Deutsche Bibelgesellschaft

Psalm 24,1-10 | 1. Advent | 03.12.2023

Einführung in die Psalmen

Für umfangreichere Informationen besuchen Sie den Artikel Psalmen (AT) im WiBiLex

1. Der Psalter – das Psalmenbuch

Mit „Psalter“ bezeichnet man in der Regel die Sammlung von 150 Psalmen (in der griechischen Tradition 151 Psalmen), aufgeteilt auf fünf Bücher, wie sie im hebräischen Alten Testament zusammengestellt sind. Die atl. Exegese hat sich, vor dem Hintergrund variierender Psalmensammlungen in Qumran, in den letzten 30 Jahren intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, welche Kriterien der Zusammenstellung der biblischen Psalmen zugrunde liegen und was dies für die Lektüre von Einzelpsalmen bzw. Psalmengruppen bedeutet (Zenger 2000, 416-435). Die Ansicht, dass es sich bei dem Psalter um ein Gesangbuch des Zweiten Tempels handelt, wird kaum noch vertreten. Einzelne Psalmen mögen tatsächlich im öffentlichen Tempelkult ihren Ort gehabt haben (s. die Verweise auf ein Tempelweihfest Ps 30,1 oder den Sabbat Ps 92,1; in der LXX kommen auch Hinweise auf verschiedene Wochentage hinzu), der größere Teil hingegen ist auf den Einzelnen ausgerichtet. Auch was die musikalische Aufführung von Psalmen betrifft, bewegen wir uns auf unsicherem Terrain. Einerseits kann man wenig Konkretes über das Singen von Psalmen und die Verwendung von Musikinstrumenten sagen, andererseits lassen die vorhandenen Anmerkungen in den Texten, die Verweise auf Sängergruppen, Melodien und Instrumente doch die Annahme zu, dass es eine musikalische Begleitung des Gebets gegeben hat.  

2. Die Psalmen

Während die Bezeichnungen Psalm und Psalter auf eine musikalische Tradition und den Vortrag von Psalmen verweisen, wird mit den Bezeichnungen tehillīm „Preisungen“ (tehillāh als Lobpreis Gottes; „…und mein Mund wird deinen Lobpreis verkündigen“, Ps 51,17b), und tepillāh „Gebet“ (so in der vorläufigen Schlussnotiz Ps 72,19 „Ende der Gebete Davids“) die Rede zu, mit und auch über Gott in den Blick genommen. Die Psalmen sind, als poetische Texte, das eine wie das andere, Lied, begleitet mit Saitenspiel, Lobpreis und Gebet.

Mit Aufkommen der Gattungsforschung Ende des 19. und Anfang des 20. Jh.s wurden Einzelpsalmen auf bestimmte wiederkehrende Muster bezüglich ihrer Form und ihrer institutionellen Einordnung, d.h. ihres sog. Sitzes im Leben, hin befragt. Die Klagelieder des Einzelnen (s. Ps 13) erweisen sich als größte derart als Gruppe erkennbare Psalmen. Ihnen liegt i.d.R. eine recht klare Struktur zugrunde (Anrufung, Klage, Bitte, Vertrauensbekenntnis/Lobgelübde). Der immer wieder als auffällig wahrgenommene Stimmungsumschwung von der Klage zum Lob/Dank wurde mit diversen Theorien zu erklären versucht. Letztlich bleibt jedoch vor allem festzuhalten, dass „hinter der Wende von der Klage zum Lob ein Prozess, genauer: ein Gebetsprozess steht, der von Anfang an, d.h. mit Beginn des Betens, in Gang kommt und den ganzen Text durchzieht“ (Janowski, Konfliktgespräche, 77). Formal weniger deutlich strukturiert, inhaltlich jedoch gut zuzuordnen, sind die Klagelieder des Volkes (z.B. Ps 79).

Das Lob Gottes äußert sich in den Hymnen, die zum Lob auffordern und es anschließend entfalten (Ps 98,1: „Singt JHWH ein neues Lied, denn er hat Wunder getan, seine Rechte hat ihm geholfen, sein heiliger Arm“). Teilweise wird das hymnische Loblied vom Danklied (Ps 30 u.ö.) unterschieden. Terminologisch findet es sich im hebr. tôdāh „Dank“ wieder (Ps 42,5), ein Ausdruck der für das Danklied ebenso stehen kann wie für das Dankopfer.

