Deutsche Bibelgesellschaft

Gegenstände, kirchengeschichtsdidaktisch

(erstellt: Februar 2021)

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1. Relevanz historischer Gegenstände

Religion ist ohne Gegenstände nicht vorstellbar. Viele Gegenstände haben eine religiöse Bedeutung (Kruck, 2017) und sind Teil religiöser Kommunikationsprozesse (Beinhauer-Köhler, 2015, 261).

Daher ermöglichen Gegenstände auf unterschiedlichen Ebenen ein Begreifen von Religion. Dies gilt auch für die historische Dimension von Religion: Historische Gegenstände können Zugänge zu vergangenen Formen von Religion und Religiosität eröffnen. Historische Gegenstände sind in diesem Kontext Relikte, die nicht der Kunst (→ Kunst, kirchengeschichtsdidaktisch) zuzurechnen und auch keine literarische Quellen im weitesten Sinne sind (→ Kirchengeschichte, Literatur als didaktischer Zugang), sondern Gegenstände, die im religiösen Kontext eine funktionale Bedeutung hatten bzw. noch heute haben.

Die religionspädagogische Bedeutung der historischen Dimension von Religion wird in der → Kirchengeschichtsdidaktik reflektiert. Dabei kommen sehr unterschiedliche Aspekte in Betracht. Eine Auseinandersetzung mit der Historie ist grundsätzlich notwendig, um die Historizität von Kirche und Glaube zu verstehen (→ Geschichtsbewusstsein), kann aber auch im Kontext kultureller Bildung stehen (→ Geschichtskultur, kirchengeschichtsdidaktisch), Teil einer Erinnerungskultur (→ Erinnerung/Erinnerungslernen) sein und im Rahmen individueller religiöser Lernprozesse sein wie z.B. dem → biographischen Lernen anhand historischer Personen oder historischer Praktiken. Gegenstände können grundsätzlich in allen diesen Bereichen eine didaktische Bedeutung haben, indem sie Zugänge zu historischen → Lebenswelten und Ereignissen und der mit ihnen verbundenen religiösen Praxis eröffnen und diese vergegenwärtigen (→ Vergegenwärtigung, kirchengeschichtsdidaktisch). Wesentlich ist dabei, dass die Gegenstände einen Gegenwartsbezug haben und so eine Funktion im Kontext religiösen Lernens übernehmen können. Die Fremdheit des historischen Gegenstandes kann dabei sowohl eine kritische wie auch eine stabilisierende Funktion haben (→ Fremdheit als didaktische Aufgabe).

Historische Sachquellen ermöglichen ein Lernen mit allen Sinnen und können → Schülerinnen und Schüler motivieren, sich mit Historischem auseinanderzusetzen (Heese, 2007, 11-12), da sie in der Regel ein Interesse an Authentischem und Originalem haben (Schneider, 2002, 370). Dies liegt auch an der „Aura“, die originale Sachquellen umgibt (Heese, 2007, 22). Dennoch werden historische Sachquellen auch im Geschichtsunterricht wenig verwendet (Schneider, 2013, 362-364).

Die Erforschung materieller Kulturen spielt in der historischen, kulturwissenschaftlichen und religionswissenschaftlichen Forschung gegenwärtig eine große Rolle (Samida u.a., 2014). Die Zeitschrift Material Religion, die seit 2005 als Open Journal erscheint, hat sich als Organ für entsprechende Forschungen etabliert. In der Religionswissenschaft steht der „material turn“ im Kontext einer Neuausrichtung des Faches, die Wissenschaft und Glaube stärker trennt (Beinhauer-Köhler, 2015, 263). Im Bereich der Theologie und speziell der kirchenhistorischen Forschung hat der „material turn“ insgesamt noch wenig Einzug gehalten (Miller, 2015ab). Rezipiert wurde der „material turn“ u.a. in archäologischen Forschungen zur Reformation (Jäggi, 2007) und genderspezifischen Studien (Berlis u.a., 2015).

