Deutsche Bibelgesellschaft

Prophetenbücher / Kanonteil Nebiim

(erstellt: April 2016)

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Bibel; → Kanon; → Propheten; → Jesaja; → Jeremia; → Ezechiel; → Zwölfprophetenbuch

Die Hebräische Bibel wird traditionell in drei Kanonteile unterteilt: die Tora (תּוֹרָה tôrāh, Bedeutung: „Gesetz“; griechische Bezeichnung: Pentateuch, nach Lutherbibel: Fünf Bücher Mose [→ Pentateuch]), die Propheten / Nebiim (נְבִיאִים nəvî’îm, Bedeutung: „Propheten“) und die Schriften / Ketubim (כְּתוּבִים kətûvîm, Bedeutung: „Schriften“). Als Akronym für diese Kanonteile fungiert das Kunstwort „TaNaK / Tanak“. Die Ordnung der Kanonteile entspricht der Abfolge, in der sie im Laufe der Geschichte Israels ihren kanonischen Rang erhielten.

1. Der Kanonteil Propheten / Nebiim

1.1. Bezeichnung des Kanonteils

Die Existenz des Kanonteils Propheten / Nebiim wird erstmals zusammen mit der Dreiteiligkeit des Kanons in Sir 39,1-3 angedeutet. Im Prolog zum → Sirachbuch, der von einem Enkel Jesus Sirachs gegen Ende des 2. Jh.s v. Chr. im Zuge der Übertragung des Buches in das Griechische abgefasst wurde, werden dreimal die drei Teile Gesetz, Propheten und Schriften genannt:

„Vieles und Großes ist uns durch das Gesetz, die Propheten und die anderen Schriften, die ihnen folgen, geschenkt worden. Dafür ist Israel zu loben wegen seiner Bildung und Weisheit […]. So befasste sich mein Großvater Jesus sorgfältig mit dem Gesetz, mit den Propheten und mit den anderen von den Vätern überkommenen Schriften […]. Nicht nur dieses Buch, sondern auch das Gesetz, die Propheten und die übrigen Schriften weisen keinen geringeren Unterschied auf, wenn man sie in der Grundsprache liest.“

Diese Dreiteilung wird auch in der Qumran-Schrift 4QMMT bezeugt („Buch des Mose [und] die Büch[er der Pr]opheten und von Davi[d…]“; → Qumran). Im „Lob der Väter“ (Sir 48,20-49,10 [Lutherbibel: Sir 48,22-49,12]) werden die großen Propheten Jesaja, Jeremia und Ezechiel sowie die 12 Propheten genannt. „Da die ‚zwölf Propheten‘ als Einheit aufgeführt sind, erscheint es nicht unberechtigt, hier insgesamt an Bücher statt nur an Prophetengestalten zu denken. Betrachtet man die Nennung der Prophetengestalten als Repräsentation ihres Buches, so ist das ‚Lob der Väter‘ in der Tat ein Beleg für die Reihenfolge Jes-Jer-Ez-Dod [= Dodekapropheton / Zwölfprophetenbuch]“ (Brandt 2001, 66f.). Die Unterteilung der Schriften Israels in drei Teile wird im Neuen Testament in der Zusammenstellung „Gesetz, Propheten und Psalmen“ (Lk 24,44) bezeugt. Üblich ist im Neuen Testament jedoch die Zweiteilung „Gesetz und Propheten“ (vgl. Mt 5,17; Mt 7,12; Mt 11,13; Mt 22,40; Lk 16,16.29; Lk 24,27; Joh 1,45; Apg 24,14; Röm 3,21).

1.2. Umfang des Kanonteils

Eine erste Umfangsbeschreibung der drei Teile findet sich bei → Josephus in Contra Apionem I,38-41:

„Bei uns gibt es nicht Myriaden von Büchern, die nicht zusammenstimmen und (einander) widerstreiten, sondern nur zweiundzwanzig Bücher, welche die Niederschrift der (gesamten) vergangenen Zeit enthalten und mit Recht vertrauenswürdig sind. Und fünf davon sind die des Mose, welche die Gesetze des Mose enthalten und die Tradition von der Menschenschöpfung bis zum Ende dessen; diese Zeitspanne erstreckt sich über 3000 Jahre. – Vom Ende des Mose bis zu Artaxerxes, dem auf Xerxes folgenden König der Perser, haben die Propheten nach Mose die Geschehnisse gemäß (dem von) ihnen (Erlebten) in dreizehn Büchern niedergeschrieben. – Die restlichen vier (Bücher) enthalten Hymnen auf Gott und Lebensregeln für die Menschen. – Von Artaxerxes bis hin zu unserer Zeit ist zwar alles aufgeschrieben worden, aber (das) wird nicht des gleichen Vertrauens gewürdigt wie die (Bücher) vor ihnen, weil nicht die genaue Aufeinanderfolge der Propheten gegeben war.“ Bei den dreizehn Büchern handelt es sich um: Jos, Ri, Rut, 1/2Sam + 1/2Kön, 1/2Chr, Esr, Neh, Est, Jes, Jer + Klgl, Ez, Dan und 12Proph.

1.3. Vordere und Hintere Propheten

Der Kanonteil Propheten / Nebiim umfasst zwei Teile, und zwar die „Vorderen (oder: Früheren) Propheten“ (Josua bis 2Könige) und die „Hinteren (oder: Späteren) Propheten“ (Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Zwölfprophetenbuch). Bei diesen beiden Teilen handelt es sich um völlig verschiedene Gattungen: Die Vorderen Propheten stellen eine zusammenhängende Geschichtserzählung dar, und zwar von der Berufung → Josuas bis zur Nachricht von der Begnadigung und dauerhaften Alimentierung des Königs → Jojachins. Diese Erzählung wird seit Martin Noth als → Deuteronomistisches Geschichtswerk (Jos-2Kön) bezeichnet (→ Deuteronomismus). Die Hinteren Propheten bestehen aus den vier selbstständigen Prophetenbüchern → Jesaja, → Jeremia, → Ezechiel und → Zwölfprophetenbuch. Für diesen Kanonteil wird auch die Bezeichnung corpus propheticum verwendet (Steck 1991).

1.4. Umgestaltung in der Septuaginta

Der Kanonteil Propheten / Nebiim wurde im Rahmen der sukzessiven Übersetzung der einzelnen Bücher in das Griechische (→ Septuaginta) aufgelöst, der zweite Teil, die Hinteren Propheten, blieb aber erhalten. In den christlichen Codices des griechischen Alten Testaments wurden die Bücher primär nach Gattungsgesichtspunkten angeordnet: Dem Pentateuch folgen die Geschichtsbücher Josua, Richter, 1-4 Königtümer (im Tanak: 1/2 Samuel und 1/2 Könige) mit den weiteren Geschichtsbüchern. Danach folgen die poetischen Werke, z.B. die Psalmen und die Weisheitsbücher, den Abschluss bilden die prophetischen Bücher in der Reihenfolge Dodekapropheton, Jesaja, Jeremia, Ezechiel zusammen mit dem Buch Daniel, das in der hebräischen Überlieferung zu den Schriften / Ketubim gehört.

2. Mose als Urbild des Propheten: Jos 1,7-8 und Mal 3,22-24 als Rahmung der Propheten / Nebiim

Mit der Kanonisierung der Propheten / Nebiim wurde ein redaktioneller Prozess abgeschlossen, dessen Verlauf erst allmählich erkennen lässt, dass Redaktoren buchübergreifende Zusammenhänge herstellen wollten. Und erst auf den allerletzten Stufen wurden Nachträge hinzugefügt, die bewusst ganze Kanonteile gestalten und diese wiederum miteinander in Beziehung setzen wollten (Sheppard 1982: „canon conscious redaction“). Solche Passagen, deren vorrangige Intention die Gestaltung einer kanonischen Schriftsammlung ist, sind schwierig zu identifizieren.