Zahlreiche Psalmen sind aufgrund ihres Inhalts einzelnen Gruppen zugeordnet, so die Zionspsalmen (u.a. 46; 48), die Jhwh-Königspsalmen (u.a. Ps 93); die Königspsalmen (u.a. Ps 72), die Geschichts- oder die Schöpfungspsalmen. Unter diesen kommt nun vor allem den Weisheitspsalmen bzw. den weisheitlichen Reflexionen, die sich in diversen Psalmen finden lassen, hervorgehobene Bedeutung zu. Sie nehmen das Verhältnis von Gott und Mensch grundlegend in den Blick und ordnen auf diese Weise individuelle Erfahrung in einen größeren Zusammenhang ein (s. Ps 49), bzw. leiten, durch bewusste Platzierung im Gesamtpsalter, zum Gebet an. Die Zuordnung einzelner Psalmen zu den genannten Gattungen gibt Aufschluss über die Funktion und Kommunikationsabsicht des Psalms und ermöglicht es, durch die Identifizierung des Typischen, das Untypische und Besondere in Abweichungen von einer Gattung zu erkennen. Es darf dennoch nicht übersehen werden, dass der Großteil der Psalmen Elemente verschiedener Gattungen aufweist, d.h. u.a., dass sich hymnische Elemente in Klageliedern finden (Ps 74,12ff.) und weisheitliche Reflexionen diverse Psalmen durchziehen (s.u.a. Ps 73). Besonders in dieser Mischung von Reflexionen und direkter Gottesanrede zeigt sich die Bedeutung der Psalmen als Schule des Betens, als Hilfe zur Sprachfindung im Gespräch mit Gott.

3. Datierung

Die Datierung einzelner Psalmen ist ausgesprochen schwierig, da in den Texten an sich altes Traditionsgut wieder aufgenommen und in neue Zusammenhänge gestellt worden ist. In der Regel bemüht man sich, unter Berücksichtigung von Querbezügen zu anderen Überlieferungen des Alten Testaments sowie mittels traditions- und theologiegeschichtlicher Einordnungen um eine Zuordnung der einzelnen Psalmen zu größeren Epochen, d.h. der Königszeit, der exilisch-nachexilischen und der hellenistischen Zeit.

Der Psalter als abgeschlossene Sammlung wird ins 2.Jh.v.Chr. zu datieren sein.

4. Theologie

Die Psalmen befassen sich mit Grundfragen des Lebens, die im Gebet vor Gott gebracht werden. Lebensfreude und Dank finden ebenso ihren Raum wie Leiden, Angst und bedrohliche Todesnähe. Nichts muss im Gebet ausgespart, alles kann vor Gott getragen werden, auch in Klage und Anklage.

Die Gerechtigkeit Gottes wird gepriesen oder eingefordert, wo sie, der eigenen Lebenserfahrung gemäß, nicht zu greifen scheint. Neben der – immer wieder auch konfliktbehafteten – Verhältnisbestimmung von Gott, Individuum und dessen sozialem Umfeld gehört auch die Reflexion über Gott, Mensch und Welt in das Gebet. Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst (Ps 8,5). 

Als herausfordernd werden die sog. Rachepsalmen empfunden (u.a. Ps 94,1–2.22–24). Oft als ethisch nicht vertretbar deklassiert und beiseite geschoben, verdienen sie, so unbequem es auch ist, wenigstens einer kritischen Betrachtung. Gewalterfahrung, Hilflosigkeit angesichts der Feinde und der Schrei nach Veränderung stehen im Hintergrund dieser Texte, die zeigen, dass auch die dunklen Seiten des menschlichen Herzens vor Gott offenliegen. Ob und wie sie in den Gemeindekontext eingebracht und ggf. gebetet werden sollten, ist jedoch stets aufs Neue zu fragen.

5. Rezeption

Die Rezeptionsgeschichte der Psalmen und des Psalters hat in den letzten Jahren immer mehr an Raum gewonnen. Unterschiedliche Auslegungstraditionen, so in jüdischer und christlicher Exegese werden ebenso in den Blick genommen, wie Psalmen und Psalter in darstellender Kunst oder Musik.

