Ehre / Herrlichkeit (AT)
(erstellt: Mai 2010)
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1. Forschungsgeschichtlicher Überblick
Ehre und Herrlichkeit sind im Alten Testament terminologisch kaum zu unterscheiden und sind deshalb auch inhaltlich zusammen zu untersuchen. Selbst im deutschen Sprachgebrauch sind die Grenzen zwischen Ehre und Herrlichkeit fließend. Herrlichkeit ist eher als „das glänzende und prächtige der erscheinung“ (Grimm, Bd. 10, Sp. 1150) zu beschreiben und wird als Ausstrahlung zumeist mit Göttern oder Königen verbunden. Ehre wird wie ihr Gegenteil, Scham oder Schande, dagegen stärker als das Ansehen einer Person verstanden.
Mit Malina (1981) werden Kulturen des Mittelmeerraumes in sozialanthropologischen Untersuchungen als „Ehr- und Schamkultur“ beschrieben. Solche „Honor Cultures“ zeichnen sich seiner Beschreibung nach durch die Ernsthaftigkeit aus, mit der die Ehre bewahrt oder im Verlustfall erneut erkämpft wird. Dieser Ernst wurzelt in der Überzeugung, Ehre sei ein begrenztes und darum immer nur wenigen zugängliches Gut (Crook, 593). Im Alten Testament ist Vergleichbares vor allem im Zusammenhang bestimmter Ämter oder Funktionen zu finden, wenn etwa die Königswürde oder die Ehre Gottes gegenüber anderen Anwärtern verteidigt werden muss (Stansell, 1994; s.u.). Für den alttestamentlichen Befund insgesamt scheint diese Konzeption jedoch nur teilweise zuzutreffen: Die im → Psalter
Einigen Anhalt hat dagegen die oft kritisierte Beobachtung Malinas, in den beschriebenen Kulturen sei Scham als essentiell weiblich, Ehre dagegen als wesentlich männlich definiert (Malina, 62; Wikan, 639; Crook, 604-609). Gleichwohl ist auch im Alten Testament die genderspezifische Zuordnung von Scham und Ehre bei Weitem nicht so eindeutig, wie behauptet. Zuletzt lassen die uns überkommenen Texte einen Rückschluss auf gesellschaftliche Ehrkonzeptionen oft nur mittelbar zu. So wird etwa in Jes 22,18
2. Wortbedeutung und Äquivalente
1. Hebräische Bibel. Standardäquivalent für Ehre und Herrlichkeit sind im Hebräischen כָּבוֹד kāvôd bzw. Wendungen mit כבד kbd „ehren“. Der כָּבוֹד kāvôd, als das im Wortsinn „Gewichtige“, bezeichnet die Ehre und den Reichtum eines beim König gut Gestellten (Est 5,11
Ein weiteres, wesentlich selteneres Äquivalent für Ehre / Herrlichkeit ist יָקָר jāqār das ebenso wie כָּבוֹד kāvôd auch die Schwere oder Gewichtigkeit bezeichnet und vor allem in jüngeren Texten כָּבוֹד kāvôd zu beerben scheint (vgl. Ps 49,13
Weitere „Ehrbegriffe“ sind eng mit dem → Königtum
2. Septuaginta. In der griechischen Übersetzung der Schriften der Hebräischen Bibel und in den → Apokryphen
Seltener ist der Gebrauch von τιμή timē / τιμάω timáō. Diese Vokabeln werden verwendet, um יָקָר jāqār wiederzugeben (Ps 49,13
3. Altorientalische Hintergründe
1. Sumerisch. Die Herrlichkeit einer Göttin oder eines Gottes äußert sich im Sumerischen als „Schreckensglanz“, melim. Im Gebet der Encheduana beschreibt diese die angerufene Göttin Inana als „strahlend hervorgekommen“ und „Furcht und Ehrfurcht gebietend“ (Zgoll, 1997, 3). Ihre Herrlichkeit erscheint also als Lichtphänomen und wird mit den Bereichen von Haupt, Stirn, → Krone
2. Akkadisch. Das Akkadische bezeichnet mit dem Begriff melammu die Aura oder Glorie eines Gottes oder Königs, die zugleich auch als Krone oder Prachtgewand angelegt und getragen werden kann (Cassin, 65-82). Dieser Glanz wird wohl auch durch die in mesopotamischen Götterdarstellungen häufigen Hörnerkronen versinnbildlicht.
