Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: März 2014)

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1. Begriffsklärung

Der Begriff „Summarien“ wird in der alt- und neutestamentlichen Exegese unterschiedlich benutzt.

In der alttestamentlichen Exegese steht der Begriff für alle Texte, die eine Darstellung oder Aufzählung von Ereignissen der Geschichte Israels bieten (→ Geschichte / Geschichtsschreibung). Genauer sind sie also als „Summarien der Geschichte Israels“ zu bezeichnen. Gerhard von Rad versteht unter Geschichtssummarien „kürzere […] oder ausgeführtere […] Rekapitulationen der Geschichte Jahwes mit Israel“ (von Rad 2013, 282). Solche Geschichtssummarien kommen im auch im Neuen Testament vor (vgl. Übersicht bei Jeska, 300). Mit Dietmar Mathias lassen sich sieben Elemente benennen, die für Summarien konstitutiv sind: 1. Sie bilden aufzählende Reihen von Geschichtsereignissen. 2. Sie bieten Kurzfassungen der Geschichte Israels. 3. Die Länge der Summarien ist abhängig von den erfassten Ereignissen. 4. Die Zeitstufe ist die Vergangenheit. 5. Handlungsträger ist entweder Gott oder „Männer Gottes“. 6. In Summarien wird von Gott je nach Zusammenhang in der 1., 2. oder 3. Person gesprochen. 7. Es handelt sich nicht um eine einheitliche Gattung.

Die neutestamentliche Exegese versteht unter Summarien im engeren Sinn die Sammelberichte der synoptischen Evangelien sowie der Apostelgeschichte. Diese sind zusammenfassende Texte, die einzeln Erzähltes zuständlich schildern. Sie bilden eine eigenständige literarische Form. Sie haben häufig eine spezifische narrative Funktion innerhalb biblischer Erzähltexte. Durch diese Summarien werden Individualfälle rekapituliert und ins Typische erhoben und theologisch reflektiert (vgl. die Reden im → Deuteronomistischen Geschichtswerk [→ Deuteronomismus]).

2. Altes Testament

Summarien der Geschichte Israels finden sich in Ansprachen (z.B. 1Sam 12,8-13; Ps 78,4-72; Jdt 5,6-19 [Lutherbibel: Jdt 5,5-21]; 1Makk 2,52-60 oder außerbiblisch Damaskusschrift [CD] II,17b-IV,12a [→ Qumran-Handschriften]; → Josephus, Bellum Judaicum [Bell] 5,379-412; Antiquitates 3,86f [Ant; Text gr. und lat. Autoren]; 4Esr 14,29-33), in Gebeten (Dtn 26,5aβ-10a; Neh 9,6-31 und außerbiblisch 3Makk 2,4-12; 6,4-8; 4Esr 3,4b-33), in Hymnen und Liedern (Ps 105,7-44; Ps 106,7-46; Ps 135,5-12; Ps 136,4-25; Weish 10,1-11,1 und außerbiblisch Liber Antiquitatum Biblicarum [LAB] 32,1b-11) und in Propheten- und Gottesreden (Ez 20,5aβ-29; Jos 24,2aβ-13 und außerbiblisch LAB 23,4b-11 sowie in Visionen 1Hen 85,3-90,38; 39,3b-10; 91,11-17 [→ Henoch]; syrBar 56,2-74,4; Sib III,248-294).

Den Summarien geht es nicht darum, Geschichte nachzuerzählen, sondern Geschichte zu aktualisieren und zu funktionalisieren. Sie dienen dazu 1. eine gegenwärtige Situation herzuleiten und als positiven oder negativen Zustand zu erweisen (Jeska, 117) 2. eine Handlungsanweisung zu geben bzw. eine Gebetsbitte oder eine Dank- oder Lobaufforderung zu begründen, 3. das Programm einer Schrift zu begründen oder deren Geschichtsdeutung zu legitimieren.

Sie sind von Bedeutung auf den Ebenen der Erzählung und der Komposition. Sie spiegeln einen selektiven und kreativen Umgang mit der Tradition wieder, die sie intentional steuern.

Im → Deuteronomistischen Geschichtswerk stehen sie rahmend um wichtige Textkorpora (z.B. Dtn 6,21-23; Dtn 26,5-10*) oder an Nahtstellen (Jos 24,2b-13*.17f*; 1Sam 12,8).

Beispielhaft sei das bekenntnisartige heilsgeschichtliche Credo Dtn 26,5-9 angeführt. In ihm wird der Geschichtsrückblick dazu genutzt, „zur Jahwefurcht und zum Halten der Gebote zu motivieren“ (Kreuzer, 256).

Jos 24 bietet einen Geschichtsrückblick im Kontext des Landtags von → Sichem. Dieser Rückblick wendet den Blick auf das Land und die Ablehnung der Fremdgötterverehrung.

