Deutsche Bibelgesellschaft

Schlagworte: Graphic Novel, Sequential Art, Medium der Neunten Kunst

(erstellt: Februar 2016)

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1. Annäherungen und Begriffsklärungen

„Micky Maus, Asterix, Superman, Lucky Luke … – das war’s dann auch schon, oder?“ Der Comic, in vielen Popkulturen nicht nur fest beheimatet, sondern auch als multimediales Mainstreamformat geliebt, wird im deutschen Sprach- und Kulturraum überwiegend als printmediale Randerscheinung erlebt; wer diesbezüglich nach Sachkenntnis und Grundeinstellung gefragt wird, greift oft auf adoleszente Episoden zurück: Neben den gern thematisierten Resterinnerungen an die oben genannten Publikationen finden sich gelegentlich auch Rückbesinnungen auf Begegnungen mit japanischen Mangatiteln oder sentimentale Andenken an kultige nationale Eigengewächse (wie das westdeutsche Fix & Foxi oder die ostdeutschen Abrafaxe). Obwohl sich diese Gedächtnisfragmente einer weiterführenden Auseinandersetzung nicht zwingend widersetzen müssten, werden sie doch meist nur assoziativ verdichtet und in eine Urteilsbildung überführt, die Comics eindeutig der Kinder- und Jugendliteratur zuordnet oder gar als minderwertige Schundlektüre qualifiziert. Allerdings, einem ähnlichen Prinzip – nämlich dem der einzuschätzenden Erinnerung an Erzählungen, die den eigenen Entwicklungs- und Bildungsweg gesäumt haben – verdankt sich auch eine entgegengesetzte Tendenz, nämlich die einer reflexiv aufgearbeiteten Wertschätzung des Comics, wenngleich auch begrenzt auf ein bestimmtes Segment des gegenwärtigen Kulturbetriebs (Kubik, 2011, 221f.). Es scheint sich nahezu als ein Schema herauszustellen, dass von den frühen (Lese-)Erfahrungen mit Comics abhängt, in welcher Intensität und mit welcher Leidenschaft spätere Auseinandersetzungen erfolgen (können); letztlich unbewiesen freilich bleibt die interessante These, dass eine gelungene (Erst-)Kontaktaufnahme mit dem Comic – beziehungsweise der Erwerb einer Comic-Erschließungskompetenz – in einer späten Entwicklungsphase kaum noch möglich ist.

Dabei ist höchst strittig, was sich überhaupt unter der Signatur „Comic“ erfassen lässt. Soll der Sinnhorizont dieses Begriffs über die Subsummierungsvorschläge der Comicrezipierenden eingeholt werden, dann könnte man nach einer materialen Logik ( Batman plus Donald Duck plus Tim & Struppi), einer genrebezogenen Logik (Superhelden plus animierte Tierfiguren plus Abenteuer), einer Publikationsformat-Logik (Heft plus Taschenbuch plus Album) oder einer Zeichenvorrat-Logik (Bild plus Wort, Panel plus Grafik, Sprechblase plus Speedlines) vorgehen. Oder wäre dieser Begriffssinn womöglich über Differenzkriterien und Qualitätsurteile deutlicher zu vermessen, sodass die Trennschärfe gegenüber einem gehaltvollen Kinderbuch oder einem trivialen Jugendmagazin besser zur Geltung kommt? Wie müsste sich eigentlich eine Basisdefinition ausmachen, die einerseits möglichst umfassend und generell, andererseits hinreichend grenzsicher funktioniert, weil sie Wesensmerkmale und Charakteristika des Comics zu bestimmen und standardisiert-kriteriologisch zu erheben vermag? Welche Disziplinen wären zuständig, wenn eine akademische Bemächtigung des Comics anstünde: Literatur-, Kunst-, Kultur-, Kommunikations- oder Medienwissenschaften, um nur einige zu nennen, oder etwa eine eigenständige wissenschaftliche Comicforschung?

