Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Januar 2015)

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1. Texte lesen und verstehen

Texte zu lesen und zu verstehen, gilt als selbstverständliche Kulturtechnik. Bei der Planung und Gestaltung → religiöser Bildungsprozesse wird in der Regel vorausgesetzt, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit verschiedenen Textsorten umgehen, deren spezifische Informationen, Inhalte oder ‚Botschaften‘ problemlos dekodieren sowie produktiv mit ihren (nicht-)religiösen Vorstellungswelten verknüpfen können. Das Lesen und Verstehen eines Textes ist aber ein komplexer Vorgang, welcher dem Lesenden unterschiedliche, teilweise komplexe Tätigkeiten abverlangt, im Besonderen das Nachvollziehen der Textstruktur, das Herstellen eines logischen Sinnzusammenhangs zwischen den einzelnen Textteilen sowie die reflexive, schlussfolgernde Beurteilung des Gelesenen (Bertschi-Kaufmann, 2010, 8-13).

1.1. Lesekompetenz und Lesemotivation

Die Ergebnisse der PISA-Studie (→ Bildungsstudien) aus dem Jahr 2000 führten vor Augen, dass knapp ein Viertel der deutschen Schülerinnen und Schüler nach der Pflichtschulzeit mit nur minimalen Lesefähigkeiten ausgestattet ist, wobei einerseits die Leseflüssigkeit, d.h. die Identifikation von Wörtern und Sätzen, und andererseits die Weiterverarbeitung des Gelesenen Schwierigkeiten bereiteten.

Die Lesesozialisationsforschung verweist auf eine deutliche Motivationskrise im Leseverhalten ab dem 12. Lebensjahr. Während in der → Kindheit ein lustbetontes (Vor)Lesen zu beobachten ist und Bücher einen hohen Stellenwert im Leben eines Mittelschichtkindes einnehmen, ist mit Eintritt der Pubertät ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Retrospektiv schreiben Erwachsene diese Leseunlust überwiegend der Schule und ihrer Textarbeit zu: Der ständige Zwang zu Analyse und Reflexion verschiebe das Lesen zusehends in die Sphäre des Arbeitens und Lernens, so dass Lesen kaum noch als Genuss oder Beitrag zur → Identitätsbildung erlebt werde (Rosebrock, 2008, 164-180). Diese Motivationskrise erfordert von Erwachsenen eine Neuorientierung im Lese- und Rezeptionsverhalten.

Bei der Planung und Gestaltung religiöser Bildungsprozesse, welche die Erkundung, Erschließung und Weitergestaltung eines Textes in den Mittelpunkt stellen, sollte im Vorhinein diagnostiziert werden, welche Lesekompetenzen, -motivationen und -interessen die Zielgruppe charakterisieren, um passende Textmedien und Lernwege (→ Unterrichtsmethoden) bereitzustellen.

1.2. Verstehensprozesse

Das Verstehen und Interpretieren von Texten ist → entwicklungspsychologisch gesehen von verschiedenen Faktoren abhängig (Schubert-Felmy, 2008, 108-112): So bestimmt das vorhandene, bereichsspezifische Wissen der Lesenden die Aufnahme der im Text dargebotenen Informationen und Sachverhalte in die je individuelle Wissensstruktur. Die metareflexive Fähigkeit zum Denken über das Denken sowie das Fiktionsverständnis, welches einen permanenten Abgleich zwischen Textaussagen und Wirklichkeit vornimmt, bewerten den → Wahrheitsgehalt eines Textes. Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene sprechen fiktiven Texten oftmals einen spezifischen Wahrheitsgehalt ab, da es sich ‚bloß‘ um fantasiereiche und somit unwahre Geschichten handle; in ähnlicher Weise werden auch → biblische Texte beurteilt, vor allem wenn sie als Widerspruch zur Wirklichkeit und/oder weltanschaulichen Grundhaltung der Rezipientin oder des Rezipienten wahrgenommen werden.

Religionsdidaktisch besonders zu berücksichtigen ist die Entwicklung von einem wörtlichen hin zu einem symbolischen Verstehen (→ Symboldidaktik) literarischer Texte: Während sich Kinder phantasievoll in Geschichten hineindenken, sich in unterschiedlicher Intensität mit den Figuren identifizieren und innerhalb der Binnenlogik der Erzählung argumentieren (Niehl, 2006, 171f.), können Jugendliche und Erwachsene in der Regel über die Geschichte hinaus denken, Metaphern und Symbole erfassen und im Zuge dessen symbolische wie auch abstrakte Deutungen vornehmen. Kinder sollten bei der Textarbeit nicht dahingehend überfordert werden, dass ihnen theologische Deutungsmuster abverlangt werden, welche sie aus der Perspektive eines mythisch-wörtlichen Textverständnisses nicht leisten können (Langenhorst, 2011, 50-57; Niehl, 2006, 172). Auch das (Nicht-)Verstehen von Komik, Ironie und Satire, welches ein kritisches Wahrnehmen von individuellen Bedingungen und gesellschaftlichen Verhältnissen voraussetzt, kann für die Rezeption eines Textes maßgeblich sein. Schließlich beeinflusst die Art und Intensität der Identifikation mit der Handlung und v.a. mit ihren Protagonisten die Deutung (Schubert-Felmy, 2008, 111f.).

