das Exodusbuch verarbeitet drei Themenkomplexe, (1) den Aufenthalt Israels in Ägypten und seinen Auszug aus Ägypten, (2) die Wüstenwanderung und (3) den Aufenthalt am Gottesberg mit Gesetzesgabe und Heiligtumsbau. Deren Abgrenzung voneinander ist mitunter schwierig, weil die Themen ineinander verschränkt sind. So wird etwa Ex 18 von manchen Auslegern noch der Wüstenwanderung zugeordnet. Thema 1 wird in Gen 46-50 vorbereitet, Thema 3 zieht sich durch das gesamte Buch Leviticus hin bis Num 10. Das Exodusbuch erweist sich damit als Teil eines größeren Ganzen. Daher ist es sinnvoll, zunächst die textinternen Gliederungssysteme zu beachten.

2.1. Chronologische Gliederungssignale

Im ersten Teil wird die zeitliche Abfolge der Ereignisse durch den Generationenwechsel bestimmt. Nach Ex 1,6.8 sterben Josef und alle seine Zeitgenossen und ein neuer Pharao kommt an die Regierung, die Voraussetzung für die nun folgende Unterdrückung. In Ex 2,23 stirbt der König von Ägypten, dies ermöglicht die Rückkehr → Moses und schafft die Voraussetzung für den Auszug (vgl. Ex 4,19).

Eine ganz andere Art von chronologischer Gliederung setzt in Ex 12 ein. In Ex 12,1.18.40f wird der 15. Tag des ersten Monats des Jahres als Tag des Auszugs 430 Jahre nach dem Einzug festgelegt. Auf dieses Datum werden im Folgenden alle wichtigen Ereignisse bezogen, so die Ankunft in der Wüste Sinai am ersten Tag des dritten Monats nach dem Auszug (Ex 19,1), das Verstrichensein der Hälfte dieses Zeitraums wird in Ex 16,1 dokumentiert. Das Heiligtum schließlich wird am ersten Tag des zweiten Jahres nach dem Auszug eingeweiht (Ex 40,17).

2.2. Topologische Gliederungssignale

Wie schon bei den chronologischen so ist auch bei den topologischen Gliederungssignalen zwischen dem vorderen Teil des Exodusbuches und den weiteren zu unterscheiden. Die in den ersten Kapiteln des Exodusbuches erzählten Ereignisse werden nicht systematisch verortet. Die Israeliten müssen zwei Städte bauen, → Pitom und Ramses (Ex 1,11), die Rettung Moses ereignet sich irgendwo am Ufer des Nils (Ex 2,3). Zwei einschneidende Ortswechsel sind die Flucht Moses nach Midian (Ex 2,15) und sein Vordringen „hinter die Wüste bis zum Gottesberg in der Einöde“ (Ex 3,1). Von dort kehrt Mose zunächst zu seinem Schwiegervater zurück (Ex 4,18) und dann nach Ägypten (Ex 4,20).

Wichtig werden Ortsangaben erst wieder beim Auszug. Dieser beginnt in Ramses und führt zunächst nach Sukkot ( Ex 12,37), danach kommen sie durch die Wüste an das Schilfmeer (Ex 13,18), nach Etam (Ex 13,20). Das → Meerwunder ereignet sich bei Pi-Hahirot vor Baal-Zefon (Ex 14,1.9).

Die → Wüstenwanderung beginnt in der Wüste Schur (Ex 15,22), danach benennt eine Kette von Ortsangaben den Verlauf der Wanderung (Itinerar): Ex 15,23 Mara, Ex 15,27 Elim, Ex 16,1 Wüste Sin, Ex 17,1 Refidim, Ex 18,5 Gottesberg, Ex 19,1 Wüste Sinai. Mit jeder Station außer Elim ist ein Ereignis verbunden, mit Refidim zwei, mit dem Gottesberg und der Wüste Sinai zahlreiche.

2.3. Narratologische Gliederungssignale

Der deutlichste Einschnitt trennt den Aufenthalt in und Auszug aus Ägypten (Ex 1-14) von der in Ex 15,22 beginnenden Wüstenwanderung. Die Zäsur wird überdeutlich durch das Siegeslied („Moselied“) Ex 15,2-19 mit dem rahmenden Refrain Ex 15,1b; Ex 15,21b („Miriamlied“) markiert.

