Säkularisation 1802/03
Andere Schreibweise: engl. Secularization
(erstellt: Februar 2019)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Skularisation_180203.200642
1. Lebensweltliche Verortungen
Die lebensweltliche Relevanz des Themas wird schon allein dadurch ersichtlich, dass sich der Begriff „Säkularisation“ mit dem der „→ Säkularisierung
Die Folgen bzw. Spuren der Umwälzung von 1802/03 sind immer noch relativ leicht zu entdecken und für die Erschließung des Themas fruchtbar zu machen, zumindest wenn die Lernenden in einer Gegend mit säkularisierten Einrichtungen leben. Häufig haben ehemalige Klöster (→ Mönchtum/Klosterleben
Immer wieder flammen gerade im Vorfeld von Jubiläen Diskussionen auf, die ihre Wurzel in der Neuordnung im Umfeld der Säkularisation haben, wie beispielsweise in Bayern die Auseinandersetzung darum, ob wichtige Teile des Bamberger Domschatzes oder das fränkische Herzogsschwert, die 1803 in die Landeshauptstadt gebracht wurden, nicht besser wieder nach Franken zurücküberstellt werden sollten. Auch die Diskussion um die so genannten Staatsleistungen an die Kirche (→ Kirche – Staat
Unabhängig von derartigen historischen Bezügen kommen Profanierungen kirchlicher Gebäude gegenwärtig wieder so häufig vor wie seit 200 Jahren nicht mehr: Das zunehmende Klostersterben, das beobachtet werden kann und in den → Medien
2. Die Säkularisation von 1802/03
2.1. Begriff
Säkularisation meint „die ohne kirchliche Erlaubnis durch staatliche oder öffentliche Gewalt vollzogene Einziehung von Vermögen (vor allem Grundbesitz), Sachen, Territorien oder Institutionen aus kirchlicher Herrschaft und kirchlichem Gebrauch zu profanen Zwecken“ (Raab, 1969, 353). Dabei ist die politische Säkularisation (sogenannte Herrschaftssäkularisation, vor allem bei Verlust der Reichsunmittelbarkeit: Entmachtung) von der vermögensrechtlichen Säkularisation (sogenannte Vermögens- oder Gütersäkularisation: Enteignung) zu unterscheiden. Der Begriff taucht erstmals im 16. Jahrhundert auf und zwar im Zusammenhang mit der Säkularisierung von Ordensgeistlichen, die in den Weltpriesterstand wechselten (Maier, 2003, 14).
Mit Säkularisation im historischen Sinn bezeichnet man gemeinhin die größte Besitzverschiebung in der deutschen Geschichte 1802/03, die schließlich zum Umsturz der politischen Verhältnisse und damit zum Kollaps des Alten Reiches führte. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der deutschen katholischen Kirche, die drei Erzstifte (Mainz blieb zunächst erhalten und wurde nach Regensburg transferiert), 19 Hochstifte samt Domkapiteln (mit ehemals 720 Domherrnpfründen), über 40 reichsunmittelbare Abteien und Stifte sowie hunderte landsässige Klöster an verschiedene deutsche Fürstentümer verlor. Es gingen etwa 12.000 Quadratkilometer Herrschaftsgebiet mit rund 3,5 Mio. Einwohnern und ca. 21 Millionen Gulden an Einnahmen verloren, wobei die Einnahmen der landsässigen Klöster noch nicht mitgerechnet sind (Weitlauff, 1998, 36).
Die Einschätzung des Vorgangs änderte sich im Laufe der Zeit auch bei Autoren mit kirchlichem Hintergrund: Während um die Jahrhundertwende noch „von empörenden Sacrilegien und von gemeinem Diebstahl“ gesprochen wurde (Weber, 1897, 1529; z.B. Seider, 1912, 1898: „Juden und Protestanten bereicherten sich, der kath[olische] Volksteil leidet noch heute unter der damal[igen] Beraubung“), mäßigte sich die Ausdrucksweise katholischerseits spätestens im zeitlichen Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der Umfang des Lemmas in den einschlägigen Lexika nahm deutlich ab, so dass heute in der Fachdiskussion eine unaufgeregt-nüchterne Sicht der Dinge vorherrschend ist (Weigand, 2003), auch wenn volkstümlich und lokal immer noch Meinungen zu hören sind, die sich kaum von der in Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon 1897 geäußerten unterscheiden: „Die Säcularisation ist und bleibt ein in sich unberechtigter, in seiner Ausführung rücksichtsloser und grausamer, in seinen Folgen verderblicher Eingriff in die wohlerworbenen und feierlich garantierten Besitzungen und Rechte der Kirche“ (Weber, 1897, 1531).
