Deutsche Bibelgesellschaft

Reinheit / Unreinheit / Reinigung (AT)

(erstellt: April 2007)

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Tabu

1. Zur Terminologie und Allgemeines

Die dem modernen Denken eher fremden Vorstellungen, die mit den Begriffen „rein“ (hebr. טהר) und „unrein“ (טמא) in Verbindung stehen, sind für das Alte Testament und das frühe Judentum zentrale Ordnungskategorien. Wenn der Begriff „rein“ auch gelegentlich als ein Synonym für „heilig“ erscheinen kann (z.B. Ex 30,35; Lev 16,19; Jes 66,17), so ist für eine erste Orientierung dennoch die Abgrenzung von dem ähnlich semantisch zu definierenden Paar „heilig / profan (קדשׁ / חל)“ hilfreich. Während „heilig“ Gott selbst bzw. das Gott oder zur Sphäre des Göttlichen Gehörige bezeichnet, meint „rein“ das Gottgemäße bzw. das, was dem Heiligen entspricht: „Auf das, was heilig ist oder sein soll, erhebt Gott Anspruch; Reinheit ist dagegen die Voraussetzung für die Nähe Gottes, für seinen Segen, aber ebenso für die Möglichkeit sich Gott zu nahen“ (Deines, 2003, 1126). Der Zustand der Reinheit bildet damit „die Grundvoraussetzung zur Kommunikation mit der Götterwelt“ (Podella, 1997, 477; vgl. Seidl, 2004, 240). Für die Etymologie des Begriffes wird häufig die Verbindung mit Termini wie „Licht“, „Helligkeit“ oder „Mittagslicht“ (aramäisch טהרא) verwiesen. Im Ugaritischen erscheint der Stamm im Plural eines Substantivs, das einen glänzenden Edelstein bezeichnet (Maass, 1978, 646f). Diese Basisbedeutung legt sich auch durch Verbindungen des Wortes mit dem Himmel (Ex 24,10) nahe. Dan 7,9 kombiniert den Begriff mit der Farbe „weiß“ (Podella, 1997, 478).

2. Rein / unrein bzw. Reinigung als priesterliche Konzeption

2.1. Grundlegendes

Das Konzept der Reinheit im Alten Testament ist vornehmlich durch Belege in der priesterlichen Literatur belegt; zahlreiche andere Überlieferungen ergänzen und erweitern diesen Bestand. Versucht man die komplexen Zusammenhänge zunächst einmal vereinfachend darzustellen, so lässt sich generell sagen: Ausgangspunkt für die Vorstellung von rein und unrein ist die Heiligkeit des Tempels. Um dieser Heiligkeit des Tempels zu entsprechen, müssen alle Menschen und Dinge, die in Kontakt mit dem Heiligtum stehen, im Zustand der Reinheit sein. Nur wer rein ist, darf Opferfleisch essen (Lev 7,19; Lev 22,4; s.a. Jes 66,20; Mal 1,11) und das Heiligtum betreten (Lev 12,4). Vor diesem Hintergrund versteht es sich, dass der Tempel selbst gelegentlich nicht nur als „heilig“, sondern auch als „rein“ bezeichnet werden kann (Ez 9,7 sowie den chronistischen Parallelbericht zu 1Kön 7; s.a. 2Kön 23,8.10.13 im Hinblick auf die regionalen Heiligtümer). Dieses priesterliche Konzept des Tempels steht auch im Zentrum der Reinheitsvorschriften in der nachexilischen Prosa (1Chr 23,28; 2Chr 23,19; 2Chr 29,15f; 2Chr 34,3ff; Esr 6,20f; Neh 12,30; Neh 13,9; s.a. die Reinigung des Tempels in 1Makk 3,36-51; 2Makk 10,1-8). Manche Verunreinigungen schließen nicht nur vom Zugang zum Tempel, sondern generell aus der Gemeinschaft aus.