Die entsprechenden Fragen sind allesamt gestellt und erörtert worden. Letzten Endes hat man sich – unter dem Vorbehalt kleinerer Modifikationen – auf die frühe Definition von Will Eisner, vor allem aber auf ihre Weiterentwicklung durch Scott McCloud verständigt: Von Eisner (1985) war der Vorschlag gekommen, den Comic als sequential art aufzufassen, McCloud (1994, 17) hatte diese Interpretation zu der mittlerweile gängigen Formel ausgebaut, wonach Comics „zu räumlichen Sequenzen angeordnete, bildliche oder andere Zeichen (sind), die Informationen vermitteln und/oder eine ästhetische Wirkung beim Betrachter erzeugen“. Eine komplexere, aber vor allem für die Debatten um Comics und Religion (s. u.) brauchbare Ergänzung legt Frank Thomas Brinkmann (1999, 75) vor, der „Comic (…) definiert (…) als mediale, räumlich sequentiell gestaltete, visuelle Kunst, genauer: als ein Ensemble von zu räumlichen Sequenzen angeordneten Zeichen, die (a) Informationen vermitteln, (b) eine aesthetische Wirkung beim Rezipienten erzeugen und (c) zu sinnstiftenden Deutungs- und damit zu (Selbst-)Bewusstwerdungsakten herausfordern“.

Dass sich neben solchen Definitionen, die sich nahezu inhalts- und genreunabhängig sowie form- und zeichenneutral zu geben scheinen, auch noch ältere Klärungsversuche positioniert halten, die etwa formale sowie stilistische Aspekte, inhaltliche Kriterien, zielgruppenorientierte Fragestellungen oder Erwägungen zu Massenmedialität und populären Zeichenvorräten in den Vordergrund stellen, ist sicher der Vieldeutigkeit des Oberbegriffs geschuldet: Der Comic kann nach wie vor als industriell gefertigte Massenlektüre, als populäres Printprodukt einer Unterhaltungsmaschinerie, aber eben auch als ambitioniertes graphisches Medium einer Neunten Kunst (Brinkmann, 1999, 21) erschlossen werden.

2. Historie und Traditionen

Mit den Vorentscheidungen, die sich auf den angedeuteten definitorischen Plateaus vollziehen, korrelieren auch historische Rekonstruktions- und Ordnungsversuche:

Wer eine weit gefasste Auffassung von Comic als sequential art vertritt, scheut sich nicht, vorzeitliche Vorformen in der frankokantabrischen Höhlenkunst auszumachen und die Wandmalerei in der jungpaläolithischen Höhle von Lascaux im französischen Département Dordogne als frühe Comic-Kunst zu identifizieren. Einmal so gesehen, lassen sich reichlich Artefakte – z.B. ägyptische hieroglyphe Darstellungen, Bildfolgen auf griechischen Vasen, die trajanische Säule mit einem 155 Szenen umfassenden Steinrelief, der Wandteppich von Bayeux mit der berühmten Illustration der Schlacht von Hastings, das Evangeliar Heinrichs des Löwen oder die Tradition der reich bebilderten Armenbibeln – für eine Dokumentation der Comic-Frühgeschichte heranziehen. Ähnliches gilt weiterführend für den Versuch, besagte lange Comic-Historie mit Verweisen auf ihren Zugewinn durch die Einführung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert oder die Entwicklung der Karikatur im 17. Jahrhundert weiterzuschreiben; ebenso wenig wäre von der Hand zu weisen, dass deutsche Zeitschriften wie Kladderadatsch oder Simplicissimus Einfluss auf Wilhelm Busch haben nehmen können – dessen Max und Moritz wiederum als Vorstufe der US-amerikanischen The Katzenjammer Kids gelesen werden kann.

Insgesamt jedoch hält sich der Sinn des Unternehmens in klaren Grenzen, ein Kunst- und Unterhaltungsmedium der Spätmoderne, sozusagen ein Pop-Format der Gegenwartskultur, über einen möglichst weit gefassten Begriff in eine epische Geschichte einzubetten. Folgerichtig hatten sich in den frühen 1990er Jahren Feuilleton und Comicszene darauf kapriziert, das global wirkmächtige Medium über ein 100-Jahre-Jubiläum zu zelebrieren; grundsätzlich wollte man innerhalb des Zeitraums zwischen dem 5. Mai 1895 und dem 16. Februar 1896 den Geburtstag der „Sprechblasenliteratur“ feiern: An erstgenanntem Datum war in der Sonntagsbeilage der US-amerikanischen Sunday World erstmals jener berühmte Strip (= Streifen) abgedruckt worden, in dem der von Richard F. Outcault entwickelte und gezeichnete Charakter Mickey Dugan – ein segelohriges Kerlchen, das sich in einem langen Nachthemd auf Hogan's Alley herumtreibt – die Hauptrolle spielte; am späteren Termin war neben der gängigen Druckerschwärze erstmals eine zweite Farbe aufgetragen worden. Das leuchtende Gelb, in dem nun Mickeys Obergewand strahlte, gab fortan nicht nur der Serie (Yellow Kid), sondern auch einem journalistischen Stil (Yellow Press) neuen Titel und Namen.

