Deutsche Bibelgesellschaft

Römer 1,1-7 | Christfest II | 26.12.2024

Einführung in den Römerbrief

1. Verfasser

Paulus diktierte dem Sekretär Tertius den Brief (vgl. 1,1 und 16,22: eigener Gruß des Tertius; keine Mitverfasser).

Paulus befindet sich an einem entscheidenden Punkt seiner langjährigen Missionsarbeit: Er will im Westen des Imperiums missionieren und plant eine Reise nach Spanien. Im Zusammenhang dieser Reise zu neuen potenziellen Missionsgebieten stellt er sich den römischen Christus-Gläubigen brieflich als Apostel der Nichtjuden vor und kündigt einen Aufenthalt in Rom an, bei dem er die römischen Christus-gläubigen Gemeindeglieder an seiner Evangeliumsverkündigung teilhaben lassen will. Außerdem hofft er auf Unterstützung bei seinen Reiseplänen. Zuvor will er aber die Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde, die die kleinasiatischen und griechischen Gemeinden aufgebracht haben, persönlich nach Jerusalem bringen, so dass sich sein Rombesuch noch verzögern wird.

2. Adressaten

Paulus schrieb den Brief an die „Berufenen Jesu Christi“, an „alle Geliebten Gottes, die berufenen Heiligen“ in Rom (1,6f.).

Er spricht die Christus-gläubigen Adressaten nicht als „Gemeinde“ an (so in 1Kor 1,2 τῇ ἐκκλησίᾳ τοῦ θεοῦ τῇ οὔσῃ ἐν Κορίνθῳ). Die Exegeten schließen daraus, dass es in Rom in den fünfziger Jahren des 1. Jh.s nicht nur eine, sondern mehrere Gemeinden – oft als Hausgemeinden oder auch als „Gemeinden in römischen Mietblocks“ bezeichnet – gegeben habe. Wichtig ist,

  1. 1.dass es sich bei den Adressaten nicht um Mitglieder einer paulinischen Gemeindegründung handelt,
  2. 2.dass die Christus-gläubigen Römerinnen und Römer ganz überwiegend sogenannte Heidenchristen waren, d.h. nicht zum „Volk Israel“ gehörten,
  3. 3.dass sie nur zu einem kleinen Teil Paulus persönlich bekannt waren (vgl. die Grußliste in Kap. 16), so dass der Römerbrief an eine wenig homogene, Paulus überwiegend unbekannte und ihm nicht verpflichtete Leserschaft gerichtet ist (Wischmeyer, Römerbrief, 445-447).

Daraus erklärt sich der sehr sachlich-theologische Gesamtduktus, der auch den ethischen Teil B des Briefes (Röm 12-14) bestimmt.

3. Entstehungsort und Entstehungszeit

Paulus schreibt nach Rom wohl im Jahr 56 aus Korinth (Röm 16,23; 1Kor 1,14; Apg 20,4).

4. Wichtige Themen

„Apostelamt des Paulus, Evangelium, Glaube, Gerechtigkeit Gottes, Juden und Griechen als Teilhaber an Gottes Gerechtigkeit, Israel, Verhältnis zum Imperium Romanum, Starke und Schwache, Mission des Paulus“ (Wischmeyer, Römerbrief, 429).

Besonders wichtig ist die Auslegungsgeschichte des Röm. Keine Exegese kann ohne eine Reflexion auf die verschiedenen Möglichkeiten der Auslegungsgeschichte des Briefes auskommen. Der Röm war seit Erasmus und den Reformatoren – vor allem Luther, Melanchthon und Calvin – der Grundtext reformatorischer Theologie. Die „Rechtfertigungslehre“ entwickelte Luther maßgeblich aus seiner Lektüre des Galater- und Römerbriefes und seiner Interpretation der δικαιοσύνη θεοῦ vom Genitivus objectivus her: Gerechtigkeit, die vor Gott gilt bzw. Bestand hat, d.h. die Gerechtigkeit, die nicht aus der Gesetzeserfüllung, sondern aus dem Glauben kommt. Damit wurde Röm zugleich zum bleibenden Streitobjekt zwischen reformatorisch-protestantischer und katholischer Auslegung. Neuerdings muss die Christologie des Röm, die das Heil an den Glauben an Christus bindet, in Auseinandersetzung mit dem jüdischen Gesetzesverständnis neu diskutiert werden.

