Deutsche Bibelgesellschaft

Johannes 6,47-51 | Lätare | 30.03.2025

Einführung in das Johannesevangelium

Das Johannesevangelium ist wie ein Fluss, in dem ein Kind waten und ein Elefant schwimmen kann.

Robert Kysar

Das Evangelium „nach Johannes" ist das tiefgründigste und theologisch wie kulturgeschichtlich wirkungsvollste der kanonischen Evangelien. Es unterscheidet sich in Stoff, narrativer Gestalt, Sprache und Theologie signifikant von den Synoptikern. Die Erklärung dieser Besonderheiten sowie die Frage nach seinen Quellen und seinem historischen und theologischen Wert gehören zu den schwierigsten und umstrittensten Fragen der Forschung.

Joh ist wie Mk eine kerygmatische Erzählung vom Wirken, Sterben und Auferstehen Jesu, d.h. ein Evangelium. Es ist programmatisch aus nachösterlicher Perspektive gestaltet, aus der durch den Geist gewirkten „Erinnerung“ (Joh 2,22; 12,16), und es trägt diese Perspektive bewusst in die Erzählung der Geschichte Jesu und seines Todes (19,30), so dass alle Einzel-Episoden schon im Licht des Ganzen des Christusgeschehens, im ‚österlichen Glanz‘, zu lesen sind.

Joh enthält eigentümliche Stoffe (Prolog, Abschiedsreden, ausgedehnte Reden und Dialoge Jesu mit Nikodemus, der Samaritanerin oder Pilatus), Erzählungen wie das Weinwunder (Joh 2), Lazarus (Joh 11), die Fußwaschung (Joh 13). Wichtige synoptische Stoffe (z.B. Geburtsgeschichten, Gleichnisse, Bergpredigt, Endzeitrede) fehlen. Die Tempelreinigung (Joh 2,13-22) ist aus dem Passionskontext an den Anfang umgestellt, der Todesbeschluss des Hohen Rates (Joh 11,45-54) erfolgt ebenfalls schon vor der Passion als Antwort auf die Lazarus-Erweckung. Dies weist auf eine bewusste Umgestaltung der älteren Jesusüberlieferung hin, die auch geschichtliche Sachverhalte in großer Freiheit anders erzählt. Dies zeigt sich auch in der anderen Sprache Jesu, die im Grunde die Sprache aller anderen Figuren und des Autors ist. D.h., auch in Jesu Worten und Reden spricht faktisch der joh Autor.

1. Verfasser

Das „Evangelium nach Johannes“ ist wie alle kanonischen Evangelien anonym überliefert. Die Überschrift ist im 2. Jh. nachgetragen. Traditionell wurde es ab dem späten 2. Jh. dem Apostel und Zebedaiden Johannes zugeschrieben, der mit der Figur des „Jüngers, den Jesus liebte“ (Joh 13,23) identifiziert wurde. Diese Zuschreibung ist erklärlich, weil man diesen ‚Lieblingsjünger‘ (LJ) mit dem ‚unbekannten‘ zweiten Jünger aus Joh 1,35-40 identifiziert hat und (aufgrund von Mk 1,16-20 oder Apg 3-5) in diesem den Zebedaiden Johannes sah. So ‚wurde‘ der LJ zum Augenzeugen der ganzen Erzählung und das Evangelium bekam ‚apostolische‘ Würden. Nach der Johanneslegende (bei Irenäus u.a.) soll dieser Johannes als Greis sein Werk in Ephesus in Kleinasien geschrieben haben, nach Clemens v. Alex. ist es als „geistliches“ Evangelium in Ergänzung und Vertiefung zu den drei eher „leiblichen“ Erzählungen der Synoptiker abgefasst.

Aufgrund von Stoff, Sprache und erzählerischer Gestalt ist allerdings höchst unwahrscheinlich, dass der galiläische Fischer im hohen Alter das Werk verfasst hat. Und selbst wenn er der Autor wäre, wäre schwer erklärlich, warum es sich von der älteren Tradition so unterscheidet.