2. Historische Gegenstände als Quellen

Zunächst ist bei Sachquellen zwischen immobilen und mobilen Sachquellen zu unterscheiden (Schneider, 2013, 364). Für den Unterricht im Schulgebäude eignen sich nur mobile Sachquellen. In Religionsunterricht und → Katechese können vor allem historische Gegenstände als Quellen (→ Quellenarbeit, kirchengeschichtsdidaktisch) verwendet werden, die der religiösen (Alltags-)Praxis entstammen. Diese gibt es in allen Religionen und eignen sich sehr gut für → Interreligiöses Lernen (Konsek, 2017; Riemer, 2016). Im christlichen Kontext sind darunter Gegenstände zu verstehen, die einem der drei Grundvollzüge der Kirche (Liturgia, Martyria und Diakonia) zuzuordnen sind.

Gegenstände, die an bedeutsamen (kirchen-)historischen Ereignissen partizipierten, finden sich aufgrund ihrer Bedeutung in der Regel in Museen (→ Museum) und können dementsprechend nur im Rahmen des Aufsuchens außerschulischer Lernorte (→ Lernorte religiöser Bildung) verwendet werden (von Reeken, 2019, 151-157; Schwillus, 2017). Ähnliches gilt für persönliche Gebrauchsgegenstände von Heiligen (→ Heilige), die vor allem in entsprechenden Gedenkstätten zu finden sind.

Didaktisch ist die Verwendung historischer Gegenstände von der symbolischen Deutung von Gegenständen (→ Symboldidaktik) zu unterscheiden. Bei der Verwendung historischer Gegenstände geht es um den Eigensinn der Gegenstände (Seip, 2017, 410).

2.1. Didaktische Bedeutung historischer Gegenstände

In der (Kirchen-)Geschichtsdidaktik wird die Verwendung gegenständlicher Quellen für historische Lernprozesse reflektiert. Die Vorzüge gegenständlicher Quellen liegen in ihrer Anschaulichkeit, d.h. in ihrer Haptik, Ästhetik, Authentizität und Emotionalität (Heese, 2007, 12-26). Gegenstände ermöglichen, Historisches unmittelbar zu „begreifen“. Dadurch, dass bei der Erforschung des Gegenstandes verschiedene Sinne angesprochen werden, werden Lernprozesse vertieft (Miller-Kipp, 2001; Promp, 2001). Der Umgang mit historischen Gegenständen ist somit auch ein Aspekt ästhetischer Bildung (→ Bildung, ästhetische). Die historische Originalität des Gegenstandes bzw. der Sachquelle ist dabei wesentlich, da mit der Originalität ein hohes Maß an Authentizität verbunden ist. Geschichte wird über die Sachquelle tatsächlich vergegenwärtigt (von Reken, 2019, 145; Mayer, 2013, 393-395).

Manche Gegenstände werden für den Unterricht nur als Replik zugänglich sein. Repliken fehlt zwar die Originalität und Authentizität, sie können aber in hohem Maße daran Anteil haben. Es gibt sie heute in bisweilen hervorragender Qualität. Gerade bei Gegenständen, die zunächst intensiv erforscht werden können und müssen, kann die Replik eine gute Möglichkeit für den Einsatz im Unterricht sein. Gegebenenfalls kann ein Original begleitend im Museum aufgesucht werden (Heese, 2007, 35-39;99-112; Schneider, 2013, 365-366).

2.2. Methodische Schritte

Sachquellen eigenen sich sowohl als Unterrichtseinstieg wie auch als zentraler Unterrichtsgegenstand (Heese, 2007, 125-138), wobei letzteres eher die Ausnahme ist (Schneider, 2013, 366-369). Im Museum dürfen Gegenstände in der Regel nicht berührt werden. Für Religionsunterricht und Katechese sind Gegenstände vorzuziehen, die tatsächlich berührt werden dürfen und von Schülerinnen und Schülern eingehend erforscht werden können. Sie müssen in einem ersten Schritt die Gelegenheit bekommen, den Gegenstand tatsächlich mit allen Sinnen wahrzunehmen (Heese, 2014, 6-8). Dabei gilt es, die Originalität zu hinterfragen: Wie ist der Gegenstand überliefert? Ist er in diesem Zustand original oder bereits verändert?

