Sünde/Schuld
(erstellt: Februar 2016)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.SndeSchuld.100166
In der Schule klagen viele Lehrerinnen und Lehrer, dass die Schülerinnen und Schüler nur noch ein geringes Schuldbewusstsein hätten, somit die Themen Sünde/Schuld/→ Vergebung
1. Begriffliche Unterscheidungen
Der Begriff Sünde ist eigentlich ein religiöses Wort, selbst wenn er in der Alltagssprache einen frappierenden Bedeutungswandel erfahren hat: Wir lesen von Park- und Verkehrssündern, und vor einiger Zeit waren die Eissorten Die sieben Sünden mit den Varianten Wollust, Faulheit, Völlerei, Neid, Habgier, Rache und Eitelkeit auf dem Markt verfügbar, obwohl es sich theologisch dabei nicht um Sünden, sondern um sogenannte Laster, d.h. schlechte Charaktereigenschaften handelt, aus denen Sünden hervorgehen können.
Bei Sünde/Schuld unterscheidet man zwischen den lat. Begriffen debitum und culpa und dem griech. hamartia. Während culpa sich auf Tat- oder Unterlassungsschuld, also ein konkretes Fehlverhalten bezieht, meint debitum die Schuld als grundlegendes Phänomen menschlichen Daseins, quasi eine existenzielle Schuld, die dem Handeln vorausgeht und oft als tragisch erlebt wird. Hamartia meint ursprünglich „ein Ziel nicht treffen“ und ist in seiner religiösen Bedeutung mit einem Verfehlen in der Gottes-, Menschen- und Selbstliebe zu umschreiben.
In der Psychoanalyse werden davon unterschieden Schuld gefühle (Hirsch, 1997, 15), die wie folgt differenziert werden können:
- ein Basisschuldgefühl: „Dass es mich gibt, ist falsch!“
- Schulgefühl aus Vitalität: „So, wie ich lebe, überfordere ich andere.“
- Trennungsschuldgefühl: „Sobald ich eigene Wege gehen möchte, verletze ich andere Menschen.“
- Traumatisches Schulgefühl: „Ich bin schuld, dass mir etwas passiert ist.“
2. Biblische Zugänge
Wie schon begrifflich deutlich wurde, werden die Erfahrungen personaler Schuld und transpersonaler Schuldverstrickung als zentrale Kategorien der Sünde integriert. Dabei ist die Relation zwischen freiheitlichem Subjekt und seiner Gottesbeziehung zu beachten. Wie sind diese Aspekte nun in den biblischen Schriften angelegt?
2.1. AT
Das AT kennt keinen allgemeinen Zentralbegriff für die Sünde wie das NT. Die semitische Sprachwurzel (cht, chatta´t) verweist auf ein menschliches Fehlverhalten, das wiederum die auf →
Gott
Ähnlich wie im gesamten Alten Orient gibt es die Vorstellung, dass eine Tat unheilvolle Auswirkungen wie z.B. Krankheit, Unheil, Tod über die Tat hinaus hat (Tun-Ergehen-Zusammenhang). So werden frühere z.B. von Vorfahren oder in der Jugend begangene Sünden als Auslöser für aktuelle Probleme gedeutet. „Die theolog.-anthropologische Problematik dieses Denkens wird allerdings anerkannt und die individuelle Verantwortlichkeit ernst genommen“ (Grund, 2005, 1874). Auch die Einsicht in unbeabsichtigte Vergehen ist vorhanden. In den Psalmen wird in der Perspektive der eigenen Betroffenheit die unheimliche Macht der Sünde erkannt, in der Prophetie wird Sünde strukturell kritisiert. In der deuteronomistischen Literatur ist die Fremdgötterverehrung Israels Hauptsünde, eine Radikalisierung zeigt sich im Sündenverständnis der frühjüdischen Apokalyptik.