Freilich ist auch diese Datierung nicht unstrittig geblieben. Gern wird entgegengehalten, dass Outcault das komplette Zeichenrepertoire, wie man es von späteren Comics kennt, nicht ausgeschöpft beziehungsweise nicht konventionell verwendet hat: Yellow Kids Äußerungen erschienen auf seinem Nachthemd, und nicht, wie bei anderen Figuren, in einer Sprechblase. Außerdem, so das wohl schlagkräftigste Argument, dürfe man die Geschichte des Comics im (str)engeren Sinne ja wohl erst mit der Entstehung des Comic-Book (deutsch eher: Heft oder Magazin) – als quasi eigenständiges Publikationsorgan mit dem standardisierten, typischen Format einer zweimal gefalteten amerikanischen Sonntagszeitung – beginnen lassen: In der Tat lässt sich festhalten, dass der frühe Ruhm der Yellow Kid-Bildstreifen zwar (erstens) zur Entwicklung weiterer Comic-Strips und (zweitens) zu einer dichteren Platzierung solcher Strip-Serien in amerikanischen Zeitungen geführt hat, die Geburt des modernen Comic jedoch erst mit der Ausweitung der Strips auf ganz- und mehrseitige Story-Serials, genauer noch: mit der Einführung eines Extraprints, nämlich der Zeitungsbeilage in Heftform, assoziiert werden sollte. Gewiss sind auch hier noch Einwände und Einschränkungen statthaft. Etwas irreführend nämlich ist der Umstand, dass man diese ersten Comic-Broschüren, die sich analog zu den Comicseiten der Zeitungen gar nicht ausschließlich als Sammlungen humoristischer Strips aufgestellt, sondern eine Reihe weiterer Genres (z.B. als Adventure-, Detektiv-, Western- oder Science Fiction-Strips) berücksichtigt hatten, weitgehend und weiterhin als Funnies konsumieren konnte. Mit anderen Worten: Trotz einer Teilmenge recht unlustiger Stories wurden die Comicmagazine quasi als unterhaltsame Spaßblätter populär – und behielten die Signatur Comic selbst dann noch bei, als ihre Inhalte längst nicht mehr komisch waren. Erst mit der verlagskalkulierten Strategie, nicht bislang in Zeitungen vorveröffentlichte Strips, sondern eigenständig entwickelte Stories in einem eigenständigen Heftformat (der halbierten Sonntagszeitung, s.o.) zu publizieren, änderte sich dieser Sachverhalt – wodurch sich die nächste These bestätigen könnte, dass erst mit den US-amerikanischen Reihen Action-Comics (1938) und Detective Comics (1938), vor allem aber mit den dort bald eingeführten Superhelden Superman (1938/39) und Batman (1939/40) eine echte Geschichte der Comics beginnt. Dieser Terminierungsansatz wird übrigens gern mit der Behauptung gestützt, dass der moderne Comic, wie er sich bis in die Gegenwart hält, erst über die Erfolgsgeschichte dieses neuen, eigenständigen Genres zu sich kam – und insofern auch vorrangig über dieses comicspezifisch-typische Superheldengenre definiert werden sollte.

