Segensfeier/Feier der Lebenswende
Andere Schreibweise: Kirchlich-kooperative Alternativen zur Jugendweihe
(erstellt: Februar 2020)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/200747/
Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.SegensfeierFeier_der_Lebenswende.200747
1. Zur Entstehung
1.1. Zum soziologischen Hintergrund
Die Teilnahme an Konfirmation (→ Konfirmandenunterricht/Konfirmandinnenarbeit
1.2. Zum Impuls aus Erfurt
Im Jahr 1997 begann der damalige Erfurter Domkapitular Reinhard Hauke damit, gemeinsam mit konfessionslosen Schülerinnen und Schülern der 1992 gegründeten katholischen Edith-Stein-Schule eine Alternative zur Jugendweihe/Jugendfeier zu entwickeln. Er nahm damit einen Impuls vom damaligen Bischof des Bistums Dresden-Meißen, Joachim Reinelt, auf, der 1993 die Frage gestellt hatte, was die Kirche den zahlreichen Jugendlichen, die auch nach der Wiedervereinigung Deutschlands mangels einer Alternative weiterhin an der Jugendweihe teilnehmen, eigentlich anzubieten habe (Reinelt, 1993, 85). Die Bezeichnung Feier der Lebenswende ist zunächst als Arbeitsbegriff in Anlehnung an die Bezeichnung der Ritenbücher der katholischen Kirche gebildet worden und hat sich mittlerweile auch über Erfurt hinaus im katholischen Raum etabliert. Die erste Feier von insgesamt zwölf Jugendlichen fand 1998 im Erfurter Dom statt. Dem gingen einige Vorbereitungstreffen voraus, welche vor allem die Erkundung des Feierortes, die Konzeption der Feier und die damit zusammenhängenden Lebensthemen im Fokus hatten. Außerdem wurde ein soziales Projekt durchgeführt. Im Ergebnis wollten die Jugendlichen über ihren Lebensweg unter dem Thema Verantwortung für den Mitmenschen nachdenken. Feier und Vorbereitung blieben damit eng aufeinander bezogen. Symbole wie Kerzen und Gegenstände aus der Kindheit übernahmen dabei eine wichtige Funktion. Im Ablauf mischten sich traditionelle Elemente der Liturgie wie z.B. der Segen, welcher in seiner konkreten Formulierung jedoch ebenfalls durch das Bemühen um Übersetzung in die Lebenswelt der Jugendlichen gekennzeichnet war, mit eher säkularisierten Formen der christlichen Liturgie (z.B. erfolgte die Lesung aus Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz, die Fürbitten wurden als persönliche Wünsche für die Welt begriffen). Im Anschluss an ein gemeinsames Nachtreffen setzte Hauke diese Arbeit, die eine Ausstrahlungskraft weit über Erfurt hinaus entfaltete, fort und inspirierte mit seinem Impuls, der auch in Erfurt selbst weiterentwickelt wurde, zahlreiche weitere Akteurinnen und Akteure in ganz Ostdeutschland.
1.3. Von Erfurt aus über ganz Ostdeutschland
Obwohl dieser „dritte Weg“ bzw. dieses „Experiment [...]“ (Kirchenamt der EKD, 1999, These 10) neben Jugendweihe und Konfirmation auf Seiten der evangelischen Kirche vielfach als zu riskant befunden wurde, weil er die Stabilität der Konfirmation gefährden könnte, und vor dem Kontext der DDR-Vergangenheit vor allem das fehlende Bekenntnis der Jugendlichen kritisiert worden ist, wurde Haukes Vorschlag auch in der evangelischen Praxis adaptiert. Dies hing damit zusammen, dass diese Idee auf ein Bedürfnis und eine Problemsituation aus der Praxis antwortete: mit Menschen über den binnenkirchlichen Kreis hinaus in Kontakt zu kommen und für breitere Teile der Bevölkerung im Blick auf die Herausforderung der Lebensbewältigung relevant zu werden.