Der Ägyptenteil Ex 1-14 lässt sich in Anlehnung an Utzschneider, 1996, 17-76, in vier Phasen unterteilen:

(1) Ex 1,1-2,22: Israel unter der ägyptischen Fron. Der junge Mose, der gerettete Retter, befreit die Israeliten nicht.

(2) Ex 2,23-6,1: Auch die Befreiung durch den göttlich beauftragten Retter scheitert.

(3) Ex 6,2-12,42: Gott selbst setzt die Befreiung ins Werk: Israel zieht aus Ägypten aus.

(4) Ex 12,43-14,31 („Coda“): Jhwh kämpft für Israel am Schilfmeer und rettet es vor den Ägyptern. Es scheint jedoch sinnvoller, den Teil (4) mit Ex 14,1 beginnen zu lassen.

Phase 3 beinhaltet den → Plagenzyklus, der sich nach Blum (1990, 242ff) nach dem Schema (1+)3+3+3+1 gliedert, wobei die jeweils ersten (I, IV, VII / Zeitpunkt: morgens), zweiten (II, V, VIII / Ort: im Haus des Pharao) und dritten (III, VI, IX / Stil: dialoglos) Glieder der Dreiergruppen einander entsprechen: Präludium Ex 7,8-13 (Stab zur Schlange), I Ex 7,14-25 (Blut), II Ex 7,26-8,11 (Frösche), III Ex 8,12-15 (Mücken), IV Ex 8,16-28 (Fliegen), V Ex 9,1-7 (Pest), VI Ex 9,8-12 (Geschwüre), VII Ex 9,13-35 (Hagel), VIII Ex 10,1-20 (Heuschrecken), IX Ex 10,21-29 (Finsternis), X Ex 11,1-12,36 (Erstgeburt).

Nach der durch Ex 15,1-21 markierten Zäsur wird die Erzählung bis Ex 19 durch das Itinerar gegliedert: Ex 15,22 Aufbruch in die Wüste Schur nach Mara, Ex 15,27 Ankunft in Elim, Ex 16,1 Aufenthalt in der Wüste Sin mit der Manna-Erzählung, Ex 17,1 Lager in Refidim, Ex 18,1 Aufenthalt am Gottesberg, Ex 19,1 Eintreffen in der Wüste Sinai.

Die Erzählung vom Aufenthalt am Gottesberg („Sinai-Perikope“) wird durch Nähe und Ferne der Akteure zu Jhwh gegliedert.

2.4. Thematische Gliederungssignale

Eine gewisse Gliederung ergibt sich zudem durch den Charakter der Reden Jhwhs innerhalb der Sinai-Perikope, von denen die wichtigsten sind: → Dekalog (Ex 20,1-17), → Bundesbuch mit Rahmen (Ex 20,22-23,33), Anweisungen zum Bau des Heiligtums (Ex 25,1-31,17), Gebotsreihe (Ex 34,11-26). Die das Exodusbuch abschließende thematische Einheit ist der Ausführungsbericht zum Bau des Heiligtums Ex 35,1-40,38.

2.5. Gliederung des Buches

Aus 2.1-4. ergibt sich der Überblick der nebenstehenden Tabelle.

Die Entsprechungen und Nichtentsprechungen zwischen den Anordnungen zum Bau des Heiligtums und den Ausführungen werden aus folgender Synopse deutlich:

3. Textüberlieferung

Der Text des Buches Exodus ist in vier relativ eigenständigen Überlieferungssträngen greifbar: die masoretische Texttradition (MT), der samaritanische Pentateuch (Sam), die → Septuaginta (LXX) sowie Fragmente aus → Qumran, die keiner der genannten Überlieferungen definitiv zugeordnet werden können (insb. 4QPalaeoExodM).