2.2. NT
Sünde wird im NT häufig im Kontext der Sündenvergebung thematisiert. Die Evangelien gehen davon aus, dass jeder Mensch sündig ist, wobei sich grob zwei Sündenkonzepte unterscheiden lassen:
Mt und Lk sehen in „Sünden“ im konkreten Sinn ein
individuelles ethisch-moralisches Fehlverhalten (Schnelle, 2007, 466), wie z.B. auch in den Vaterunser-Bitten (Roose, 2012, 136). Sünde wird dabei mehrheitlich im Plural verwendet und sie werden als Kontrapunkt gesetzt zum → Christus
Johannes versteht als Sünde den Unglauben der Welt (
Joh 16,9
Für Paulus hat die Sünde neben einer individuellen auch eine
strukturelle Dimension, die aber von Gott her aufgebrochen werden kann (Gal 3,22
Für den Religionsunterricht relevante Texte zum Thema Sünde sind z.B.
-
der barmherzige Samariter (Lk 10,25-37
) -
das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Lk 19,12-27
; Mt 25,14-30 ) -
das Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25,31-36
) -
die Heilung des Gelähmten (Mk 2,1-12
) in Bezug auf den Zusammenhang von Krankheit und Sünde, der unterrichtlich meist ausgespart wird.
3. Kirchengeschichtlich-systematische Aspekte
Hier kann kein historischer Abriss oder ein systematischer Aufriss zum Thema Sünde/Schuld gegeben werden. Stattdessen sollen grundlegende Aspekte zu den Themen Erkenntnis, Tragweite, Formen der Sünde, Sünde und Vergebung benannt und kurz problematisiert werden.
3.1. Erkenntnis der Sünde
Nach der im Neuen Testament begründeten Auffassung ist eine Erkenntnis der Sünden durch das Gesetz möglich. Nach römisch-katholischer und orthodoxer Auffassung geht das, weil die sündigen Menschen trotzdem eine gewisse Möglichkeit haben, sich für Gott zu öffnen. Nach der lutherischen Lehre dagegen bewirkt das Gesetz, dass sündige Menschen nur noch tiefer in die Sünde hineingeraten, weil sie versuchen, sich vor dem Gesetz zu rechtfertigen. Nur die Predigt, die ihnen ihre wahre Lage vor Augen führt, kann verständlich machen, dass nur das Evangelium befreit (Krötke, 2004, 1888).
3.2. Tragweite der Sünde
Mit dem Begriff der Erbsünde wird die Tragweite des Begriffes in der christlichen Tradition deutlich. Wie kann etwas nur Ererbtes persönlich dann verantwortet, bekannt und gesühnt werden? Hier greift höchstens das Konzept der strukturellen Sünde (s.u.), um diesen Widerspruch zu lösen. Bedeutsam ist diese Vorstellung, weil darin die Universalität und die große Macht der Sünde zum Ausdruck kommen. Als Mensch leben heißt in diesem Sinne „im Reich der Sünde leben“ (Ritschl). Strittig ist dabei zwischen den Konfessionen nicht diese Universalität, aber deren Totalität, d.h. die „Verderbnis der menschlichen Natur“ (Schmalkaldische Art. III; BLSK 434,3). Einverständnis kann aber darüber erzielt werden, dass das auch reformatorisch keine Infragestellung der guten Geschöpflichkeit des Menschen bedeutet, wie das von philosophischer Seite z.B. angezweifelt wurde. Von der Sünde wird bis heute in der Orthodoxie als Macht des Satans geredet.
Im Mönchtum der Alten Kirche war der Gedanke lebendig, dass immerhin Heilige auf der Erde ohne Sünde leben könnten. Auch mit dem Eintritt ins Kloster seien eine Absage an ein Leben in der Sünde und ein Verbleiben in der Taufgnade möglich (Benediktinerregel, 58; Puzicha/Gartner, 2007).
3.3. Formen der Sünde
Schon in
Gen 3,16
Ob erst die Tat oder allein schon die Intention Sünde sei, wurde z.B. von Abaelard diskutiert (Tathaftung versus Intentionalhaftung), was zur Folge hatte, dass die Gewissenserforschung ein wichtiges Element der Sündenerkenntnis wurde.