Im katholischen Kontext bekam die Feier von Anfang an deutlich mehr Rückendeckung. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass sie weder in ihrer inhaltlichen Profilierung (siehe oben) noch in ihrer zeitlichen Verankerung in der achten Klassenstufe eine vergleichbare Konkurrenz zur Firmung darstellt (das Firmalter variiert regional sehr stark). Aber auch die doppelte Diasporasituation trug im Osten Deutschlands dazu bei, ein solches Angebot vor dem Hintergrund der eigenen reichhaltigen katholischen Benediktionstradition in den Bistümern zu fördern. Als implizite Begründungsfigur diente dabei vor allem das Konzept der „Ritendiakonie“ (Zulehner, 2006, 279-282).
Wichtigste Anschlussstelle waren dabei sowohl für die evangelische als auch die katholische Kirche die vielen konfessionellen Schulen (→ Schule, konfessionell
Unter völlig unterschiedlichen Eigennamen wie Segensfeier, Wunsch- und Segensfeier, Jugendsegen, Jugendwendefeier, Juventusfest, Take off, Feier des Erwachsenwerdens, Wegweiser-Projekt oder Lebensfest verbreitete sich die Idee im Bereich evangelischer und katholischer Schulen sowie in der übergemeindlichen katholischen Arbeit. Am bekanntesten wurden die Bezeichnungen Feier der Lebenswende für den katholischen Kontext sowie Segensfeier für den evangelischen.
Dass sich diese Feiern auf beiden Seiten im Kontext der Schulen in kirchlicher Trägerschaft als stabil erwiesen, hat seine Gründe zum einen in dem kontinuierlich vorhandenen Interessentenkreis – das Angebot kann sich problemlos über die Eltern und Jugendlichen in die unteren Klassen weitertradieren. Aus oben genannten Gründen ist es für die Eltern wie für die Jugendlichen gleichermaßen attraktiv. Damit übernimmt die Segensfeier/Feier der Lebenswende im Kontext der konfessionellen Schulen die strukturellen Vorteile, die zuvor der Jugendweihe/Jugendfeier vorbehalten waren. Wurden diese Feiern im Kontext evangelischer oder katholischer Gemeinden angeboten, gingen die Initiativen recht schnell wieder ein. Hier war zum einen die Konkurrenz zur Arbeit an den klassischen Angeboten zu groß, zum anderen der Kontext so kirchenbezogen, dass es schwerfiel, Familien ohne konfessionelle Bindung dafür zu gewinnen. Die persönlichen Beziehungen zu Christentum und Kirche konstituieren sich für konfessionslose Familien im Kontext der konfessionellen Schule – hier ist die Bereitschaft, sich auf religiöse Angebote einzulassen, vorhanden, weil die Berührung mit Religion und Kirche als Nebeneffekt zum Bildungsinteresse (→ Bildung
Ein besonderes Feld stellen dabei die christlichen Schulen für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf dar. Aufgrund der Schulbezogenheit der Segensfeier/Feier der Lebenswende und deren ritueller Flexibilität kann sie immer wieder an die Bedingungen vor Ort angepasst werden und ermöglicht den Jugendlichen, die sich nur schwer in die konventionelle kirchliche Arbeit integrieren lassen, ein gemeinsames Ritual im geschützten Raum der Schulgemeinschaft.
