1. Thessalonicher 5,21 | Jahreslosung 2025
Einführung in den 1. Thessalonicherbrief
Der 1Thess ist vermutlich der älteste der erhaltenen authentischen Briefe des Paulus und somit das älteste schriftliche Dokument des Christentums. Da sich der 1Thess zu zentralen Themen der paulinischen Theologie – wie z.B. der Rechtfertigungslehre oder der Kreuzestheologie – nicht äußert, wurde er in der Forschung über lange Zeit eher vernachlässigt. In den letzten Jahrzehnten richtete sich der Fokus auf den 1Thess als Dokument einer eigenständigen frühen Theologie des Paulus, die Erwählung, Heiligung und eschatologische Hoffnung betont.
1. Verfasser
Die paulinische Verfasserschaft des 1Thess ist unbestritten. In 1Thess 1,1 werden neben Paulus zudem Silvanus und Timotheus
Der 1Thess bietet folgende Informationen über Paulus und sein Verhältnis zur Gemeinde: Nach einem Aufenthalt in Philippi gründete der Apostel die Gemeinde in Thessaloniki
2. Adressaten
Thessaloniki
Zwischen dem Apostel und seiner Gemeinde in Thessaloniki scheint eine herzliche Beziehung bestanden zu haben (1Thess 2,8), denn bereits kurz nach seiner Abreise möchte Paulus die Gemeinde wiedersehen (1Thess 2,17). Die Gemeinde war seit ihrer Gründung Bedrängnissen ausgesetzt (1Thess 1,6f.). Paulus zieht eine enge Parallele zwischen der Verfolgung der Gemeinden in Palästina durch die Juden und der Verfolgung der Gemeinde in Thessaloniki durch ihre Landsleute (1Thess 2,14). Aus Sorge um den Zustand der Gemeinde und weil er selbst nicht nach Thessaloniki reisen kann, sendet Paulus Timotheus, der ihm vom standhaften Glauben und der Liebe der Gemeinde berichtet (1Thess 3,1-6). Dennoch haben sich seit dem Aufenthalt des Paulus einige Fragen ergeben, die der Apostel im 1Thess jeweils mit περί aufgreift (1Thess 4,9.13; 5,1). Insbesondere der Tod einiger Gemeindeglieder vor der Parusie
3. Entstehungsort
Der Abfassungsort des 1Thess ist unbekannt; wird 1Thess 1,1 in Verbindung mit Apg 18,5 gelesen, so lässt dies den Schluss zu, dass die Abfassung des Schreibens möglicherweise in Korinth
4. Wichtige Themen
Zu den in der Forschung diskutierten Aspekten und Themen des 1Thess zählen v.a.:
- die mehrfach angeführte Erwählungsvorstellung (1Thess 1,4; 2,12; 4,7; 5,9.24), die die gegenwärtige Heilswirklichkeit ausformuliert und in engem Zusammenhang mit der zukünftigen Hoffnung steht, die sich in der Parusieerwartung spiegelt (von den fünf Vorkommen des Wortes παρουσία im Corpus Paulinum verzeichnet der 1Thess vier, vgl. 1Thess 2,19; 3,13; 4,15; 5,23);
- die eschatologischen Ausführungen in 1Thess 4,13-18 und 5,1-11, die distinktiv von den Aussagen zum Thema in anderen Paulusbriefen abweichen;
- das Streben nach Identitätsfindung und -stiftung einer frühen jüdischen Gemeinde durch Selbstvergewisserung und einen Fokus auf die identitätsdefinierende und gegen die antike Mitwelt abgrenzende Lebensführung (Heiligung);
- sowie der antike religions- und sozialgeschichtliche Kontext, d.h. sowohl die paganen Kulte (z.B. der Kult des Stadtgottes Kabirus, aber auch die Kultvereine des Dionysos und der Götter Isis, Osiris und Serapis), zudem auch das Verhältnis zum Judentum (v.a. angesichts der starken antijüdischen Polemik in 1Thess 2,14-16).