Hauptzeuge des masoretischen Textes ist der Codex Petropolitanus (früher Codex Leningradensis genannt), die älteste, vollständig erhaltene Handschrift des Alten Testaments aus dem Jahr 1009. Der samaritanische Pentateuch, der in der Religionsgemeinschaft der Samaritaner überliefert wird, weist demgegenüber etliche Abweichungen auf, die mehrheitlich so zu erklären sind, dass der Text des Exodusbuches mit Ergänzungen aus dem Buch → Deuteronomium angereichert wurde. Die LXX zum Exodusbuch weist gegenüber dem MT mehr Abweichungen auf als es in den anderen Büchern des Pentateuchs der Fall ist, insgesamt sind sie trotzdem recht gering. Die Fragmente von Qumran weisen ähnlich wie Sam gegenüber dem MT leichte Erweiterungen auf. Da insbesondere die Erweiterungen von Sam und von 4QPalaeoExodM als erklärende Zusätze zu verstehen sind, verdient der MT das größte Zutrauen hinsichtlich der ursprünglichen Textgestalt des Exodusbuches. Vgl. zum Ganzen N.M.Sarna, Art. Exodus, Book of, Anchor Bible Dictionary, 2, New York u.a. 1992, 691.

4. Entstehung

In der gegenwärtigen Forschung werden mehrere Hypothesen zur Entstehung des Exodusbuches diskutiert. Diese Modelle beziehen sich stets auf den gesamten Pentateuch oder sogar den Gesamtzusammenhang Gen - 2Kön. Im Folgenden sollen nur die Konsequenzen dieser Hypothesen für das Exodusbuch dargestellt werden. Eine ausführliche Darstellung der Pentateuch-Forschung und aller Hypothesen bietet der Artikel „Pentateuch“.

Einigkeit besteht weitgehend darin, dass das fertige Exodusbuch nicht von einem Verfasser geschrieben wurde, auch der im Luthertum gebräuchliche Name „2. Buch Mose“ kann nicht in dem Sinne verstanden werden, dass Mose der Autor dieses Buches war. Vielmehr haben im Exodusbuch mehrere Autoren ihre Handschrift hinterlassen, was daran zu erkennen ist, dass das Exodusbuch in seiner Sprache und Theologie uneinheitlich ist. Der Schluss ist unausweichlich, dass mehrere ältere Texte in diesem Buch zu einem neuen Ganzen vereint worden sind. Will man die Entstehung des Exodusbuches nachzeichnen, ist es unabdingbar, diese älteren Texte zu ermitteln (Literarkritik) und den Prozess ihrer Aufnahme in das Exodusbuch darzustellen (Redaktions- oder Kompositionsgeschichte). Über diese Geschichte der Buchwerdung (Literargeschichte) ist allerdings noch kein Konsens erzielt worden, manche meinen sogar, ganz auf die Erforschung dieser Geschichte verzichten zu müssen (etwa Dohmen, 2004).

4.1. Drei durchlaufende Erzählfäden – J, E und P

Die älteste Hypothese zur Literargeschichte des Exodusbuches und des Pentateuchs überhaupt basiert auf der Beobachtung, dass Gott an einigen Stellen mit seinem Namen jhwh (ausgesprochen „Jahwe“) bezeichnet wird, an anderen jedoch einfach „Gott“ (hebr. ’älohîm) genannt wird. Daraus entwickelte sich im 19. Jh. die sog. „Neuere Urkundenhypothese“. Danach ist das Exodusbuch (wie der gesamte Pentateuch) das Ergebnis eines Redaktionsprozesses, an dessen Anfang zwei Erzählungen aus der frühen Königszeit stehen. Die mutmaßlich ältere der beiden (10. Jh. v. Chr.) benutzt den Gottesnamen jhwh („Jahwe“) und erstreckt sich von der Schöpfungsgeschichte bis zur Landnahme, ihr Autor wird „Jahwist“ (vom Gottesnamen „Jahwe“ abgeleitet) genannt, das Werk selber oft mit „J“ abgekürzt. Die jüngere (9./8. Jh. v. Chr.) benutzt die Gottesbezeichnung ’älohîm (hebr. für „Gott“) und beginnt in den Vätergeschichten der Genesis, ihr Autor wird als „Elohist“ bezeichnet, das Werk selbst mit dem Sigel „E“ versehen. Von beiden Erzählungen wurde vermutet, dass sie auf ältere mündliche Tradition zurückgehen, die recht nahe an die erzählten Ereignisse heranreicht. Daher werden diese beiden Erzählungen auch als „Quellenschriften“ bezeichnet, weil man meint, sie als historische Quellen benutzen zu können. Die nachträgliche Separierung dieser Schriften aus dem heute vorliegenden Text bezeichnet man daher als „Quellenscheidung“.