Nur das wohl als ‚Nachtrag‘ angefügte Kapitel 21 führt die Abfassung auf den LJ zurück, in Joh 1-20 ist dieser zwar an wenigen Stellen ab dem letzten Mahl (13,23; 19,25-27; 20,1-10) Petrus an die Seite gestellt, doch eher als ‚ideale Figur‘, die Jesus näher ist und ihn besser versteht. Der eigentliche „Autor“ ist in Joh 1-20 der „erinnernde“ Geist (Joh 14,25f). Wenn hinter dem LJ auch eine ‚reale‘ Figur im Umkreis der joh Gemeinden stand (wie 21,22f nahelegt), ist fraglich, ob dieser mit einer bekannten Gestalt zu identifizieren ist. Das Joh wäre in dann Fall posthum von Schülern (21,24f) herausgegeben. Wenn der Autor des Joh mit dem von 1-3Joh identisch ist, wäre der autoritativ schreibende „Presbyteros“ aus 2Joh 1; 3Joh 1 am ehesten mit dem bei Papias von Hierapolis (Eus., h.e. 3,39,4) als Traditionsträger in der Asia erwähnten „Presbyteros Johannes“ zu identifizieren. Die spätere Zuschreibung an den Zebedaiden wäre dann in einer Verwechslung oder eher intentionalen Überblendung der Namen erfolgt.

Schriftzitate und Anspielungen belegen eine gute Kenntnis des AT, das aber höchst selektiv benutzt wird. Analog ist auch für die übrigen Traditionen eine sehr eigenständige Verwendung anzunehmen. Nichts ist nur ‚abgeschrieben‘, Joh 20,30f bezeugt eine bewusste Auswahl des Autors aus den ihm verfügbaren Stoffen. Daraus folgt aber: Die Eigenständigkeit in Stoff und literarischer Ausgestaltung belegt keine ‚Unabhängigkeit‘ von der synoptischen Tradition. Jede Rekonstruktion schriftlicher Quellen (z.B. einer ‚Semeia‘-Quelle mit Wundergeschichten oder eines eigenen Passionsberichtes) ist m.E. unmöglich, doch sind neben den Synoptikern (v.a. Mk) mündliche und schriftliche Gemeindetraditionen anzunehmen, die aber alle eigenständig umgestaltet sind. Der Autor kennt das Mk (wie z.B. die Anspielungen auf die Gethsemane-Episode in 12,27f; 14,31 und 18,11 zeigen) und setzt die Kenntnis auch bei seinen Lesern voraus (s. 3,24), evtl. kennt er auch Lk oder Stoffe daraus, eine Kenntnis des Mt ist nicht zu belegen. Er ist gleichfalls vertraut mit jüdischen Bräuchen und wohl auch mit Gegebenheiten in Jerusalem. Vielleicht ist er ursprünglich ein Palästiner, der dann im Zuge des jüdischen Krieges nach Kleinasien kam.

2. Adressaten

Das Joh ist wohl in Gemeindekreisen entstanden, die auch in 1-3Joh greifbar sind. Diese Gemeinden (oder die ‚Joh. Schule‘) in Kleinasien sind erst im letzten Drittel des 1. Jh. greifbar, sie hatten eigene Traditionen, aber nahmen auch synoptische und paulinische Motive auf. Ein Teil der joh Christusgläubigen entstammte wohl der Diasporasynagoge, und die traumatischen Spuren einer erfolgten Trennung (aposynagogos: Joh 9,22; 12,42; 16,2) sind wahrnehmbar, hingegen waren andere wohl Nichtjuden („Griechen": Joh 7,35; 12,20). Der Kontext steht also ein Verband ‚gemischter‘ Gemeinden, wohl im urbanen Raum, in dem neben diesen joh Christusgläubigen auch anders geprägte Gruppen koexistierten (z.B. Apk, Eph, Pastoralbriefe).

Nach den Abschiedsreden erscheinen die Adressaten selbst verunsichert ‚in der Welt‘, so dass Jesu Wort und das ganze Joh im Durchgang durch die Geschichte Jesu eine Antwort darauf bietet. Zugleich ist das Joh nicht nur als konkretes Wort an einen begrenzten, gar ‚sektiererisch‘ abgeschlossenen Gemeindekreis zu lesen, vielmehr zielt es auch auf Lesende in einem weiteren Rahmen, ja auf die Welt der Bücher, wenn es in 1,1 die Genesis überbietend aufnimmt und in 21,25 mit einem Hinweis auf viele Bücher endet.