5. Aktuelle Fragen

Besonderes Interesse gilt in den letzten Jahren der religiös-ethnischen Identität des Paulus und einer damit verbundenen Distanzierung besonders von der christlich-theologischen Römerbriefinterpretation von Luther bis zu Barth und Bultmann. Wieweit ist Paulus auch nach seiner Beauftragung durch den erhöhten Christus (Gal 1,1.15) Jude (Röm 9,1-5) und Pharisäer (so Paula Fredriksen) geblieben? Diese Frage ist nicht nur für die Paulusinterpretation, sondern auch für die Rekonstruktion der Anfänge der christlichen Kirche von bleibender Bedeutung und wird exegetisch neu justiert werden müssen.

6. Besonderheiten

Röm ist der umfangreichste und thematisch anspruchsvollste Brief des Paulus. In mehreren ausführlichen thematisch zentrierten Textabschnitten behandelt Paulus entscheidende Themen seiner Missionsverkündigung:

Teil A In 1,16-11,36 legt er in mehreren Schritten sein „Evangelium“ dar, das „Juden und Nichtjuden (1,16) gilt.

  1. 1.In Kap. 1,17-4,25 entfaltet er die Heilswirkung des Evangeliums vor dem Hintergrund der Ungerechtigkeit von Nichtjuden wie Juden. 3,21-31 ist das christologische Herzstück dieser Heilsbotschaft.
  2. 2.In Kap. 5-8 entwickelt Paulus dann Einzelaspekte seiner Christologie.
  3. 3.Kap. 9-11 ist ein eigener thematischer Traktat zum Verhältnis von Nichtjuden und Juden, der mit der Perspektive der Errettung von Nichtjuden wie Juden schließt und damit auch das Thema von 1,16 zum Abschluss bringt (11,26).

Teil B Von 12,1-15,13 stellt Paulus in einer reich gegliederten Paraklese (ermahnende Darlegung der Verhaltensformen in den Christus-gläubigen Gemeinden) Grundelemente gemeindlichen Verhaltens dar (darin: 13,1-7 zur „Obrigkeit“; 13,8-10 Liebe als Gesetzeserfüllung; Kap. 14 Starke und Schwache in der Gemeinde).

15,14-33 gelten der aktuellen Planung, Kap. 16 enthält ausführliche Grüße.

Literatur:

  • Fredriksen, P.: Paul, the Perfectly Righteous Pharisee, in: The Pharisees, hg. J. Sievers and A.-J. Levine, Eerdmans 2021.
  • Kleffmann, T.: Der Römerbrief des Paulus, Tübingen 2022 (theologisch-systematische Kommentierung des Röm).
  • Wischmeyer, O. / Becker, E.-M. (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe (UTB 2767), Tübingen 32021; darin. Wischmeyer, O., Römerbrief, 429-469. Dort S. 468f. weiter kurz kommentierte Literatur.
  • Wolter, M.: Der Brief an die Römer. Teilband 1: Röm 1-8. EKKNF VI/1, Neukirchen-Vluyn 2014. Teilband 2: Röm 9-16. EKKVI/2, Neukirchen-Vluyn 2019.

A) Exegese kompakt: Römer 1,1-7

1Παῦλος δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ, κλητὸς ἀπόστολος ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ, 2ὃ προεπηγγείλατο διὰ τῶν προφητῶν αὐτοῦ ἐν γραφαῖς ἁγίαις 3περὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ τοῦ γενομένου ἐκ σπέρματος Δαυὶδ κατὰ σάρκα, 4τοῦ ὁρισθέντος υἱοῦ θεοῦ ἐν δυνάμει κατὰ πνεῦμα ἁγιωσύνης ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν, Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου ἡμῶν, 5δι’ οὗ ἐλάβομεν χάριν καὶ ἀποστολὴν εἰς ὑπακοὴν πίστεως ἐν πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν ὑπὲρ τοῦ ὀνόματος αὐτοῦ, 6ἐν οἷς ἐστε καὶ ὑμεῖς κλητοὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ, 7πᾶσιν τοῖς οὖσιν ἐν Ῥώμῃ ἀγαπητοῖς θεοῦ, κλητοῖς ἁγίοις, χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ θεοῦ πατρὸς ἡμῶν καὶ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ.