2. Texte in religiösen Bildungsprozessen verorten

Bei der Planung und Gestaltung von Bildungsprozessen, die ein Textmedium favorisieren, sind die zuvor genannten anthropologisch-psychologischen Voraussetzungen der Zielgruppe (Lesefähigkeit und -motivation, Vorwissen, Entwicklung des literarischen Verstehens) einzubeziehen.

2.1. Intentionen und Funktionen der Textarbeit

Ebenso ist zu verantworten, welche Intentionen mit der jeweiligen Textarbeit verfolgt werden. Hier helfen zur Orientierung die globalen Zielbestimmungen, wie sie für den Umgang mit Texten im literarischen Bildungskontext diskutiert werden: Beim Ziel des Informationslesens wird ein Text in erster Linie als Mittel zum Aufbau von versierten Wissens- und Argumentationsstrukturen in einem, in diesem Falle dem → theologischen, Fachbereich gesehen, wobei die Fähigkeit zur Meinungsbildung in religiösen Fragen und die Kommunikation darüber im Vordergrund stehen. Setzt man sich ein Bildungslesen zum Ziel, ist der Text Zweck an sich, welcher als autonomes Kunstwerk die Rezipientin oder den Rezipienten sprachlich, ästhetisch und ethisch sensibilisieren sowie zur Auseinandersetzung mit anthropologischen (→ Anthropologie) Erfahrungen und Grundfragen, zur Selbstreflexion und zur → Identitätsentwicklung oder zur Weiterentwicklung seines moralischen Bewusstseins (→ Ethik) im Horizont einer religiösen Weltdeutung anregen kann. Soll der Text als Mittel zur Erfüllung emotionaler und spiritueller Bedürfnisse des Individuums dienen, um beispielsweise die Entwicklung von Fantasie und Empathie zu fördern oder um die individuelle Religiosität der Leserin und des Lesers (→ Religion) anzusprechen, verfolgt die Textarbeit das Ziel eines Erlebnislesens (Garbe, 2009, 14-19).

2.2. Strukturierung einer Textarbeit

Jeder Text, der zum Einsatz kommt, ist im Vorfeld der Planung sorgfältig zu erkunden, um beurteilen zu können, wo Schwerpunkte, Besonderheiten und Probleme des Textes liegen, welche Erschließungswege und Lernaktivitäten sich eignen und welche Erwartungen wie Intentionen mit dem Einsatz des Textes in der jeweiligen Zielgruppe verbunden sind. Dabei kann die Orientierung an den folgenden fünf Phasen der Textarbeit hilfreich sein (vgl. u.a. Niehl, 2002, 489; Röckel/Bubolz, 2006, 109-128):

1. Textbegegnung: Hier ist die Frage leitend, wie die Rezipientinnen und Rezipienten dem Text erstmals begegnen werden: in welcher Version (Originalsprache, Übersetzung, Übersetzungsvarianten), in welcher Form (Buch, Folie, Textblatt, Arbeitsblatt mit Impulsen u.a.), mit welcher Leseweise (laut/leise, individuell/gemeinsam, abschnittsweise/im Ganzen, als → Erzählung, Vortrag oder Einspiel mittels CD/DVD ohne/mit Textvorlage, mit/ohne Pausen, verzögert oder verfremdet durch Textschnipsel, Lücken, falsche Reihenfolge) und in welcher Inszenierung (unvermittelt oder vorbereitet, z.B. Erwartungen an Titelbild, Überschrift oder ersten Satz des Textes formulieren).

2. Textwirkung: Die unmittelbaren Eindrücke und Wirkungen, welche ein Text hinsichtlich Inhalt, Sprache und Verständlichkeit während der Erstbegegnung hervorruft, sind sowohl Chance als auch Hindernis bei der nachfolgenden Aneignung und sollten aus diesem Grund nicht übergangen werden (Röckel/Bubolz, 2006, 80). Nach der Textbegegnung bietet sich deshalb eine Phase an, in welcher der Einzelne seine Eindrücke sprachlich, schriftlich, bildlich oder körperlich darstellen und sortieren sowie gezielt in die Gruppe einbringen kann (z.B. Blitzlicht, Punkte kleben, Positionslinie, Fragekarten).