Normalerweise befinden sich Menschen, Tiere und auch alle anderen Dinge im Zustand der Reinheit. Abweichungen von der Regel werden in den priesterlichen Reinheitstorot explizit genannt. Solche wesensmäßigen unreinen Tiere und Dinge können ihre Unreinheit – je nach Quelle durch Verzehr, Berührung oder „Bezeltung“ (d.h. durch Anwesenheit in ein und demselben Raum) – auf andere Menschen und Gegenstände übertragen. Als Konsequenz ergibt sich daraus, dass diese dadurch für den Kontakt mit dem Kult untauglich werden bzw. in Einzelfällen generell aus dem Bereich der Gemeinschaft zu entfernen sind. Reinigungsriten wie Waschungen, Blutriten u.ä. stellen – häufig in Verbindung mit dem Zeitfaktor – den Zustand der Reinheit wieder her. Dabei kommt es zu einer Verbindung von archaischen Blutriten, Reinigungsmitteln (Ysop, Karmesinfäden, Zedernholz u.ä.) und Applikationsriten (Bestreichen oder Besprengen von Kultgeräten oder Probanden). Häufig spielt auch das deklaratorische Element, wonach die Reinheit einer Person oder Sache vom Priester erklärt werden muss, eine Rolle.

Wenn eine Gesundung ausbleibt (wie im Falle von Aussatz), können Reinigungsriten auch eliminatorische Funktion haben, indem sie dafür sorgen, dass das unreine Element dauerhaft aus der Gemeinschaft entfernt wird. Nach Lev 16 müssen der Altar und die Stiftshütte am Großen Versöhnungstag durch ein spezifisches Blutbesprengungsritual von den Verunreinigungen und den Sünden der Israeliten entsündigt (כפר) werden; modernes Denken ist geneigt, hier von der Vorstellung materiell anhaftender Sünde auszugehen oder bereits von einer Sublimierung der Reinheitsvorstellungen. In jedem Fall bildet dieses Konzept den Ausgangspunkt für moralisch-ethische Reinheitsvorstellungen, wie sie dann in der Weisheit eine bedeutende Rolle spielen sollen.

Für die Feststellung von Rein- bzw. Unreinheit (Ez 22,26; Ez 44,23; Hag 2,1-2) sowie im Kontext der Reinigungsriten kommt den Priestern eine wichtige Funktion zu (Belege s.u.). Da diese in unmittelbarer Nähe des Heiligtums Dienst tun, gelten für diesen Personenkreis zudem noch einmal besondere Auflagen. So dürfen sie weder eine Prostituierte noch eine Frau, die keine Jungfrau ist bzw. die von ihrem früheren Mann verstoßen wurde, heiraten (Lev 21,7; Lev 22,8ff; vgl. auch die Gesetze für den Nasiräer Num 6,19f). Vor diesen Hintergrund einer besonderen Reinheit des Tempelpersonals ist wohl auch das in Num 8,5-22 geschilderte Reinigungsritual zu sehen, bei dem das Scheren der Haare, das Besprengen mit Entsündigungswasser, verschiedene Opfer und das Waschen von Kleidern konstitutive Elemente darstellen.