Der Abschlusstext Mal 3,22-24 (hebräischer Text, andere Reihenfolge der Passage in der LXX, dort folgt V. 22 auf die V. 23f.) lässt erkennen, dass der gesamte Kanonteil Propheten / Nebiim in Relation zur → Tora gesetzt werden soll:

Mit der Anspielung auf das → Mose am Horeb (→ Sinai) übermittelte Gesetz (→ Recht) nimmt Mal 3,22-24 direkt Bezug auf den Abschluss der Tora in Dtn 34,10-12. Zugleich bildet der Abschnitt zusammen mit Jos 1,7-8 eine literarische Klammer um den zweiten Kanonteil. Dabei ist schwierig zu entscheiden, ob diese Klammer von Anfang an intendiert war oder – so Chapman (2003, 138-140) – erst sekundär entstand.

Mal 3,22-24 ist ein redaktionell gefügter Abschnitt, V. 22 stammt aus anderer Hand als die V. 23f. (vgl. Meinhold 2006; Schart 2013; → Maleachi). Die masoretische Fassung ist heilsgeschichtlich sortiert: Zunächst tritt → Mose als Gesetzgeber auf, dann → Elia, der als Prophet die Söhne zur Umkehr zu den Vätern – d.h. wohl zur Lehre der Väter – bewegen wird, bevor der → Tag JHWHs als eschatologisches Gericht einsetzen wird. Diese Erwartung nimmt auf verschiedene Aspekte Bezug, die den Kanonteil Propheten / Nebiim in Relation zur Tora stellen.

In der Schlussbemerkung der Tora (Dtn 34,10-12) wird Mose als einziger Prophet dargestellt, der JHWH von Angesicht zu Angesicht sah. Verbunden mit der Prophetie des Mose wird die Gesetzesgabe. Schon Dtn 31,20f. spielt darauf an, dass die zukünftigen Generationen die Weisungen JHWHs nicht mehr achten werden und (temporär) von ihm abfallen. Die von Mose vermittelten Weisungen Gottes dienen für den zweiten Kanonteil als Maßstab, wie Jos 1,7f. festhält. Auch die Zeit im Land steht unter dem Gesichtspunkt der Gesetzestreue des Volkes. Die folgende Geschichte erzählt wiederholt von dem in Dtn 31,20f. angekündigten Abfall der nachfolgenden Generationen. Nach Dtn 6,4-9 gilt die Tora-Lerngemeinschaft aus Vätern und Söhnen als Ideal. Der in den Prophetenbüchern dargestellte Abfallprozess wird nach Mal 3,23f. durch das Wirken Elias umgekehrt, so dass die Israeliten am Tag JHWHs als gesetzestreues Volk erscheinen. „Elija, der Prototyp der Prophetie, ist ‚Schüler’ des Mose par excellence, insofern er nach 1Kön 19,1-18 ‚am Horeb’ JHWH ‚gehört’ (aber nicht wie Mose ‚geschaut’: vgl. Ex 19-34) hat“ (Zenger 2012, 25). Die Ankündigung seiner Rückkehr ist möglich, da er nach 2Kön 2,1-11 entrückt wurde und dementsprechend noch lebt. Die in den Propheten / Nebiim bezeugte Prophetie wird nach Mal 3,23f. als Erinnerung und Erneuerung der Tora verstanden. Der Umkehrprozess wird dabei direkt an die prophetische Verkündigung des eschatologischen Gerichts am Tag JHWHs gebunden, die im Dodekapropheton (aber nicht in den anderen Prophetenbüchern) zentral ist. Dies deutet darauf hin, dass Mal 3,22-24 zusammen mit Jos 1,7f. in der heute vorliegenden Reihung der prophetischen Bücher als Rahmung und Abschluss der Texte dient, die die Zeit Israels im Land beschreiben.

Auf diese Weise erhalten die beiden Teile Tora und Propheten / Nebiim ihren jeweils spezifischen Ort in der alttestamentlichen Heilsgeschichte.

3. Bezüge zwischen den Vorderen und Hinteren Propheten

Grundsätzlich überwiegt der Eindruck, dass es sich bei den Vorderen (= Deuteronomistisches Geschichtswerk) und den Hinteren Propheten (= corpus propheticum) um ganz verschiedene Literaturwerke handelt. Es gibt jedoch auch eine Reihe von Bezügen, die die beiden Teile des Kanonteils Propheten / Nebiim verbinden. Diese Bezüge sind unterschiedlicher Art: 1. Identität von Propheten, 2. Bezug auf dieselbe geschichtliche Situation, 3. Doppelüberlieferungen, 4. Deuteronomistische Prägung, 5. redaktionelle Verbindungen.

3.1. Identität von Propheten

Die Vorderen Propheten enthalten Geschichtserzählungen, in die gelegentlich einmal Berichte von Auftritten von Propheten eingeflochten sind, wohingegen das corpus propheticum aus Büchern besteht, in denen die Reden der Propheten gesammelt sind und nur gelegentlich Erzählungen über Propheten erscheinen. Es fällt auf, dass nur drei der im corpus propheticum genannten Propheten auch im Deuteronomistischen Geschichtswerk erwähnt werden, nämlich → Jesaja, → Jona ben Amittai (Jon 1,1 vgl. 2Kön 14,25) und → Elia (Mal 3,23).

In 1Kön 22,28 wird dem Propheten → Micha ben Jimla der Spruch in den Mund gelegt: „Und er sagte: Hört, alle ihr Völker!“ Diese sekundäre Glosse zitiert Mi 1,2, offensichtlich mit der Absicht, Micha ben Jimla mit → Micha von Moreschet, dem Autor der Michaschrift (Mi 1,1), zu identifizieren.

3.2. Bezug auf dieselbe geschichtliche Situation

Für das Verständnis des Nebeneinanders von Vorderen Propheten und Hinteren Propheten sind die Datierungen der Propheten grundlegend. Die Auftrittszeit der Propheten, deren Sprüche im corpus propheticum gesammelt sind, sind nach den Königen datiert. In der Regel wird die Datierung gleich in den ersten Versen der jeweiligen Schrift vorgenommen (z.B. Jes 1,1; Jer 1,1-3; Ez 1,1-2; Hos 1,1; Am 1,1; Mi 1,1; Zef 1,1; Hag 1,1; Sach 1,1). Die Propheten ohne entsprechende historische Einordnung innerhalb des Zwölfprophetenbuchs sind wohl der Zeit ihres Vorgängers zuzurechnen.

Insgesamt entsteht so der Eindruck, dass das corpus propheticum diejenigen prophetischen Gestalten samt ihren Sprüchen ergänzt, auf die innerhalb der Geschichtsbücher nicht eingegangen wurde. Am deutlichsten wird das im Falle Jesajas, dessen Auftreten in 2Kön 19-20 geschildert wird. Selbstverständlich hätte es den Rahmen gesprengt, hätte man alle 66 Kapitel an Sprüchen, die ihm das Jesajabuch zuschreibt, dort eingefügt. Das corpus propheticum überliefert also die Sicht der wichtigsten Propheten Israels auf die in den Vorderen Propheten narrativ entfaltete Geschichte. Dabei ist zu beachten, dass die Reihe der Propheten des Zwölfprophetenbuchs über das babylonische → Exil, das das Ende von 2Könige bildet, mit → Haggai, → Sacharja und → Maleachi weit hinausgeht.

3.3. Doppelüberlieferungen

Zwei Textabschnitte aus 2Kön werden in den Hinteren Propheten, nämlich in Jer 52 und Jes 36-39, wiederholt.

3.3.1. Jer 52

Der Bericht über die zweite Eroberung Jerusalems in Jer 52 ist nahezu textidentisch mit Passagen aus 2Kön (Jer 52,1-27 = 2Kön 24,18-25,21; Jer 52,31-34 = 2Kön 25,27-30). Inhaltlich schließt Jer 52,4-16 an Jer 39,1-10 an, so dass der Bericht innerhalb des Buches als Bestätigung der Prophetie → Jeremias verstanden werden kann (vgl. Schmidt 2013, 340f.). Nimmt man Jer 52 für sich, so fällt auf, dass der Prophet Jeremia im ganzen Bericht nicht erwähnt wird. Das macht die Annahme wahrscheinlich, dieses Textstück sei nicht für das Jeremiabuch verfasst, sondern einfach sekundär aus 2Kön 24f. entnommen und an die Jeremiarolle angehängt worden.