In der fortgeschrittenen Königszeit wurden diese beiden Erzählungen zu einem Werk vereinigt, den Redaktor, der dies ausgeführt hat, nennt man „Jehowist“ (Kombination aus Jahwe und Elohim), das Werk selbst „JE“. Zur Zeit des babylonischen Exils (6. Jh.) schließlich verfassten priesterliche Autoren abermals ein Werk, das von der Schöpfung bis zur Landnahme reicht, die → „ Priesterschrift“, abgekürzt „P“. Eine „Pentateuch-Redaktor“ genannte Person hat schließlich den Jehowisten und die Priesterschrift zusammengearbeitet und auch das Buch → Deuteronomium eingefügt.

Die Exodus-Kommentare von Martin Noth (ATD 5) und Josef Scharbert (NEB) arbeiten nach diesem Modell, ebenso der ausführliche Kommentar von W.H. Schmidt (BKAT), Letzterer ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Eine komprimierte und doch zugleich umfassende Darstellung dieser Hypothese für das Exodusbuch bietet P.Weimar, Art. Exodusbuch, Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001, 1, 636-648.

Das jahwistische wie auch das elohistische „Exodusbuch“ hatten nach diesem Modell ein vom heutigen ganz erheblich abweichendes Aussehen. Die ausladenden Anordnungen und Ausführungen zum Heiligtumsbau (Ex 25-31; 35-40) stammen aus der priesterlichen Tradition, sind also erst relativ spät eingefügt worden. Aber auch das Bundesbuch ( Ex 20,22-23,33) und die größten Teile der Passa- bzw. Mazzenfest-Verordnungen (Ex 12f*) waren nach dieser Auffassung noch nicht Bestandteil der älteren Werke. Nur die beiden relativ kurzen Gebotsreihen wurden von manchen Autoren den Quellenschriften zugerechnet, der Dekalog Ex 20 meistens dem Elohisten, die Gebotsreihe Ex 34,11-26 („kultischer Dekalog“) dem Jahwisten. Die älteren Erzählungen waren gemäß der Urkunden-Hypothese in erster Linie Geschichts-Erzählungen, zu Gesetzestexten wurden sie erst spät.

4.2. Zwei durchlaufende Erzählfäden – J und P

Die Rekonstruktion der elohistischen Quellenschrift bereitete stets Probleme, so dass schon früh vermutet wurde, dass diese Schrift nicht mehr vollständig erhalten geblieben ist („Fragmenten-Hypothese“). Einen letzten Versuch diesen Elohisten zu rekonstruieren hat Graupner, 2002, unternommen.

Andere Forscher meinen, dass E niemals eine eigenständige Schrift war, sondern eine redaktionelle Schicht in J darstellt. Zuletzt hat Hans-Christoph Schmitt vorgeschlagen, J als Sammelwerk zu verstehen, dessen Abfassung sich über den Zeitraum von König Salomo (10. Jh.) bis in die nachexilische Zeit erstreckt, während E eine Schicht bildet, welche auf die älteren, frühkönigzeitlichen J-Texte aufgesetzt wurde (Schmitt, 2005, 208-233).

Ebenso wie Schmitt vertritt auch Christoph Levin die Auffassung, dass es neben der Priesterschrift (P) nur einen, den Tetrateuch durchlaufenden Erzählfaden gegeben habe, und zwar den jahwistischen, der im Exodusbuch mit Ex 1,8 beginnt und zunächst bis Ex 34,28 reicht, aber in Num 10.11.22 noch eine knappe Weiterführung besitzt (Levin, 1993, 75-78). Dieser Jahwist habe im 6. Jh. in Babylon geschrieben (Levin, 1993, 430-435). Auch diese Modelle gehen davon aus, dass die Gesetzestexte erst später in den Pentateuch (und damit auch in das Exodusbuch) gekommen sind.