2.2. Unreine Speisen

In den priesterlichen Texten werden verschiedene Tiere und Sachen genannt, die wesensmäßig als unrein klassifiziert werden: So gelten zunächst – nach Ausweis von Lev 11,1-23 – verschiedene Tiere wie z.B. das Kamel, der Klippdachs, der Hase, alle schuppen- und flossenlosen Wassertiere, Geier, verschiedene Rabenarten sowie viele kleine geflügelte Insekten als unrein bzw. als Gräuel und dürfen nicht verspeist werden (vgl. auch Dtn 14,3-21; vgl. Ez 4,14). Als mögliches Ordnungssystem innerhalb der Liste erscheint hier die Zuordnung der Tiere zu den Lebensräumen Erde, Wasser und Luft. Wenn man versucht, die einzelnen Aussagen zu abstrahieren, so kann festgestellt werden, dass diejenigen Landtiere als rein gelten, die sowohl Wiederkäuer sind als auch gespaltene Klauen haben. Unter den Wassertieren gelten diejenigen als rein, die geschuppt sind und sich durch Flossen fortbewegen. Die als unrein genannten Vögel sind entweder Fleischfresser und haben damit auch mit Aas Kontakt bzw. leben in abgelegenen, zivilisationsfernen Bereichen. Bei den Insekten gelten alle geflügelten Tiere als unrein, mit Ausnahme derer, die oberhalb ihrer Füße Schenkel haben, wie es bei verschiedenen Heuschreckenarten der Fall ist. Aber auch die Zugehörigkeit zur dämonischen Sphäre qualifiziert bestimmte Tiere als unrein; dies betrifft insbesondere Tiere, die unter der Erde leben oder die sich in öden und verlassenen Stätten wie in Ruinen oder in der Wüste aufhalten (Janowski / Neumann-Gorsolke, 1993, 216f).

Die Verunreinigung durch all diese Tiere erfolgt nach dem vorliegenden Zusammenhang durch den Verzehr. Konsequenzen, die sich aus der Verunreinigung ergeben, werden nicht genannt. Deutlich aber wird, dass eine solche Verunreinigung dem Anspruch Gottes auf Israels Heiligkeit gegenübersteht (Lev 11,44f). Aussagen zur Reinigung von Unreinheit, die aus dem Verzehr unreiner Tiere resultiert, finden sich in der alttestamentlichen Literatur nicht.

Geschichtswirksam wurden die Speisegebote vor allem in der hellenistischen Zeit, als auf Beachtung des jüdischen Gesetzes die Todesstrafe stand (1Makk 1,56f). In dieser Zeit blieben – so der Bericht in 1Makk 1,62 – viele der Israeliten standhaft bei ihrem Entschluss, nichts Unreines zu essen und waren sogar bereit, das Martyrium auf sich zu nehmen (vgl. insbesondere auch das Martyrium des Eleasar und das der sieben Brüder, jeweils mit der Weigerung, Schweinefleisch zu essen – 2Makk 6,18ff; 2Makk 7; zu den Speisegeboten s.a. Dan 1,8; Jdt 10,5 [Lutherbibel: Jdt 10,6]; Jdt 12,2; LXX Est 4,17).

2.3. Aussatz

Eine weitere wichtige Quelle der Unreinheit ist auch Aussatz (hebr. צָרַעַת ṣāra‘at). Wie aus den einschlägigen Quellen deutlich hervorgeht, versteht das Alte Testament unter diesem Phänomen nicht nur verschiedene Hautkrankheiten (vermutet wird u.a. Lepra, aber auch Ekzeme u.ä.), sondern auch auffallende Veränderungen an der Materialität von Stoffen und Lederwaren (Lev 13,47-59) sowie an Häusern (Lev 14,33f). Ein Aussätziger muss allein außerhalb des Lagers wohnen (Lev 13,45f). Beim menschlichen Aussatz gibt es streng genommen gar keine Reinigung, hier geht es eher um die Beobachtung der Entwicklung der betreffenden Stelle über mehrere Wochen. Je nach Aussehen und Entwicklung der Haut kann der Priester die betreffende Person rein oder unrein sprechen. Nach der Gesundung bedarf es unterschiedlicher Opfer, Blutriten und Waschungen, um den Zustand der Reinheit wiederherzustellen und um wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden (Lev 13,1-44). Auch Gewebe und Leder, das im Verdacht der Unreinheit steht, wird mehreren Waschungen unterzogen und je nach Entwicklung der betreffenden Stelle als rein oder unrein betrachtet. Stellen, die sich als aussätzig erweisen, müssen verbrannt werden (Lev 13,47-59). Bei Häusern müssen unreine Stellen ausgebrochen und an einen unreinen Ort geworfen werden. Kommt der Ausschlagsbefall zum Stillstand, so kann das Haus rein gesprochen werden; zudem wird ein ganz spezifisches Opfer dargebracht (Lev 14,33-53).