3.3.2. Jes 36-39

Jes 36-39 bietet neben 2Kön 18,13-20,21 ein weiteres Mal die Erzählung von der Belagerung → Jerusalems, der Erkrankung → Hiskias und der Gesandtschaft Merodach-Baladans (→ Marduk-apal-iddina). Die Unterschiede im Textbestand sind größer als im Falle von Jer 52. Während sich in 2Kön 18f. // Jes 36f. neben dem Fehlen der historischen Notiz 2Kön 18,14-16 im Jesajatext nur Differenzen im Wort- und Konsonantenbestand zeigen, unterscheiden sich 2Kön 20 // Jes 38f. stärker. Jes 38,7-20 enthält mit dem Gebet Hiskias einen Textteil, der in den → Königsbüchern nicht erscheint. Zudem ist die Erzählung über das mit der Sonnenuhr (→ Tageszeiten) verbundene Zeichen unterschiedlich gestaltet (2Kön 20,9-11; Jes 38,7f.). Neben diesen inhaltlichen Differenzen beinhaltet die Jesaja-Hiskia-Erzählung mit der Reihenfolge „Belagerung und Abzug der Assyrer – Krankheit Hiskias – Gesandtschaft des Merodach-Baladan“ einen Anachronismus, denn die Merodach-Baladan-Episode muss vor der Belagerung stattgefunden haben. Dies deutet darauf hin, dass die Texte entweder sukzessive zusammengestellt wurden oder es kompositionsgeschichtliche Gründe für diese Aneinanderreihung gibt.

In der Tat bildet Jes 36-39 den kompositionellen Abschluss der Texte der assyrischen Phase, mit Jes 40 setzt die Botschaft über die Rückkehr aus dem Exil zum Ende der babylonischen Oberherrschaft ein (→ Deuterojesaja). Es spricht einiges dafür, dass zunächst eine selbstständige Jesaja-Hiskia-Erzählung entstand, die zuerst in das Jesajabuch übernommen und zu diesem Zweck an den Kontext des Jesajabuchs angepasst wurde. Später wurde dieselbe Erzählung auch in das 2Könige-Buch übernommen. Spätere Abschreiber sowohl des Jesaja- als auch des 2Könige-Buches glichen die Parallelfassungen in die eine wie in die andere Richtung unterschiedlich an.

Seit der Behandlung der Erzählungen durch Gesenius (1821), der den Gedanken einer Übernahme von Jes 36-39 aus 2Kön und eine spätere Überarbeitung und Erweiterung postulierte, wurde zunächst das mehrstufige Wachstum von 2Kön 18f. untersucht. Stade (1886) wies einen dreistufigen Entstehungsprozess von 2Kön 18f. auf. Seiner These zufolge stellen 2Kön 18,14-16 den ältesten Kern der Überlieferung dar (Quelle A), die zunächst um die Quelle B1 (2Kön 18,13.17 – 19,9), in späterer Zeit dann um die Quelle B2 (2Kön 19,9b-37; spätere Forschungen rechnen die Verse 2Kön 19,36f. [Childs 1967] bzw. 2Kön 19,36b.37 [Wildberger 1982] zur Quelle B1 hinzu) ergänzt, bevor die Erzählung in die Königsbücher übernommen wurde. Diese These wird bis heute, auch wenn sie modifiziert und ergänzt wurde, von verschiedenen Autoren vertreten (so zuletzt Gonçalves 1986; Carr 1992; Berges 1998), jedoch vor allem von kompositions- und redaktionsgeschichtlichen Studien zum Jesajabuch in Frage gestellt. Clements (1980), Ackroyd (1982) und Rendtorff (1984) konnten in ihren Studien zeigen, dass die Erzählungen innerhalb des (Groß-)Jesajabuchs als Brücke zwischen den Texten der assyrischen und der babylonischen Phase dienen, da sie sowohl motivische, thematische als auch sprachliche Bezüge zu Teilen von Jes 1-35 und von Jes 40-55(60-62) aufweisen. Diese kompositions- und redaktionsgeschichtlichen Beiträge führten schließlich zu einem Paradigmenwechsel in der Forschung zu 2Kön 18-20 // Jes 36-39. Von den vor allem kompositionsgeschichtlichen Einsichten ausgehend wurde von Smelik (1992) und Vermeylen (1997) die Priorität des Jesajatextes betont.

Eine Vermittlung zwischen diesen beiden Positionen wird in der aktuellen Forschung auf unterschiedliche Weise gesucht. Es werden vor allem drei Entstehungsmodelle diskutiert:

1. Die neueren redaktionsgeschichtlichen Studien gehen von einem sukzessiven Textwachstum auf verschiedenen Stufen des Jesajabuchs und der Königsbücher aus (Seitz 1991; Sweeney 1996; Becker 1997; Beuken 2001; Young 2013). Grundlage ist eine eigenständige Überlieferung über die Belagerung Jerusalems (Jes 36f.), die aufgrund des Motivs „Bedrohung des Zion“ in das Jesajabuch integriert und in einem längeren Redaktionsprozess um Jes 38 und Jes 39 erweitert wurde. Die Übernahme in die Königsbücher geschah noch vor der Integration des Gebetes Hiskias in Jes 38.

2. Eine traditionsgeschichtliche Deutung, wie sie von Höffken (2004) vorgetragen wurde, versteht die Jesaja-Legenden als Teil der altorientalischen und hellenistischen Sanherib-Überlieferung. S.E. ist die Entstehung der Texte nicht im Kontext eines der beiden biblischen Bücher zu erklären.

3. Textgeschichtliche Studien weisen unterschiedliche Textentstehungen auf, basieren aber durchgehend auf der Annahme, Jes 36-39 wäre en bloc aus den Königsbüchern übernommen und dann in beiden Buchkontexten jeweils unterschiedlich überarbeitet worden. Person (1999) stellt in seinem Beitrag die Rekonstruktion eines Urtextes vor, dem die LXX-Version von Jes 36-39 am nächsten steht und damit die älteste Textform bietet. Dieser kommt 1QJesa sehr nahe, während Jes 36-39MT sowie 2Kön 18-20MT und 4Kgt18-20LXX spätere Textformen bezeugen, die sich auf unterschiedliche Weise aus dem hebräischen Urtext entwickelten.

Trotz derselben Quellenauswahl kommt Konkel (1993) in seiner Untersuchung zu einem anderen Ergebnis. Er legt dar, dass die älteste Textgestalt diejenige ist, die sich aus dem Text der Königtümer des Codex Vaticanus als Vorlage rekonstruieren lasse. Dieser prämasoretische Königetext sei in das Jesajabuch übernommen und dabei verändert worden, insbesondere habe man die Person Hiskias profiliert. Da die Königsbücher und das Jesajabuch nach der Textübernahme getrennt voneinander überliefert worden seien, hätten sich die Differenzen zwischen beiden Fassungen verstärkt.

Kratz (2015) nimmt neben 2Kön 18-20 // Jes 36-39 auch 2Chr 32, Josephus, Ant. X,1f. §§1-35, und Sir 48,17-25 [Lutherbibel: Sir 48,19-28] sowie die Versionen aus 1QJesa und der LXX-Fassungen von 2Kön 18-20 // Jes 36-39 in den Blick. Kratz zeigt, dass es eine Grunderzählung gegeben haben muss, die 2Kön 18,17.18-21.23-25; 2Kön 18-36-19,7; 2Kön 19,8-9a und 2Kön 19,36f. umfasste. Diese wurde in einem längeren Fortschreibungsprozess sukzessive ergänzt. Offenbar vor der Einfügung des Hiskia-Psalms in Jes 38,9-20 wurden die Kapitel in das Jesajabuch übernommen. „The introduction of Isaiah with his interpretation of the event gives the visit a negative twist and predicts the sack of Jerusalem and the exile of the Judean royal family. This also seems an indication that the narrative was inserted primarily into the context of 2 Kings“ (Kratz 2015, 153). Die von Kratz rekonstruierte Grunderzählung basiert ihrerseits auf der von Stade sog. Quelle A (2Kön 18,14-16), die neben dem in 2Kön 18,1-3; 2Kön 20,20f. erwähnten Tribut an den assyrischen König eine Notiz über die Belagerung im älteren (von Kratz als deuteronomistisch bezeichneten) Textkorpus bietet. „In the context of the (deuteronomistic) books of Kings this episode fulfills a dual purpose. On the one hand it shows the benefit of Hezekiah’s piety – he carried out a cultic reform and always behaved in an exemplary manner (2 Kgs 18:4; 5-7). Therefore, Jerusalem was spared and Hezekiah’s reign was long. On the other hand, the tribute episode also implicitly provides reasons why the kingdom was nevertheless doomed to fall. Whilst the tribute paid to the Assyrian king resulted in Jerusalem being spared and the king remaining in power, it simultaneously indicated a departure from the political and religious steadfastness of the Judean king“ (Kratz 2015, 158).