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Übersetzung

1 Paulus, Slave Christi Jesu, berufener Apostel, ausgesondert zum Evangelium Gottes, 2 das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in den heiligen Schriften, 3 von seinem Sohn, geboren aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch, 4 eingesetzt als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist der Heiligung durch die Auferstehung von den Toten – Jesus Christus, unserm Herrn, 5 durch den wir empfangen haben Gnade und Apostelamt (zur Aufrichtung) des Gehorsams des Glaubens um seines Namens willen unter allen Völkern, 6 zu denen auch ihr Berufene Jesu Christi gehört,

7 an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

Der grammatische Aufbau ist einfach: Paulus an die Römer – Gruß. Die syntaktische Struktur arbeitet im Einzelnen mit verschiedenen Unterordnungen, die genauere Angaben zu den leitenden Beziehungsbegriffen enthalten:

V.1 erstes Beziehungswort ist Paulus, abhängig sind drei Bestimmungen: Diener …, Apostel …, ausgesondert …,

V.1 zweites Beziehungswort ist Evangelium, abhängig sind zwei Bestimmungen: verheißen …, von seinem Sohn …,

V.3 drittes Beziehungswort ist Sohn, abhängig sind drei Bestimmungen: geboren …, eingesetzt …, Jesus Christus …,

V.4 viertes Beziehungswort ist Jesus Christus, abhängig sind zwei Bestimmungen: Herr …, durch den wir …,

V.5 fünftes Beziehungswort ist Völker, abhängig sind zwei Bestimmungen: zu denen ihr …, Berufene.

2. Literarische Gestalt

Paulus schreibt nach Rom – an die urbs. Es handelt sich um die Eröffnung des Briefes an die Christus-gläubigen Vereine und Personen in Rom. Paulus hat an die Römer das längste und stilistisch und begrifflich sorgfältigste Präskript diktiert, das wir von ihm haben. Er benutzt wie stets den „orientalischen“ Eingangsgruß: X an Y – Friede sei mit euch (statt Griechisch „chairein“) und weitet dieses Standardgrußformular um eine Reihe von Näherbestimmungen aus (s. unter 1). Das aufwändige Präskript entspricht dem folgenden Briefkorpus, dem längsten der Paulusbriefe. Auch der Briefschluss ist außergewöhnlich gegliedert und umfangreich. Die syntaktisch-stilistische Struktur ist in doppelter Weise bedeutsam. Erstens zeigt Paulus seine gesellschaftliche (Bildung!), literarische und theologische Kompetenz – man könnte auch sagen: „Klasse“. Zweitens setzt er voraus, dass die Adressaten seinen Stil verstehen, und das heißt: dass sie ebenfalls gebildet sind und ihm folgen können. Der ganze Brief ist von Respekt, Vorsicht und Anerkennung der Römer geprägt (1,11f.; 15,14f.). Der Nominalstil und die zahlreichen Präpositionalwendungen (in der Lutherübersetzung verständlicherweise ebenso zugunsten deutscher Lesbarkeit eingeebnet wie die Ein-Satz-Satzstruktur des Grußformulars) gehören dem gehobenen Stil an: Briefliche Höflichkeit, literarisches Können, begriffliche Kompetenz und persönliche Autorität (V. 1) spielen hier zusammen. Der Text hat durchaus etwas Feierlich-Proklamatorisches, und es wäre schade, wenn diese exegetische Charakteristik nicht im Rahmen einer Weihnachtspredigt homiletisch umgesetzt werden könnte.