2.2. Vorgeschichte
Bereits seitdem kirchliche Güter existieren, gibt es Säkularisationen. Im Mittelalter wurde unter den Karolingern aus Staatsräson Kirchenbesitz säkularisiert, genauso wie die Reichskirche im Zeitalter der Reformation einen gewaltigen Aderlass erlitt. Im Zeitalter der → Aufklärung
In Frankreich setzte ab 1789 die Gesetzgebung infolge der Französischen Revolution, die zunächst nicht explizit antikirchlich eingestellt war, den Verzicht auf den Zehnten sowie die Säkularisation der Kirchengüter durch; als Gegenleistung wurde die staatliche Bezahlung der Pfarrer und der Armenpflege zugesichert. Die Aufhebung der französischen Klöster 1790 sowie die Unterdrückung auch der sozial tätigen Orden 1792 wurde 1801 durch das Konkordat des Papstes Pius VII. mit Napoleon sanktioniert. Betroffen war davon auch das linke Rheinufer, das damals von Frankreich besetzt war. Die Friedensschlüsse im Zusammenhang mit den Koalitionskriegen von Basel 1795 und von Campo Formio 1797, der Kongress von Rastatt 1798 sowie endgültig das Abkommen von Lunéville vom 9. Februar 1801 sahen vor, die Rheingrenze anzuerkennen und diejenigen deutschen Fürsten, die linksrheinisch Gebietsverluste hatten hinnehmen müssen, rechtsrheinisch durch Kirchengebiet zu entschädigen.
2.3. Verlauf
Der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 goss dieses an sich rechtswidrige Ansinnen in die Form eines am 27. April 1803 vom Kaiser ratifizierten Reichsgesetzes, das nicht nur einen (oft weit überkompensierten) Ausgleich der tatsächlichen Gebietsverluste ermöglichte – Preußen erhielt beispielsweise das Viereinhalbfache, Württemberg das Vierfache, Baden gar das Siebenfache der jeweiligen Verluste (Maier, 2003, 4f.). Vielmehr wurde mittels des auf Bitten Bayerns eingefügten § 35 auch die Säkularisation von Kirchenbesitz aller drei Konfessionen (→ Konfession(en)
Der jeweilige Kirchenbesitz wurde im Namen des (neuen) Landesherrn erfasst und beschlagnahmt, in der Folge häufig versteigert oder im Fall von beweglichem Kulturgut an zentralen Sammelpunkten zusammengeführt. Die Geistlichen wurden gegen Pensionszahlungen entlassen bzw. im Fall der Bettelorden (→ Armutsbewegungen im Mittelalter
Während die Säkularisation der geistlichen Staaten allgemein erwartet wurde und daher kaum Widerstand erfuhr, erfolgte die Aufhebung der meisten Klöster ohne ersichtliche Notwendigkeit, offenbar häufig aus politischen und ideologischen Motiven, gerade im Fall der Bettelordensklöster. Der erhoffte finanzielle Gewinn des Staates fiel oft nicht in der erwarteten Höhe aus (es waren ja auch Pensionslasten und Bauunterhalte zu übernehmen), lediglich die an den Staat gefallenen Waldgebiete werfen bis heute nennenswerten Gewinn ab. Die Umschichtung des kulturellen Erbes erfolgte dabei auf revolutionär zu nennende Weise und nicht immer mit der wünschenswert gewesenen Pietät. In der Regel wurden die Kulturgüter aber durchaus wertgeschätzt, auch wenn Vieles makuliert wurde oder aus Unachtsamkeit verloren gegangen ist, oft erst in den Jahren nach 1803. Aussagen, es seien gelegentlich Schlaglöcher der Feldwege mit wertvollen Handschriften aufgefüllt worden, sind jedoch in das Reich der Legende zu verweisen (Schemmel, 2003, 247).
2.4. Folgen
„Die Säkularisation war für die deutschen Katholiken der tiefste Einschnitt in ihrer Geschichte […]. Niemals ist ein Land in seiner geistigen Substanz so grundlegend verändert worden“ (von Aretin, 2002, 13). Diese Veränderung war im Grunde längst überfällig und heilsam für die Kirche, zieht man zum Vergleich die Agonie des Kirchenstaates im 19. Jahrhundert heran. Trotzdem ist die Säkularisation mit ihren Härten gerade den einfachen Ordensleuten gegenüber, durch die mit ihr einhergehenden Verluste an kulturellen Gütern (Abriss „überflüssiger“ Kirchen) und mit der ihr eigenen Kompromisslosigkeit sicher an vielen Stellen weit über das eigentliche Ziel hinausgeschossen. Schwer wogen in manchen Gegenden der Verlust der Lehranstalten sowie die Eingriffe ins soziale Gefüge. Hinsichtlich Bayern lässt sich beispielsweise das Fazit anstellen: Die Säkularisation „hat Bayern und seiner Kultur zwar Wunden zugefügt, beides aber nicht zerstört“ (Weis, 2003, 233), im Gegenteil: Das moderne Bayern wäre ohne sie undenkbar (Demel, 2003). Gleiches gilt auch für andere Regionen der Bundesrepublik.