3.4. Deuteronomistische Prägung

Die vier Prophetenrollen weisen unterschiedliche Bezüge zum Deuteronomismus auf, der die Vorderen Propheten insgesamt prägt. Verschiedene Studien seit dem Ende der 1950er Jahre zeigten deuteronomistischen Einfluss auch außerhalb des → Deuteronomistischen Geschichtswerks auf (→ Deuteronomismus). In den Büchern der Hinteren Propheten wurde zunächst für das Buch → Jesaja solcher Einfluss behauptet (Vermeylen 1977/78; Kaiser 1981).

Eine deuteronomistische Fassung des Jesajabuchs sucht Vermeylen (1977/78) zu erweisen. S.E. wurde die bis zu diesem Zeitpunkt vorliegende jesajanische Sammlung, die unter → Josia aus fünf Teilsammlungen vereint worden sein soll, in der Exilszeit von einem deuteronomistischen Redaktor als ein exilisches Jesajabuch ediert.

Abgeschwächter sieht Kaiser (1973 / 1981) den Einfluss des Deuteronomismus auf das Jesajabuch. Während er bei seiner zeitlich früheren Auslegung von Jes 13-39 (1973) auch bei dem in 2Kön 18-20 parallel dargebotenen Jesaja-Hiskia-Legende zwar die Priorität des Königetextes postuliert, daraus aber nicht die Folgerung zieht, ein deuteronomistisch orientierter Redaktor habe die Erzählung in das Jesajabuch eingefügt (Kaiser 1973, 291), sieht Kaiser (1981, 20f.) vor allem bei der Organisation des zuvor wohl eigenständig überlieferten Textbestandes, der auf den historischen Jesaja zurückzuführen ist (Jes 6,1-8,18* sowie Jes 28-31*), einen direkten Einfluss des Deuteronomistischen Geschichtswerks auf das Jesajabuch. Anders als Vermeylen geht er jedoch nicht von einer deuteronomistischen Bearbeitung aus, sondern postuliert eher eine Anleihe bei der von den Deuteronomisten entwickelten Geschichtstheologie.

Für das → Jeremiabuch wurde namentlich von Hyatt (1951) und Thiel (1973 / 1981; später modifiziert vor allem durch Albertz (2001) deuteronomistischer Einfluss aufgezeigt.

Die ersten Studien, die eine deuteronomistische Redaktion des Jeremiabuchs annahmen, standen noch unter dem Einfluss der von → Mowinckel aufgestellten Quellentheorie, der zufolge das Jeremiabuch aus vier Quellen zusammengesetzt worden sein soll. Mowinckel unterschied JerA (Sprüche und Selbstbericht in Jer 1-25), JerB (Fremdberichte in Jer 19,1-20,6*; 26; 28; 29*; 36; 37-43; 44*), JerC (größere Reden in Jer 7,1-8,3; 11,1-5.9-14; 18,1-12; 21,1-10; 25,1-11a; 32,1f.6-16-24-34; 34,1-7.8-22; 35,1-19; 44,1-14) und JerD (nachexilische Heilsworte in Jer 30f.*). Die von Hyatt und Thiel abgefassten Studien verbanden die von Mowinckel postulierte Quelle JerC mit der deuteronomistischen Bearbeitung, die sich für das in der Exilszeit ausgearbeitete und tradierte Buch verantwortlich zeigte.

Die von Thiel (1973 / 1981) und Hyatt (1984) vertretene These wurde in der Forschung mehrfach kritisiert; dabei wurden neben dem Rückbezug auf einen Mehrquellenansatz vor allem die Zuweisung an einen deuteronomistischen Redaktor in Frage gestellt. Die Vorstellung einer deuteronomistischen Bearbeitung des Buches nahm in neuerer Zeit Albertz (2001) wieder auf, der jedoch anders als Hyatt und Thiel nicht von einer, sondern von drei deuteronomistischen Schichten ausgeht. Diese entstanden in unterschiedlichen Phasen des Exils und führten zu einer sukzessiven Erweiterung des Buches.

Auch für das Buch → Ezechiel wurde im Zuge der Deuteronomismusforschung der 1970er Jahre deuteronomistischer Einfluss angenommen (Hossfeld 1977; Willmes 1984). Die Texte, in denen sich deuteronomistische Sprache und Gedanken finden, werden in der neueren Forschung jedoch nicht mehr als Werke einer deuteronomistischen Redaktion gesehen. Vielmehr hätten sich spätere Bearbeiter des Ezechielbuchs mit deuteronomistischen Kreisen auseinandergesetzt und zu diesem Zweck auch Begriffe der Gegenseite aufgenommen (Krüger 1989; Pohlmann 1992).

Prophetenbücher Tabelle 01

Für das → Zwölfprophetenbuch wies erstmals W.H. Schmidt (1965) in der → Amosschrift eine deuteronomistische Redaktionsschicht auf. Ihm folgend rekonstruierten Nogalski (1993), Schart (1998), Albertz (2001) und Wöhrle (2006) ein Mehrprophetenbuch, das Vorläufer der Schriften → Hosea, → Amos, → Micha und → Zefanja umfasste. Nogalski (1993) und Schart (1998) bezeichnen diese Vorstufe des Zwölfprophetenbuchs als ‚Deuteronomistic Corpus’ (Nogalski 1993) resp. ‚D-Korpus’ (Schart 1998), während Albertz (2001) und Wöhrle (2006) neutraler von einem Vierprophetenbuch sprechen, das von deuteronomistisch geprägten Redaktoren bearbeitet wurde. Der jeweils angenommene Textumfang variiert, wie Tabelle 1 veranschaulicht.

Neben der redaktionellen Überarbeitung vor-deuteronomistischer prophetischer Texte kann Wöhrle (2006) zeigen, dass die Struktur des Deuteronomistischen Geschichtswerks und die Struktur des Vierprophetenbuchs parallel gehen. 2Kön 17f.22-25 fungiere als Vorlage für das D-Korpus. Er weist Parallelen und Stichwortübereinstimmungen zwischen 2Kön 17 und zum Vierprophetenbuch gehörenden Abschnitten der Bücher Amos und Hosea, zwischen 2Kön 18 und dem exilischen Umfang des Michabuchs sowie von 2Kön 22-25 und dem Buch Zefanja auf. Die Reihenfolge der Bücher ist von der Vorlage in 2Könige abhängig. Dies erklärt wiederum die Voranstellung des Buches Hosea vor das Buch Amos, obwohl dieses geschichtlich früher einzuordnen ist.

Die verschiedenen Studien zeigen also, dass deuteronomistische Formulierungen und Gedanken einerseits die Geschichtsdarstellung der Vorderen Propheten prägen, sich aber andererseits auch in den Hinteren Propheten finden. Dies ist ein starkes verbindendes Element der beiden Teile des Kanonteils Propheten / Nebiim. Einzig bei Kaiser klingt die Vorstellung an, dass die Redaktoren des Jesajabuchs und die Autoren des deuteronomistischen Geschichtswerkes unabhängig voneinander ähnliche Gedanken entwickelten. Mehrheitlich dagegen werden die Passagen, in denen typisch deuteronomistischer Sprachgebrauch erscheint, als sekundäre literarische Aufnahme von Gedanken aus dem → Deuteronomium und dem → Deuteronomistischen Geschichtswerk verstanden, die von Redaktoren in die Bücher der Hinteren Propheten mit dem Ziel eingetragen wurden, die Botschaft der Propheten an die Geschichtsdarstellung anzugleichen.