Zur Anregung: Gillingham, S., 2008–2022, Psalms through the Centuries, Blackwell Publishing, Vol 1–3.

Literatur:

  • Janowski, B., 22006, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn.
  • Körting, C., 2015, The Psalms - Their Cultic Setting, Forms and Traditions, in: Hebrew Bible / Old Testament Volume III Part 2 The Twentieth Century – From Modernism to Post-Modernism, Göttingen, 531–558.
  • Zenger, E., 2011, Psalmen Auslegungen Band II; 4. Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen, Freiburg i. Br., 679–854.

A) Exegese kompakt: Psalm 24,1-10

1לְדָוִ֗ד מִ֫זְמ֥וֹר לַֽ֭יהוָה הָאָ֣רֶץ וּמְלוֹאָ֑הּ תֵּ֝בֵ֗ל וְיֹ֣שְׁבֵי בָֽהּ׃ 2כִּי־ה֖וּא עַל־יַמִּ֣ים יְסָדָ֑הּ וְעַל־נְ֝הָר֗וֹת יְכוֹנְנֶֽהָ׃ 3מִֽי־יַעֲלֶ֥ה בְהַר־יְהוָ֑ה וּמִי־יָ֝קוּם בִּמְק֥וֹם קָדְשֹֽׁו׃ 4נְקִ֥י כַפַּ֗יִם וּֽבַר־לֵ֫בָ֥ב אֲשֶׁ֤ר ׀ לֹא־נָשָׂ֣א לַשָּׁ֣וְא נַפְשִׁ֑י וְלֹ֖א נִשְׁבַּ֣ע לְמִרְמָֽה׃ 5יִשָּׂ֣א בְ֭רָכָה מֵאֵ֣ת יְהוָ֑ה וּ֝צְדָקָ֗ה מֵאֱלֹהֵ֥י יִשְׁעֽוֹ׃ 6זֶ֭ה דּ֣וֹר דֹּרְשָׁ֑ו מְבַקְשֵׁ֨י פָנֶ֖יךָ יַעֲקֹ֣ב סֶֽלָה׃ 7שְׂא֤וּ שְׁעָרִ֨ים ׀ רָֽאשֵׁיכֶ֗ם וְֽ֭הִנָּשְׂאוּ פִּתְחֵ֣י עוֹלָ֑ם וְ֝יָב֗וֹא מֶ֣לֶךְ הַכָּבֽוֹד׃ 8מִ֥י זֶה֮ מֶ֤לֶךְ הַכָּ֫ב֥וֹד יְ֭הוָה עִזּ֣וּז וְגִבּ֑וֹר יְ֝הוָ֗ה גִּבּ֥וֹר מִלְחָמָֽה׃ 9שְׂא֤וּ שְׁעָרִ֨ים ׀ רָֽאשֵׁיכֶ֗ם וּ֭שְׂאוּ פִּתְחֵ֣י עוֹלָ֑ם וְ֝יָבֹא מֶ֣לֶךְ הַכָּבֽוֹד׃ 10מִ֤י ה֣וּא זֶה֮ מֶ֤לֶךְ הַכָּ֫ב֥וֹד יְהוָ֥ה צְבָא֑וֹת ה֤וּא מֶ֖לֶךְ הַכָּב֣וֹד סֶֽלָה׃
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Übersetzung

Psalm 24

1a Von David ein Psalm

1b Jhwh gehört die Erde und ihre Fülle;

1c der Erdkreis und die, die auf ihm wohnen.

2a Denn er selbst hat sie über den Wassern gegründet

2b und über Strömen gefestigt.

3a Wer steigt hinauf auf den Berg Jhwhs

3b und wer steht an seinem heiligen Ort?

4a Der unschuldige (saubere) Hände hat und ein reines Herz.

4b der nicht zur Falschheit seine Seele erhebt

4c und nicht falsch schwört.

5a Er soll Segen tragen von Jhwh

5b und Gerechtigkeit vom Gott seines Heils.

6a Dies ist das Geschlecht derer, die nach ihm fragen 

(d.h.) die nach deinem Angesicht suchen –

(nämlich) Jakob.