Mit dem Charismatischen Zentrum Hoyerswerda hat seit dem Jahr 2008 auch eine Freikirche dieses Feld für sich entdeckt. Auch sie kooperiert dabei mit einer (staatlichen) Schule (→ Schule, öffentlich/staatlich
Einzelne Initiativen werden inzwischen ökumenisch verantwortet und zeigen damit, dass sie es als eine gemeinsame Aufgabe beider Kirchen begreifen, auch in ritualpädagogischer Perspektive daran zu arbeiten, religiöse Lern- und Kommunikationsprozesse zu unterstützen und sich lebensbezogen (→ Lebenswelt
2. Typologien der Teilnahme
In der empirischen Untersuchung der Teilnahmemotive (Handke, 2016a, 261-428) wird deutlich, dass die Wahl des Rituals vor allem eine Frage der eigenen Sozialisationslogik darstellt. Damit geraten auch die Eltern und dabei vor allem die Mütter, welche die familiale „Ritushoheit“ (Döhnert, 2002, 77) besitzen, in den Blick. Wenn die Kinder nicht getauft und nicht familial religiös sozialisiert worden sind, dann nehmen sie trotz der Religionszugehörigkeit eines Elternteils in der Regel nicht an der Konfirmation teil. Die Wahl der Segensfeier/Feier der Lebenswende bringt damit die Tradierungsproblematik von Religion rituell zum Ausdruck. Dies wiederum hat seinen Hintergrund im Sample in der weltanschaulichen Differenz der Eltern: „Um [...] einvernehmlich Kinder erziehen zu können, unterbleibt in den meisten Fällen eine explizit religiöse Erziehung im Sinne einer Einweisung in eine als richtig erachtete Form von Religion. Bestenfalls kommt es zur Ermöglichung einer hinweisenden Erziehung im Sinne der Partizipation an schulischen oder kirchlichen Bildungsangeboten. Allerdings haben die dort gegebenen Impulse dann einen schweren Stand, weil sie sich im Kontext einer faktischen Abwesenheit von Religion innerhalb des familialen Nahbereichs zu bewähren haben.“ (Domsgen, 2018, 482f.). Die Eltern dieses Typus nehmen eine (auch religiös konturierte) Alternative zur Jugendweihe/Jugendfeier dankbar in Anspruch, weil sie in ihrer intermediären Profilierung zwischen kirchlichen und nichtkirchlichen Ritualen Anschluss an beide elterliche Biographien (→ Biografie/Lebensgeschichte/Lebenslauf
Ein zweiter Typus, welcher sowohl aus den Interviews mit Eltern als auch mit Jugendlichen gewonnen ist, nimmt die getauften Jugendlichen in den Blick, die neben ihrer Konfirmation zusätzlich an der Segensfeier/Feier der Lebenswende im Rahmen der Schule teilnehmen, und veranschaulicht damit die andere Seite der Sozialisationslogik. Die Segensfeier/Feier der Lebenswende ermöglicht diesen Jugendlichen eine Teilnahme an der rituellen Vertiefung der Schulgemeinschaft. Die Konfirmation wird dagegen vor allem auf Grund der eigenen kirchlichen Sozialisation gewählt.
Für einen dritten Typus aus Eltern und Jugendlichen vermag die Wahl der Segensfeier/Feier der Lebenswende die eigene unsichere religiöse Selbstpositionierung adäquat zum Ausdruck zu bringen. Diese Familien unterstehen selbst einer konfessionslosen Sozialisationslogik, hegen aber alle eine größere Offenheit für Religion und Kirche als das in ihrer Umgebung der Fall ist. Die Schule in kirchlicher Trägerschaft stellt die Brücke dar, um ein solches (auch religiös profiliertes) Ritual für sich selbst in Anspruch zu nehmen und sich im Medium der Schulkultur auch selbst auf religiöse Lernprozesse einzulassen. Zwar käme für diese Eltern theoretisch auch eine Konfirmation der eigenen Kinder in Betracht, da diese aber biographisch nicht vorbereitet ist, stellt sie letztlich für die Jugendlichen keine realistische Option dar.
Ein vierter Typus verweist auf die oben genannte Stabilität der Feier an Schulen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zurück. Für Jugendliche mit bestimmten körperlichen oder geistigen Einschränkungen verdichtet die Feier in ritueller Hinsicht den biographischen Schutzraum, den die Schule in kirchlicher Trägerschaft für sie bedeutet. Von diesen religiös-kirchlich sozialisierten Jugendlichen wird die Feier vor dem Hintergrund der kirchlichen Familientradition als passende christliche Alternative zur Konfirmation/Firmung interpretiert.
Als fünftes lässt sich ein Typus von Jugendlichen und Eltern rekonstruieren, welcher die Herausforderung der Profilierungslogik von Schulen in kirchlicher Trägerschaft aufzeigt. Dass die Segensfeier/Feier der Lebenswende im eigenen Interesse der Schule auch religiös-christlich profiliert wird, erweist sich für diese Familien gerade nicht als anschlussfähig. Indem sie die Feier innerfamilial wieder zu einer Jugendweihe umbilden, distanzieren sich die sich selbst als nichtgläubig positionierenden Eltern und Jugendlichen wiederum davon. Um nicht durch Schule und Kirche in weltanschaulicher Hinsicht religiös vereinnahmt zu werden, plädieren diese Teilnehmenden für eine weltanschaulich neutrale oder eine Schulfeier, welche jedenfalls unterschiedlichen Weltanschauungen symbolischen Platz einräumt.