3.5. Redaktionelle Verbindungen

Innerhalb der einzelnen prophetischen Bücher finden sich Aufnahmen von Worten und Themen aus anderen Schriften der Hinteren Propheten. Am engsten sind das Jesajabuch und das Zwölfprophetenbuch aufeinander bezogen, was schon daran deutlich wird, dass beide dasselbe Wort über die Völkerwallfahrt zum Zion enthalten (Jes 2,2-4 // Mi 4,1-3). Aber auch die anderen Bücher weisen signifikante Verbindungen auf.

3.5.1. Jeremia- und Ezechielbuch

Die Verbindung von Jeremia- und Ezechielbuch zeigt Pohlmann in seinen Studien zu den beiden Büchern auf. Ausgehend von einer Analyse des Jeremiabuchs erhob er redaktionsgeschichtlich Texte einer sog. Golaredaktion, deren Spuren er anschließend auch im Buch Ezechiel aufwies. Ziel der Golaredaktion sei es, „vorgegebene Texte dahingehend zu überarbeiten, daß allein und ausschließlich die babylonische Gola (unter → Jojachin) als legitime Nachfolgerin des alten ‚Israel’ in Jahwes Heilsplan erscheint“ (Pohlmann 1978, 183). Bezogen auf das Jeremiabuch bedeutet dies, dass das Handeln JHWHs unter Zedekia als endgültiges Vernichtungsgericht zu verstehen ist, während „die Ereignisse unter Jojakin, die erste Exilierung, als ein Gerichtshandeln Jahwes zu werten [ist], das im Vollzug zugleich Beginn eines Heilshandeln Jahwes bedeutet“ (Pohlmann 1978, 185).

Das Ergehen der unter Jojachin Deportierten ist zugleich Thema des Ezechielbuchs. In diesem weist Pohlmann ebenfalls die Tätigkeit einer auf die Gola bezogenen Redaktion nach, die die Auffassungen der im Jeremiabuch zu beobachtenden Überarbeitung überkommener Texte bezogen auf die Vorrangstellung der aus der babylonischen Diaspora zurückkehrenden Judäer begründet (Pohlmann 1996, 27). Im Buch Ezechiel lässt sich über die golaorientierte Redaktion des Jeremiabuchs hinaus feststellen, dass zwischen der ersten Gola (unter Jojachin) und der (weiter gefassten) Diaspora getrennt wird. Mit dem Buch Ezechiel kommt neben dem Ergehen der ersten Deportiertengruppe also auch das Ergehen des Diasporajudentums in späteren Zeiten in den Blick. Hier ist anders als im Jeremiabuch zwischen einer gola- und einer diasporaorientierten Redaktion zu unterscheiden. Die golaorientierten Redaktionsschichten verbindet Pohlmann mit der Durchsetzung des aus Babylon nach Jerusalem zurückkehrenden Judentums in der Zeit zwischen dem Wirken → Nehemias und der Abfassung der → Chronik. Die diasporaorientierte Redaktion des Ezechielbuchs hingegen ist jüngeren Ursprungs.

Auch wenn Pohlmanns redaktionsgeschichtlicher Ansatz in der Prophetenforschung bei der Analyse der Einzeltexte aufgrund ihres teilweise tendenzkritischen Vorgehens, teilweise aufgrund seiner schnellen Übertragungen der am Jeremiabuch aufgezeigten Beobachtungen auf das Ezechielbuch wiederholt kritisiert wurde, so wird aus seinen Studien deutlich, dass die sozialen Spannungen im nachexilischen Juda in späteren Redaktionsstufen der Bücher durchaus zu einer thematischen Annäherung von Jeremia- und Ezechielbuch führten. Diese band die beiden Bücher aneinander, so dass sie als eine aus zwei unterschiedlichen Positionen heraus gesprochene Botschaft erscheinen.

3.5.2. Jesaja- und Zwölfprophetenbuch

Der enge Zusammenhang von Jesaja- und Zwölfprophetenbuch wurde von Bosshard-Nepustil (1997) eingehend untersucht. Seiner Meinung nach diente den verschiedenen Redaktoren des späteren Zwölfprophetenbuchs die zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegende Fassung des späteren Jesajabuchs als Vorlage, nach der sie das jeweilige Mehrprophetenbuch gestalteten.

Eine erste Stufe erkennt er zu Beginn des 7. Jh.s v. Chr., in dem nach 701 v. Chr. die Bücherreihe Hosea, Amos, Micha an den aus der Zeit des → syrisch-ephraimitischen Kriegs stammenden Texten des Jesajabuchs ausgerichtet werden. „Der Beginn dieser Zusammenhänge und also auch des Corpus propheticum liegt in der Bücherfolge Hos, Am, Mi mit Ausrichtung an IJes, womit eine Konstellation gegeben ist, die sich für den Werdegang des Corpus propheticum als prägend erweist, zieht sich doch die Ausrichtung des Zwölfprophetenbuchs an (I)Jes wie ein roter Faden durch seine Entwicklung“ (Bosshard-Nepustil 1997, 435). Während die Grundlage von Jesaja in dieser Zeit um Gerichtsansagen gegen Assur erweitert wurden (Jes 1,4-8; Jes 3,16f.24; *Jes 10,5-15; *Jes 14,4b-20a; Jes 31,1.3f.8a; Jes 32,9-14), wurden Hosea, Amos und Micha nach der dann entstehenden Vorlage formiert. Während sich in der Manasse-Zeit eine erste grundlegende → Zionstheologie vor allem außerhalb des Jesajabuchs bildete (Abfassung von 2Kön 18-20), postuliert Bosshard-Nepustil für die Josia-Zeit im Anklang an die Studie von Barth (1977) eine Assur-Redaktion, in der eine zionstheologisch geprägte, national bestimmte Konzeption in das Buch eingetragen wird, die sich auch auf die nächste Redaktionsstufe des Zwölfprophetenbuchs auswirkte: „Mit Erweiterungen jedenfalls in Mi und unter Anfügung eines Teils von ‚Nah‘ als neuen Schlußteil von Mi (Mi 4,8; 5,1.3a.5b; Nah 1,1a.11.14; 2,2.*4ff.; [*]3), wird das Zwölfprophetenbuch – jetzt als Hos, Am, Mi+Nah – gleichsam auf den Stand von IJes (Assur-Red.Jes) gebracht (Heil für das Gottesvolk; mit starker Betonung des Endes Ninives)“ (Bosshard-Nepustil 1997, 436). Der Untergang Jerusalems mit der Zerstörung von Tempel und Stadt (→ Zerstörung Jerusalems) löste eine nächste Redaktionswelle innerhalb der prophetischen Schriften aus. Deuteronomistische Redaktionen wurden in dieser Zeit vor allem an Hosea, Amos, Micha+Nahum sowie an dem mittlerweile in seinem Grundbestand verfassten Jeremiabuch durchgeführt. Einzig → Jesaja und → Habakuk wurden von diesen Prozessen kaum betroffen. In den vom Deuteronomismus geprägten prophetischen Kreisen wurden Hosea, Amos, Micha+Nahum, Jeremia wohl in dieser Reihenfolge als Pendant zum Deuteronomistischen Geschichtswerk gelesen. „Lange haben die Deuteronomisten bzw. die von ihnen beeinflußten Tradenten allerdings nicht das letzte Wort in den Propheten. Wohl bald nach 562 v. Chr. kann sich schon die ‚Heil im Gericht‘-Schicht in Jer mit der Gegenwart im Land wieder einigermaßen abfinden, und in eine ähnliche Richtung weisen dann auch die Assur/Babel-Red.Jes(+Jer) – Mit Jes *36-39 aus 2Kön 18-20! – und die Assur/Babel-Red.XII, die das dtr beeinflußte Terrain gleichsam wieder zurückerobern“ (Bosshard-Nepustil 1997, 438). Die Anfügung Jes 36-39 dient nach Bosshard-Nepustil dazu, Jesaja und Jeremia zu verbinden, da das in Jes 39 angesagte Unheil nach der Botschaft des Jeremia eintritt. „Auffällig ist, daß die Assur/Babel-Red. Jes(+Jer) und die Assur/Babel-Red.XII [hier im Umfang Hos, Joel, Am, Mi+Nah, Hab, Zef Anm. TW] ihre Texte weniger in den dtr beeinflußt bearbeiteten Büchern selbst platzieren als eher daneben: in IJes vor Jer, in Joel, Hab und Zeph zwischen und nach Hos, Am, Mi+Nah. Die dtr Position wird so gleichzeitig berücksichtigt und aus einer veränderten Perspektive gelesen“ (Bosshard-Nepustil 1997, 438). Von besonderer Bedeutung für die Assur/Babel-Red.XII ist das Buch Zefanja, da dieses auf 2Kön 22f. Bezug nimmt und mit der Darstellung der Josia-Zeit im Deuteronomistischen Geschichtswerk das Reinigungsgericht als Vollendung der josianischen Reform annimmt. In engem Anschluss an die Assur/Babel-Red.Jes(+Jer) werden die Bücher Jesaja und Jeremia kurz vor 539 v. Chr. und mit Blick auf das nahe Ende der babylonischen Vorherrschaft erneut redigiert. Die zu dieser Zeit durchgeführte Babel-Red.Jes(+Jer) postuliert den baldigen Fall Babylons und die Heimkehr der Exilierten nach Jerusalem. Hier findet der mit der Assur/Babel-Red.XII angekündigte Reinigungsprozess sein Ende. „Erst um 520 v. Chr. (Aufstände in Babel und ihre Niederschlagung, Erschütterung des persischen Reichs, Heimkehr unter Serubbabel), als man erwarten darf, daß es jetzt mit Babel endlich ein Ende hat, wird auch das Zwölfprophetenbuch redigiert, wobei die neue Redaktion hier, die Babel-Red.XII, sich von der Assur/Babel-Red.XII, wie kaum anders zu erwarten, etwas mehr abhebt als die Babel-Red.Jes(+Jer) von der Assur/Babel-Red.Jes(+Jer). Dies hängt teilweise auch mit dem literarischen Bezugshorizont der Babel-Red.XII zusammen, bezieht sich diese doch nicht mehr nur auf eine Bücherfolge IJes – Jer, sondern auf eine inzwischen erweiterte Folge IJes – Jer (+) Thr (+) IIJes; die überraschende Position von IIJes hinter Jer wird nicht zuletzt durch die Verbindung zwischen dem nun Hos, Joel, Am, Mi, Nah (als eigenes Buch), Hab, Zeph und Sach umfassenden Zwölfprophetenbuch der Babel-Red.XII und den großen Propheten nahegelegt“ (Bosshard-Nepustil 1997, 441). Eine Verschiebung zwischen den beiden Babel-Redaktionen gibt es, indem zunächst das Ende Babels durch das Wirken der Meder und Elamiter, dann allein durch JHWHs Eingreifen angenommen wird.