In politischer Hinsicht zog die (weitgehende) Beseitigung der Reichskirche (Reichserzkanzler Dalberg durfte zunächst ein geistliches Territorium behalten und auch die Ritterorden blieben bestehen) 1806 den Zusammenbruch des Alten Reiches nach sich und läutete damit endgültig das Ende der im Grunde immer noch mittelalterlich geprägten Verhältnisse ein. Die Katholiken gerieten vielerorts in eine Minderheitensituation (Diaspora), das katholische Bildungsdefizit wurde zementiert, der Adel innerkirchlich entmachtet und das Staatskirchentum gestärkt: „Der Polizeistaat drang nun in das Innere der Kirche ein“ (Hegel, 1937, 104). Toleranz und Überkonfessionalität des Staates bürgerten sich ein. „Andererseits weckte die Entmachtung der Kirche positive Kräfte im kath[olischen] Volk, das rel[igiöse] Leben erstarkte, innerkirchl[iche] Fehlerquellen, die selbst das Tridentinum nicht hatte beseitigen können, verschwanden, die moral[ische] Autorität des Episkopats u[nd] des Papstes wuchs, eine Entwicklung, die freilich nicht immer glückl[ich] verlief (Ultramontanismus, päpstl[icher] Zentralismus)“ (Hegel, 1964, 252; vgl. Hausberger, 2003b).
Die Besoldung der kirchlichen Hierarchien sowie die Übernahme der Baulast an bestimmten kirchlichen Gebäuden durch den Staat sind bis heute Folgen der Säkularisation, da eine an sich vorgesehene Ablösung bisher nicht durchgeführt wurde. Ebenso folgte dem Einschnitt von 1803 eine Neuordnung der deutschen Diözesen. Werner Blessing postulierte in seiner Bilanz einen durch einen „Modernisierungsschub“ aufgebauten „Entwicklungsdruck“, von dem letztlich Staat und Kirche profitierten (Blessing, 2003).
3. Religionsdidaktisch-praktische Überlegungen
Für die Thematisierung der Säkularisation im Religionsunterricht bieten sich zum einen biografische Zugänge (→ biografisches Lernen
3.1. Biografische Zugänge
Der biografische Ansatz ist vor allem deshalb von Vorteil, weil (Kirchen-)Geschichte dadurch an konkreten Beispielen, lokal und damit lebensweltlich verortet sowie existentiell zugänglich gemacht werden kann (→ Kirchengeschichtsdidaktik
Um die Umbruchssituation hervorzuheben, bietet es sich daher an, die Lebensgeschichten von Ordensleuten aufzugreifen, an deren Biografie sich die Säkularisation exemplarisch im Kleinen aufzeigen lässt. Das soll im Folgenden an Beispielen aus dem ehemaligen Hochstift Bamberg vorgeschlagen werden (mit Hilfe der Bibliographie kann entsprechendes Material hinsichtlich anderer Regionen Deutschlands ausfindig gemacht werden). Z.B. Joachim Heinrich Jaeck (1777-1847), der zunächst Konventuale der Zisterze Langheim gewesen ist und nach der Auflösung des Klosters erster Leiter der damals neu geschaffenen königlichen Bibliothek in Bamberg wurde (der heutigen Staatsbibliothek), in der man die Buchbestände der aufgehobenen Klöster zusammenfasste (Schemmel, 2003; Walther, 1996). Im → Religionsunterricht
Die genannten Personen bieten sich auch deshalb für die religionsunterrichtliche Thematisierung an, weil ihre ehemaligen Klöster bzw. von ihnen begründete Institutionen in → Exkursionen
3.2. Historische Orte
Die Säkularisation und ihre Folgen können auch über Besuche historischer Schauplätze erkundet und durch lebendige Erzählungen, Medieneinsatz und Quellenarbeit erschlossen werden (→ außerschulisches Lernen
3.3. Karikaturen
Eine ungewöhnliche, aber umso vielversprechendere Möglichkeit, sich dem Thema Säkularisation im Religionsunterricht zu nähern, bietet die Auseinandersetzung mit Karikaturen (→ Karikatur
4. Ausblick
Die Thematisierung mit kirchenhistorischen Fragestellungen im Rahmen religiöser Lern- und Bildungsprozesse ist aus theologischen Gründen bedeutsam, versteht sich das Christentum doch als Offenbarungsreligion (→ Offenbarung
Zweifellos steht den Kirchen in Deutschland in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ein Umbruch bevor, der in seinen Auswirkungen wohl nur mit den Umwälzungen von 1802/03 vergleichbar sein wird. Der Besitz der Kirchen (z.B. im Kontext der Diskussionen um die Kirchensteuer), ihre Rolle in der → Gesellschaft
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