3. Texterschließung: Um einem Text in seinem Eigenwert gerecht zu werden und eine produktive Aneignung desselben zu ermöglichen, welche über das bloße Beantworten von Fragen hinausgeht, empfiehlt sich als dritter Schritt eine sorgfältige Erkundung und Deutung der formalen Strukturen und der Inhalte des Textes. Dabei ist festzulegen, welches Verfahren der Texterschließung sowohl für das → Medium als auch für die Zielgruppe passend ist: Soll eher ein textnahes Lesen, die Sicherung des Inhalts, die konzentrierte Analyse und Gestaltung eines Textausschnitts oder -aspektes (z.B. Schlüsselstelle, Figurenkonstellation, Protagonist, Motiv) oder der Vergleich und die Diskussion von Lesarten des Textes im Vordergrund stehen (Abraham/Kepser, 2009, 220-230)?

Das textnahe sowie das inhaltsichernde Lesen basieren auf dem genauen, langsamen und in der Regel chronologischen Erfassen des Textes unter Einsatz passender Lesestrategien (z.B. Unterstreichen, farbig Markieren, Lücken füllen, auf Fragen zu Textinhalt und -struktur antworten); dies verlangt von den Lesenden ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration und setzt das Beherrschen verschiedener Lesetechniken voraus (Paefgen, 2008, 199). Da Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, im Alltag eher selten textnah lesen, kann diese Art der Texterschließung schnell als anstrengend, wenig gewinnbringend oder sogar als bevormundend empfunden werden. Einer solchen Demotivierung kann durch gezielte Methodenwahl und überlegte Impulsformulierungen vorgebeugt werden.

Bei der methodischen Gestaltung können rezeptiv-analytische Verfahren oder handlungs- und produktionsorientierte Aktivitäten favorisiert und eine sinnvolle Verschränkung beider Verfahrensweisen angestrebt werden (vgl. Methodensammlungen: Brenner, 2010; Niehl/Thömmes, 1998). Bei rezeptiv-analytischen Verfahrensweisen dominieren untersuchende, erörternde, begründende und argumentierende Aktivitäten (Röckel/Bubolz, 2006, 252), während bei handlungs- und produktionsorientierten Verfahren die Rezipientinnen und Rezipienten selbst schöpferisch tätig werden, „indem sie Texte ergänzen, umschreiben, imitieren, antizipieren, szenisch umsetzen und in andere Medien transformieren (Malen, Vertonen, Filmen, …)“ (Spinner, 2008, 184). Letztlich sind allerdings nicht die zum Einsatz gebrachten → Methoden ausschlaggebend, sondern deren Passung mit Text und Thema sowie den Interessen und Voraussetzungen der Zielgruppe. Methoden sind nicht beliebig einsetzbar, sondern müssen helfen, das Wesentliche eines Textes zu erfassen (Gattermaier/Siebauer, 2009, 118), und müssen geeignet sein, ein Gespräch zwischen Text und Leserin oder Leser anzubahnen. Der Einsatz kreativer Methoden allein um der Methodik oder der Abwechslung willen ist für die Deutung und Aneignung wenig gewinnbringend.

4. Textbewertung und -diskussion: Nach der intensiven Analyse und Deutung sollte den Rezipientinnen und Rezipienten erneut die Möglichkeit zur Distanzierung gegeben werden, indem sie sich vorläufig zu einem Text positionieren und/oder ausgewählte Textaspekte kritisch beurteilen (z.B. Bepunktung; Bewertung nach Nützlichkeit, Informationsgehalt, Diskussionsstoff, Anregungspotenzial, o.ä.; Fortführung von Impulssätzen; geleitete Debatte; Rezension zum Text; Parodie oder Dekonstruktion eines Textes).

5. Textgestaltung und -verarbeitung: Der schöpferische und kreative Umgang mit einem Text sollte nicht nur ein abwechslungsreicher Ausklang der ansonsten überwiegend rezeptiv-analytisch orientierten Texterschließung sein. Vielmehr ist danach zu fragen, wie handlungs- und produktionsorientierte Verfahren bereits bei der Analyse, Deutung und Bewertung eines Textes gezielt zum Erkenntnisgewinn eingesetzt werden können.