3. Entstehungsort

Die Herausgabe des Evangeliums wird seit der altkirchlichen Tradition in Ephesus angesetzt. Dies ist im Joh und den drei Briefen nicht positiv zu belegen, und sachlich wäre jeder urbane Kontext im östlichen Mittelmeerraum denkbar, doch weist das frühe Zeugnis des Papias von Hierapolis, Polykarp u.a. auf den Raum Kleinasiens, ebenso die frühe Verbindung mit der dort situierten Apokalypse. Andere Vorschläge (Alexandrien wegen der Rede vom Logos; Syrien wegen vermeintlicher Nähe zu gnostischen Traditionen; Ostjordanland wegen der Bedeutung der ‚Juden‘) sind ebensowenig zu belegen. Kleinasien bleibt die wahrscheinlichste Option.

4. Wichtige Themen

Wichtige Themen der exegetischen Interpretation sind die hohe Christologie: Jesus ist der eine Offenbarer Gottes, ja er ist ‚Gott‘. Er gibt Leben, gibt den Geist. Sein Tod ist ‚Vollendung‘ der Schrift und des Willens Gottes (19,30), seine Sendung (ans Kreuz) der Erweis der ‚Liebe‘ Gottes zur Welt (3,16). Auffällig ist die ‚Vergegenwärtigung‘ der Eschatologie: Das ‚ewige Leben‘ ist schon jetzt im Glauben gegeben (5,24), das Gericht ergeht jetzt in der Begegnung mit Jesus (3,18). Zentrale Bedeutung hat der Geist, der als ‚Beistand‘ (Paraklet) der nachösterlichen Gemeinde diese begleitet, erinnert und zum Zeugnis befähigt. Joh entwickelt eine Art, von Vater, Sohn und Geist in personaler Unterscheidung zu reden, die bereits in die Richtung der späteren Trinitätslehre führt. Das alles wird in Bezug auf die Schriften Israels entfaltet, die nach Joh sämtlich von Jesus zeugen. Daher beansprucht der joh Jesus Exklusivität als Offenbarer (1,18; 14,6), während alle anderen Wege, auch der der nicht an Jesus glaubenden Schüler Moses (9,28) nicht „zum Vater“ führen. Die schroffe antijüdische Polemik ist z.T. Ertrag der schmerzhaften Trennungs- und Identitätsbildungsprozesse. Für die Gemeinde ergibt sich daraus eine innere Trennung von der ‚Welt‘, der mit einer (Familien-)Ethik der (nicht nur, aber vorrangig) auf die eigene Gruppe gerichteten Liebe begegnet wird.

5. Besonderheiten

Das Joh will, dass seine Leser:innen besser und tiefer verstehen. Diesem Ziel dient die literarische Ausgestaltung durch ein eine Vielzahl literarischer Gestaltungsmittel: die Vor-Information durch den Prolog lässt die Leserschaft stets ‚wissender‘ sein als die textlichen Figuren, deren ‚dumme‘ Fragen oft Verwunderung auslösen. Die Wundergeschichten sind durch textliche Verweise so ausgestaltet, dass sie nie nur als Bericht eines vergangenen Ereignisses gelesen werden können, sondern stets auf das Ganze des Heilsgeschehens bezogen sind. Explizite und implizite Erzählerkommentare und Erläuterungen lenken den Blick auf textliche und theologische Bezüge. Narrative Figuren bieten Identifikationsangebote und provozieren durch ihre Ambivalenz zur Stellungnahme. Miteinander vernetzte, z.T. breit symbolisch ausgestaltete Metaphern (wie Wasser, Brot, Hirte, Weinstock, aber auch Geburt, Familie, Tempel, Garten) verstärken das Wirkungspotential des Textes und laden die Lesenden ein, ihn „zu bewohnen“ (Ricœur). Als subtiler literarischer Text spiegelt das Joh nicht nur die hohe Kunst seines Autors, sondern wurde selbst zur Weltliteratur.