Zur Frage nach der Qualität der Sünde findet sich erstmals eine Kategorisierung von menschlichen Lastern bei Euagrios Pontikos Ende des vierten Jahrhunderts. Er benennt acht negative Eigenschaften, von denen die Mönche heimgesucht werden können: Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Faulheit. Neid führt er nicht auf, aber Ruhmsucht und Trübsinn. Papst Gregor I. († 604) ordnete Trübsinn der Faulheit zu, die Ruhmsucht dem Hochmut und fügte dem Sündenkatalog den Neid hinzu.
Im Katechismus der Katholischen Kirche (1997, Nr. 1866) werden bis heute Todsünden ( peccatum mortiferum oder mortale) benannt und als besonders schwerwiegende Arten der Sünde bezeichnet. Davon werden die himmelschreiende Sünde (peccatum clamans), eine Unterkategorie der Todsünde, und die lässliche Sünde (peccatum veniale) als minderschweres, geringfügigeres Vergehen abgegrenzt. Den Todsünden werden dort die Haupttugenden gegenübergestellt. Als Folge ziehen Todsünden automatisch Höllenstrafe nach sich. Das Bußsakrament kann das verhindern, indem dort nach dem Bekenntnis der Sünden die Lossprechung davon erfolgt.
Augustinus hatte die Auffassung, dass die Sünde ihren Ursprung im freien Willen des Menschen habe, der sich von Gott abwende (De libero arbitrio, II, 53). Später erst war er der Meinung, die Übertragung der Sünde geschehe schon durch die menschliche Zeugung, so dass der Mensch von Geburt an ein Sünder sei (Holze, 2004, 1882).
3.4. Sünde und Vergebung
„Die Sünde groß machen“ ist nach → Martin Luther
Anselm von Canterbury formulierte das schon in seiner Satisfaktionslehre, nach der der Mensch sich im Sündenfall gegen die Gerechtigkeit Gottes erhoben habe, indem er den Gehorsam verweigerte. Als Strafe habe er den Verlust der Urstandsgerechtigkeit zu dulden. Genugtuung leiste dann der sündlose Sohn Gottes, der durch seinen Tod den Menschen mit Gott versöhne.
Im Rahmen der Kirchengeschichte war vor allem die Taufe bedeutsam, durch die die Sünde ihre Macht verloren hatte. Sie tilgte schon bei Anselm die Erbsünde; es verbleibe aber, so der Kirchenvater, die Begierde, die in der kirchlichen Buße gesühnt werden müsse (Holze, 2004, 1883). Im IV. Laterankonzil 1215 wurde eine Pflicht zur jährlichen Beichte eingeführt. Durch Pest und Hungersnöte verstärkte sich im späten Mittelalter in der Volksfrömmigkeit das Sündenbewusstsein. So konnte sich auf diesem Boden die von den Päpsten geförderte Ablasspraxis entwickeln. Durch Gebete, Almosen und Messfeiern konnten darin sogar die Sünden bereits Verstorbener gesühnt werden, was u.a. zu einem Abusus der Vergebungspraxis führte. Damit verdiente die Kirche aber sehr viel Geld, weshalb der Ablass eine große Bedeutung hatte.
In der Neuzeit wurde die theologische Bedeutung von Sünde/Schuld und Vergebung geschwächt: War z.B. für Kant eine stellvertretende Vergebung nicht denkbar, kritisierten Feuerbach, Marx und Nietzsche den Sündenbegriff und meinten ihn als klerikales Herrschaftsinstrument zu entlarven. Selbst Tillich z.B. sprach dem Thema eine wichtige Bedeutung für den neuzeitlichen Menschen ab, im Vordergrund stünde dessen Sinnsuche, die theologisch unterstützt werden müsse.
Nach 1945 wurden die ekklesiologische und die sozialethische Dimension von Sünde/Schuld und ihre Bedeutung für Versöhnungsprozesse (Umgang mit Juden, Apartheid u.a.) fokussiert.