In einem zweiten, wesentlichen Schritt kommt es auf die Rekontextualisierung des Gegenstandes an (Mayer, 2013, 393). Sein ursprünglicher Zusammenhang muss erforscht werden, „was einen hohen Aufforderungscharakter zum Spekulieren, Hypothesen entwickeln und Weiterforschen besitzt“ (von Reeken, 2019, 146). Dazu sind weitere visuelle und schriftliche Quellen heranzuziehen, gegebenenfalls Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu befragen und Literatur zu konsultieren. So entsteht nicht nur eine Objektbiografie (Menne, 2017, 447), sondern darüber hinaus eine kritisch reflektierte Rekonstruktion der kulturellen Bedeutung des Gegenstandes.

Dadurch wird im dritten Schritt der Gegenstand schließlich zum Sprechen gebracht (Mohrmann, 2011, 13), dem Gegenstand wird eine Narration zugeschrieben. Von Schülerinnen und Schülern formulierte Narrationen der Dinge, die ihrerseits kritisch reflektiert werden (Heese, 2014, 5), schließen den Lernprozess ab (Günther-Arndt u.a., 2019, 26-27).

3. Historische Gegenstände im Religionsunterricht

Historische Gegenstände im Religionsunterricht zu verwenden, ist eine wenig geübte Praxis. Dem entsprechend gibt es in der Literatur kaum Praxisbeispiele. Folgende Gegenstände sollen exemplarisch eine mögliche Verwendung in unterrichtlichen oder katechetischen Zusammenhängen aufzeigen. Die Beispiele beschränken sich auf die christliche Tradition und orientieren sich an den Grundvollzügen der Kirche.

3.1. Liturgia

Ein alter Kerzen- bzw. Osterleuchter oder das Faksimile einer Exultetrolle führen zum Themenkreis der Gabenspendung in der Liturgie des Mittelalters. Gläubige verstanden Gottesdienst als Gabentausch. Das kostbare Bienenwachs war wesentlicher Teil dieser Praxis. Ein handgeschriebenes Evangeliar oder Antiphonar führt die Wertschätzung der Heiligen Schrift vor Augen (Gertsman/Rosenwein, 2018, 50-55). Pilgerabzeichen und Pilgerflaschen können das mittelalterliche Pilgerwesen (→ Reisen/Pilgern als religiöser Bildungsort) verdeutlichen, das wesentlicher Teil christlicher Bußpraxis und Heilserwartung war (Gertsman/Rosenwein, 2018, 10-13). Votivgaben, die sich an Wallfahrtskirchen finden, bezeugen, dass Menschen den Glauben als heilbringend und heilend erfahren haben. Im protestantischen Bereich waren entsprechend der großen Bedeutung des Sakramentes kostbare Taufschalen üblich. Gebetbücher und abgenutzte Rosenkränze können die katholische religiöse Alltagspraxis des 19. Jahrhunderts aufzeigen. Eine Laterne, die zum Versehgang mitgenommen wurde, zeigt den offenen Umgang mit dem Tod und die verbreitete Hoffnung auf Auferstehung bis in das 20. Jahrhundert hinein. Das Beichtbild zur Osterkommunion kann das Verständnis der Eucharistie und die katholische Eucharistiepraxis des 19. Jahrhunderts verdeutlichen.

3.2. Martyria

Menschen haben in der Geschichte des Christentums ihren Glauben wesentlich stärker bezeugt, als dies heute der Fall ist. Viele Gegenstände erinnern daran.