4.3. Ein durchlaufender Erzählfaden – P

Nach Reinhard G. Kratz hat es nur einen, den gesamten Pentateuch umfassenden Erzählfaden gegeben, die Priesterschrift (P). Davor habe es zwei konkurrierende, nicht-priesterliche Ursprungs-Erzählungen Israels gegeben, zum einen den Jahwisten (J), der jedoch nur die Urgeschichte und die Vätergeschichte der Genesis umfasst, zum andern die Exodus-Erzählung (E), welche in Ex 2,1 beginnt und in Jos 12,24 endet (Kratz, 2000, 288f, Übersicht 303). Die ursprüngliche Geschiedenheit und spätere Verbindung von Genesis und Exodusbuch haben Konrad Schmid, 1999, und Jan Chr. Gertz, 2000, ausführlich begründet. Die wenigen und zumeist sehr formelhaften Hinweise auf die Erzväter, die im Exodusbuch auf die Vätergeschichte der Genesis zurückverweisen (Ex 1,1-7; Ex 3,6.16 u.ö.) waren für die Vertreter der Urkunden-Hypothese selbstverständlich Teil der alten durchlaufenden Quellenschriften E und J, für die neueren Hypothesen sind sie jedoch späte redaktionelle Einfügungen, mit deren Hilfe die Verbindung zwischen den Erzählungen erst hergestellt wird.

4.4. Kein durchlaufender Erzählfaden

Nach Erhard Blum bildet auch P keine von der Schöpfung bis zur Landnahme durchlaufende Quellenschrift, sondern eine Komposition (KP), die eine etwas früher veröffentlichte, spät-deuteronomistische Komposition (KD) voraussetzt und überarbeitet. KD wiederum basiert auf einer älteren Erzählung, die in Ex 1 beginnt und über den Gottesberg hinaus möglicherweise bis zum Tod Mose gereicht hat (Blum, 1990, 216). Die Verbindung von Exodusbuch und Genesis wurde nach Blum, 1990 (189), von KD, nach revidierter Auffassung in Blum, 2002 (151ff), der sich damit Schmid (1999) annähert, von KP geschaffen.

4.5. Einseitige oder ausgleichende Redaktion?

Die These einer priesterlichen Komposition (KP) bestreitet, dass es eine selbständige Priesterschrift (P) gegeben hat, vielmehr seien die priesterlichen Texte überwiegend in Auseinandersetzung mit und in Beziehung zu den etwas älteren nicht-priesterlichen verfasst worden. Die Hauptkomposition des Exodusbuches geht nach dieser Auffassung nicht auf eine ausgleichende Hand zurück, welche die nicht-priesterliche und die priesterliche Erzählung harmonisierend vereinigt hat („Pentateuch-Redaktion“), sondern ist eine einseitige Maßnahme, die den vormals nicht-priesterlich geprägten Text in einen von priesterlichen Interessen geprägten umgestaltet. Die gegenteilige Auffassung, wonach es eine harmonisierende Pentateuch-Redaktion (auch im Exodusbuch) gegeben habe, wurde in jüngster Zeit von Otto, 1996, und Gertz, 2000, ausgearbeitet.

4.6. Erzählung und Gesetz

Alle genannten Entwürfe stimmen darin überein, dass die Erzählung bzw. Erzählungen im Bereich des Exodusbuches in ihren jeweils ältesten Fassungen das Bundesbuch und meistenteils auch den Dekalog und die Gebotsreihe Ex 34,11-26 nicht enthielten. Freilich lassen derartige Rekonstruktionen einen Grund für die Theophanie in Ex 19 vermissen. Oswald, 1998, 102-113, hat daher vorgeschlagen, eine Exodus-Gottesberg-Erzählung (EG-Erzählung) als älteste Erzählung des Exodusbuches anzunehmen, die auch den Aufenthalt am Gottesberg mit Gesetzesgabe einschließt (vgl. auch Levin, 1985; Houtman, 1997, 16; Aurelius, 2003, 158). Danach war die Erzählung nie anders gedacht denn als Rahmen für die Gesetzesverkündung. Während die nicht-priesterliche EG-Erzählung überwiegend zivil- und strafrechtliche Bestimmungen enthielt, lag der Schwerpunkt der priesterlichen Erzählung auf den kultrechtlichen Ordnungen. Im fertigen Exodusbuch sind beide Anteile vertreten, wobei vom Umfang her die priesterlichen Regelungen das Übergewicht haben, was im Übrigen auch für den gesamten Pentateuch gilt.