Literatur:

  • Meyers KEK: Jean Zumstein, Das Johannesevangelium, Göttingen 2016; C.K:Barrett, Das Evangelium nach Johannes, Üs. H. Balz (KEK Sonderband), Göttingen 1991.
  • Martin Hengel, Die johanneische Frage, WUNT 67, Tübingen 1993.
  • Jörg Frey, Die Herrlichkeit des Gekreuzigten. Studien zu den johanneischen Schriften 1, WUNT 307, Tübingen 2013: https://www.mohrsiebeck.com/buch/die-herrlichkeit-des-gekreuzigten-9783161527968?no_cache=1
  • Francis Moloney, The Gospel According to John, Sacra Pagina 4, Collegeville MN 1998; Marianne Meye Thompson, John: A Commentary, NTL, Louisville KN 2015.

A) Exegese kompakt: Johannes 6,47-51

Leben für die Welt

Jesus gibt sich selbst – als Brot des Lebens; er gibt, was das Leben fördert. Das empfängt der Glaube.

47Ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ὁ πιστεύων ἔχει ζωὴν αἰώνιον. 48Ἐγώ εἰμι ὁ ἄρτος τῆς ζωῆς. 49οἱ πατέρες ὑμῶν ἔφαγον ἐν τῇ ἐρήμῳ τὸ μάννα καὶ ἀπέθανον· 50οὗτός ἐστιν ὁ ἄρτος ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβαίνων, ἵνα τις ἐξ αὐτοῦ φάγῃ καὶ μὴ ἀποθάνῃ. 51ἐγώ εἰμι ὁ ἄρτος ὁ ζῶν ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβάς· ἐάν τις φάγῃ ἐκ τούτου τοῦ ἄρτου ζήσει εἰς τὸν αἰῶνα, καὶ ὁ ἄρτος δὲ ὃν ἐγὼ δώσω ἡ σάρξ μού ἐστιν ὑπὲρ τῆς τοῦ κόσμου ζωῆς.

Johannes 6:47-51NA28Bibelstelle anzeigen

Übersetzung

47 Amen, amen, ich sage euch: Wer glaubt, hat ewiges Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit jemand von ihm esse und nicht sterbe. 51 Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel gekommen ist. Wenn jemand von diesem Brot isst, wird er in Ewigkeit leben, und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

50 οὗτός ἐστιν: Sprachlich ist unklar, worauf οὗτος bezogen ist. Sachlich ist klar: nicht das Manna (V. 49), sondern das im Folgenden erwähnte Brot: Jesus (V. 51a) bzw. sein „Fleisch“ (V. 51c).

50 καταβαίνων: Das Ptz. Präsens weist darauf hin, dass nicht das Manna der vergangenen Wüstenzeit, sondern das jetzt von Jesus gegebene Brot (bzw. das eucharistische Mahl der nachösterlichen Zeit) das ‚Himmelsbrot‘ ist.

2. Literarische Gestaltung

Der Abschnitt bietet einen Ausschnitt aus der Brotrede Joh 6,26-58, die das Brotwunder 6,1-15 (nicht den Seewandel 6,16-25) interpretiert. In diesem Abschnitt wird nach einigen Zwischengedanken das am Anfang der Rede (V. 32-35) Gesagte summierend aufgenommen und vertieft, bevor der Schlussteil (V. 52-58) konkreter den Vollzug des Essens (metaphorisch oder konkret eucharistisch) thematisiert. Im Ganzen von Joh 6 zeigt sich eine Bewegung von der konkreten Sättigung der 5000 mit Brot (V. 1-15) über den Verweis auf die Mannaspeisung in der Wüstenzeit (V. 31f.), die metaphorische Deutung Jesu als das wahre „Brot vom Himmel“ (6,33.41) bzw. „Brot des Lebens“ (6,35), und das von ihm gegebene Brot, das sein „Fleisch“ ist (6,51), bis zum wieder konkret-leiblichen „Kauen“ seines Fleisches und Trinken seines Blutes (6,53-56). Dies ist es, was dann in 6,60ff. die Jünger als „harte Rede“ ablehnen, um sich von Jesus zu separieren. Hier spiegelt sich möglicherweise der 1 Joh 2,18-22; 4,1-5 reflektierte Konflikt im joh Kreis, bei dem es auch um die reale Menschlichkeit Jesu ging.