4. Entwicklungspsychologische Voraussetzungen
In den ersten fünf Lebensjahren übernimmt das Kind die Beurteilung von Verhaltensweisen seiner Bezugspersonen, die im Spiel eingeübt und später im Grundschulalter internalisiert und verinnerlicht werden (Kohler-Spiegel, 2012, 6). Eine Abweichung davon wird als Schuld empfunden. Mit etwa zehn bis elf Jahren ist dann die Auseinandersetzung zwischen den verinnerlichten Normen und den Idealen/Normen anderer wichtiger Bezugsgruppen notwendig, ein Perspektivenwechsel wird eingeleitet (Erikson, 1973, 150f.; Kohlberg, 1974).
Für Gennerich hat „die theologische Sündenkategorie […] ihren zentralen Ort in der Frage der Selbstbewertung“ (Gennerich, 2010, 66). Da Jugendliche die Fähigkeit zum abstrakten, selbstreflexiven Denken erwerben, sind sie in der Lage, sich nun selbst mit den Augen anderer zu sehen und diese Bilder mit der Selbstwahrnehmung zu vergleichen. Die dabei auffälligen Diskrepanzen können aber als belastend empfunden werden. Theologische Konzepte, die eine notwendige „Kultur der Selbstreflexion“ unterstützen, sollen „einer Ausklammerung von negativen Aspekten der Selbstbewertung und einer Selbsterhöhung entgegenlaufen“ (Gennerich, 2010, 67). Gennerich unterscheidet in seiner Dogmatik des Jugendalters drei Sündenkonzepte: das sicherheitsorientierte, das selbsterkenntnisorientierte und das wachstumsorientierte. Beim sicherheitsorientierten Konzept verstehen Jugendliche Sünde als Abweichung von den Geboten Gottes. Das selbsterkenntnisorientierte Konzept sieht Sünde primär als Haltung, die Gott wenig zutraut und stark ichbezogen ist. Das wachstumsorientierte Konzept bezieht sich auf den Entwicklungsgedanken. Dabei ist Sünde die nicht wahrgenommene →
Verantwortung
In einer Studie mit 8200 Schülerinnen und Schülern aus allen Zweigen des schulischen Berufsbildungssystems zwischen 16 und 24 Jahren (Feige/Gennerich, 2008) wurden diesen elf Handlungs- und Verhaltenskonkretionen angeboten, die zuvor in einem Brainstorming systematisiert worden waren, also von Jugendlichen selbst eingebracht wurden. Zu diesen wurden sie gefragt, ob sie mit dem Begriff der Sünde verbindbar seien. Interessant ist, dass sich so alle Sündenbegriffe, die im Fragebogen verwendet wurden, auf Verbote und keine auf Wachstumswerte wie z.B. „etwas verpassen“ beziehen, vielleicht weil die Jugendlichen im theologischen Kontext daran nicht gedacht haben (Gennerich/Zimmermann, 2015). Folgende Ergebnisse können interpretiert werden:
Als grundlegendes Ergebnis kann man formulieren: „Sünde ist für Jugendliche/Junge Erwachsene allererst eine Beziehungstat im sozialen Nahbereich“ (Feige, 2014, 45). Auch die dann folgend am häufigsten genannten Items beziehen sich auf Destabilisierung des sie umgebenden Nahsystems: Gewaltanwendung, Eigentumsdelikte, Lügen, Rache. Erst am Ende der Skala finden sich Aspekte der personalen Sexualitäts- und Körperorientierung.
Die Abb. 2 zeigt das Sündenverständnis nun im Kontext der Werteorientierung Jugendlicher (vgl. ausführlicher Feige/Gennerich, 2008). Man erkennt, dass die angebotenen Items zum Sündenverständnis eher von den traditionsorientierten Jugendlichen im Quadranten rechts oben verwendet werden. Oben im Bereich universalistischer und prosozialer Werte werden Vertrauensmissbrauch, Gewalt und Lügen als Sünden verstanden. Verletzung der konservativen Sexualmoral wird eher von den Jugendlichen im Feld unten rechts im Bereich von Macht- und Sicherheitswerten als Sünde gesehen. Ein adäquates Sündenverständnis für Jugendliche im Quadranten links unten fehlt, wurde also entweder in der Untersuchung nicht angeboten oder aber diese Gruppe kann den Begriff überhaupt nicht mehr sinnvoll füllen.