4.7. Berg und Wüste

Es ist ein auffälliger und oft diskutierter Befund, dass im Alten Testament nur sehr sporadisch auf die in Ex 20ff erzählte Gesetzgebung Bezug genommen wird (z.B. Neh 9,13), während Auszug und Landnahme immer wieder Gegenstand des erinnernden Lobpreises sind (z.B. Pss 105; 106; 136). Nach dem Urteil von Julius Wellhausen (1895, 349) war „die wahre und alte Bedeutung des Sinai … ganz unabhängig von der Gesetzgebung. Er war der Sitz der Gottheit, der heilige Berg“. Für Martin Noth (1948, 66.238) war der Sinai ein Wallfahrtsort der südlichen Stämme Israels. Nach Gerhard von Rad (1938/1965, 42) war die Sinaiüberlieferung Bestandteil der Festliturgie des Herbstfestes und wurde daher unabhängig von den anderen Pentateuch-Themen überliefert.

Neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass der Name Sinai erst spät auf den Gottesberg übertragen wurde (Levin, 1993, 78.364; Levin, 1985, 191, etwas anders Oswald, 1998, 250, eine ganz andere These vertritt Perlitt, 1977). In den ältesten Texten des Exodusbuches ist nur von einem bewusst namen- und ortlosen Gottesberg die Rede. Der utopische Charakter und die Anonymität des Gottesberges gehören zur Konzeption dieser Erzählung (Knauf, 1988, 157; Oswald, 1998, 251-254). Die deuteronomistischen Texte sprechen von einem ebenfalls namenlosen Gottesberg in der Einöde (hebr. chôreb). Horeb ist daher ursprünglich gar kein Name, sondern ein Appellativum (Klassenbezeichnung). Die priesterlichen Texte kennen zwar eine „Wüste Sinai“ (Ex 19,1f), dafür aber überhaupt keinen Berg. Erst als die priesterliche und die nicht-priesterliche Erzählung verbunden wurden, wurde der Name der Wüste auf den Berg, der darin aufragend vorgestellt wurde, übertragen. Die Suche nach dem Berg Sinai im geographischen Sinne ist mithin sinnlos, da dieser eine rein literarische Größe darstellt.

5. Geschichtlicher Hintergrund

Wir fragen hier nur nach dem historischen Hintergrund der ältesten Schichten des Exodusbuches, die jüngeren Schichten stehen in Beziehung zur Redaktion des Pentateuchs insgesamt. Zu unterscheiden ist zudem der historische Bezugspunkt der sehr viel älteren Exodus-Tradition von dem der jüngeren Exodus-Erzählung. Einen historischen Anhaltspunkt für Letztere bietet die Erwähnung der Stadt → Pitom (Ex 1,11), die unter Pharao Necho II. (609-595) im Zuge des Kanalbaus durch das Wādī ṭ-Ṭumēlāt [Wadi t-Tumelat] gebaut wurde. Weiter ist bekannt, dass Necho II. den judäischen König Joahas nach Ägypten verschleppte (2Kön 23,34) und einen hohen Tribut von Juda erhob, der in Form einer Kopfsteuer aufgebracht wurde (2Kön 23,33.35). Es ist plausibel anzunehmen, dass im Zuge dieser Politik auch Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter nach Ägypten kamen. Ägyptische Quellen belegen jedenfalls zahlreiche fremdländische Zwangsarbeiter unter Necho II., wenn auch nicht explizit judäische. Nach dem Tod Nechos wurden die Baumaßnahmen am Kanal und im Wadi eingestellt, möglicherweise wurden in diesem Zusammenhang Zwangsarbeiter freigesetzt. Dieses Geschehen könnte den Anlass für die Aktualisierung der alten Exodus-Tradition gebildet und zur Verschriftung der Tradition in der Exodus-Erzählung geführt haben.