Auch Ps 78, Ps 105, Ps 106, Ps 136 reflektieren rückblickend die Geschichte Israels. Hier ist das Motiv des Lobs Gottes für die Geschichte Israels mit dem Element des Sündenbekenntnisses des Volkes verbunden. Um Unheilserfahrungen zu verarbeiten bzw. Unheil nach dem → Tun-Ergehen-Zusammenhang zu erklären, wird in einem Durchgang durch die Geschichte Israels gezeigt, dass Gott alles für sein Volk getan hat, dieses ihm gegenüber aber immer wieder untreu geworden ist. Auch das Bußgebet von Neh 9,6-37 reflektiert die Geschichte Israels. Zentrale Themen sind die „Geschichte“ und das „Land“ als Gottes Gaben an Israel (→ Land).

Übersicht über die antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels (nach Jeska, 300).

Ansprache: Hebräische Bibel: 1Sam 12,8-13; Ps 78,5-72; Septuaginta: Jdt 5,6-19 [Lutherbibel: Jdt 5,5-21]; 1Makk 2,52-60; außerbiblisch CD II,17b-IV,12a; Bell 5,379-412; Ant 3,86-87; 4Esr 14,29-33;

Gebet: Hebräische Bibel: Dtn 26,5aβ-10a; Neh 9,6-31; Septuaginta: 3Makk 2,4-12; 3Makk 6,4-8; außerbiblisch: 4Esr 3,4b-33;

Hymnus / Lied: Hebräische Bibel: Ps 105,7-44; Ps 106,7-46; Ps 135,5-12; Ps 136,4-25; Septuaginta: Sir 44,3-50,21; Weish 10,1-11,1; außerbiblisch: LAB 32,1b-11;

Visionsbericht / -deutung: außerbiblisch: 1Hen 85,3-90,38; 93,3b-10; 91,11-17; syrBar 56,2-74,4; Sib III,248-294;

Prophetische Rede / Gottesrede: Hebräische Bibel: Jos 24,2aβ-13; Ez 20,5aβ-29; außerbiblisch: LAB 23,4b-11.

In den Geschichtssummarien geht „es nicht um Geschichte an sich, sondern immer zugleich um die aktuelle Bedeutung der Geschichte“ (Kreuzer, 256).

3. Neues Testament

Die Sammelberichte des Neuen Testaments lassen sich durch fünf Merkmale beschreiben: Die Terminologie ist geprägt von einer Häufung von verallgemeinernden Begriffen („viele“, „alle“). Grammatisch dominiert das Imperfekt. Zeitangaben wie „täglich“ bestätigen die Dauer der Ereignisse. Schließlich stehen die Summarien in engem Bezug zum Erzählverlauf, der über bloße Rückblicke hinausgeht. Sie haben häufig die Funktion einer Legitimation oder einen apologetischen Aspekt (vgl. etwa Apg 6,7, wo das Summarium die Wahl der Sieben bestätigt und der Missionserfolg die Entscheidung legitimiert).

Als Beispiel für Summarien dient die erste summarische Erzählung von Heilungen und Dämonenaustreibung in Mk 1,32-34.

3.1. Markus

Bei → Markus finden sich Summarien im engeren Sinn als konstruierte Sammelberichte in Mk 1,32-34; Mk 3,7-12; Mk 6,54-56. Überlieferungsgeschichtlich gleichen die Summarien die unzusammenhängende Galiläa-Überlieferung aus. Makrotextuell bilden die Summarien bei Markus Scharniere zwischen Einzelerzählungen in Mk 1-6, die als wesentlichen Inhalt resümieren: Jesus wird als Wunderheiler vorgestellt. In Mk 8-10 treten an Stelle der Summarien Leidensweissagungen. An den Summarien wird deutlich, was der Evangelist mit seinem Evangelium erreichen will: Er will die Geschichte Jesu „generalisierend und universalisierend“ (Becker, 474) erzählen.

3.2. Matthäus

Das → Matthäusevangelium folgt durchgängig der markinischen Vorlage und führt sie weiter. So erweitert er z.B. in Mt 12,15-21 das Summarium mit einem reflektierenden Zitat von Jes 42,1-4.

3.3. Lukanische Doppelwerk

Lukas greift in seinem Evangelium die markinischen Summarien auf und verarbeitet sie als eigenständige Größe. Dabei ist eine Tendenz zur Straffung zu beobachten. Sie behandeln vor allem das Thema der erfolgreichen Mission (vgl. etwa Apg 8,5-8).

Die drei Gemeindesummarien in Apg 1-5 (Apg 2,42-47; Apg 4,32-35; Apg 5,12-16) sind Kompositionen des Autors der → Apostelgeschichte. Sie verknüpfen verallgemeinernd Einzelerzählungen und füllen den Zeitraum der Gemeindeentstehung auf. Sie betonen die Einmütigkeit und Gütergemeinschaft der frühchristlichen Gemeinde. Sie sind von typisch lukanischer Sprache geprägt.

Die Rede des → Stephanus in Apg 7 steht dagegen in der Tradition der Summarien der Geschichte Israels.

3.4. Johannes

Auffällig ist, dass das → Johannesevangelium im Vergleich zu den Synoptikern deutlich weniger Summarien enthält, abgesehen von Joh 2,23; Joh 3,22-24; Joh 10,39-42.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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