5. Besonderheiten
Auffallend ist im 1Thess die fehlende ausführliche Beschäftigung mit zentralen Themen der paulinischen Theologie wie z.B. der Rechtfertigungslehre, die im Galater- und Römerbrief entfaltet werden, der Kreuzestheologie, der im 1. Korintherbrief eine zentrale Stellung zukommt oder anthropologischer Bestimmungen, wie sie sich im Römerbrief finden. Entsprechend fehlen auch zentrale theologische Begriffe, wie z.B. Gesetz (νόμος), Sünde (ἁμαρτία), Gerechtigkeit bzw. gerecht machen (δικ-) und Kreuz bzw. kreuzigen (σταυρ-). Dennoch werden diese Themen im 1Thess angesprochen, wenn Paulus z.B. vom Zorn Gottes (vgl. 1Thess 1,10; 5,9) und dem Heil (σωτηρία) durch Jesus Christus spricht, der für uns (ὑπὲρ ἡμῶν) gestorben ist (vgl. 1Thess 5,9f.). Die neuere Forschung nimmt dies nicht mehr lediglich als frühe Entwicklungsstufe der paulinischen Theologie wahr, sondern als eigenständigen frühen Entwurf seiner Theologie.
Zudem spielt im 1Thess das Amtsverständnis des Apostels noch keine Rolle. Weder für die drei Absender des Briefes (1Thess 1,1) noch für die Adressatinnen und Adressaten werden Titel verwendet, gegnerische Predigerinnen und Prediger stellen in der Gemeinde keine Bedrohung dar. In 1Thess 2,7 spricht Paulus zwar von seinem Ansehen als Apostel, zugleich macht er deutlich, dass er diese Autorität in der Gemeinde weder einsetzen noch verteidigen muss.
Literatur:
- E. Ebel, 1. Thessalonicherbrief, in: O. Wischmeyer/E.-M. Becker (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe (UTB 2767; Tübingen/Basel 32021), 285-298.
- D. Luckensmeyer, The Eschatology of First Thessalonians (NTOA 71), Göttingen 2009.
- S. Schreiber, Der erste Brief an die Thessalonicher (ÖTK 13/1), Gütersloh 2014.
- Chr. vom Brocke, Thessaloniki – Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus. Eine frühe christliche Gemeinde in ihrer heidnischen Umwelt (WUNT II/125), Tübingen 2001.
- E. D. Schmidt, Heilig ins Eschaton: Heiligung und Heiligkeit als eschatologische Konzeption im 1. Thessalonicherbrief, BZNW 167, Berlin/New York 2010.
A) Exegese kompakt: 1 Thessalonicher 5,21
Übersetzung
Alles aber prüft, das Gute behaltet.
1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung
δοκιμάζω: prüfen, auf die Probe stellen
κατέχω: hier festhalten, behalten
2. Literarische Gestalt und Kontext
Der für die Jahreslosung aus dem Kontext herausgenommene Vers 1Thess 5,21 ist im Kontext der V. 16–22 zu lesen, die eine Reihe parataktischer Sätze mit Imperativen bieten. Die Partikel δέ macht den Rückbezug auf das vorhergehende deutlich: „den Geist löscht nicht aus (V. 19), Prophetien achtet nicht gering (V. 20)“. Darauf folgt die Aufforderung „Alles aber prüft, das Gute behaltet“. Im Folgenden wird durch den Gegensatz Gut-Böse ein weiterer Imperativ angeschlossen: „von jeder Gestalt des Bösen haltet Euch fern“ (V. 22). Das Thema dieses Abschnitts sind der Geist und seine Wirkungen. Die Adressatinnen und Adressaten werden ermutigt, die Äußerungen des Geistes zuzulassen, zugleich wird es als notwendig vorgestellt, alles zu prüfen und nur das anzunehmen, das als „das Gute“ zu bezeichnen ist. Diese Beurteilung wird den Adressatinnen und Adressaten zugetraut und zugemutet (vgl. 1Kor 12,10; 1Joh 4,1–6).