7a Erhebt, Tore, eure Häupter,

7b erhebt euch, ihr ewigen Pforten,

7c dass eintritt der König der Herrlichkeit.

8a Wer ist denn der König der Herrlichkeit?

8b Jhwh, der Starke und der Held,

8c Jhwh, der Held des Kampfes.

9a Erhebt, Tore, eure Häupter

9b und erhebt euch ewige Pforten,

9c dass eintritt der König der Herrlichkeit.

10a Wer ist denn der König der Herrlichkeit?

10b Jhwh Zebaoth,

10c er ist der König der Herrlichkeit.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V. 3: Die beiden Verben der 3.m.sg. Impf. Qal können als Indikativ „wer steigt hinauf,“ „wer steht“ übersetzt werden. In vielen Übersetzungen wird jedoch das Modalverb „dürfen“ eingesetzt. Grammatisch ist das möglich, aber nicht nötig. In englischen Übersetzungen wird häufiger mit „who shall“ gearbeitet, d.h. „wer soll/wer wird kommen“ (s. literar. Gestalt).

V. 4b: im masoretischen Text נפשׁי „meine Seele.“ Das Suffix der 1.P.sg. wäre mit einem unbekannten Sprecher oder aber mit Jhwh selbst zu identifizieren. Dazu bietet Ps 24 jedoch keinen Anhalt. Deshalb wird diese Variante in verschiedenen Handschriften korrigiert zu נפשׁו „seine Seele“. Es geht hier um die Seele desjenigen, der sich auf den Weg macht zum Berg Gottes.

V. 6: Der Vers bietet einige Schwierigkeiten. Das Partizip דרשׁ „fragen/suchen“ steht im Singular, das folgende Partizip von בקשׁ jedoch im Plural. Hier wird mit Qere die Pluralform דרשׁ angenommen. Das Suffix der 3.m.sg an ebendieser Form „die nach ihm fragen“ kann sich nur zurückbeziehen auf den „Gott seines Heils“ (V. 5b). Danach scheint sich die Perspektive zu ändern. Mit dem Suffix der 2.m.sg. „dein Angesicht“ wird entweder Gott direkt angesprochen oder aber Jakob. Will man bei der Variante des MT bleiben, bietet sich die Lösung an, hier den Perspektivwechsel mitzugehen und wahrzunehmen, dass an dieser Stelle eine direkte Gottesanrede erfolgt. Der nachklappende Name „Jakob“ ist jedoch als Bezeichnung für das Geschlecht Jakobs, d.h. Israel, zu verstehen: (s.a. Ps 14,7; Ps 22,24; Ps 44,5 u.ö.). Die Septuaginta löst die Schwierigkeiten auf, indem sie formuliert: „das Angesicht des Gottes Jakobs.“

2. Beobachtungen zur literarischen Gestaltung

Der Psalm weist eine klare dreiteilige Struktur auf, die sowohl durch formale als auch inhaltliche Aspekte gekennzeichnet ist. Nach der Überschrift folgt in den V. 1b–2 die lobpreisende Feststellung, dass dem Herrn die Erde und ihre Bewohner gehören. Durch ihn ist die Erde gegründet und hat Bestand. Die V. 3–6 reflektieren die auf zweifache Weise gestellte Frage, wer es denn ist, der/die zum Berg Gottes kommt? Schließlich wenden sich die V. 7–10 dem Kommen des Königs selbst zu. Der mächtige Held, der erscheint, ist kein anderer als Jhwh Zebaoth selbst.

Ziel des Textes ist der Lobpreis Gottes. Das Spezifische von Ps 24 ist in den Fragen zu greifen. Die Fragen von V. 3 fordern den Betern eine Selbstpositionierung ab. Bin ich das auch? Vor diesem Hintergrund verweist V. 4 auf saubere (נקי) Hände und ein reines (בר) Herz und meint damit nicht die kultische Reinheit, sondern die Lebensführung und das Handeln des Menschen, ebenso wie seine Herzenshaltung und somit auch seine Gottesbeziehung. Die Fragen der V. 8 und 10 hingegen erlauben es, den Blick auf ein spezifisches Erscheinungsbild Gottes zu lenken und dies dann mit dem in Jerusalem und auf seinem heiligen Berg gegenwärtigen Gott zu identifizieren. Wer ist der König der Herrlichkeit? Der starke Held.