Der Abschnitt nimmt Elemente der bisherigen Rede auf und führt semantisch weiter:

V. 47 bietet einen Neueinsatz mit einer neuen „Amen, amen“-Einleitung (nach V. 26 und 32). Auffällig ist, dass in V. 47f. die soteriologische Explikation der christologischen Aussage vorausgeht, so dass die Form des metaphorischen Ich-bin-Wortes V. 35 (Ich-bin-Aussage + soteriologischer Nachsatz) umgekehrt wird. Die Variation erklärt sich daraus, dass V. 47 zugleich V. 43-46 zusammenfasst und abschließt, während V. 48, das V. 35a wörtlich aufnimmt, V. 49-51 einleitet.

V. 49-51 sind ein Scharnierstück zum Schluss der Rede (V. 52-58). V. 49 nimmt den Bezug auf die Mannageschichte (V. 31) modifiziert auf: Jesus redet zu seinen Zeitgenossen nun distanziert von „euren Vätern“ (als wäre er nicht Teil ihres Volkes). Anders als in V. 31 wird ergänzt, dass auch diese Väter gestorben sind, d.h. ihr „Brot vom Himmel“ hat nicht zum Leben geführt – im Gegensatz zum ‚wahren‘ Lebensbrot, das vom Himmel kommt, das Jesus selbst ist (V. 35). Dieses gewährt anders als das Manna Leben über den Tod hinaus, „ewiges Leben“.

V. 49f. bringen erstmals nach V. 31 wieder das Verb „essen“ ein. Damit wird ein Sinnüberschuss markiert: Es geht nicht ‚nur‘ um das Glauben, sondern (schon in V. 50!) um das Essen, d.h. die konkrete Aneignung des Heils. Das Himmelsbrot Jesus hat die Wirkung, dass wer davon isst, nicht sterben (V. 50) bzw. „ewiges Leben“ (V. 47.51b) haben wird (vgl. analog Joh 11,25f.).

V. 51 formuliert in variierter Wiederholung von V. 35.48: „Ich bin das lebendige Brot.“ Der Verweis auf Lebendige wird nun adjektivisch eingefügt. Angefügt ist: „das vom Himmel gekommen ist“ (V. 33.38.41f.) – dies gilt für das Manna wie für Jesus.

In V. 51c wird an die Rede vom Essen ein weiterer, zu V. 53-56 überleitender Satz angefügt: Das Brot, das Jesus (in Zukunft) „geben wird,“ ist sein „Fleisch (σάρξ) für das Leben der Welt“. Hier wird erstmals in der Rede von Jesu „Fleisch“ geredet. Die Gabe liegt (vom Sprechzeitpunkt aus) in der Zukunft und die (Hin-)Gabe seines Fleisches wird sachlich näher bestimmt „für (ὑπέρ) das Leben der Welt.“ Damit wird der theologische Horizont geweitet: Es geht nicht mehr um Jesu Kommen, seine Sendung oder Inkarnation, sondern um die Hingabe seines Fleisches (σάρξ), d.h. seines leiblichen Lebens zugunsten des Lebens (im Vollsinne) der Welt. Es geht mithin um Jesu Tod und – in Verbindung mit dem „Essen“, um eine (spätere) Feier eines Mahls, in dem er selbst bzw. sein „Fleisch“, heilvoll, Leben eröffnend, zu essen gegeben wird – in einem universalen Rahmen, für die (ganze) Welt und ihr „Leben“. Damit wird typologisch kontrastiert a) der Tod der Väter in der Wüste trotz des Manna (‚Brot vom Himmel‘), und b) das (ewige) Leben derer, die das „lebendige Brot“, Jesus und sein „Fleisch“ empfangen.