3. Literarischer Kontext und historische Einordnung
Der Vers ist Teil der den Brief abschließenden Mahnungen in 1Thess 5,12–24, die entweder als Ende des Briefcorpus oder als Epilog eingeordnet werden. Die Perikope lässt sich untergliedern in V. 12f.14f., die Mahnungen bieten, die jeweils die ἀδελφοί ansprechen, einen zentralen Block an parataktisch gereihten Mahnungen (V. 16–22), die sich in zwei Dreiergruppen unterteilen lassen, und einem die Perikope abrundenden Segenswunsch und Treueversprechen in V. 23f., die auf zentrale Themen des Briefes – wie z.B. Lebenswandel, Heiligung und Parusie – zurückgreifen.
V. 16–22 lassen einen ersten Gedankengang erkennen, der sich auf Mahnungen zur Freude, zum Gebet und zu Dank bezieht und mit dem Hinweis auf den Willen Gottes abschließt (V. 16–18). Ein zweiter Gedankengang fokussiert auf die Auswirkungen des Geistes, die Prophetie sowie die Prüfung dieser Phänomene (V. 19–22), wobei die abschließende Aufforderung der Prüfung auf das Positive hin (V. 21) durch eine negative Perspektive (V. 22) erweitert wird. Durch die Verwendung der Verben κατέχετε (behaltet, V. 21) und ἀπέχεσθε (haltet euch fern, V. 22), die den gleichen Wortstamm aufweisen, wird auf lexikalischer Ebene eine Entsprechung der V. 21f. hergestellt.
Im Gegenüber zu den Ausführungen zu den Geistesgaben in 1 Kor 12,1–11.28–31 ist in den vorliegenden Versen nicht ersichtlich, dass durch die genannten Phänomene Missstände in der Gemeinde in Hinsicht auf die Wirkungen des Geistes korrigiert werden sollen. Vielmehr scheint die Funktion dieser Verse in der antithetischen Gegenüberstellung von Gut und Böse zu liegen. Im alttestamentlichen Kontext kann die antithetische Argumentation z.B. dazu dienen, das Gute als den Willen Gottes zu markieren (vgl. Am 5,14f.), womit eine analoge Struktur zu V. 16–18 angedeutet wäre.
Enge Parallelen zu 1Thess 5,12–24 finden sich z.B. in Röm 12,9–21 und Phil 4,1–9. Es ist anzunehmen, dass diese paränetischen Texte auf eine ähnliche historische Situation zurückgehen – eine junge Gemeinde von Christusgläubigen, die darauf bedacht ist, ihre christliche Identität zu festigen und zugleich an der Einheit der Gemeinde festzuhalten.
4. Schwerpunkte der Interpretation
In der frühchristlichen Literatur dienen Gut und Böse als ethische Handlungsorientierung, an welchen sich das Leben der Christen ausrichten soll (vgl. Röm 12,9; 16,19). Das Handlungsziel des Guten wird bereits in 1Thess 5,15 eingeführt, in der Aufforderung „Seht zu, dass nicht einer dem anderen Schlechtes für Schlechtes zurückgebe, sondern strebt allezeit dem Guten nach, füreinander und für alle“ (vgl. Röm 12,17; 3Joh 11). Der Gemeinde wird das Urteilsvermögen zugesprochen das Gute zu erkennen und vom Bösen zu unterscheiden (vgl. Röm 16,19). Zugleich verweist die Mahnung „Alles aber prüft“ auf die Notwendigkeit, zunächst Offenheit für alle und alles zu zeigen. Durch die Orientierung am Guten und am Willen Gottes findet bzw. gestaltet die christliche Gemeinde ihre Identität, die innere Stabilität schafft und die Wahrnehmung der Gemeinde nach außen hin prägt.