Schließlich ist, mit Blick auf die semantischen Felder der Verbformen anzumerken, dass sie Bewegungen im Raum markieren und zwar in zweierlei Richtung, auf ein Zentrum zu und nach oben (עלה „aufsteigen“, קום „stehen/aufstehen/erheben“; V. 7 בוא „kommen“;  נשׂא “erheben/aufheben“ kommt immerhin, in verschiedenen Stämmen sechsmal vor, in den V. 4.5.7.9). Die Bewegung nimmt derjenige auf, der reinen Herzens ist (V. 3–6), ebenso wie Gott selbst (V. 7–10). Sie bewegen sich aufeinander zu.

3. Kontexte und historische Einordnung

Ps 24 wurde im Rahmen einer auf die Gattungsgeschichte ausgerichteten Exegese vor dem Hintergrund einer, historisch nicht mehr verifizierbaren, Tempeleinlassliturgie gelesen. In der Auslegung legte man einen Schwerpunkt auf die V. 3-6 und die Frage „wer darf kommen?“ Mit dieser Schwerpunktsetzung ist der Blick auf den dritten Teil des Psalms, das Kommen und Eintreten Gottes, jedoch versperrt.

Die jüngere Psalmenforschung legt Ps 24 zudem im Kontext des Psalters, d.h. als Teil einer schriftlichen Sammlung von Psalmen, aus; u.a. also im Kontext von Ps 22–24. Liest man diese drei Psalmen nacheinander, so ergibt sich ein Spannungsbogen, der Leser und Leserin auf einen Weg mitnimmt, nämlich von der Klage über die Gottesferne (Ps 22), zur Zusage des guten Hirten, und der Verheißung des Verweilens in der Gegenwart Gottes, in seinem Hause (Ps 23). Ps 24 nimmt dieses Thema von Ps 23 auf. Er singt das Lob Gottes, des bewahrenden Hirten, als König, dem die Erde gehört und dessen Gegenwart in und dessen machtvolles Kommen zu seinem Tempel in eins gedacht wird.

Die hymnische Aussage, dass Jhwh die Erde gehört, findet sich in leichter Variation auch in Jes 6,1–5: „Die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit“ (Jes 6,3). Der Psalm wird in der Regel in die vorexilische Zeit, d.h. vor 587 v.Chr., datiert und setzt somit ein noch existierendes Königtum voraus.

4. Schwerpunkte der Interpretation

Ps 24 greift auf ein reichhaltiges Repertoire an Inhalten der sog. Jerusalemer Tempeltheologie zurück, die vom Königtum Gottes über die Welt und von seinem Thronen auf seinem heiligen Berg, dem Zion sprechen kann (s.a. Ps 48).

Diese Vorstellungen verbindet der Text mit denen von JHWH als einem siegreichen Krieger. Sein Sieg ist ein Sieg über das Chaos, d.h. über die die Schöpfung und somit den Lebensraum bedrohenden feindlichen Mächte. Doch um Kriegsgeschehen geht es nun nicht mehr, sondern um die strahlende und überwältigende Präsenz, mit der Gott erscheint. Das wird unterstrichen in der Ansprache der personifiziert auftretenden Tore und Türen des Heiligtums. Sie sind direkt aufgefordert, Platz zu machen, d.h. auf das Kommen Gottes zu reagieren. Keine Menschenhand könnte sie derart bewegen. Sie müssen selbst weichen und zwar nach oben und nicht, wie es zu erwarten wäre, zur Seite. Der bildhaften Sprache des Psalms gemäß sollen die Tore und Türen sogar ihre Häupter erheben. D.h., dass die, die nach unten geschaut haben, aufblicken und das Haupt erheben sollen, denn der König der Herrlichkeit kommt.

