Leben
(erstellt: April 2008)
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1. Lebensbeginn
Die Vorstellungen vom Beginn des Lebens (hebr. חַיִּים ḥajjîm) sind im Alten Testament eng mit dem → Schöpfungsglauben
Eine weitere Vorstellung vom Lebensbeginn stellen die Bilder einer vorgeburtlichen Entstehung des Menschen dar: Gott der Schöpfer „formt“ wie ein Töpfer den Menschen im Mutterleib (יצר jṣr; Jes 44,2
2. Merkmale und Kennzeichen des Lebens
Grundlegendes Merkmal des Lebens ist die „Lebendigkeit / Vitalität“ aller Lebewesen. נֶפֶשׁ næfæš („Kehle / Leben / Lebendigkeit / Vitalität“; oft missverständlich mit „Seele“ übersetzt) ist der zentrale Begriff des alttestamentlichen Lebensverständnisses und beschreibt den Menschen als ein „vitales Selbst“, das sich durch Lebenskraft, Lebendigkeit und Vitalität auszeichnet (→ næfæsch
Leben ist Gabe und Geschenk Gottes. Gott der Schöpfer erschafft das Leben durch die Gabe des „Lebensatems / Lebensgeistes“ (s.o.). Er ist Begründer und Erhalter des Lebens: Er gibt Leben (נתן ntn; Dtn 30,15
Konstitutiv für das alttestamentliche Lebensverständnis ist eine relationale Bestimmung des Lebensbegriffs: Leben ist Leben in Bezügen. Entsprechend der „Ganzheitlichkeit“ und Mehrdimensionalität des alttestamentlichen Menschenbildes (s. dazu Janowski, 44) lassen sich drei Ebenen unterscheiden:
1. Transzendente Ebene: Die Gottesbeziehung ist von elementarer Bedeutung für das alttestamentliche Lebensverständnis, denn Leben ist eine Gabe Gottes. Die Erschaffung im Mutterleib begründet das enge Vertrauensverhältnis zwischen Gott und Mensch (Ps 22,10f
2. Soziale Ebene (Sozialsphäre): Leben ist nur in sozialen Bezügen möglich. Der Mensch wird in eine Generationenfolge hineingeboren; als lebendiger Mensch ist er eingebunden in sein familiäres und soziales Umfeld. Das Alte Testament spricht dann von Leben, wenn der Mensch in heilvollen Gemeinschaftsbezügen lebt. Dieser Gemeinschaftsaspekt kommt auch in der Dankopferfeier (Toda-Feier) zum Ausdruck, die die Rettung aus einem Tod mitten im Leben als Reintegration in die kultische Gemeinschaft feiert (vgl. die Dankpsalmen Ps 30
3. Körperliche Ebene (Leibsphäre): Leben ist durch körperliche Ganzheit und Unversehrtheit, durch die Einheit der Leibsphäre gekennzeichnet (vgl. Ps 16,9
Dieses relationale Lebensverständnis lässt sich weiter profilieren durch einen Blick auf die jeweiligen Gegenbilder in der Klage- und Todesmetaphorik der → Psalmen
Leben ist nach alttestamentlicher Auffassung mehr als die bloße physische Existenz. Die entsprechenden Begriffe können auf die Beschreibung der Lebensqualität zielen: Das Verb „leben“ (חיה ḥjh) bedeutet nicht nur „am Leben sein / bleiben“, sondern kann sich auf ein langes und erfülltes Leben beziehen; das Nomen חַיִּים ḥajjîm „Leben“ beinhaltet die Bedeutungsaspekte „Lebensfülle“ und „Lebensdauer“. Kennzeichen eines heilvollen und gelingenden Lebens sind u.a.: „Heil / Gesundheit / Frieden“ (שָׁלוֹם šālôm; Spr 3,2.17
Mittel und Weg zum Leben ist nach der alttestamentlichen Gesetzesfrömmigkeit die → Tora
3. Lebensräume
Das alttestamentliche Lebensverständnis zeichnet sich durch seine Bindung an Orte aus; in besonderem Maße gelten → Land
Für die Landverheißungen ist die Zusage eines langen und guten Lebens im Land charakteristisch (vgl. Dtn 5,33