5. Theologische Perspektivierung
Der Text enthält zwei theologische Motive: erstens ist die Gemeinde in Thessaloniki auf der Suche nach ihrer christlichen sozialen wie theologischen Identität. In diesem Streben verweist Paulus sie auf das Handeln nach den Willen Gottes und auf die Aufgabe und zugleich Zumutung der Offenheit für alles und der Prüfung aller Dinge, die ihnen im Glauben zuerkannt werden. Zweitens wird der Gemeinde die Antithese von Gut und Böse vor Augen gestellt. Das Gute ist als Handlungsorientierung und -ziel am Willen Gottes zu orientieren und bewusst zu wählen.
Literatur
- Schreiber, S. Der erste Brief an die Thessalonicher (ÖTK 13/1), Gütersloh 2014.
- Wischmeyer, O., Gut und Böse. Antithetisches Denken im Neuen Testament und bei Jesus Sirach, in: dies., Von Ben Sira zu Paulus. Gesammelte Aufsätze zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frühjudentums und des Neuen Testaments, hg. v. E.-M. Becker, WUNT 173, Tübingen 2004, 66-73.
B) Praktisch-theologische Resonanzen
1. Persönliche Resonanzen
Der 1Thess nimmt mich mit in eine andere Welt. Sie ist einerseits längst vergangen und bietet andererseits durchaus Anknüpfungspunkte. Wir gehen zurück in eine Zeit, die wir als frühchristlich zu bezeichnen pflegen. Es ist eine Zeit ohne verfasste Kirche. Die uns geläufigen Strukturen mit den unterschiedlichsten Regelungsfunktionen gibt es noch gar nicht. Sie sind vielmehr erst zaghaft im Entstehen. Ein Christentum bzw. Christentümer als klar identifizierbare Einheit(en) gibt es auch nicht. Es ist eine Zeit ohne verbindliche schriftliche Norm, was die Sache Christi betrifft. Das Neue Testament ist noch nicht einmal in der Ferne zu erkennen. Der 1Thess wird erst sehr viel später als ein Teil davon gelten. Als Heilige Schrift fungiert die hebräische Bibel. Die Gemeinden sind jüdische Gemeinden mit einem besonderen Profil, das aber nicht einfach feststand, sondern zu entwickeln war. Von Jesus, seinem Leben, seinem Handeln, seiner Predigt ist noch nichts aufgeschrieben. Zumindest kennen wir nichts davon. Es ist also eine Zeit ohne (im heutigen Sinne) klar umrissene christliche Maßstäbe. Auch die uns vertraute Bibel gibt es nicht. Es fehlt das, was wir im dogmatischen Diskurs als norma normans bezeichnen, als normierende Norm, also als Richtschnur, an der sich christliches Leben und Denken messen lassen sollte. Das ist so anders, dass ich mir es ganz bewusst vor Augen führen muss, um es nicht zu übersehen.
Zugleich gibt es interessante Anknüpfungspunkte. Die Christinnen und Christen in Thessaloniki leben in einer Stadt zusammen mit Menschen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichem Glauben. Das klingt mir vertraut. Multikulturalität und -religiosität sind oft benutzte Stichworte, mit denen man die Vielfalt unterschiedlicher Lebens- und Glaubenspraxen bezeichnen kann. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus stellt innerhalb dieser Gemengelage eine Option neben anderen dar. Sein Reiz lag zur Zeit des 1Thess vielleicht auch darin, etwas Neues anzubieten, etwas, das nicht mit der Patina des Konventionellen überzogen ist und bei dem man deshalb anfängt zu gähnen, auch wenn man gar nicht viel davon weiß. Es gibt eine Art Fremdheit, die eröffnend sein kann. In meinem Arbeitsumfeld in Sachsen-Anhalt erlebe ich das häufig. Christentum und Kirche sind so unbekannt und anders, dass man sich an ihnen gar nicht mehr abarbeiten muss. Das ist eine Chance. Zugleich verwirklicht sie sich nicht automatisch. Denn die Voraussetzung für eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben ist, dass er als Option wahrgenommen wird. Das ist heute kaum anders als damals. Zugleich unterscheiden sich die Ausgangslagen. Steckte der christliche Glaube damals noch ganz in den Kinderschuhen, so zeigt er sich heute im Gewand einer 2000jährige Geschichte mit allem Glanz, aber auch ihren dramatischen Schattenseiten. Außerdem wird heute der Gottesglaube an sich stärker angefragt. Er muss sich immer auch gegenüber säkularen Lebenspraxen beweisen.