3. Kontext und historische Einordnung

Röm 1,1-7 ist ein Selbstvorstellungstext, wenn man so will, eine Selbstempfehlung, die auf dem höchsten Niveau angesetzt ist: δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ, κλητὸς ἀπόστολος ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ. Dem entspricht die Anrede an die Römer: Auch sie sind κλητοὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ, er spricht von ἀγαπητοῖς θεοῦ, κλητοῖς ἁγίοις. Hier verkehren die Christus-Gläubigen aus den verschiedenen Regionen und Städten des Imperium Romanum miteinander – eben auf höchstem Niveau. Paulus möchte in Spanien missionieren und braucht die sprachliche (Latein!), reisetechnische und vielleicht auch finanzielle Hilfe der Römer (Kap. 15). Er schreibt aus Korinth (im Jahr 56 n.Chr.), plant gerade seine Jerusalemreise, um die Kollekte der griechischen Gemeinden an die arme Jerusalemer Christus-gläubige Gemeinde zu überbringen, und plant zugleich bereits die Reise nach Rom und weiter nach Spanien. Der Brief soll ihm den Weg zu der römischen Gemeinde ebnen, die die Schlüsselposition für seine Westmission besitzt, die er aber nicht gegründet hat und in der er deshalb zwar als Apostel der „Völker“ (Nichtjuden/Heiden) Anerkennung erwarten kann, die er aber mit Feingefühl und Anerkennung behandeln muss.

Als historische Perspektive muss man im Blick behalten: Paulus hat zwar die Kollekte nach Jerusalem gebracht, ist damit aber in Jerusalem gescheitert, in Haft geraten und hat Rom Jahre später als Gefangener betreten. Er ist der Überlieferung nach dort hingerichtet worden.

4. Theologische Perspektivierung

Für diese Frage (Theologie) sehen wir am besten auf die leitenden Begriffe. Paulus hat hier die Grundlinien seines Apostolats, seines Auftrages (Evangelium), des Inhaltes seiner Botschaft – Jesus Christus, geboren aus dem Geschlecht Davids (Jude, vgl. Röm 15,1–11 „Spross aus der Wurzel Isais“, Advents- und Weihnachtsmotiv), auferstanden von den Toten, Sohn Gottes – seiner Adressatenschaft, der Nichtjuden zusammengefasst. Dies theologische Ensemble gehört zusammen: Eins ergibt sich aus dem andern. Alles ist mit äußerster Knappheit und terminologischer Präzision benannt. Man könnte von einer paulinischen Theologie in nuce sprechen. Zwei Pole lassen sich ausmachen: einmal das, was später Christologie wurde (V. 3f.), nämlich Jesus, der Jude aus dem Geschlecht Davids, in der Schrift vorhergesagt (Advents- und Weihnachtsmotive), der durch die Auferstehung von den Toten zum Sohn Gottes eingesetzt wurde und als Herr aus dem Himmel regiert. Zweiter Schwerpunkt ist Paulus selbst, der Apostel mit dem Auftrag, das εὐαγγέλιον θεοῦ den Nichtjuden zu verkünden mit dem Ziel, „den Gehorsam des Glaubens bei allen Heiden aufzurichten“, wie Luther übersetzt. Damit ist der Glaube als Modus der Teilhabe an der „frohen Botschaft von Jesus Christus“ benannt. Er durchzieht den gesamten Römerbrief.

Literatur

  • E. Lohse, Der Brief an die Römer. Meyers Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament 4, Göttingen 2003.
  • O. Wischmeyer / E.-M. Becker, Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen 32021.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Die literarische Einordnung als „Eröffnung des Briefes an die Christus-gläubigen Vereine und Personen in Rom“ wirkt im ersten Moment wie eine Selbstverständlichkeit, über die man hinweglesen könnte. Wenn ich mir das aber textpragmatisch vor dem Hintergrund der historischen Situation vorstelle und in heutige schriftliche Kommunikation vergegenwärtige, fallen mir Eigenarten des Textes auf. Der Apostel Paulus stellt sich selbst vor bei einer Gemeinde, die er nicht gegründet hat. Wenn sich die Christus-gläubigen Adressat:innen auf diese „Selbstempfehlung auf höchstem Niveau“ einlassen, akzeptieren sie sein Angebot für einen langen Dialog, der nicht nur die folgenden 16 langen Kapitel, sondern darüber hinaus auch viele Gespräche, Gottesdienstfeiern und missionarische Strategieüberlegungen umfassen soll. Das jedenfalls ist der Plan der Paulus. Ob er aufgeht, entscheidet sich also schon beim Präskript. Mein theologischer Lehrer Michael Schibilsky pflegte zu sagen: „Erste Sätze sind wichtig!“ Das ist bei Röm 1,1–7 sicher der Fall: es ist nicht nur ein einziger Satz (was Luther 2017 nicht entsprechend wiedergibt), sondern auch erster Satz. Aber das macht es für das Predigen nicht einfacher.

2. Thematische Fokussierung

Paulus will im Rahmen hellenistischer Briefkonvention Augenhöhe auf hohem Niveau zwischen sich und den Römern herstellen: er hofiert sie als im Lesen Gebildete und theologisch Hochverständige durch elaborierten Stil, verzichtet aber auf schmeichelnde Anrede mit Titeln. Sich selbst skizziert er ebenso und spielt mit Statusverzicht (Sklave Christi Jesu) und Amtsanspruch (berufener Apostel) und verlangt Respekt als ebenbürtig Gebildeter. Respekt gebührt also beiden Seiten.

Die „Theologie in nuce", von der A schreibt, erinnert an das heute übliche Verfassen von „abstracts" bei wissenschaftlichen Artikeln. Das erfolgt in zwei Teilen: ein langer Satz, häufig ein einziger, vielfach untergliederter, intoniert das Thema des Aufsatzes und fasst zugleich die zentrale These zusammen. Das soll zum Lesen animieren. Deshalb müssen die wichtigsten Schlagwörter indexartig vorkommen. Alles das leistet dieses Präskript: Paulus liefert essenzielle Schlagworte seiner Theologie: eine komprimierte Christologie, eine Auskunft über das Apostolat und schließlich einen Hinweis auf die „Berufenen Jesu Christi“, mit denen er sich und die Adressaten („Geliebte und berufene Heilige“) aus den Völkern meint. Das Ende ist darum nicht als captatio benevolentiae zu lesen, sondern als Teil der theologischen Schlagwörter, die später weiter ausgeführt werden.

Inwiefern dieser Abschnitt als Predigtperikope zu einem der höchsten christlichen Feste dienen kann, wird mir durch die Exegese allerdings nicht deutlich. Über die Theologie eines abstracts kann man nicht gut predigen - dazu eignen sich die ausgeführten Gedanken des Briefs besser. Das gilt m.E. sowohl für die christologischen als auch die auf sein Apostelamt bezogenen Teile des Textes.

3. Theologische Aktualisierung

Ich frage mich, was Röm 1,1–7 eigentlich zur Perikope für die Predigt am 2. Weihnachtstag macht. Nach vier Wochen adventlicher Fastenzeit (vgl. die prophetische Verheißung V. 2) und zwei Tagen Krippenseligkeit (Geburt aus dem Geschlecht Davids V. 3) reißen die oberflächlichen Marker mit Christfestbezug nicht wirklich mehr mit. An Weihnachten mit V. 4 dann gleich über Passion und Ostern zu sprechen, strengt mich schon an, wenn ich nur daran denke! Sollte man der Gemeinde nicht einmal zweieinhalb Tage Weihnachtsstimmung gönnen dürfen?

Die Weihnachtsgemeinde hat hoffentlich auch in diesem Jahr die Familienfeier (oder ähnliches) hinter sich und kommt nun endlich dazu, die Weihnachtspost mit Bedacht zu lesen. Noch werden künstlerisch anspruchsvolle und mit Sorgfalt formulierte Karten und Briefe auf edlem Papier unter dem Weihnachtsbaum liegen. Von Menschen, mit denen man etwas Besonderes verbindet, mit denen man aber nicht täglich kommuniziert.

Vielleicht ist das der Schlüssel zu einer eher literarisch orientierten Predigt: Der Paulus-Brief als eine Weihnachtskarte aus einer Zeit, in der es noch kein kalendarisches Weihnachten gab? Ein Brief war kostbar, allein schon wegen der bei 16 Kapiteln hohen Material- und Lohnkosten für Sekretäre (beim Römerbrief war das Tertius). Paulus schickt den Christus-Vereinen und Personen in Rom einen Brief als ein wertvolles „Geschenk […], genauer noch: als Freundschaftsgeschenk“ (Hoegen-Rohls, 32), das sie mit dem Präskript langsam auszupacken beginnt. Damit kann die Predigtgemeinde an den Feiertagen vielleicht etwas anfangen.