Der Psalm gibt folglich eine sehr spezifische Antwort auf die Frage: Wer ist dieser Gott? Sie wird zweifach wiederholt und stellt so neben das Bild des Helden und Starken (V. 8) den Namen JHWH Zebaoth (V. 10), d.h. den Namen des Gottes, der seinen Tempel in Jerusalem hat.  Auf die Frage, wer sich zum Berg Gottes aufmacht, antwortet der Psalm zunächst mit ethischen Gesichtspunkten, die zur Selbstreflexion anregen. Diese Frage des Textes hat die Gemeinde Israel bereits vor Abschluss der schriftlichen Überlieferung des Psalters dazu gedrängt, selbst direkt zu antworten. Wir, Jakob, fragen nach ihm, suchen nach dir, Gott. Nach V. 6 behaupten sie nicht, die unschuldigen Hände und das reine Herz zu haben, aber sie strecken sich nach Gott aus.

5. Theologische Perspektivierung

Die Königsherrschaft Gottes steht als Leitmotiv über dem gesamten Psalm. Der Lobpreis, den Ps 24 spezifisch formuliert, wird gesungen, im Wissen, dass Gott die Erde und ihre Bewohner gehören. Er hat sie gegründet und überlässt sie nicht den chaotischen Gewalten. Er ist ein starker Held. Dieser Königsgott ist da und doch in Bewegung auf diejenigen zu, die ihr Herz und Handeln nach ihm ausrichten wollen.

Literatur:

  • Müller, R., 2008, Jahwe als Wettergott, BZAW 387, Berlin/New York, 147–167
  • Seremak, J., 2004, Psalm 24 als Text zwischen den Texten, ÖBS 26, Frankfurt et al.
  • Spieckermann, H., 2023, Psalmen Bd. 1: Psalm 1–49, ATD 14, Göttingen

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Die exegetischen Beobachtungen sind eine große Hilfe, den bekannten, prägenden Psalm für die Predigt neu zu entdecken.

Als erstes wirkt der aufgezeigte Spannungsbogen der Ps 22–24 wohltuend gegen die alljährliche, auch irritierende, Erfahrung, dass nach den nachdenklichen letzten Sonntagen im Kirchenjahr, nach dem Totengedenken und Ausblick in die Ewigkeit das Neue gleichsam mit einem unvermittelten Paukenschlag einsetzt. Dadurch, dass der Psalm in Gänze zum Predigttext wird, kann er die Gemeinde in doppelte Bewegung hineinnehmen und vom Ewigkeitssonntag herkommend mit dem Lob Gottes, der die Erde und alles Leben geschaffen hat und bewahrt, beginnen.

Insbesondere überrascht die Übersetzung von V. 3 in Verbindung mit V. 6 die Predigenden und Hörenden befreiend: Es gibt keine Einlasskontrolle für den Zugang zum Berg Gottes und damit zu ihm selbst. Es ist Selbstprüfung derer, die sich nach ihm sehnen und ausstrecken und sich dahin ausrichtend verändern – dies legt heilsam einen anderen Schwerpunkt im mittleren Teil, der die Bewegung nicht stoppt.

Zudem erleichtert die Auslegung das Wissen, dass es nicht mehr der Kriegführende ist, der hier strahlend erscheint, sondern der bereits siegreiche Held über die Mächte, die den von Gott geschaffenen Lebensraum bedrohten. Perspektive der Predigt wird mithin auch sein, die Königsherrschaft Gottes zu preisen und zusammen mit der christlichen Erwartung der Ankunft des starken Helden in Windeln zum Klingen kommen.

2. Theologische Aktualisierung

Das Bild des Kriegshelden stellt angesichts des aktuellen Kriegstreibens in der Welt auch eine Schwierigkeit dar. Zugleich bewegen sich alle geprägten Texte und Lieder im Advent in der notwendigen Ambivalenz: Der machtvolle, alles umstürzende Herrscher wird herbeigesehnt und erwartet – und zugleich seine Sanftheit, Mildheit und die andersartige Erhabenheit seiner Macht bestaunt. Ps 24 bietet eine gute Grundlage, sich hierin zu bewegen. Der siegreiche Held des Kampfes fordert keine Unterwerfung, sondern Auf- und Ausrichtung auf ihn, „der Heil und Segen mit sich bringt“. Dies ist auch Anspruch des Ps: Es singen und beten und kommen diejenigen, die Gott als Schöpfer, Herrn, Retter und Erlöser anerkennen – Da kommt was zusammen!