2. Thematische Fokussierung
Was macht eigentlich das Christliche aus? Wofür stehen die, die zunächst von anderen als Christinnen und Christen bezeichnet wurden und dies dann als Selbstbezeichnung übernommen haben? Und wie äußerst sich das in der konkreten Lebensführung? Das sind Fragen, die die christlichen Gemeinden immer wieder beschäftigt haben und auch heute noch beschäftigen. Anders als der 1Thess blicken wir dabei zurück auf eine Reihe von Antwortversuchen in Form von Bekenntnissen und Reflexionen zur Lebensgestaltung.
Aufschlussreich am 1Thess ist, dass den Adressatinnen und Adressaten zugetraut und eben auch zugemutet wird, selbst Antworten auf die Frage nach dem Christlichen zu finden. Sie werden ihnen nicht vorgegeben, so dass sie sie „nur“ zu befolgen brauchten. Die Grundhaltung wird zwar skizziert („seid allezeit fröhlich“ V. 16, „seid dankbar“ V. 18). Auch wird nur Praxis ermahnt („betet ohne Unterlass“ V. 18). Anschließend wird auf das verwiesen, was in den Gemeinden passiert und als Wirkung des Geistes beschrieben wird. Die Prophetie, also die orientierende Rede, gehört dazu. Von anderen Geistesgaben ist hier (noch) nicht die Rede.
Die unterschiedlichen Äußerungen des Geistes sind zuzulassen. Die Sprache des Geistes ist plural. Innergemeindliche Vielfalt ist kein Problem. Im Gegenteil. Offenheit ist unumgänglich. Sie soll nicht verhindert werden. Der Geist weht, wo, wann und wie er will. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass nicht alles gleich gültig, gleich wichtig, in gleichem Maße hilfreich ist. Deshalb ist alles immer wieder aufs Neue zu prüfen. Das Kriterium dafür fällt sehr unkonkret aus. Das Böse ist zu meiden, das Gute zu behalten.
Eine solche Maßgabe birgt Chancen und Grenzen. Die Chance besteht darin, Neues zu wagen, ohne vorher im Detail festlegen zu müssen, was erlaubt ist und was nicht. Die Chance besteht auch darin, jenseits eines ethischen Rigorismus Vielfalt auszuhalten und kommunizierbar zu machen. Für Aufbruchssituationen ist das unverzichtbar. Nur so kann Neues wachsen. Es kann aber auch überfordern. Warum sollen wir immer Neues ausprobieren, wenn wir schon herausgefunden haben, was das Gute ist? Warum etwas auf den Prüfstand stellen, was sich bewährt hat? Dass Paulus in seinen späteren Briefen immer wieder Ermahnungen einfügt, Detailfragen klärt, hat auch damit zu tun, dass er nicht immer wieder neu beginnen kann.