3. Literarischer Kontext und historische Einordnung

Die Brotrede ist in 6,59 in der Synagoge von Kafarnaum lokalisiert und durch 6,4 zeitlich in der Nähe eines Passafestes angesetzt, zu dem Jesus (anders als in 2,13 und 11,55) nicht nach Jerusalem zieht, sondern in Galiläa weilt – nach 4,1 und 7,1 wegen der Feindschaft der Jerusalemer Autoritäten. Die Nennung des Passas, die für die 3-Jahres-Chronologie des Wirkens Jesu im Joh wesentlich ist, hat aber vor allem den Sinn, das Erzählte sachlich und semantisch mit dem Kontext des Todes Jesu und seinem letzten Mahl zu verbinden. Da schon die Speisung(en) bei Markus intratextuell auf das letzte Mahl und die Einsetzungshandlung bezogen sind (Mk 6,41; 8,6), ist dieser Bezug auch für Joh 6,1-15 plausibel. Damit ist auch nach der Metaphorisierung des Brotes in 6,33.35 wahrscheinlich, dass auch die Rede von Jesu Fleisch (6,51) und vom Essen bzw. Kauen seines Fleisches und Trinken seines Blutes (6,53-56) nicht rein metaphorisch auf die Annahme von Lehre, sondern auch auf konkrete Mähler bezogen ist.

Die in der älteren Forschung (Bultmann und seine Schule) praktizierte literarkritische Scheidung zwischen einer ‚ursprünglichen‘ nur metaphorischen Brotrede und einer ‚eucharistischen‘ Ergänzung oder Korrektur (V. 51c-58) wird heute weithin problematisiert. Sie basiert auf einer anachronistischen Eintragung eines Konflikts zwischen christologischem und ‚sakramentalistischem‘ Denken. Wo man den Schluss der Brotrede als redaktionellen Zusatz ausscheidet, muss auch V. 51c („und das Brot…“) abgetrennt werden, da dieser Halbvers die Brücke zum Folgenden bildet. Eine ‚reine‘ Wort-Theologie ohne religiöse Mahlhandlungen und ohne Gemeinschaftsbezug (so bei Bultmann) ist jedoch ein neuprotestantisches Ideal und für Joh anachronistisch. Dass eine Redaktion das Werk des Evangelisten ‚korrigierte‘, bleibt eine rein inhaltlich begründete, sprachlich nicht zu erhärtende Annahme.

4. Schwerpunkte der Interpretation

Die Perikope ist in ihrem Zuschnitt schwierig, weil sie vieles von dem zuvor in Joh 6 oder vorher im Joh Gesagten nur knapp aufnimmt: V. 47 ist in seiner Knappheit schwer verständlich. Wo man Glauben als eine zu erbringende (Vor-)Leistung versteht, wird die Zusage des Lebens zur Belohnung für menschliche „Gläubigkeit“. Das ist jedoch ein Missverständnis: „Glauben“ ist nach V. 41ff. ein passives Geschehen. Es ist weder ein Gefühl noch die Zustimmung zu bestimmten Sachaussagen, noch eine Sache aktiver Entscheidung, sondern göttliches Geschenk, das allein in Gottes Geben oder Ziehen (6,44) gründet, in einer Neugeburt (3,3.5), einer Erweckung aus dem Tod zum Leben.

V. 51 bietet eine spezifische Deutung des Todes Jesu. Sein Lebenseinsatz „für“ (im Sinne von „zugunsten von“; nicht „anstelle von“) seine Freunde (15,13), seine „Schafe“ (10,11) etc. ist im Joh häufig thematisiert, ein Sterben des Einen „anstelle“ des Volkes ist in 11,50 angedeutet. Allein hier in 6,51c ist Jesu Lebenshingabe auf Eröffnung neuen Lebens bezogen. Ohne dass das Motiv der (kultischen) Sühne (Lev 16) direkt erwähnt wäre (vgl. aber 1 Joh 2,2 und 4,10) ist der Sachverhalt hier berührt. V. 52-57 betonen dann die Notwendigkeit des Todes Jesu und weisen der konkreten Mahlfeier im Rahmen der Gemeinde eine zentrale Bedeutung zu. Der Abschnitt will nicht Gemeindeglieder von der Notwendigkeit der Eucharistie überzeugen, denn „als Glaubende gehören sie bereits zu den Essenden“. Doch im Vollzug des Essens ereignet sich selbstverständlich Teilhabe an dem, was Jesu Selbsthingabe erwirkt hat, am „Leben“.