Ein Blick auf die europäischen Szenen – die japanische Manga-Tradition wäre unbedingt separat zu behandeln – relativiert diese Überlegungen, wenngleich unwesentlich: Sicher hatte es schon auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert einen Markt für Bildgeschichten, Bilderbögen und humoristisch-satirische Zeitschriften gegeben, und Gestalten wie Rodolphe Töpffer und Wilhelm Busch waren mit ihren kreativen Erzählungen, vor allem aber aufgrund ihrer innovativen Formsprachen und Stiltechniken prägend geworden für eine Reihe interessanter Arbeiten im Segment der Kinderzeitschriften: 1908 war Louis Fortons Lausbubengeschichte Les Pieds Nickelés in der Kinderzeitschrift L´Epatant abgedruckt worden, 1909 hatte Attilio Mussinis Bilobul seinen ersten Auftritt in der italienischen Corriere dei Piccoli gehabt, ab 1921 war in Deutschland die Kinderzeitschrift Der heitere Fridolin vertrieben worden, und 1925 hatte Alain Saint-Ogan für die Zeitung Le Dimanche Illustré die Serie Zig et Puce entwickelt, im Übrigen erstmals unter ausschließlicher Verwendung sogenannter Sprechblasen. Gleichwohl, es war beabsichtigte Kinderliteratur, und so bleiben diese Trends im Schatten des Tatbestandes, dass die Comic-Strips in Amerika als Unterhaltung für erwachsene Leser von Tageszeitungen konzipiert waren. Hierzu wird ergänzend bemerkt, dass die wohl entscheidendste Phase der Entwicklung des europäischen Comics erst im Kontext US-amerikanischer Entwicklungen unmittelbar einleuchtet – und dass die maßgeblichen europäischen Arbeiten nur in Relation zu den Vorgaben und Regelwerken aus Übersee zu bewerten sind: Besonders anschaulich wird dies an dem Rat, den der besagte Saint-Ogan, später als Grandseigneur der französischen Comics geadelt, dem jungen belgischen Nachwuchstalent Georges Remi erteilt haben soll, nämlich: bei seiner Arbeit an bandes dessinée (Streifenzeichnung) weniger europäisch-konventionell vorzugehen, sondern sich stärker auf die amerikanische Erzählform der Comics einzulassen. Georges Remi gab sich daraufhin, der Sprechweise seiner Initialen R. G. folgend, den Künstlernamen Hergé, schuf mit Tintin (deutsch: Tim und Struppi) einen der ersten Comic-Klassiker der frankobelgischen Szene – und gilt als der Vater der Comicstilschule Ligne Claire. Es ist sicher nicht übertrieben zu behaupten, dass es der Arbeit von Hergé und anderen (z.B. André Franquin, Morris oder Peyo), vor allem auch dem Engagement der drei in den 1940er Jahren entstandenen Comiczeitschriften Tintin, Spirou und Vaillant zu verdanken ist, dass der Comic endgültig in Europa ankommen und seine eigene Kultur – eben die der bandes dessinées – finden konnte. Dieser Prozess wurde in den Folgejahrzehnten – etwa durch Beiträge der 1959 gegründeten französischen Comic-Zeitschrift Pilote (z.B. Asterix von Goscinny/Uderzo oder Lt. Blueberry von Giraud/Charlier), des 1978 lancierten belgischen Magazins A SUIVRE (z.B. Corto Maltese von Hugo Pratt oder Reisende im Wind von François Bourgeon), aber auch der 1974/75 von franco-belgischen Künstlern gegründeten Zeitschrift Métal Hurlant – gefördert und intensiviert. Binnen weniger Jahre war die frankobelgische Comicszene zu einer eigenständig-unabhängigen Größe geworden, die nicht länger nur die gesamte europäische Comickulturlandschaft nachhaltig prägen, sondern sich gar wieder auf US-amerikanische Trends auswirken sollte: Das ambitionierte Schwermetall-Projekt etwa, bei dem sich Künstler wie Moebius, Philippe Druillet, Enki Bilal oder Richard Corben auf neue Genres, vor allem aber auf neue Erzählstile, Kunstmittel und Techniken konzentrierten, wurde in den USA begeistert aufgegriffen und trug mit den dort in subkulturellen Szenen populär gewordenen Undergound-Comix dazu bei, dass sich das Medium auch über Umwege, z.B. in den Szenen von PopArt und literarischer Avantgarde, zu einer akzeptierten Größe weiterentwickeln konnte. Im facettenreichen Pool von „Comics“ und „bandes dessinées“ machen sich seit den 1980er Jahren immer mehr „bandes peintes“ und „Graphic Novels“ bemerkbar, die eben längst nicht mehr allein als Massenkommunikationsware dem popkulturellen Mainstream zugeordnet, sondern eben auch unter der Signatur „Medium der Neunten Kunst“ gewürdigt werden wollen (1971 hatte der französische Literatur- und Filmwissenschaftler Francis Lacassin den Comic als „neuvième art“ neben Musik, Architektur, Malerei, Grafik, Skulptur, Tanz, Dichtung und Film platziert.).