In persischer Zeit wurde schließlich die Position der außerhalb Jehuds lebenden jüdischen Bevölkerung stärker, so dass bis zur Mitte des 5. Jh.s v. Chr. golaorientierte Redaktionen der prophetischen Bücher durchgeführt wurden, die dem → Chronistischen Geschichtswerk theologisch nahe stehen. „Was uns hier speziell interessiert, ist die Tatsache, daß mit den golaorientiert geprägten Überarbeitungen, wie breit gestreut sie sachlich und zeitlich sein mögen, eine Sachperspektive greifbar ist, die sich mit den/der in IJes vertretenen Konzeption(en) nur bedingt verträgt, womöglich kritisch darauf reagiert, sich in IJes auch nicht niederschlägt, im Zwölfprophetenbuch aber eindringt“ (Bosshard-Nepustil 1997, 442). Stattdessen wurde → Protojesaja durch eine Völker-Red.Jes bearbeitet, die verschiedene Vorverweise auf Jeremia, → Deuterojesaja und Ezechiel mittels einer eschatologischen Perspektive für die Völkerwelt eintrug. Eine vergleichbare Redaktion erfolgte auch im Zwölfprophetenbuch (Völker-ErgänzungenXII in Ob 1-14.15b; Mi 4,1-4; Sach 8,20-22). Nach Artaxerxes’ III. Vorgehen gegen Sidon 343 v. Chr. wurde Protojesaja um Jes 19,11-15; Jes 20,6; *Jes 23,1b-14 ergänzt, damit aber bei weitem nicht so ausführlich wie das Zwölfprophetenbuch. In diesem hebt sich von den Völker-ErgänzungenXII eine Schicht ab (Jon 1,1-2,1/2.11; Jon 3,1-4,11; Zef 2,11; Zef 3,1-7; Mal 1,2-5; *Mal 1,6-2,9; Mal 3,6-12). „Hier wendet sich das Interesse klar der Gegenwart zu, den (kultischen) Freveln des Gottesvolkes und dem darum noch ausbleibenden Segen, und der Jahweverehrung der Völker, die sie schon jetzt je an ihrem Ort vollziehen (ohne Edom)“ (Bosshard-Nepustil 1997, 443). Mit der sich im Zwölfprophetenbuch auf dieser literarischen Stufe ausprägenden Theokratievorstellung wird eine direkte Beziehung zu Ez konstituiert, die darauf hindeutet, dass das letzte der großen Prophetenbücher bis zu diesem Zeitpunkt Bestandteil des Prophetencorpus geworden ist. Eine weitere Bearbeitung der Prophetenbücher schlug sich nach 332 v. Chr. und der Eroberung von Tyrus durch Alexander nieder. In Protojesaja erfolgte dieses durch *Jes 23,1-12, im Zwölfprophetenbuch mit den Ergänzungen Mi 5,3b.4a; Sach 9,1-10,2. Die Ergänzungen spiegeln „den Zug Alexanders entlang der phönikisch-philistäischen Küste, wobei Alexander insgesamt kaum im Sinn einer tieferen geschichtlichen Zäsur, sondern eher in gewisser Kontinuität zum persischen Großkönig gesehen wird“ (Bosshard-Nepustil 1997, 444). Nimmt man den Bestand der Prophetenbücher zur Zeit Alexanders in den Blick, so ergeben sich nach Bosshard-Nepustil folgende Bezüge innerhalb der Schriftprophetie:

Protojesaja <=> Hos – Joel – Am – Ob – Jon – Mi – Nah

Jeremia + Klagelieder + Deuterojesaja <=> Hab – Zef – Hag

Ezechiel <=> Sach 1-8; 9 – Mal.

4. Die Entstehung des Kanonteils Propheten / Nebiim

Eine erste Hypothese, wie der Kanonteil Propheten / Nebiim als Ganzer gewachsen sein könnte, legte O.H. Steck (1991) vor. Ausgangspunkt seiner Analyse sind Fortschreibungen des Jesaja- und des Zwölfprophetenbuchs seit den Feldzügen Alexanders d.Gr. auf der Levante. Anders als Bosshard-Nepustil nimmt er in den späteren Redaktionsstufen keine durchgehende Abhängigkeit der Fortschreibungen des Zwölfprophetenbuchs von den Bearbeitungsschichten des Jesajabuchs an. Stattdessen identifiziert er in der Zeit nach dem Auftreten Alexanders d.Gr. sieben Bearbeitungen (Steck 1991, 71.105).

Einen ersten Reflex auf die Ausbreitung griechischer Herrschaft findet sich zunächst in Sach 9,1-10,2. Diese Vorstufe I des Mehrprophetenbuchs dient als Ergänzung zwischen Sach 8 und den ursprünglich mit Sach 1-8 verbundenen Texten Mal 1,2-2,9; Mal 3,6-12. Diese Schicht datiert Steck in die Zeit zwischen 332 und 323 v. Chr. In den Jahren bis 315 v. Chr. wurde dieser Textbestand um eine zweite Vorstufe des Mehrprophetenbuchs durch die Hinzufügung von Sach 10,3-11,3 erweitert. Entsprechungen dazu finden sich im sich konstituierenden (Groß-)Jesajabuch Jes *1-62, das ca. 312/311 v. Chr. als Zusammenschluss von Jesaja und dem um Jes 60-62 erweiterten Deuterojesajabuch geschaffen wurde. Dieses Werk wurde in der Zeit bis 302/301 v. Chr. vor allem im Blick auf Probleme und Bedingungen der Teilnahme des gesamten israelitischen Volkes an der verheißenen Heilszeit (Jes *56-59; 65f.) erweitert. Dieselbe Problemstellung wird in der Fortschreibung des Mehrprophetenbuchs in Sach 11,4-13,9 kurz nach der Erweiterung des Jesajabuchs aufgenommen. In einer weiteren Fortschreibung werden das Jesajabuch schließlich um Jes 63,7-64,11 (zwischen 302/301 und 270 v. Chr.) und nachfolgend um Jes 19,18-25 (um 253 v. Chr.) sowie das Mehrprophetenbuch um Sach 14; Mal 2,17-3,5.13-21 (zwischen 240 und 220 v. Chr.) ergänzt.