V. 51 redet davon, dass die ganze Welt durch Jesu Lebenshingabe Leben empfangen soll (so schon Mk 14,23: die vielen). Das Heil, das im Kreuz gründet, gilt allen, uneingeschränkt. Es wird im Modus des Glaubens empfangen (V. 57), der sich selbst Gott verdankt weiß.

5. Theologische Perspektivierung

Laetare ist liturgisch das „kleine Ostern“, Anlass zur freudigen Vergewisserung in der Passionszeit. Der knappe, dichte Text erinnert bündig daran, dass Jesu Hingabe seines Lebens „Leben“ eröffnet hat. Dabei ist Jesus nicht „Opfer“, sondern Geber des Lebens für alle. Dieses Leben zu empfangen, erfordert weder religiöse Höhenflüge (Gefühl), noch ein ‚gläubiges‘ Ja-Sagen zu allem und jedem. Es ist auch kein Akt, zu dem ich mich ‚frei‘ entschließen könnte, sondern Geschenk, das nur zu empfangen und staunend zu genießen ist.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Zum Verständnis der Perikope sind die Verse Joh 6,1-14.26-46.52-58 notwendig. Ohne Zweifel, es geht hier um das leibhaftige φάγω (essen) und weiter unten sogar τρώγω (kauen/nagen, V. 54) vom Brot des Lebens und vom Fleisch des Menschensohnes. Ich wäre wohl auch eine von denen gewesen, die das als „harte Rede“ (V. 60) abgewiesen hätte.

Bei der Exegese können wir uns dem nicht - mit Bultmann - durch eine literarkritische Scheidung entziehen. Sie ist aus theologischem Interesse an den Text herangetragen worden.

Die Deutung des Essens als „konkrete Aneignung des Heils“ (s.o.) kann auf den Vollzug des Abendmahls bezogen sein, darüber hinaus jedoch auch auf die Leibhaftigkeit des Glaubens: er ist dort Leben bringend, wo er konkret wird, wo der Körper ins Spiel kommt, Bewegung in Gang gesetzt wird. Inkarnatorisch glauben heißt, leiblich im Glauben zu leben.  

So konkret das Essen und Kauen auch sein mag, eine metaphorische Deutung bleibt nicht aus. Das Himmelsbrot können die Rezipienten nur mit Blick auf die bereits eingeübte Mahlfeier verstanden haben. Vers 51 ist hier die Brücke: das Brot ist gleichzusetzen mit dem Fleisch, das Jesus „geben“ wird. Dieser Vergleich kommt spät und erklärt nachträglich, warum das Himmelsbrot im Gegensatz zum Manna ewiges Leben bewirkt. Das Ineinander von Irdischem und Geistigem, letztlich die Bedeutung der Inkarnation sowie des ewigen Lebens, bleiben unaufgelöst und so Gegenstand des Glaubens. Ebenso wenig wie wir das Brot von innen heraus erzeugen können, können wir den Glauben erzeugen. Er wird uns geschenkt und nährt den Geist so wie das Brot den Körper nährt. Diese Anschauung ist die Gegenbewegung zur Schule des „Empowerments“, der Selbstermächtigung, in der aktuellen Ratgeberliteratur. Hier wird gelehrt, dass die Kraft des Lebens einzig aus sich selbst heraus erzeugt werde. Die typologische Kontrastierung der Mannaspeisung gegenüber dem Himmelsbrot ist eine Provokation für den Glauben Israels. Das Manna sollte in der Predigt entsprechend nicht mit falschen Heilsversprechen verglichen werden.