Etwas anders rekonstruiert Otto (2000) den historischen Hintergrund. Danach bezieht sich die Exodus-Erzählung auf Ereignisse unter König Manasse von Juda (ca. 696-642), während dessen Regierungszeit Judäer Zwangsarbeiten für den assyrischen König Asarhaddon (680-669) ausführen mussten.

Tatsächlich könnte die Exodus-Erzählung alle drei Hegemonien, die assyrische (bis etwa 612) und die ägyptische (bis 605) und die babylonische (ab 604) zum Hintergrund haben, die Namenlosigkeit des Pharao und die Nichtdatierung der Ereignisse ermöglichen eine multiple Applikation.

Akzeptiert man, dass der dritte Teil des Exodusbuches, die Gottesberg-Perikope, von Anfang an mit der Gesetzgebung verbunden war, so ergeben sich daraus weitreichende historische Schlussfolgerungen. Im Alten Orient war es eine fraglose Selbstverständlichkeit, dass der König für die Gesetzgebung zuständig war und darüber hinaus die einheits- und identitätsbildende Person schlechthin darstellte. Wenn nun die politische, kulturelle und religiöse Identität Israels im Exodusbuch ohne einen König konstituiert wird, dann handelt es sich um ein Stück Literatur, das für Menschen geschrieben wurde, die keinen König haben, oder für solche, die zwar einen haben, ihn aber ablehnen. Im ersteren Falle stammt die Exodus-Gottesberg-Erzählung aus nach-monarchischer Zeit (Oswald, 1998), im zweiten aus Oppositionskreisen, als es in Juda noch einen König gab (Otto, 2000). Auf keinen Fall kann es sich um offizielle Literatur aus monarchischer Zeit handeln, da der König völlig übergangen wäre.

6. Theologie

Das Exodusbuch erzählt die Geschichte eines Herrschaftswechsels: Das Volk Israel verlässt die Herrschaft des Pharao und kommt unter die Herrschaft Jhwhs. Die (für moderne Leser) doppelte Bedeutung des hebräischen Wortes ’bd („dienen“) lässt diese thematische Linie deutlich hervortreten. Im ersten Teil des Buches sind die Israeliten ’ăvādîm (= Sklaven, Knechte) des Pharao, im zweiten ’āvədû („dienen“, „kultisch verehren“) sie ihrem Gott Jhwh. Nicht zwei weltliche Herrscher stehen einander gegenüber, auch nicht ägyptische Götter und Jhwh, sondern Pharao und Jhwh. Jhwh nimmt gegenüber Israel überwiegend die Rolle des Königs ein, Mose dagegen nur partiell. Der Auszug gelingt erst, wenn Gott selbst aktiv wird und Mose lediglich das Wirken Jhwhs sichtbar macht. Und als Gesetzesübermittler gewinnt Mose keinerlei Spielraum zu eigenmächtigem Handeln, anders als Aaron, der sich in Ex 32 als souveräner oberster Kultherr eine königliche Rolle anmaßt. Auf der anderen Seite geht es beim Übergang von Pharao-Dienst zum Jhwh-Dienst nicht um eine Abkehr vom Politischen hin zum Religiösen. Am Gottesberg bzw. in der Wüste Sinai konstituiert sich nicht eine Kultgemeinde, sondern ein alles umfassendes Gemeinwesen, dem im Vergleich zu anderen politischen Gebilden lediglich der König fehlt.

Ganz wichtig und dementsprechend breit dargestellt ist das transportable Wüstenheiligtum. Israels Zugehörigkeit zu Jhwh wird komplementiert durch die Zugehörigkeit Jhwhs zu Israel. Gott offenbart sich künftig am Zelt der Begegnung und erklärt sich zum Gott Israels: „Ich werde mitten unter den Israeliten wohnen und ihnen Gott sein“ ( Ex 29,45). In deutlicher Anknüpfung an den Schöpfungsbericht Gen 1,1-2,4a, an das Ende der Sintflut (Gen 8,13) und an den Auszug aus Ägypten (Ex 12,41) wird das Zeltheiligtum „am ersten Tag des ersten Monats des zweiten Jahres“ (Ex 40,17) aufgestellt (vgl. dazu Janowski, 1990).