In der Lebensmetaphorik der Psalmen gilt der Tempel als Ort der Lebensfülle und der besonderen Lebenserfahrung in Gottes Nähe; vgl. Ps 36,10
4. Lebenszeit und Lebensphasen
Dem Menschen ist eine bestimmte Lebenszeit, ein „Maß seiner Tage“ (Ps 39,5
Die menschliche Lebenszeit lässt sich in verschiedene Phasen einteilen, auch wenn das Alte Testament für die Strukturierung des Lebenszyklus kein systematisches Konzept entwickelt hat. Es finden sich Hinweise auf unterschiedliche Strukturierungen in drei bis fünf Lebensalter: Säugling / Kleinkind (יוֹנֵק jôneq; עוֹלֵל ‘ôlel / עוֹלָל ‘ôlāl; טַף ṭaf), Kind (יֶלֶד jælæd), junger Mann / junge Frau (נַעַר na’ar / נַעֲרָה na‘ǎrāh; בָּחוּר bāḥûr / בְּתוּלָה bətûlāh), Erwachsener (אִישׁ ’îš / אִשָּׁה ’iššāh; גִּבּוֹר gibbôr) und Alter / Greis (שֵׂיבָה śêvāh; זָקֵן zāqen); vgl. Dtn 32,25
5. Lebensende
Als Ideal galt ein langes, erfülltes Leben, das mit einem natürlichen → Tod
Die Grenze zwischen Leben und Tod wird im Alten Testament unterschiedlich bestimmt. Mit dem Tod endet das diesseitige Leben; der Verstorbene wird begraben und „zu seinen Vorfahren / Vätern versammelt“ (Gen 25,8
Erst in spätalttestamentlicher Zeit entstehen Vorstellungen eines Lebens nach dem Tod: Ez 37,1-14
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, 1973ff
- Theologische Realenzyklopädie, 1977-2004
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 1978-1979
- Neues Bibel-Lexikon, 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, 1992
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., 1998-2007
- Calwer Bibellexikon, 2003
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, 2006
2. Weitere Literatur
- Barth, Chr., 1997, Die Errettung vom Tode. Leben und Tod in den Klage- und Dankliedern des Alten Testaments. Neu herausgegeben von B. Janowski, Stuttgart / Berlin / Köln
- Grohmann, M., 2007, Fruchtbarkeit und Geburt in den Psalmen (FAT 53), Tübingen
- Janowski, B., 2006, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, 2. Aufl. Neukirchen-Vluyn
- Janowski, B., 2003, De profundis. Tod und Leben in der Bildsprache der Psalmen, in: ders., Der Gott des Lebens. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 3, Neukirchen-Vluyn, 244-266
- Liess, K., 2004, Der Weg des Lebens. Psalm 16 und das Lebens- und Todesverständnis der Individualpsalmen (FAT II/5), Tübingen
- Liess, K., 2008, Von der Gottesferne zur Gottesnähe. Zur Lebens- und Todesmetaphorik in den Psalmen, in: van Hecke, P. / Labahn, A. (Hgg.), Metaphors in the Psalms (BEThL), Leuven (im Druck)
- Riede, P., 2007, Noch einmal: Was ist „Leben“ im Alten Testament? ZAW 119, 416-420
- Pola, Th., 2004, Was ist „Leben“ im Alten Testament? ZAW 116, 251f.
- Schmid, K., 2005, Fülle des Lebens oder erfülltes Leben. Religionsgeschichtliche und theologische Überlegungen zur Lebensthematik im Alten Testament, in: Herms, E. (Hg.), Leben. Verständnis. Wissenschaft. Technik. Kongressband des XI. europäischen Kongresses für Theologie 15.-19. September 2002 in Zürich (VWGTh 24), Gütersloh, 154-164
- Utzschneider, H., 2004, Zum Verständnis des Lebens im Alten Testament. Ein Glossar mit sechs Stichworten, GlLern 19, 118-124
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