In der Spätantike und im Frühmittelalter bezeugten Menschen durch christliche Motive an ihrer Kleidung ihren Glauben. Gewandfibeln und Ringe hatten christliche Motive. In Spätmittelalter und früher Neuzeit war der Glaube stark von Magie und Aberglauben durchsetzt. Amulette zeugen davon (Altenkirch, 2017). Im 19. Jahrhundert waren Wohnhäuser durch viele Gegenstände religiös geprägt (Wedeking, 2009). Der Herrgottswinkel in der Wohnstube und das Engelbild im Schlafzimmer gehörten im 19. Jahrhundert zur Grundausstattung katholischer Wohnhäuser und zeigen, welche Rolle das Vertrauen auf Gott im Alltag spielte. Viele Menschen gehörten im 19. Jahrhundert zu Dritten Orden und trugen deshalb entsprechende Medaillen. Sie verpflichteten sich zu einer regelmäßigen religiösen Praxis. In Pfarreien wurden Volksmissionen abgehalten. Die entsprechenden Kreuze mit dem Aufruf „Rette Deine Seele“ finden sich noch in vielen Pfarrkirchen. In der Zeit der Weltkriege setzen sich viele Menschen mit Fragen des Glaubens auseinander. Feldpostkarten geben entsprechende Einblicke.

3.3. Diakonia

Die Diakonie war in Mittelalter und Neuzeit viel stärker als heute Teil religiöser Praxis, weil es weder Versicherungen noch eine staatliche Unterstützung gab.

Im Mittelalter belegten Bettelmünzen die Berechtigung, innerhalb einer Stadt zu betteln und zeigten ebenso die religiöse Verpflichtung zum Almosen. Die Hausordnungen von Armenhäusern lassen erkennen, dass auch das Empfangen von Almosen die religiöse Verpflichtung, für den Spender oder die Spenderin zu beten, mit sich brachte (Bernhardt, 2009). Leprakranke waren in klosterähnlichen Gemeinschaften untergebracht. Durch eine Klapper mussten sie auf sich aufmerksam machen, wiesen sich aber dadurch auch als ehrwürdige Angehörige einer religiösen Gemeinschaft aus. Opferstöcke für die Armenfürsorge oder im protestantischen Bereich ein gemeiner Kasten gehörten zur Grundausstattung jeder Kirche. Im 19. Jahrhundert bauten Ordensschwestern und Diakonissen das moderne Krankhauswesen auf. Eine Tracht oder ein Teil davon können zeigen, warum heute noch die Bezeichnung „Krankenschwester“ üblich ist.

4. Ausblick

Es fehlt bislang sowohl eine grundsätzliche Reflektion wie eine Sammlung von Praxisbeispielen zur Verwendung von historischen Gegenständen in Katechese und Religionsunterricht. Demgegenüber ist das Thema im religions- und kulturwissenschaftlichen Kontext breit rezipiert. Angesichts der didaktischen Bedeutung von Gegenständen gilt es, vor allem die vielfältigen Ansätze in der Museumsdidaktik (→ Museum) (Schöne, 2009) für den Religionsunterricht fruchtbar zu machen.

Literaturverzeichnis

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  • Beinhauer-Köhler, Bärbel, Religionen greifbar machen? Der „material turn“ in der Religionswissenschaft, in: Pastoraltheologie 104 (2015), 255-265.
  • Berlis, Angela/Korte, Anne-Marie/Biezeveld, Kune (Hg.), Everyday Life and the Sacred. Re-Configuring Gender Studies in Religion, Leiden u.a. 2017.
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  • Seip, Jörg, Religion anfassen, in: Katechetische Blätter 142 (2017), 408-410.
  • Wedeking, Martin, Konfessionsalltag als Normalität. Das religiöse Leben im Jahr 1868 als Thema der Dauerausstellung des Stadtmuseums Gütersloh, in: Schöne, Anja (Hg.), Dinge – Räume Zeiten. Religion und Frömmigkeit als Ausstellungsthema, Münster u.a. 2009, 149-169.

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