2.4. Geschlechtliche Unreinheit

Des Weiteren stehen verschiedene die Geschlechtsorgane betreffenden sowie die mit Zeugung und Geburt zusammenhängenden Erscheinungen im Fokus der Vorstellungen von rein und unrein. Eine Wöchnerin ist nach der Geburt eines Jungen sieben und nach der Geburt eines Mädchens vierzehn Tage unrein; nach einer weiteren Frist von 33 (bei einem männlichen Kind) bzw. 66 (bei einem weiblichen Kind) Tagen, in der sie sich zu Hause aufzuhalten hat, muss sie vom Priester ein Brand- und ein Sündopfer darbringen lassen, um ihre Reinheit definitiv wieder herzustellen (Lev 12,6-8).

Im Status der Unreinheit befindet sich eine Frau auch, wenn sie ihre Regel (Lev 15,19) bzw. außerzyklischen Blutfluss (Lev 15,25) hat. Wer die betreffende Frau anrührt, wird unrein bis zum Abend; auch Gegenstände, die in direkten Kontakt mit dieser Frau kommen, wie ihr Sitzplatz oder ihr Lager, werden unrein und können diese Unreinheit dann an einen Menschen, der diese Gegenstände berührt, weitergeben. Gleichzeitig verunreinigt sich auch jeder Mann, der mit einer menstruierenden Frau Umgang hat (Lev 15,19-31; vgl. die Anspielung darauf in Ez 18,6). Der Mann wiederum wird durch Ausfluss (Lev 15,13), Pollution (Lev 15,16) sowie durch Geschlechtsverkehr (Lev 15,18) unrein (vgl. 1Sam 21,5-7). Auch hier gilt, dass sich diese Unreinheit über Lager und Sitzplatz weiter ausbreiten kann.

Aber auch sexuelles Missverhalten kann die Quelle für Unreinheit bilden; hier wird der Umgang mit der Frau eines Stammesgenossen sowie der Umgang mit einem Tier ausdrücklich genannt (grundlegend Lev 18,20.23 und Num 5,20-29; s.a. Gen 34,5.13.27; Ez 18,15; Ez 22,11; Ez 33,26).

2.5. Tote

Eine weitere Quelle der Unreinheit stellt eine → Leiche bzw. tierisches → Aas dar: In diesem Zusammenhang ist es entweder die Berührung oder die Bezeltung, durch die diese Unreinheit auf Menschen und offene Gefäße übertragen wird (Num 19,10-22; Num 9,6; s.a. Ez 9,7; Hag 2,13). Ganz besonders strenge Vorschriften gelten im Zusammenhang mit der Totenunreinheit für Priester bzw. den Hohenpriester: sie dürfen nur mit den Verstorbenen ihres engsten Verwandtenkreises in Kontakt kommen (Lev 21,1ff; Ez 44,25); für einen Hohenpriester ist sogar der Kontakt mit den verstorbenen Eltern untersagt (Lev 21,11ff; vgl. auch die Gesetze für den → Nasiräer Num 6,6-12).

Des Weiteren ist in diesem Kontext auch auf die Regelungen zu verweisen, die für den Umgang mit tierischem Aas dargelegt werden. Hier gilt, dass sowohl die Berührung als auch der Verzehr verunreinigt. Dabei sind sowohl die unreinen (Lev 11,24-38) auch die reinen Tiere betroffen (Lev 11,39-40). Tierisches Aas verunreinigt auch die unterschiedlichsten Geräte und Gefäße durch Kontakt (Lev 11,29-38). Um der Verunreinigung entgegen zu wirken, bedarf es einer Waschung der Kleider; die Unreinheit selbst dauert dann aber bis zum Abend an (Lev 11,39-41).