3. Formate, Zeichen und Lektüre

Trotz einer Reihe unübersehbarer medialer Crossover – reichliches Comicmaterial ist bekanntlich zu Filmen, Spielzeugen, digitalen Animationen und vielem mehr verarbeitet worden, aus Romanvorlagen und Zelluloidproduktionen wurden umgekehrt Comics – ist der typische Comic weiterhin ein Printprodukt, an dessen Herstellung einige Personen beteiligt sind: Herausgeber (Editor), Plotter und Story-Kompositeure (Storyboard-Expositor), Roh- beziehungsweise Bleistiftzeichner (Penciller), Tuscher (Inker) und Koloristen, ferner Textsetzer und Letterer tragen dazu bei, dass aus einer drucktechnisch vervielfältigten Publikation eine mit Bildern und Worten erzählte Story wird, deren Rezeption und Verständnis wesentlich an die Fähigkeit gebunden ist, eine bestimmte Anordnung und Kombination von Wort- und Bildsymbolen visuell zu erfassen und angemessen zu entschlüsseln.

Die zurzeit noch geläufigsten Publikationsformen sind das Comic-Book (beziehungsweise Heft), das Comic-Magazin, das Comic-Album und das Comic-Taschenbuch. Am bekanntesten ist sicherlich das Comic-Book, ein meist in traditioneller Technik farbig oder schwarzweiß gedrucktes Heft mit einem durchschnittlichen Umfang von 32 Seiten (einschließlich Werbefläche) und einem Format von 17 x 26 cm. Es enthält eine oder mehrere abgeschlossene oder sich fortsetzende Story-Episoden und erscheint als regelmäßige Serienproduktion, als mehrere Ausgaben umfassende Mini-Serie oder als einmaliges sogenanntes One-Shot. Erfolgreiche Mini-Serien oder Fortsetzungsgeschichten können im gleichen Format als Trade-Paperback oder als gebundene Hardcover- oder broschierte Softcover-Ausgabe neu aufgelegt werden. Ähnliches gilt für die auf 22 x 29,5 cm formatierten Magazine und Alben: Erstere erscheinen in steter Regelmäßigkeit als geklammerte Zeitschrift und enthalten Fortsetzungsgeschichten verschiedener Künstler, letztere werden als Broschur oder als gebundenes Buch angeboten und veröffentlichen die komplettierten Fassungen der zuvor nur in Teilen publizierten Stories. Zudem hat es sich bewährt, die Publikationsarten Paperback und Album bereits für die Erstauflagen solcher Arbeiten vorzuhalten, die innovativ-experimentell mit den Möglichkeiten des Mediums umgehen, neue artifizielle Darstellungsoptionen vortragen oder nicht-seriell graphische Novellen erzählen wollen.

Grundsätzlich besteht der Comic aus einer Anordnung von Worten und Bildern, die als konventionelle pictorale und verbale Zeichen mit comicspezifischen Sonderzeichen verknüpft und in eine bestimmte Zeichengrammatik der Panelfolge (Panel = Kästchen, Bild mit Rahmen) eingebettet werden: Das Comic-Lesen setzt nicht allein die Fähigkeit des Beherrschens von Buchstaben und Wörtern voraus, sondern macht erforderlich, dass symbolische Codes (wie etwa die Sprechblase, die Bewegungslinie oder das Emoticon) entschlüsselt und die gesamte grafische Syntax begriffen wird. Auch wenn ein Comic von banal-trivialen Bilder- und Zeichenwelten Gebrauch macht, muss immer noch zusätzlich einleuchten, wie (erstens) innerhalb eines Panels gelesen und (zweitens) von Panel zu Panel gedacht werden muss: Comiclesende haben bei ihrer Lektüre nicht nur aus einer Fülle von Zeichen eine Momentaufnahme, sondern auch in der Abfolge von Panels einen Erzählverlauf zu generieren. Es gilt, im Fachjargon gesagt, den so genannten gutter between the panels (deutsch ungenügend: Rinnstein, Freiraum zwischen den Kästchen) zu füllen, und zwar so, dass in der Abfolge der erschlossenen Panels ein Sinnkontinuum entstehen kann. In der Regel wird den Konventionen der westlichen Kulturen dahingehend gefolgt, dass ganz konkret („eins nach dem anderen“) von links nach rechts, von oben nach unten gelesen, aber quasi im Modus dieses strengen Verfahrens das geübte Auge bald zu einer Art Scan befähigt wird – und sich diesem großflächig schweifenden Blick gewissermaßen ganzheitlich Kontinuität und Sinn erschließt. Comiclektüre beruht, so gesehen, auf der Deutungskompetenz der Rezipientin und der erfolgreichen Deutungsleistung, die der Rezipient bei der Dekodierung aller Zeichen, vor allem aber bei der Rekonstruktion eines durch Panel und Seiten segmentierten Handlungsstrahls erbringt: Und tatsächlich bleibt diese Deutung dem Gestaltungswillen des comiclesenden Subjekts unterworfen, eines Subjekts, das bei seiner Lektüre etwas wiedererkennt und identifiziert, die eigene Bildwelt auf die vorliegende Comiczeichenwelt anwendet, stilisierte Formen füllt und den Rinnstein zwischen den Kästchen mit Bedeutung schließt.