3. Bezug zum Kirchenjahr

Nach wie vor ist der 1. Advent untrennbar mit dem Ps 24 verbunden, allerdings fast ausschließlich mit dem 3. Teil. Insbesondere in Verbindung mit EG 1 ist ein Gottesdienst ohne das Bild der geöffneten Tore, durch die der König der Herrlichkeit einzieht, nicht denkbar. Was anschaulich für alle Generationen buchstäblich den Advent eröffnet, ist nun erstmals auch Predigttext.

4. Anregungen

Im Gottesdienst sollte das Vertraute nicht gelassen, sondern bewusst aufgenommen und ihm das Fremde und Irritierende und darin die frohe Botschaft des Advents neu zugesellt werden. Eine gute Möglichkeit, den Text neu zu Gehör zu bringen, die zugleich wichtige inhaltliche Konsequenzen hat, ist, die Übersetzung der Exegetin zu verwenden, da alle gebräuchlichen deutschen Bibeln V. 3 mit „Wer darf … gehen? Wer darf … stehen?“ übersetzen.

Vom Ewigkeitssonntag herkommend – hier können Verse aus Ps 22 und 23, auch aus Apk 21 aufgegriffen werden – ist der Berg Jhwhs, der Wohnort Gottes zugleich Ziel und Neubeginn. Nach dem Blick auf die Schönheit der ewigen Gemeinschaft mit Gott und dem Ende und Anfang verbindenden Lob Gottes (vgl. EG 147,2–3) kommt nun alles erneut in Bewegung:

Die starke Dynamik der Bewegung auf ein Zentrum zu und nach oben hin kann die Predigt inhaltlich und sprachlich bestens bestimmen.

Da ist Gott, dem alles gehört, der alles erfüllt, Jhwh, der bereits als siegreicher Held heimkommt und auszieht, erhebend und erhaben; Segen und Gerechtigkeit, Kampf und Sieg des Starken kommen in seinem Namen zusammen.

Unbeweglich scheinende Bauten und Sperren zwischen Gott und Mensch bewegen sich auf Zuruf in die Luft, damit der König als Held und siegreicher Krieger freie Bahn hat.

Da sind Menschen aus dem Volk Gottes, die sich angesichts des Erlebens von Unrecht, Gewalt, Rat- und Hilflosigkeit aufmachen und nach Gerechtigkeit fragen, die sich sehnend nach dem Ort ausstrecken, an dem Gott die Seinen mit Heil und Segen erfüllt.

An dieser Stelle kann die Predigt in ihrer mitnehmenden Bewegung innehalten und nicht vorschnell den unbequemen Moment der Selbstprüfung übergehen: Bin ich das auch? Gehöre ich zu denen, die sich auf den Weg machen, weil sie von Gott, dem Schöpfer und Erhalter des Himmels und der Erde, Hilfe erwarten? Mit Blick auf die Hörenden und die Predigenden selbst darf der Frage nicht ausgewichen werden, ob uns denn die Sehnsucht umtreibt, auf den Berg Gottes zu steigen. Was ist die Motivation für unsere Haltung und dem daraus resultierenden ethischen Handeln? Zugleich zeigt der Psalm aber auch, dass die menschliche Suchbewegung nur eine Seite der Medaille ist.

Auf dem suchenden und tastenden Weg geschieht die Veränderung. Dahinein nimmt Ps 24 mit, denn angesichts des Kommenden lösen sich Blockaden: Das ist Advent!

Bereits die Gemeinde Israel hat nicht Halt gemacht durch den kaum zu erfüllenden Anspruch der unschuldigen Hände, reinen Herzen und lauteren Seele, weil der starke Held selbst entgegenkommt. Hier entfaltet sich das befreiende und frohmachende Potential der anderen Übersetzung von V. 3.

Wir erwarten den, der das Chaos geordnet hat! Wir machen uns auf dorthin, wo der Sieg gefeiert wird – und werden uns an der Krippe treffen, so lautet die christliche Botschaft des Advents mit dem Psalm Davids.

Autoren

  • Prof. Dr. Corinna Körting (Einführung und Exegese)
  • Daniela Fricke (Praktisch-theologische Resonanzen)

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