Die Wurzel כבד kbd hat mit *kbt ein akkadisches Äquivalent. Wie im Hebräischen wird mit den Derivaten dieser Wurzel zunächst das Schwere oder Schwierige benannt. Das Verb kabātu(m) bezeichnet in der Grundbedeutung denjenigen, der wichtig oder einflussreich ist, im Dopplungsstamm, also kausativ, wird mit dem Verb die Anerkennung dieser Ehre und Gewichtigkeit, die Verehrung von Göttern und Menschen formuliert. Die Ehrwürdigkeit zeigt sich oft im Vergleichsverhältnis gegenüber anderen Vertretern der eigenen Gattung.
Neben dem wörtlich „Schweren“ wird im Akkadischen noch das „Seltene“ geehrt. Das zur gemeinsemitisch bekannten Wurzel jqr gehörende Verb (w)aqāru(m) bezeichnet im Grundstamm das „Seltene“ oder „Teure“, in kausativer Verwendung bedeutet es dagegen „selten machen“, aber auch „wertschätzen“ oder „ehren“. Ehrwürdigkeit folgt der Hierarchie der beschriebenen Gesellschaft. Die Ehrung von Göttern als wesentliches Konstituens akkadischer Weltsicht mag sich etwa an einem Namen wie I-la-ak-šu-qir, „Ehre deinen Gott“, zeigen.
Sind die Äquivalente der Ehre vor allem „gewichtig“ und „rar“, so sind die Aspekte der „Verherrlichung“ stärker mit dem Feld der „Sichtbarmachung“ verbunden. So wird (w)apû(m) in kausativer Modifikation als „verdeutlichen / verwirklichen“ aber auch als „verherrlichen“ gedeutet. Mit dieser Form wird beispielsweise das Lobgelübde bzw. die Benediktion im Rahmen akkadischer Handerhebungsgebete formuliert. Die Verherrlichung ihrer Göttlichkeit und kriegerischen Macht durch den Beter scheint essentiell wichtig für die angesprochene Göttin zu sein (Zgoll, 2003, 76). In dieser Hinsicht mag auch hier die kausative Bedeutung der Verben durchaus wörtlich verstanden worden sein: Erst der verherrlichende Beter macht den Gott, den er preist, herrlich.
Die Ehrung eines Gottes kann in polytheistischen Mythen von der Götterversammlung vorgenommen werden. Im akkadischen Schöpfungsmythos → Enuma Elisch
3. Ägyptisch. Im Ägyptischen gibt es eine Reihe von Ausdrücken, die dem Bereich Ehre / Herrlichkeit zugeordnet werden.
Wie im Akkadischen zeigen einige Verben mit ihrer Form (Kausativ), dass „Ehre / Herrlichkeit“ oft als attribuierte Größe verstanden werden. So sagen die als „ehren / verherrlichen“ wiedergegebenen Vokabeln s:3‘ch, s:jqr; s:ḏsr, s:sbq, s:w3š und s:3‘ wörtlich, dass beim Ehren oder Verherrlichen ein Mensch oder Gott selig, vortrefflich, ehrenvoll, exzellent, mächtig und groß gemacht wird.
In Bezug auf die beim alttestamentlichen כבד kbd ebenfalls anklingende Sphäre göttlicher Macht fällt auf, dass es offenbar eine Form der Herrlichkeit (3ch / 3ch.t) gibt, die als „Verklärung“ vor allem mit der himmlischen Existenz des Verstorbenen verbunden wird, die aber darüber hinaus in der Form 3chw mit entsprechenden Determinativen das Schlangendiadem des Königs (Uräus-Schlange) oder das „glänzende“ Auge des Sonnengottes bezeichnen kann. Offenbar wird hier, wie auch im Sumerischen oder Akkadischen, die machtgeladene Aura des Königs oder Gottes mit Lichtphänomenen verbunden.