4. Comics und Religion

Als Comics noch Heftchen genannt und in Deutschland als minderwertige Schundliteratur erkannt wurden, man Spurenelemente von Gewalt und Sexualität zu unterwertiger Lektüre verdichtete und die Sprechblase als unzulängliches Textvolumen brandmarkte, als man in den USA das Comicleser-Krankheitsbild der Linearen Dyslexie erkennen und den Comic als Seduction of the Innocent dämonisierte, galt „Religion“ als etwas, das vorrangig von den Theoriedesignern und Ausdrucksarchitekten des institutionalisierten Christentums wahrgenommen und reflektiert werden durfte. Folgerichtig wurden in den 1950er und 1960er Jahren Comics und → Religion nicht miteinander in Gespräch und Verbindung gebracht. Wohl gab es „Religion in Comics“, aber eben nur explizit in evangelikal-missionarischen Bibelbildgeschichten, implizit als wertekonservative Seinsordnung eines weltanschaulich verklärten Love & Romance-Genres. Sicher, man konnte und wollte allezeit, so auch im Blick auf dieses Medium, die Frage aufwerfen, ob eine Darstellung von Frömmigkeitsmotiven und Glaubensobjekten generell möglich, sodann vor dem Hintergrund des Bilderverbotes statthaft sei – und ob sich eine hochseriöse Substanz an ein unseriöses Gebilde der Pop- und Pulpkultur (→ Popularkultur) ausliefern dürfe. Indes haben sich diese religionsbinnensemantischen und -theologischen Scharmützel nicht in den Comicszenen jener Jahre bemerkbar gemacht; hier machte man sich derweil daran, fröhlich und unbekümmert den bisherigen religiösen Figuren- und Ideenbestand mit weiteren religionsaffinen Charakteren, religionsäquivalenten Szenarien und religionskritischen Skizzen aufzustocken: In den USA wurde Material aus nordischen Sagenkränzen und griechischen Mythen ebenso aufgegriffen wie allerlei Motivspektakel um → Erlösung oder Opfertod, während die frankobelgische Comicindustrie ihr erwachsenes Klientel mit christentums- und kirchenkritischen Arbeiten versorgte.

Wirksam theologisch wahrgenommen wurde dies erst seit den 1970er Jahren (Wermke, 1976). Es waren zunächst Fragen nach einer religionsdidaktischen Verwertbarkeit dieser Götterspuren gewesen (z.B. als Kontrastfolie), alsbald aber auch weiterführende Überlegungen zur Wahrheit des Mythos, zur Soziologie der Ästhetik, zu Veränderungen des Literaturbegriffs und zur Funktion(alität) von Religion, die sich an besagten Fundstücken abarbeiten wollten, dabei aber stracks auf eine neue Frage zuliefen: Wäre es denkbar, dass dieses Medium des 20. Jahrhunderts – wie vielleicht andere auch – der Orientierungshilfe in der Welt dienen? Erleichtern seine Erzählungen die Integration in die Gesellschaft, liefern sie gar Trost und funktionieren als moderne Mythen?