3. Zur Bedeutung dieser Feiern
Auf der Grundlage einer deutschlandweit nachlassenden familialen religiösen Sozialisation sind die Kirchen in Zukunft verstärkt auf offene, kooperativ angelegte Formate zur Initiierung religiöser Kommunikations- und Lernprozesse angewiesen. Der Lernort Gemeinde (→ Lernorte religiöser Bildung
Literaturverzeichnis
- Döhnert, Albrecht, Die Sehnsucht nach Ritualen, in: Eschler, Stephan/Griese, Hartmut M. (Hg.), Ritualtheorie, Initiationsriten und empirische Jugendweiheforschung. Beiträge für eine Tagung der europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar, Stuttgart 2002, 74-93.
- Domsgen, Michael, Von Generation zu Generation: Was tun, wenn das nicht mehr zu funktionieren scheint?, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 115 (2018) 4, 474-497.
- Domsgen, Michael, Segensfeiern im Jugendalter – Mitmachen oder raushalten?, in: Wege zum Menschen 68 (2016) 2, 156-166.
- Domsgen, Michael/Handke, Emilia (Hg.), Lebensübergänge begleiten. Was sich von Religiösen Jugendfeiern lernen lässt, Leipzig 2016.
- Handke, Emilia, Jugendweihe, Segensfeiern und Konfirmation – Rituale im Kontext mehrheitlicher Konfessionslosigkeit, in: Böhme, Thomas (Hg. u.a.), Handbuch Konfi-Arbeit, Gütersloh 2018, 461-469.
- Handke, Emilia, Religiöse Jugendfeiern „zwischen Kirche und anderer Welt“. Eine historische, systematische und empirische Studie über kirchlich (mit)verantwortete Alternativen zur Jugendweihe, Leipzig 2016a.
- Handke, Emilia, Weder Jugendweihe noch Konfirmation. Erkundungen in einem unbekannten Feld, in: Praktische Theologie 105 (2016b) 3, 105-120.
- Hauke, Reinhard, Feier zur Lebenswende – eine christliche Hilfe zur Sinnfindung für Ungetaufte, in: Bilgri, Anselm/Kirchgessner, Bernhard (Hg.), Liturgia semper reformanda, Freiburg i. Br. u.a. 1997, 86-103.
- Ilg, Wolfgang/Schweitzer, Friedrich/Elsenbast, Volker (Hg.), Konfirmandenarbeit in Deutschland. Empirische Einblicke – Herausforderungen – Perspektiven. Mit Beiträgen aus den Landeskirchen, Gütersloh 2009.
- Kranemann, Benedikt, Rituale in der Diasporasituation. Neue Formen kirchlichen Handelns in säkularer Gesellschaft, in: Böntert, Stefan (Hg.), Objektive Feier und subjektiver Glaube? Beiträge zum Verhältnis von Liturgie und Spiritualität, Regensburg 2011, 253-274.
- Kranemann, Benedikt, Erfahrungsräume des Transzendenten. Liturgiewissenschaftliche Anmerkungen zu neuen kirchlichen Feierformen, in: Freitag, Josef/März, Claus-Peter (Hg.), Christi Spuren im Umbruch der Zeiten. Festschrift für Bischof Joachim Wanke zum 65. Geburtstag, Leipzig 2006, 201-220.
- Kirchenamt der EKD (Hg.), Konfirmandenarbeit. 12 Thesen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2013.
- Kirchenamt der EKD (Hg.), Schulen in evangelischer Trägerschaft. Selbstverständnis, Leistungsfähigkeit und Perspektiven. Eine Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2008.
- Kirchenamt der EKD (Hg.), Jugendliche begleiten und gewinnen. 12 Thesen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Jugendweihe/Jugendfeier und ihrem Verhältnis zur Konfirmation, Hannover 1999.
- Reinelt, Joachim, Jugendweihe – weiter so?, in: Gottesdienst 11 (1993), 85.
- Zulehner, Paul M., Ritendiakonie, in: Kranemann, Benedikt/Sternberg, Thomas/Zahner, Walter (Hg.), Die diakonale Dimension der Liturgie, Freiburg i. Br. u.a. 2006, 271-283.
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download: