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Kinder an die Bibel heranführen

Die Bibel ist Basis des christlichen Glaubens. Daher wundert es nicht, dass es im Christentum seit seinen Anfängen als zentrale Aufgabe gesehen wird, Kinder und Jugendliche an sie heranzuführen. Mit der Kinderkirche, der Jugendarbeit und dem Religionsunterricht stehen viele Möglichkeiten dazu offen.

Doch seit Jahren ist hier ein gesellschaftlicher Wandel, ein Traditionsabbruch zu spüren. Immer weniger Eltern vermitteln Bibelgeschichten. Hinzu kommt, dass viele die Bibel nicht mehr als Heilige Schrift wahrnehmen. Sie ist für sie nur ein Buch mit über tausend eng bedruckten Seiten, dessen Geschichten vor langer Zeit spielen. Kinder, die im häuslichen Umfeld keinen Bezug zur Bibel haben, brauchen daher – bildlich gesprochen – Brücken, um mit ihr zurechtzukommen.

Nach biblischen Spuren suchen

Eine erste Brücke sind Zugänge zur Bibel im Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen. Helfen kann dabei eine Spurensuche: Welche Vornamen sind biblisch und welche Geschichten stecken dahinter? Welche Redewendungen stammen aus der Bibel? Wo gibt es Bezüge zur Bibel in der Alltagskultur, beispielsweise in der Werbung, der Musik, der Kunst, der Literatur oder im Computerspiel? Dazu gehören auch Begegnungen mit der Bibel im persönlichen Umfeld: Welche Meinungen zur Bibel gibt es um mich herum – und warum ist das so? Oft hören Heranwachsende dann Geschichten von einem strengen kirchlichen Unterricht, den es früher gab.

Dass Kinder heute meist andere Erfahrungen machen, liegt an einer zweiten Brücke. Seit vielen Jahren werden in der kirchlichen Mitarbeiterschulung und in der Ausbildung von Religionslehrenden Lernwege vermittelt, um Kindern und Jugendlichen die Begegnung mit der Bibel zu erleichtern. Bereits Martin Luther pries 1529 eine Methodenvielfalt an: „Fürwahr kann man dem gemeinen Mann die Worte und Werke Gottes nicht zu viel oder zu oft vorhalten, wenn man gleich davon singet und saget, klinget und predigt, schreibt und liest, malet und zeichnet.“

Lebendige Begegnungen mit der Bibel

Eine der wichtigsten Methoden ist dabei das Erzählen, wurden doch viele Bibeltexte selbst zunächst weitererzählt, bis sie aufgeschrieben und in der Bibel gesammelt wurden. In Ländern, in denen Kinder kaum Zugang zu einer eigenen (Kinder-)Bibel haben, ist dies die wichtigste Methode. Erzählerinnen und Erzähler bewegen sich dabei zwischen der engen Verbundenheit zum Bibeltext und ihrer kreativen Ausgestaltung. Zu viel Freiheit beim Erzählen kann vom Eigentlichen wegführen, zu wenig Kreativität kann die Erzählung leblos machen. Besonders in afrikanischen Ländern erlebt man, wie Menschen ohne große Hilfsmittel mit Körpersprache und Geräuschen Erzählungen lebendig werden lassen. Hierzulande nutzt man Hilfen beim Erzählen, beispielsweise biblische Erzählfiguren, unterschiedlich farbige Tücher oder Symbole. 

Es gibt noch weitere Methoden, die die Begegnung mit der Bibel lebendig machen. Mit unterschiedlichen Maltechniken können Kinder biblische Geschichte kreativ gestalten, zum Beispiel als Bibelcomic oder auch als Collage für Kinder, die nicht malen können. Beim kreativen Schreiben werden Bibelgeschichten als Zeitungsreportage oder als Kurznachricht (SMS) zusammengefasst. In Szene gesetzt werden können sie mit Erzähl-  oder Stabfiguren, um für das Spiel mit dem eigenen Körper zu sensibilisieren oder um den Auftritt vor anderen zu erleichtern, sowie durch Pantomime, Rollenspiel, Bibliodrama und Mini-Musical. Es gibt Bibelspiele, Bibelfilme sowie ein Netz von Bibelmuseen, in denen Kinder und Jugendliche der Bibel begegnen können.

Welche Bibel für welches Kind?

Die dritte Brücke ist eine für das Kind geeignete Bibelausgabe. Sie steht mit der wichtigsten Methode in Zusammenhang – dem Lesen. Ziel ist, dass Kinder irgendwann selbstständig mit einer Bibel umgehen. Während Kinder, die in einem religiösen Umfeld aufwachsen, bereits mit Vollbibeltexten wie der „Bibelübersetzung für Kinder“ umgehen, ist für andere eine für sie verständliche, heranführende Bibelausgabe wichtig. So gibt es für Vorschulkinder Bibeln mit Bildern, beispielsweise von Kees de Kort oder Marijke ten Cate. Schulkinder können, je nach Lesekompetenz, mit Erstlesebibeln oder Erzählbibeln arbeiten. Für Jugendliche sind erklärende Ausgaben geeignet wie „Die Bibel elementar“ oder eine Vollbibel mit Einleitungen und Erklärungen wie die „Für dich“-Ausgaben der Lutherbibel und der Gute Nachricht Bibel oder die BasisBibel.

Die Brücken, die Kinder und Jugendliche an die Bibel heranführen, sind jedoch nur ein Teil des Weges. Daher verglichen Rabbiner das Lernen der Heiligen Schrift mit der Ernte eines Feigenbaums. Man erntet Feigen nicht auf einmal, sondern über einen langen Zeitraum hinweg. So ist auch die Begegnung mit der Bibel ein langer Prozess, ein lebenslanges Lernen, um sie in ihrer Vielfalt und Tiefe zu verstehen.


Das Bild oben im Header stammt aus der Geschichte „Jesus beruft Jünger“ in der Ausgabe „Unter Gottes weitem Himmel“, illustriert von Dieter Konsek. [ISBN 978-3-438-04040-4]


Über den Autor

Michael Landgraf, geboren 1961 in Ludwigshafen, hat in Heidelberg und Göttingen Theologie, Philosophie und Geschichte studiert. Er leitet das Religionspädagogische Zentrum Neustadt/ Pfalz, ist Lehrbeauftragter für Bibeldidaktik an der Universität Mainz und Vorsitzender des Pfälzischen Bibelvereins.
Zudem hat er neben einem Roman zahlreiche Kinder- und Jugendbücher sowie Sachbücher veröffentlicht. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und Träger des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich.

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