Das so gebildete Corpus propheticum (mit Einschluss von Jeremia und Ezechiel zwischen den beiden rahmenden Büchern Jes und 12Proph) besitzt die Funktion, die Geschichte der Prophetie seit ihren Anfängen bis in die Gegenwart zu bewahren. „Den Überschriften ist zu entnehmen, daß seit den ‚Tagen der judäischen Könige Usia, Jotam, Ahas und Hiskia‘ (Jes 1,1; Hos 1,1) bis in die Zeit des Königs Darius (Sach 7,1) Schriftpropheten geredet haben zu Vorgängen von ihrer weit zurückliegenden eigenen Königszeit an; sie haben aber darüber hinaus geredet bis zu Vorgängen der Tradentengegenwart in der Ptolemäerzeit und deren Zukunft in Weltgericht Jahwes und Heilswende; die Prophetenbücher umfassen also das Ergehen des Gottesvolkes von der Königszeit oder gar noch weiter zurück bis zur künftigen Heilsvollendung. […] Es fällt auf, daß sich diese vom Corpus propheticum freigegebene Grundperspektive nicht in der Sprache, wohl aber in der Konzeption nahe mit der Sicht der Propheten in der Spätphase der Ausbildung des dtr. Geschichtsbildes, wie es in Belegen aus wenig jüngerer Zeit entgegentritt, berührt – eine Beobachtung, die Bedeutung hat für den Sachverhalt, daß sich bald darauf dieses Corpus mit dem verbliebenen Teil des dtr. Geschichtswerks (Jos – 2Kön) zu Nebiim verbinden wird“ (Steck 1991, 123f.).

Mit der Zusammenführung dieser beiden ursprünglich getrennten Corpora wird die dem Corpus propheticum eigene Perspektive auf Juda / Jerusalem geweitet und auf Gesamtisrael bezogen. Dies erfolgt zunächst in einer weiteren Redaktion des Corpus propheticum, in der Mal 2,10-12 sowie die Überschriften Sach 12,1; Mal 1,1 eingefügt wurden. „Sie sind im Anschluß an die ältere, aber anders formulierte und orientierte (Fremdvölkerorakel) Überschrift von […] Sach 9,1 gebildet, in sich auffallend übereinstimmend formuliert und vor allem durch die ausschließliche Verwendung des Begriffs ‚Israel‘ für das Gottesvolk bemerkenswert“ (Steck 1991, 128f.).

Erst auf der Stufe der redaktionellen Zusammenführung von Jos-2Kön und Corpus propheticum werden die das neu gestaltete Maleachibuch, das den Abschluss der prophetischen Verkündigung darstellt, beendenden Verse Mal 3,22-24 angehängt. Sie korrespondieren mit der Ausrichtung auf die Tora des Mose, die in Jos 1,7 hervorgehoben wird. „In Jos 1 ist betont, daß Josua bezüglich Tora ja von Mose instruiert worden ist, also der erste Prophet nach Mose (Dtn 18) in einer ganzen Folgereihe ist, wie sie das dtr. Geschichtswerk bzw. Nebiim (mit Maleachi am Ende) dann bieten; in Mal 3,22 hingegen weist Jahwe durch Maleachi selbst darauf hin, daß Mose dies Tora für Israel am Horeb von ihm, Jahwe, erhalten hat – Dienste des Rückverweises auf Dtn und im Sinne dieses Rückverweises auf die Schriftensammlung Tora im ganzen“ (Steck 1991, 135). Auf diese Weise wird der Kanonteil Propheten / Nebiim zur geschichtlichen Explikation der Tora bis hinein in die erwartete Zukunft. Zugleich wird die Prophetie damit abgeschlossen, was einem Zweck dient: „die Abwehr spontan-aktuell prophetischer Weisungen und Einschätzungen bezüglich der Qualifikation der real-politischen Vorgänge der Zeit innen wie außen, mögen sie proptolemäisch oder proseleukidisch optieren“ (Steck 1991, 168f.). Damit verfolgt die Formierung der Nebiim einen eschatologischen Vorbehalt: „Die Restitution des Gottesvolkes in seinem Land ist Zukunft und Ziel; sie wird weissagungsgemäß allein das eschatologische Werk Jahwes sein, das Heil, dem jetzt jahwegemäßes Verhalten korrespondiert“ (Steck 1991, 169). Als terminus ad quem der Entstehung der Nebiim nennt Steck schließlich die Abfassung von Sir 38f., die er in die Mitte der ersten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. datiert.

Die von Steck (1991) und in seiner Folge von Bosshard-Nepustil (1997) geäußerten Thesen sind für die alttestamentliche Forschung dahingehend von Interesse, als dass sie eine bis dahin nicht beachtete Fragestellung aufnehmen und erste Konzepte vorlegen. Beide Studien sind methodisch jedoch problematisch, da die angezeigten Textschichtungen häufig auf Stichwortassoziationen basieren, inhaltlich aber nur geringe Anklänge aufweisen.

Die Ausbildung des Kanonteils Propheten / Nebiim erfolgte nach Steck in mehreren Phasen und ist das Ergebnis eines längeren Redaktionsprozesses, der sowohl die Abtrennung des Deuteronomiums von den weiteren deuteronomistischen Schriften sowie die Konstituierung der Tora voraussetzt. Darauf deutet der direkte Bezug in Jos 1,7 und Mal 3,22 auf die Stellung des Mose für die Tora. Diese so entstehende Rahmung der Propheten / Nebiim und der auf diese Weise geschaffene explizite Torabezug des zweiten Kanonteils deuten darauf hin, dass der durch die Zusammenstellung des Deuteronomistischen Geschichtswerks und der schriftprophetischen Bücher hervorgerufene Abschluss der Prophetie auf die Kanonisierung der Tora hin angelegt ist.

Ein an der Relation von Tora und Propheten ausgerichtetes Konzept der Formung des alttestamentlichen Kanons legt Chapman (2000) vor. Er geht zunächst auf Dtn 34,10-12 und Mal 3,22-24 ein und zeigt dabei auf, dass Dtn 34,10-12 ein redaktioneller Zusatz ist, der verfasst wurde, um die Tora abzuschließen. Die Passage besitzt von Anfang an nur diese Funktion und dient zunächst nicht als Ende eines eigenständigen Deuteronomiums. „As an ‚addition‘ (Fortschreibung) to the entire Torah, Deut 34:10-12 represents the birth of the idea of the biblical canon“ (Chapman 2000, 129f.). Die in Dtn 34,10-12 dargebotene Deutung Moses als Knecht Gottes, Gesetzesmittler und Prophet spielt auf drei entscheidende Aspekte an, durch deren Zusammenführung die alttestamentlichen Schriften eine gemeinsame Ausrichtung erhalten. Dieses spiegelt sich Mal 3,22-24 wider. Anders als Dtn 34,10-12 wurde Mal 3,22-24 ursprünglich nicht als Abschluss eines Corpus oder gar eines Kanonteils verfasst, sondern diente alleine dazu, das Buch Mal zu beenden (vgl. Chapman 2000, 144). Der Abschluss des Maleachibuchs wurde aus unterschiedlichem Traditionsmaterial gebildet, durch das Bezüge zu Jos 1,2.7; Jo 3,1-5 und 1Kön 17-21 sowie zu Dtn 34,10-12 entstanden. Diese Redaktionstätigkeit weist Chapman späten deuteronomistischen Kreisen zu. „Deuteronomistic and deuteronomistic-style redactions consistently characterize the pre-exilic prophets as ‚servants of God‘ […]“ (Chapman 2000, 142). Solch eine Kohärenz in die Botschaft der alttestamentlichen Schriften bringenden deuteronomistischen Zusätze identifiziert Chapman sowohl in der Tora (Dtn 31-34; Jos 23f.), innerhalb der Nebiim (2Kön 17,7-23; 2Kön 21,10-15; Jer 6,19; Jer 11,1-5; Jer 26,4-6; Sach 1; Sach 7f.), als auch in weiteren Schriften des Alten Testaments (1/2Chr, Esr/Neh). Dtn 34,10-12 ist damit für die Ausbildung des Kanons und somit auch für den Abschluss des Kanonteils Propheten / Nebiim zentral, da erst durch den Abschluss der Tora die Bindung der Nebiim an die Tora sowie die literarische Brücke zwischen Dtn 34,10-12; Jos 1,2.7f. und Mal 3,22 entsteht, durch die die beiden Kanonteile einander zugeordnet sind.