3. Theologische Aktualisierung
1Thess 5,21 ist eingebettet in das Suchen einer Gemeinde nach ihrer christlichen Identität. Sie stellt sich gegenwärtig auch auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Anders als bei Paulus gibt es bereits Antworten darauf. Dazu kommen Vorschläge, die aus der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Gegenwart resultieren. Faszinierend am 1Thess ist, wie Paulus es schafft, eine klar identifizierbare Grundlinie einzuschreiben, ohne damit von vornherein das Spektrum möglicher Geistesäußerungen einzuengen. Eröffnend ist, dass er nicht beschränken, aber konzentrieren will. Mit der Forderung, alles zu prüfen und „das Gute“ zu behalten, gelingt ihm ein Impuls zur Auseinandersetzung, der nicht von vornherein bestimmte Äußerungen ausschließt und Menschen exkludiert. Er öffnet eine Dimension, die Vorhandenes in ein neues Licht stellt. Auf diese Weise kann ein Kommunikationsraum eröffnet werden, der unterschiedliche Positionen ins Gespräch bringt, kritisch reflektiert und von dort her Unterscheidungen anbietet. Theologie ist die Kunst der Unterscheidung. Dazu gehört die kritische Prüfung ebenso wie die ständige Auseinandersetzung damit, was als das Gute gelten kann. Gegenwärtig beobachte ich nicht selten eine Vorab-Einordnung, ohne, dass es zu einem Austausch gekommen wäre. Das ist verständlich, aber problematisch, weil damit neue Erkenntnisse verdrängt und bisher so nicht gegebene Antworten verhindert werden. 1Thess 5,21 ist eine anregende Aufforderung für Zeiten des Umbruchs, für Zeiten, in denen nicht alles schon feststeht. Hier wird auf die Wirkungen des Geistes vertraut, der Neues hervorbringt und neben einander stellt. Und es wird auf die Wirkungen des Geistes vertraut, der in der Lage ist zu unterscheiden und auszuwählen.
5. Anregungen
Die Jahreslosung will ein durchgehender Begleiter sein, wird aber in der Regel zu Jahresbeginn gottesdienstlich thematisiert und gepredigt. Das alte Jahr ist vergangen, das neue liegt vor uns. Auch 2025 sind vor allem die ersten Tage des neuen Jahres von der Sehnsucht des Aufbruchs zu neuen Ufern bestimmt. Seinen Ausdruck findet das bei vielen in guten Vorsätzen, die getroffen werden und an denen man sich orientieren will. Wer nach den typischen Vorsätzen für das neue Jahr googelt, findet dabei Folgendes: „1. Das Rauchen aufgeben, 2. Abnehmen wollen, 3. Mehr Zeit für sich nehmen, 4. Sich gesünder ernähren, 5. Weniger Alkohol trinken, 6. Mehr Sport machen, 7. Sparsamer sein und Geld sparen, 8. Weniger Bildschirmzeit am Tag, 9. Mehr Zeit mit Familie und Freunden verbringen, 10. Den Stress reduzieren“. Auffällig ist hier, dass bei solcher Art Vorsätzen nicht mehr geprüft werden muss. Das Gute scheint festzustehen, man muss es nur noch befolgen. Das aber folgt nicht der Intention des Paulus. Wie wäre es, wenn wir unsere guten Vorsätze von dem her fassten, was das neue Jahr an Möglichkeiten mit sich bringt? Vielleicht liegt gerade in der Jahreslosung ein wirklich guter Vorsatz. Er könnte uns sowohl im alltäglichen Lebensvollzug Neues eröffnen als auch der christlichen Gemeinde als Gemeinschaft derer, die sich vom Leben, Wirken und Geschick des Jesus von Nazareth berühren lassen. Ein Christ ist immer im Werden, nie im Gewordensein. Was Luther so prägnant formuliert, gilt nicht nur für die Einzelnen, sondern auch für die Kirche insgesamt. Dabei geht es gleichermaßen darum, das bleibend Wichtige und das jetzt Dringliche immer wieder neu ins Verhältnis zu setzen.
Autoren
- Prof. Dr. Susanne Luther(Einführung und Exegese)
- Prof. Dr. Michael Domsgen (Praktisch-theologische Resonanzen)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500086
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