5. Religionspädagogische und praktisch-theologische Zugänge
Obwohl das Thema Sünde/Schuld kein Klassiker in Schulbüchern (→ Schulbücher, aktuelle, evangelisch
5.1. Biblische Zugänge
Über die Erzählungen der Urgeschichte werden unterschiedliche Aspekte der Auseinandersetzung mit Sünde und Schuld angesprochen. Diese werden in den Lehrplänen ebenso wie andere biblische Texte zu diesem Thema aber eher stiefmütterlich behandelt. Rupp macht die „heimliche Theologie unserer Lehrpläne“ dafür verantwortlich, die „das Vermeiden der Sünde und der Macht des Bösen, das Verschwinden der Abgründigkeit Gottes und die Vernachlässigung der → Eschatologie
Auch die Frage, ob Krankheit und Sünde in einem Zusammenhang stehen, ist durchaus aktuell. Eine kleine Studie hat gezeigt, wie sehr die Schülerinnen und Schüler geprägt sind von einen Tun-Ergehen-Zusammenhang bei ihrer Krankheitsdeutung (Zimmermann, 2013, 270f.). Texte wie die Heilung des Gelähmten (s.o.) könnten hier kritisch reflektierend herangezogen werden, um die Problematik deutlich zu machen.
5.2. Kinder- und jugendtheologische Zugänge
Das Konzept des Theologisierens mit Kindern und Jugendlichen (→
Theologisieren mit Kindern
5.2.1. Kindertheologie
Werden Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren mit Beispielsituationen konfrontiert, in denen Kinder einander etwas Böses angetan haben (einander weh getan, einen ihnen wertvollen Gegenstand weggenommen oder zerstört, Geheimnisse ausgeplaudert) und am Ende eine Entschuldigung beim Betroffenen mit der Begründung abweisen, sich schon bei Gott entschuldigt zu haben, kann im Gespräch manches über deren Sündenverständnis in Erfahrung gebracht werden (Zimmermann, 2004). In den dort transkribierten und ausgewerteten Interviews können im Sinne einer Erschließung einer
Theologie der Kinder vielfältige relevante Aspekte differenziert werden. So unterscheiden Kinder zwischen absichtlichem und unabsichtlichem Tun, Sünde ist für sie dabei Tatsünde. Auch der Zusammenhang zwischen dem menschlichen Tun und der Gottesbeziehung wird reflektiert. Selbst die Einsicht einer Vorstellung von der prinzipiellen Sündhaftigkeit des Menschen, d.h. der Erb- oder Ursünde, können die Kinder aus ihrer Anschauung bei der Frage, wann man denn anfängt, böse Dinge zu tun, ganz konkret benennen. Das Diktum Augustins „non posse non peccare“ wurde von den Kindern gerade aus ihrer Lebenserfahrung mit kleineren Kindern und Geschwistern bestätigt. Zuletzt können Kinder zwischen einer Wiedergutmachung auf zwischenmenschlicher Ebene und der nur durch Gott geschenkten Vergebung bzw. Nichtanrechnung der Sünden unterscheiden, die in der theologischen Tradition Gnade genannt wird. Gerade in der Vielfalt der Positionen wird deutlich, dass in Aufnahme und Differenzierung des Vorgegebenen sinnvoll mit narrativen Szenen und → Dilemmageschichten
5.2.2. Jugendtheologie
Ein Vorschlag, der ausgewählte neutestamentliche Texte als Basis des Theologisierens mit Jugendlichen (9./10. Klasse Realschule) nimmt, geht vom oben beschriebenen dreiteiligen Deutungskonzept von Sünde (Gennerich, 2010, siehe 4.) aus und sucht jeweils korrespondierende Texte als Basis der Auseinandersetzung.
Das Sündenverständnis bei Mt und Lk zeigt nach Roose eine Nähe zum sicherheitsorientierten Konzept, das selbsterkenntnisorientierte Konzept weist eine gewisse Nähe zur paulinischen Theologie auf. Eine Zwischenstellung nimmt das wachstumsorientierte Konzept ein (Roose, 2012, 137f.).