4. Bezug zum Kirchenjahr

Die Entscheidung für eine am Briefformular orientierte Predigt bedingt einen zurückhaltenden Umgang mit den weiteren Lesungen. Leicht macht es einem Ps 96,1–3.7–13 mit seiner Sinnlichkeit, Freude und der Rede von Geschenken aus aller Welt. Das Evangelium Mt 1,18–25 erzählt von einem Boten an Josef, der in anderer Weise ähnliche Schlagwörter intoniert wie Paulus: Verheißung, Davidsohnschaft, Geburt Jesu, Rettung. Aber Briefkommunikation? Das ist spezifisch paulinisch.

Dennoch ist gerade der zweite Weihnachtstag geeignet, um über qualitative Briefkonvention nachzudenken. Entsprechende, meist kommerzielle Internetseiten (s.u.) zeugen von Weihnachtspost in Geschichte und Gegenwart. Das Briefgeschenk des Paulus – noch bevor es Weihnachtskonventionen gab – ist vielleicht eine Anregung zu wertschätzender Lektüre der festlichen Korrespondenz zwischen den Jahren. Einmal darauf zu achten, wie man angeredet wird (Paulus geht über gebotene literarische Höflichkeitsfloskeln hinaus mit den Worten Geliebte!, Heilige!, Berufene!), welche Wünsche der Verfasser an uns richtet (Gnade! Friede!) und nicht zuletzt: was uns verbindet (Paulus bezeichnet sich und die Römer als κλητοὶ). Welche tragenden Beziehungen stellt der Schreiber für sich und die Angeschriebenen her? Paulus stellt sich ja nicht nur in Relation zu den Christ:innen in Rom, sondern auch zu Christus und zu seinem Auftrag, den er programmatisch (Evangelium predigen unter den Völkern) und als Habitus (gehorsam, berufen, Sklave / Apostel) füllt. Paulus belehrt nicht, tröstet nicht und ermahnt nicht. Er tritt schlicht in einen Dialog auf Augenhöhe. Viele private Briefe erzählen ähnlich über ihre Verfasser, wenn man die Zeilen und alles Dazwischen liest.

Und dann findet sich in vielen Briefen auch eine Ankündigung der Pläne für die nähere Zeit. Paulus beabsichtigte, die Gemeinde zeitnah zu besuchen; er befindet sich inmitten aufwändiger Reise-Planungen (Korinth, Jerusalem, Rom und dann weiter nach Spanien). Aber in Jerusalem wird er verhaftet und seine Pläne zerschlagen sich. Er wird Rom Jahre später als Gefangener betreten. Aber das ist eine Geschichte, die ein andermal zu erzählen ist. Aber durch seinen Brief hatte die Christengemeinde in Rom eine Vorstellung von dem, wie Paulus als Mensch Gottes gelesen werden wollte.

5. Anregungen

Der Charakter des Perikopentexts als brieflicher Beginn einer bedeutsamen Unterhaltung des Paulus mit seinen Leserinnen und Lesern bis heute und der jahreszeitliche Bezug zur weihnachtlichen Briefkultur können genutzt werden zu einer kleinen Inszenierung: aus einem Korb mit Weihnachtsbriefen oder mit Briefen berühmter Frauen und Männer (als Kopien ausgedruckt und einkuvertiert) wird der Briefanfang an die Römer herausgefischt, um ihn stimmungsvoll – ‚weihnachtlich‘ – zu Gehör zu bringen: der Brief eines Freundes.

Literatur

  • Eve-Marie Becker / Alfons Fürst (Hg.): Brief und Bildung: Von der Antike bis zur Moderne, Berlin/Boston 2024.
  • Christina Hoegen-Rohls: Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten. Eine Einführung in die paulinische Epistolographie, Neukirchen 2013.
  • Jörg Schuster / Jochen Strobel (Hg.): Briefkultur. Texte und Interpretationen – von Martin Luther bis Thomas Bernhard, Berlin/Boston 2013 (https://doi.org/10.1515/9783110276756)

Autoren

  • Prof. em. Dr. Dr. h.c. Oda Wischmeyer (Einführung und Exegese)
  • Prof. Dr. Traugott Roser (Praktisch-theologische Resonanzen)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500083

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