Der Diskurs wurde vielschichtiger, als sich drei Fragezyklen herauskristallisierten, die erstens auf eine inhaltliche, auch kritische Beschäftigung mit religionsaffinen Botschaften, zweitens auf eine Auseinandersetzung mit religiös qualifizierbaren Funktionen, drittens auf eine Strategie radikaler didaktischer und methodischer Verwertung abzielen wollen: Ließe sich wohl mit einem (geeigneten) Comic Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch) bestreiten? Weil sich vor allem bei der letztgenannten Anfrage der theologische und religionspädagogische, aber eben auch der medientheoretische Dilettantismus auf erschreckende Weise offenbarte (Wermke, 1979), wurden seit den 1990er Jahren verstärkt religionstheoretisch-kulturhermeneutische Rundgänge auf dem Comicsektor empfohlen, die ihren Ausgang bei den oben genannten Kenntnissen zur Deutungsaktivität der Comicrezipierenden nehmen sollten: Vor allen methodischen Kapriolen sei schließlich zu fragen, ob und wie man den Horizont aller Deutungen, die die Lesenden bei ihrer Comiclektüre aufbringen, vermessen könne, wie und mit welchem Recht sich dieser vermessene Deutungshorizont als ein religiöser Sinnhorizont affirmieren lasse – und welchen Gewinn die → Theologie dabei erzielt.

Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts galt der Themenkranz: Was Religion und Comics (nicht) miteinander zu tun haben als etabliert, weil überzeugend erörtert (Brinkmann, 2009).

Zu einer vorerst letzten subtilen Wende kam es, als man mit der religionswissenschaftlich-psychoanalytisch gesättigten Theorie vom Basismythos einer Heldenreise sowohl das genuine Erzählmaterial der christlichen Religion als auch allerlei Erzählungen der Comicwelten überzog und provokativ mit der drastischen Behauptung spielte, dass vielleicht alle Narrative am Ende der gleichen Logik folgen: Erzählen Menschen immer wieder dieselbe Geschichte von einem, der auszog, die Welt zu unterhalten und zu erlösen – nur je unterschiedlich formatiert, in kulturbedingten Variationen? Und welche Macht haben Erzählende über Lesende und deren Welt, wenn sie nur die richtige Erzählung platzieren?

4.2. Kurze didaktische (Nicht-)Empfehlungen

Die Frage, ob sich (ein) Religionsunterricht mit Comics bestreiten lässt, ist ebenso überstrapaziert wie obsolet. Schon als sie aufkam, wurde sie in der Regel aus Ratlosigkeit gestellt, etwa dort, wo sich Religionslehrende (→ Lehrkraft, Rolle) mit allerlei Materialempfehlungen konfrontiert sahen: so eben auch mit diesen Comicvariationen des Evangeliums, mit Bibelstrips, Jesusmangas und Apostelcartoons, die einen Zugewinn an Kundenorientierung und -bindung suggerierten, aber in der Endbilanz aus theologischer Sicht ebenso unterbelichtet waren wie aus allen Perspektiven der Comicforschung. Auch der zweite Versuch, nämlich: mit einem popkulturellen, religiös unverdächtigen Comicprodukt wie Spiderman oder Asterix den religionspädagogischen Schulalltag zu entern, wird genau in jenem Moment scheitern, in dem Lehrende die Bemühung anstellen, krampfhaft Parallelen zwischen Onkel Dagobert und König Herodes zu inszenieren oder den Tod Supermans keck, aber ohne Zugewinn auf Golgatha zu platzieren. Insofern bleibt die lexikalische Tagesempfehlung an zwei Menüpunkten hängen: (1.) Eine Comicstory im Religionsunterricht ist durchaus geeignet, wenn ganz grundsätzlich veranschaulicht werden soll, dass (und wie) existenzielle Lebensfragen, biographische Irritationen, Orientierungs- und Identitätskrisen etc. immer wieder in narrativen Inszenierungen aufgegriffen werden. (2.) Comiclektüre empfiehlt sich Theologinnen und Theologen, die etwas mehr Einblick nehmen wollen in jenes Leben (auch in das der Anderen), das in einem Credo der medialen Moderne (Brinkmann, 1999, 213f.) Zuflucht nimmt.

Literaturverzeichnis

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