4. Ehre und Herrlichkeit bei Menschen
Eine strikte Unterscheidung von Ehre und Schande begünstigt die Internalisierung von Normen. Was in unterschiedlichen Gruppen als ehrenvoll oder schändlich angesehen wird, differiert. Ein Blick in verschiedene Schriften des Alten Testaments zeigt, dass auch in ihnen kein einheitlicher Begriff zu gewinnen ist. Im Folgenden soll Ehre des Menschen unterschieden werden in erworbene Ehre und Standesehre. Dabei führen vor allem die → Thronfolgegeschichten
4.1. Verdiente Ehre
Ehre kann auf unterschiedliche Weisen errungen werden. Beispielhaft lässt sich dies an → David
Ein ähnliches Augenmerk auf den Erwerb von Ehre legt das → Esterbuch
Ein mit der impliziten Ethik des Esterbuches teilweise vergleichbarer expliziter Diskurs zu Fragen der Ehre und eine Vielzahl von inhaltlichen Bestimmungen finden sich in der weisheitlichen Literatur (→ Weisheit
Schon an den beiden letzten Stellen zeigt sich eine Besonderheit der Rede von Ehre in alttestamentlicher Weisheitsliteratur. Neben den durchaus erwartbaren Verbindungen von Ehre mit Weisheit und Gerechtigkeit fallen die Stellen auf, die die Voraussetzungen von Ehre klären: Nachdrücklich wird ihr die → Demut
Die liebende Bindung des Einzelnen an Frau Weisheit (→ Weisheit, Personifikation
4.2. Standesehren
In Bezug auf die Ehre wichtige status des Menschen lassen sich an der Struktur der hierarchischen, patriarchalen Gesellschaft ablesen. Ehrwürdig sind die Älteren vor den Jüngeren, die Eltern vor den Kindern, Männer vor Frauen, Herren vor Knechten, Herrscher vor Untertanen.
Gesellschaftlich steht der König an der Spitze jeder Ordnung, wird entsprechend geehrt (2Chr 17,5
Die Gottesrede in Mal 1,6
Vor allem beim Propheten Daniel wird jedoch die Rückbindung gerade königlicher Ehren an Gott festgehalten (Dan 2,37
Eine jenseits des gesellschaftlichen status vorausgesetzte Ehre des Menschen wird in Ps 8
Die göttliche Ehre des Menschen ist nicht unberührbar. Die grundsätzliche Ehrbegabung des Menschen kann von seinem Umfeld vernichtet werden. So wird in Mi 2,9
Diese Ehrbegabung wird vor allem im → Psalter
Dass die Ehre zusammen mit Reichtum Gabe Gottes ist, wissen → Kohelet
Der Entzug der Ehre wird auf besondere Weise in der prophetischen Theologie und im → Deuteronomismus
5. Ehre und Herrlichkeit bei Gott
Die Verteidigung der herausgeforderten und raren Ehre ist nicht nur Sache des Menschen. Gerade JHWH lässt sich die nur ihm zukommende Ehre nicht nehmen (Jes 42,8
5.1. Gebt dem Herrn Ehre
Die Rede von Ehre und Herrlichkeit im → Psalter
Der Mensch im Gegenüber Gottes ist zu JHWHs Ehre geschaffen (Jes 43,7
Die in den vorangegangenen Texten angesprochene „Ehrung Gottes“ und seine „Herrlichkeit“ legen es nahe, diese ausschließlich im liturgischen Kontext zu verorten. Das Konzept der Herrlichkeit und Ehrung Gottes ist jedoch auch darüber hinaus durchaus kritisch wirksam geworden. Die Gefahr einer „leeren Verehrung“ ohne Beteiligung des ganzen Menschen spricht Jes 29,13
Eine andere Verknüpfung von göttlicher und menschlicher Ehre bietet 1Sam 2,29f
5.2. Die Herrlichkeit JHWHs leuchtet auf über dir
Das als Partizip im Sinne von „Geehrter / Vornehmer“ verwendete Nifal (Passivform, vgl. Jes 43,4
Die Erwartung einer zukünftigen „Offenbarung seiner Herrlichkeit“ findet sich in Jes 40,5
Es ist Kennzeichen der erwarteten Heilszeit, dass in ihr die Herrlichkeit JHWHs offenbar wird (Jes 4,5f
5.3. Eine Wolke voller Glanz
Dass der כָּבוֹד kāvôd als eigene Größe vorgestellt wurde, lässt sich besonders in der Priesterschrift und bei Ezechiel nachvollziehen. Der כְּבוֹד יהוה kəvôd JHWH ist im Sinaigeschehen der → Priesterschrift
Wie in den zur Priesterschrift gehörenden Belegen ist der kəvôd JHWH auch in → Ezechiel
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
- Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950ff.
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- The Assyrian Dictionary, Chicago / Glückstadt 1964ff.
- Akkadisches Handwörterbuch, Wiesbaden 1965-1981
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Ägyptisches Wörterbuch, 4. Auflage, Berlin 1982
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Bibeltheologisches Wörterbuch, Graz 1994
- Der Neue Pauly, Stuttgart / Weimar 1996-2003
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006
2. Weitere Literatur
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- Spieckermann, H., 1989, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen (FRLANT 148), Göttingen
- Zgoll, A., 1997, Der Rechtsfall der En-chedu-Ana im Lied nin-me-šara (AOAT 246), Münster
- Zgoll, A., 2003, Die Kunst des Betens (AOAT 308), Münsters
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