Die biblischen Texte sollen nun unterrichtlich appliziert diese unterschiedlichen Positionen zur Frage von Sünde/Schuld ins Spiel bringen, nach dem Prinzip des Beutelbacher Konsenses: Das, was in der Wissenschaft kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Roose wählt deshalb die Parabel vom verlorenen Sohn, bei der Sünde den doppelten Bezug hat: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir“ (Lk 15,18.21
Als Ergebnis eines Brainstorming kann Roose zeigen, dass die Jugendlichen von einem sicherheitsorientierten Sündenkonzept ausgehen, das sich in der Beschäftigung mit den biblischen Texten und einer Konfrontation mit den systematischen Konzepten öffnet. Durch den Zugang bekommen sie dann im Sinne einer
Theologie für Jugendliche „eine Strukturierungshilfe, mit der sie ihre eigene Urteilsbildung in strukturell geplante(r) Freiheit“ (Dieterich, 2012, 43) (→ Freiheit
5.3. Befreiungstheologischer Zugang: „strukturelle Sünde“
Gerade weil Sünde bei der Mehrheit der Lernenden individuell definiert wird (s.o.), kann in Konfrontation mit Thesen der Theologie der Befreiung zur strukturellen Sünde das Nachdenken angeleitet werden. Dort liegt der Fokus nicht auf der moralischen Bewertung individueller Sünden. Stattdessen hinterfragt sie die politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die „dahinter stehen und den Menschen zu seinen Taten veranlassen“ (Reinisch, 2010). Ansetzend bei der Frage, wie eine Stunde/ein Tag aussehen könnte, in der/an dem man nicht sündigt, wird die Beschäftigung mit den persönlichen Verstrickungen und der Frage nach struktureller Sünde angebahnt. Da bei der Befreiungstheologie auch die Strukturen z.B. Armut/Reichtum thematisiert werden, wird die strukturelle wieder mit der individuellen Sünde verbunden (Zimmermann, 2004). Einen Weg über Personen, welche als Glaubenszeugen sündhafte Strukturen anprangern, und über Projekte, die positives Engagement gegen diese sündigen Strukturen zeigen, wählt Langenhorst (2012), die dabei auch originelle Möglichkeiten der Arbeit mit dem Gedicht Gründe von Erich Fried vorstellt.
5.4. Zugänge über Rituale (z.B. Bußsakrament)
Was haben → Rituale
5.5. Literarische Zugänge
Die moderne Literatur und auch der moderne Film erzählen Geschichten von den Verstrickungen des Menschen ins Böse, vom Schuldigwerden und der Notwendigkeit von Vergebung. Im Sinne der Ganzschriftlektüre (→
Kinder- und Jugendliteratur
5.6. Zugänge über Bilder
Sieben Todsünden z.B. sind in der Kunst und Popkultur ein häufiges Thema, obwohl schon der Begriff nicht zutreffend ist, weil es sich eigentlich um Laster handelt (s.o.). Die Beschäftigung mit diesen Darstellungen (→ Bilder im Religionsunterricht
Folgende Zyklen bieten sich an (Ausstellungskatalog, 2010):
Hieronymus Bosch: Die Sieben Todsünden, 1450–1516
Hieronymus Cock nach Pieter Bruegel dem Älteren, Sieben Todsünden, Holzstiche, 1557
Balthasar Esterbauer: Die Sieben Todsünden, sieben Skulpturen, Coburg, 1715
Alfred Kubin: Die sieben Todsünden, acht Lithographien,1914
Marc Chagall: Die sieben Todsünden, 16 Blätter, 1925
Otto Dix: Die sieben Todsünden,1933
5.7. Zugänge über Filme
(Kurz)Filme als Klassiker der Unterrichtsmedien im Religionsunterricht (vgl. →
Film
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Abbildungsverzeichnis
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- Sündenverständnis im Kontext der Wertorientierung Jugendlicher (2014). Aus: Andreas Feige, Sünde ist für mich… „Sünde“ in der Alltagsethik junger Erwachsener. Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage, in: das baugerüst 66 (2014) 3, S. 47. © Feige/Gennerich
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