Ein die Relation Tora – Propheten / Nebiim und ihre Bedeutung für die Ausbildung des zweiten Kanonteils bestärkendes Argument bringt schließlich Christensen (1993) in die Diskussion ein. Er sieht die Komposition der Propheten / Nebiim als von der Tora abhängig.

Christensen geht von einem mehrstufigen redaktionellen Prozess innerhalb der Tora aus, der sich auf die Reihung der Prophetenbücher auswirkte. Er nimmt zunächst einen Grundbestand der Tora mit den Büchern Exodus bis Numeri an, der in einem ersten Schritt um das Deuteronomium ergänzt wurde. Nach der Zusammenführung dieses Werkes bildete sich aus den Büchern Josua, Richter, Samuel und Könige ein Werk, das sich in Form eines Chiasmus auf die ersten vier Bücher bezog. Auf der nächsten Stufe wurden anschließend die Erzvätererzählungen und die Propheten ergänzt. „The Torah and the Former Prophets were subsequently framed by two new blocks of material, which ultimately become the book of Genesis and the Latter Prophets of the Masoretic tradition“ (Christensen 1993, 49). Die neu geformten Anteile stehen in einem Entsprechungsverhältnis. Die Väter bestehen aus Abraham, Isaak, Jakob und seinen 12 Söhnen, die Propheten aus Jesaja, Jeremia, Ezechiel und den zwölf kleinen Propheten. Innerhalb dieses Werkes gewinnt das Deuteronomium zunehmend an Bedeutung, da es die älteren Traditionen abschließt und seine Gedanken aufgrund der Anteile deuteronomistischer Redaktion in den weiteren Büchern prägend sind. Von dieser Stufe aus entwickelte sich der Kanon sukzessive weiter (→ Kanon).

5. Die Reihenfolge der Bücher des Kanonteils Propheten / Nebiim in den Codices

Nachrichten über die Reihenfolge der Bücher innerhalb des Kanonteils Propheten / Nebiim enthält in der jüdischen Tradition erstmals der Traktat Baba Batra des Babylonischen Talmud (bBB 14b): „Die Reihenfolge der Propheten: Josua, Richter, Samuel, Könige, Jeremia, Ezechiel, Jesaja und die zwölf Propheten.“ Da die Abfolge, die Jeremia vor Jesaja stellt, sonst nicht belegt ist, soll vielleicht nur der Umfang, aber nicht die genaue Reihenfolge innerhalb des Corpus festgelegt werden.

Prophetenbücher Tabelle 02

Ende des 4. Jh.s n. Chr. bietet Hieronymus im Prologus galeatus, dem Vorwort zur Vulgata-Edition der Samuel- und Königsbücher, die im Judentum gebräuchliche Reihung der Bücher. Als zweiten Abschnitt „secundum Prophetarum ordinem“ bietet er die Liste Josua, Richter (mit → Rut), Samuelbücher, Königsbücher, Jesaja, Jeremia (mit → Klagelieder), Ezechiel, „liber duodecim Prophetarum“. Gegenüber bBB 14b weicht diese Darstellung an drei Stellen ab. Zum einen wird Jesaja vor Jeremia und Ezechiel eingeordnet, zum anderen werden die Bücher Richter (um Rut) und Jeremia (um Klagelieder) erweitert. Eine Zuweisung von Rut und Klagelieder zu den Propheten / Nebiim findet sich nicht mehr seit der Ausbildung der fünf → Megillot im 6. Jh. n. Chr. Variationen in der Reihenfolge der Hinteren Propheten kommen jedoch verschiedentlich bis ins 17. Jh. n. Chr. vor.

Die Reihung Josua bis 2Könige und der Anschluss der weiteren Schriftprophetenbücher etablierte sich weitgehend, auch wenn einige wenige Handschriften davon abweichen.

Prophetenbücher Tabelle 03

Die von Hieronymus vorgegebene Reihenfolge der Hinteren Propheten ist mehrheitlich bezeugt, wie ein von Brandt (2001, 143f.) dargebotener Überblick über Handschriften zeigt (Tabelle 3).

Die bereits im „Lob der Väter“ (Sir 48,20-49,10 [Lutherbibel: Sir 48,22-49,12]) angeführte Reihenfolge Jes – Jer – Ez – 12Proph ist die am häufigsten belegte Reihenfolge, die als einzige in die Druckausgaben übernommen wird. Ein Fixpunkt, der nur in wenigen Handschriften mit noch anderen Reihungen aufgegeben wird, ist die Platzierung des Zwölfprophetenbuchs am Ende des Kanonteils. Die Ordnung der Bücher folgt dementsprechend entweder einem chronologischen (so Jes – Jer – Ez – 12Proph) oder einem literarischen Schema (so alle anderen Reihungen).

Anders als in der hebräischen bildete sich in der griechischen (christlichen) Tradition eine abweichende Reihenfolge des Prophetencorpus aus.

Dies ist bereits in den von Melito von Sardes um 170 n. Chr. (in → Eusebius, Hist. Eccl. IV 26,12-14) und von → Origenes (frühes 3. Jh. n. Chr. in Eusebius, Hist. Eccl VI 25,1-2) bezeugten Reihungen der Fall. Melito unterteilt die Schriften in zwei Kanonteile, was sicherlich der im NT wiederholt überlieferten Trennung in „Gesetz und Propheten“ entspricht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Melito Esdras zu den prophetischen Schriften zählte (vgl. Brandt 2001, 74f.).

Prophetenbücher Tabelle 04

Der sich in der Tradierung der LXX ausprägende Oktateuch, der neben dem Pentateuch die Schriften Jos – Ri – Rut umfasst, und die Anhängung der geschichtlichen Bücher an diesen, führt dazu, dass der Prophetenteil nur aus den „Schriftpropheten“ bestand. Zwischen dem 8. und dem 15. Jh. n. Chr. sind eine höhere Anzahl reiner Propheten-Handschriften entstanden, die durchweg die Reihung 12 + 4, also Dodekapropheton (Hos – Am – Mi – Joel – Obd – Jona – Nah – Hab – Zef – Hag – Sach – Mal) – Jes – Jer (mit Bar – Klgl – EpJer) – Ez – Dan (mit Sus – Bel) aufweisen. Sie greifen auf ältere Traditionen zurück. Diese Reihung ist bereits im Codex Vaticanus (4. Jh. n. Chr.) und im Codex Alexandrinus (5. Jh. n. Chr.) bezeugt. Spätere, übergreifende Manuskripte entsprechen der Reihung des Codex Sinaiticus (4. Jh. n. Chr). In ihnen wird das Dodekapropheton an das Ende des Prophetenteils gestellt. Innerhalb des Kanons findet sich der Prophetenteil meist entweder vor oder nach den Weisheitsschriften. Abweichungen innerhalb der Reihung des Dodekapropheton finden sich nur in zwei Minuskeln. Der Codex Basiliano-Venetus (8./9. Jh.) bezeugt die Reihenfolge Hos – Am – Joel – Obd – Jona – Mi – Nah – Hab – Zef – Hag – Sach – Mal, der Codex Tauriniensis (9. Jh.) die Reihung der hebräischen Tradition.

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