3. Reinheit / Unreinheit und die Auseinandersetzung mit dem Götzendienst

Vor allem in der prophetischen Gerichtsbotschaft bei → Hosea, → Jeremia und → Ezechiel ist es dann die Verunreinigung Israels durch Götzendienst, die im Zentrum des Interesses steht (Hos 5,3; Hos 6,10; Jer 2,23; Jer 19,13; Ez 14,11; Ez 20,7.18.30f; Ez 22,3.4; Ez 23,7.17; Ez 23,37; vgl. Lev 20,3; ferner Lev 19,31; vgl. Ps 106,39). Durch das Aufstellen von Kultbildern wurde – so die Anklage der Propheten – auch das Heiligtum verunreinigt (Jer 7,30; Jer 32,34; Ez 5,11; Ez 23,38; vgl. 2Chr 36,14). Da „Reinheit“ auch eine Kategorie ist, die auf das Land angewendet werden kann (Dtn 21,23b; vgl. Dtn 24,4; s.a. Esr 6,21; Esr 9,11; vgl. in diesem Kontext auch das Ausland als „unreines“ Land Am 7,17; vgl. Jos 22,19; vgl. als Basis die Vorstellung, wonach Gott im Land wohnt - Num 35,34), kann der Götzendienst auch das Land verunreinigen (Jer 2,7); Israel muss deshalb in die Verbannung (Ez 36,17f). Vor dem Hintergrund der Vorstellung der Verunreinigung des Landes kann dann die Kultusreform des → Josia als umfassende Reinigung verstanden werden (2Chr 29,15ff; 2Chr 34,3ff).

In den nachexilischen prophetischen Überlieferungen erhält der Begriff „rein“ dann immer deutlicher einen eschatologischen Akzent; als Gegenstück zum Schuldaufweis mit dem Vorwurf der Verunreinigung entwerfen die Propheten das Hoffnungsbild, dass Gott selbst die Reinheit seines Volkes wieder herstellen wird (Jes 35,8; Jer 33,8; Ez 36,25ff; Ez 37,23; s.a. Ez 14,20f) und mahnen, Gott erneut in Reinheit zu dienen (Jes 52,11).

4. „Rein“ und „unrein“ in den weisheitlichen Überlieferungen

In der weisheitlichen Literatur findet eine Weiterbildung des Vorstellungskomplexes von „rein“ und „unrein“ in den ethischen Bereich hinein statt. Reinheit erscheint als Reinheit im Sinne von Sündlosigkeit (Spr 20,9; vgl. Ps 24,4, wobei der Aspekt des Bezugs von „Reinheit“ als Ermöglichung des Kontakts mit dem Heiligtum immer noch anklingt). In Ps 51 bittet der Beter um Reinigung von seinen Sünden; die kultische Reinheit, die mithilfe von Reinigungsriten erreicht werden kann, wird nun durch eine Art „Herzensreinheit“ überboten. Spr 30,12 konkretisiert diese reine Gesinnung im Hinblick auf das Gebot der Elternehrung; in Spr 15,26 und Spr 22,11 wird Reinheit mit der Vorstellung einer positiven, lebensfördernden Redegabe in Verbindung gebracht. Im Sinne eines gemeinschaftstreuen Handelns erscheint der Begriff schließlich als Parallelbegriff zu dem hebräischen Terminus ṣaddîq in Hi 4,17 (vgl. Sir 38,10).