Die Exodus-Erzählung (Ex 1-14) ist zwar an einer älteren Exodustradition orientiert, bietet aber nur zum geringsten Teil eine historische Reminiszenz an vergangene Ereignisse, sondern entfaltet in erster Linie eine Theologie des Machterweises Jhwhs. Die Auseinandersetzung mit den Ägyptern dient dem Erweis der Mächtigkeit Jhwhs im Gegenüber zu Pharao und analog dazu dem Gegenüber von Mose und den ägyptischen Divinatoren. Die Namenlosigkeit der beiden Pharaonen verhindert die Beschränkung auf ein einmaliges Geschehen, erlaubt vielmehr die Ausweitung auf allgemeine Gültigkeit. Für das theologische Verständnis der Gottesberg- / Sinai-Perikope (Ex 18-40) ist die Erkenntnis ausschlaggebend, dass es diese nie ohne Gesetzgebung gegeben hat, auf jeden Fall das Bundesbuch, aber wohl auch die Grundschicht des Dekalogs haben von Anfang an dazu gehört.

Somit lassen sich für die beiden Hauptteile des Exodusbuches je ein Hauptanliegen benennen: In Ex 1-14 steht der Erweis Jhwhs als rettender Gott für Israel im Vordergrund, in Ex 18-40 gibt Jhwh seinem Volk eine eigene rechts- und kultpolitische Verfassung. Beide Teile sind so aufeinander bezogen, dass der Selbsterweis Jhwhs als rettender und befreiender Gott die Voraussetzung dafür ist, dass er seinem Volk diese Verfassung geben kann. Umgekehrt ist die Bindung des Volkes an Jhwh als seinen Gesetzgeber und Jhwhs Bindung an Israel als dessen Gott, wie es am Gottesberg / Sinai geschieht, undenkbar ohne den vorausgegangenen Beweis der Mächtigkeit und Zuverlässigkeit Jhwhs.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001.
  • Anchor Bible Dictionary, New York u.a. 1992.

2. Kommentare

  • Dohmen, Chr., Exodus 19-40 (HThKAT), Freiburg 2004.
  • Noth, M., Das 2. Buch Mose – Exodus (ATD 5) Göttingen 8. Aufl. 1988.
  • Scharbert, J., Exodus (NEB.AT 24) Würzburg 1989.
  • Schmidt, W.H., Exodus (BK II,1-4, II,2,1) Neukirchen-Vluyn 1974-1995.

3. Weitere Literatur

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  • Schmid, K., Erzväter und Exodus, Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments (WMANT 81), Neukirchen 1999.
  • Schmitt, H.-C., Arbeitsbuch zum Alten Testament, Grundzüge der Geschichte Israels und der alttestamentlichen Schriften, Göttingen 2005.
  • Utzschneider, H., Gottes langer Atem, Die Exoduserzählung (Ex 1-14) in ästhetischer und historischer Sicht (SBS 166), Stuttgart 1996.
  • Von Rad, G., Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch (BWANT 4. Folge, Heft 26), Stuttgart 1938, zitiert nach: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament I, (TB 8) München 3. Aufl. 1965, 9-86.
  • Wellhausen, J., Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 4. Aufl. 1895.

Abbildungsverzeichnis

  • Mose vor dem brennenden Dornbusch (Mosaik in San Vitale in Ravenna; 6. Jh.).
  • Der Auszug aus Ägypten (Jüdische Haggada aus Mähren; Tschechischer Maler; um 1740).
  • Gott spricht mit Mose (‚Bible historiale’ des Guiart des Moulins; 14. Jh.)
  • Die Auffindung des Mose (Raffael; 1483-1520).
  • Gott gibt Mose am Gottesberg die Zehn Gebote (Mosaik in der Kirche des Katharinenklosters am Fuß des Mosebergs auf dem Sinai; 6. Jh.).
  • Die Anbetung des Goldenen Kalbs (Nicolas Poussin; 1633-1637).
  • Mose zerstört die Tafeln des Gesetzes (Rembrandt; 1659).

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