2. Thematische Fokussierung

Wie leiblich ist der Glaube? Wo berührt die geistige Welt die irdische Welt? Was also passiert, wenn ich das Himmelsbrot zu mir nehme? Das JohEv spricht in Bildern, aber sie bleiben trotz ihrer Anschaulichkeit uneindeutig. Denn was genau das „Leben in Ewigkeit“ und die Hingabe für das „Leben der Welt“ (V. 51) meinen, bleibt offen. Es gilt, die Unklarheit der Sprache nicht auszubeuten, sondern den Hörenden eine Auslegung anzubieten. Ewigkeit, Tod und Auferstehung müssen zur Sprache kommen. Hier kann auf die moderne Sehnsucht nach dem Verschieben unserer natürlichen Grenzen eingegangen werden: zum Beispiel die Begeisterung für das unsterbliche, ewig junge, schöne und verliebte Vampir-Paar Bella und Edward Swan in den Twilight-Filmen, das Hinauszögern des Alterungsprozesses durch die Kosmetik-Branche, medizinische und technische Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens usw. Diese Sehnsucht sollte nicht moralisch verurteilt werden. Sie ist dem Menschen eigen. Zu thematisieren wäre, in welcher Weise der christliche Glaube dem gegenüber auf diese menschliche Sehnsucht antwortet.

In der Predigt kann die oben genannte Bewegung vom Konkreten (Sättigung der Fünftausend und Verweis auf die Mannaspeisung) zum Metaphorischen (Ich bin das lebendige Brot) zurück zum Konkreten (Fleisch und Blut in Brot und Wein) nachempfunden werden.

3. Theologische Aktualisierung

„In biblischer Tradition reden heißt von der Verheißung des Lebens reden,“ so schreibt Ernst Lange 1975 in einem Artikel. Gemeint ist ein Leben als Gesegnete*r Gottes, ein heilvolles Leben im Licht des Glaubens. Der Glaube an die Auferstehung ermöglicht einen anderen Umgang mit dem Faktum des Sterbenmüssens. Dem Tod zum Trotz können Glaubende an der lebendigmachenden Kraft der Liebe festhalten und auf die Vollendung der Welt hoffen. Es macht Sinn zu leben! Wenn wir beim Abendmahl Brot und Wein teilen, dann nehmen wir damit Gottes Heilsversprechen in uns auf. Es verleiht uns eine Liebe zum Leben, die den Tod nicht zu fürchten braucht. Diese vom Glauben genährte Liebe zum Leben, zu den Mitmenschen, zur Welt schützt zugleich vor den vermeintlichen Heilsversprechen der Nahrungsergänzungsindustrie sowie des Körperkults: die Selbstoptimierung kann durchaus Lebensqualität steigern, aber sie macht den Menschen nicht „satt“ im geistlichen Sinn.

4. Bezug zum Kirchenjahr

Der Sonntag Lätare („Freuet euch!“ nach Jes 66,10) ist wie eine Oase in der Wüste der Passionszeit. Es darf nochmal vollgetankt werden für die letzte Strecke bis Karfreitag und Ostern. Es bietet sich an, ein Abendmahl zu feiern und damit das „Auftanken“ noch konkreter spürbar zu machen.

Das Gleichnis vom Weizenkorn (Joh 12) in der Lesung rückt die Bedeutung vom ewigen Leben ins Zentrum. Da Brot aus dem Weizenkorn gemacht wird, ist bereits eine Brücke zur Brotrede gebaut. Wer in der Passionszeit fastet, beschäftigt sich womöglich intensiver mit der Frage: Was ist das „Brot des Lebens“ im konkreten Sinn? Wieviel und welche Nahrungsmittel brauche ich zum Leben, was ist Genuss und was ist Überfluss? Wie wichtig ist auch die Luft zum Atmen und die Qualität des Wassers! Von dort aus ist es nicht weit zu dem Gedankengang, was im übertragenen Sinn nährt und lebendig macht: hier setzt der Predigttext an. Von Psalm 84 kommend ist die Qualität des Lebens im Angesicht Gottes vor Augen geführt: „Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend.“ (Psalm 84, 11). Wer würde tausend Tage opfern, um einen Tag in den Vorhöfen Gottes zu leben? Hier kann das Faktum des Sterbenmüssens und die Bedeutung des ewigen Lebens gespiegelt werden.

Autoren

  • Prof. Dr. Jörg Frey (Einführung und Exegese)
  • Esther Joas (Praktisch-theologische Resonanzen)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500104

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