5. Reinheit als religiöses Symbolsystem – Bedeutungsdimensionen und Funktionen

Die Frage nach dem Grund, bestimmte Phänomene als „unrein“ zu klassifizieren, ist Gegenstand intensiver ethnologischer und anthropologischer Forschungen. Der Vorschlag, man habe Tiere, die anderen Religionen als heilig galten, gleichsam aus dem Motiv der Abgrenzung als unrein erklärt, scheitert daran, dass keines der in Lev 11,4-8 aufgezählten Lebewesen – mit Ausnahme des Schweins in einigen späten Synkretismen – in den Religionen des Alten Orients eine nennenswerte Rolle spielte. Andererseits waren Tiere, die in Israel als rein galten, auch Sakraltiere fremder Götter (Janowski / Neumann-Gorsolke, 1993, 215). Sicherlich sind zum einen rationale medizinisch-hygienische Gründe anzunehmen, wenn bestimmte Körperveränderungen („Ansteckungsgefahr“) oder Aas bzw. Tote als „unrein“ gelten. Da dieses Erklärungsmuster aber nicht alle Phänomene abdeckt, muss man von einer symbolischen Grundlage des israelitischen Reinheitssystems ausgehen: Reinheit steht im Zusammenhang mit Leben, Unversehrtheit, Ganzheit und Integrität. So sind alle Phänomene der Totenreinheit recht einfach zu erklären. Ein Blick auf Analogien aus der Religionsgeschichte zeigt zudem, dass Blut und körperlichen Ausflüssen eine symbolische Kraft zugeschrieben wurde; Blutfluss und andere Ausflüsse können so als Verlust von Lebenskraft gedeutet werden und stehen damit nahe am Bereich des Todes. Aber auch Vermischungen, d.h. Elemente, die schöpfungsmäßig ursprünglich getrennt waren, gelten als unrein (Lev 19,19; Dtn 22,5.6-11). Als solche Hybridgebilde zählen auch Tiere, die nicht eindeutig dem Ideal ihrer „Klasse“ zugeordnet werden können (hierzu Douglas, 1988, 69-78; vgl. Seidl, 2004, 242; Podella, 1997, 479; Janowski / Neumann-Gorsolke, 1993, 215f).

Neben solchen grundsätzlichen Vorstellungen ist auch der funktionale Aspekt von Rein- bzw. Unrein-Klassifikationen zu bedenken. Die Beachtung der Reinheitsgebote schafft soziale Abgrenzungen nach außen und Kohäsion nach innen und impliziert somit eine identitätsstiftende Komponente. Gerade dieser Aspekt wird in frühjüdischer Zeit im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit dem Hellenismus offensichtlich. Aber auch die unterschiedlichen frühjüdischen Religionsgruppierungen wie die Essener oder Pharisäer entwickeln verschiedene Reinheitstorot (vgl. z.B. 4QMMT; 1QS 3,3-9; 5,14-20). Im Bereich des Umgangs mit Sexualität und fremden Kulten werden zudem bestimmte Handlungsnormen bestärkt, indem sie in den Kontext eines ontologischen → Weltbildes gestellt werden.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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  • Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, München / Zürich 1978-1979
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998ff.
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2. Weitere Literatur

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  • Douglas, M., 1988, Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellung von Verunreinigung und Gefahr, Frankfurt a.M. (englisches Original: Purity and Danger, 1966).
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  • Hermisson, H.-J., 1965, Sprache und Ritus im Altisraelitischen Kult. Zur „Spiritualisierung“ der Kultbegriffe im Alten Testament (WMANT 19), Neukirchen-Vluyn.
  • Houston, W., 1992, Purity and Monotheism. Clean and Unclean Animals in Biblical Laws (Journal for the Study of Old Testament. Supplement Series 140), Sheffield.
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  • Leach, E., 1978, Kultur und Kommunikation. Zur Logik symbolischer Zusammenhänge, Frankfurt (engl. Original: Culture and Communication. The logic by which symbols are connected, 1976).
  • Maass, F., 1978, Art. טהר, in: Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, Bd. 1, München / Zürich, 646-652
  • Paschen, W., 1970, Rein und Unrein. Untersuchungen zur biblischen Wortgeschichte (StANT 24), München.
  • Podella, Th., 1997, Art. Reinheit II. Altes Testament, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 28, Berlin / New York, 477-483
  • Seidl, Th., 2004 (4. Aufl.), Art. Rein und unrein II. Altes Testament, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 7, Tübingen, 240-242
  • Wilhelm, G., 1999, Reinheit und Heiligkeit, in: Fabry, H.-J. / Jüngling, H.-W. (Hgg.), Leviticus als Buch (BBB 119), 197-217.

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