Die abschließende Textgestaltung ist von der Intention getragen, bewusst über den Text hinauszugehen und die individuellen Erfahrungen und Erkenntnisse, welche durch die Textarbeit ausgelöst wurden, gestalterisch zu verarbeiten (z.B. → kreative Schreibformen; Übersetzung in andere Medien wie → Bild, → Comic, Skulptur, → Musik; Gattungstransfer oder Kontextwechsel von Ort und Zeit; Figuren erfinden, denken oder sprechen lassen). Darüber hinaus ist zu planen, wie die hergestellten Produkte reflexiv sowie diskursiv in die Lerngruppe oder das Plenum einzuspeisen sind, sodass sie wertgeschätzt und gewürdigt und nicht – überzeichnet formuliert – für den Mülleimer produziert werden.

Abschließend sei auf drei literaturwissenschaftliche sowie „didaktische Untiefen“ (Gattermaier/Siebauer, 2009, 116) verwiesen, welche bei der Textarbeit prinzipiell kritisch zu prüfen sind: Dazu gehört zunächst die Vorannahme einer ein-linearen Dekodierung des Textes durch die Lesenden, welche letztendlich zu einer vorab als „richtig“ festgelegten Interpretation oder Autorintention führt (vgl. 3.2.2.). Kritisch zu sehen sind im Weiteren die Zielsetzung einer explizit theologischen Deutung des Textes mit allgemeinverbindlichem Anspruch sowie die Reduktion eines Textes auf einen moralischen Lehrsatz. Drittens ist der übermäßige Einsatz eines engführenden Unterrichtsgespräches, welches bei der Autorintention oder einer expliziten ‚Botschaft‘ des Textes landen soll (vgl. Verlegenheitsfrage: „Was wollte uns der Autor damit sagen?“), sowie die Aufgabe, bestimmte Textaussagen auf das eigene Leben zu übertragen, fragwürdig, da auf diese Weise sowohl die Autonomie des Textes als auch die der Leserin und des Lesers untergraben werden.

3. Texte erkunden, erschließen, bearbeiten

Im Folgenden werden grundlegende Merkmale von Sach-, literarischen und religiösen Texten sowie mögliche Erschließungswege aufgeführt. Selbst wenn die formale Typisierung und Gattungszuordnung von Texten in den Literaturwissenschaften hinreichend problematisiert und kritisiert wurde (Röckel/Bubolz, 2006, 33), soll die folgende Systematisierung zu einem ersten Überblick verhelfen und dafür sensibilisieren, dass unterschiedliche literarische Formen ein Ausdruck unterschiedlicher Erfahrungen sind und folglich verschiedene Bezüge zur Wirklichkeit herstellen (Schmid, 2008, 65; Epping, 2009).

3.1. Sachtexte

Sachtexte helfen dabei, sich über religiöse Themen, Sachverhalte und Fragestellungen in kognitiver, argumentativer und diskursiver Hinsicht zu informieren, um bereichsspezifische Wissensstrukturen aufzubauen und in religiösen Fragen urteils- und kommunikationsfähig zu werden.

3.1.1. Merkmale von Sachtexten

Sachtexte wollen in erster Linie informieren, beschreiben, analysieren, ein Problembewusstsein wecken, die Meinungsbildung der Leserinnen und Leser beeinflussen, von einem Standpunkt überzeugen oder an Einstellung und Haltung appellieren. Insofern sind Sachtexte fakten- und/oder meinungsbetont. Sie beziehen sich auf nachweisbare Tatsachen, Ereignisse und Vorgänge, welche sie in argumentativer Weise aufbereiten und beurteilen. Ihr Wahrheitsgehalt ist durch den ausdrücklichen Wirklichkeitsbezug jederzeit nachprüfbar (Niehl, 2002, 485; Röckel/Bubolz, 2006, 39f.). Üblicherweise werden Aufsätze, Berichte, Beschreibungen, Essays, Gesetzes- und Lehrtexte, Lexikonartikel, Reden, Werbesprüche sowie die journalistischen Schreibformen (Nachricht, Leitartikel, Kommentar, Glosse, Reportage, Interview) zu den Sachtexten gezählt.

Sachtexte weisen in vielen Fällen eine interne Gliederung durch Zwischenüberschriften und Absätze auf; diese vorgegebene Strukturierung ist bei der Textanalyse zu nutzen. Darüber hinaus kennzeichnet Sachtexte die Verwendung von Fachbegriffen und fachspezifischen Wissensstrukturen sowie von visuellen Elementen (Fotos, Grafiken, Statistiken, Tabellen), mit deren Dekodierung Leserinnen und Leser vertraut sein müssen, um den Informations- und Argumentationsgehalt des Textes umfassend zu erschließen.

3.1.2. Erschließung von Sachtexten

Bei der Arbeit mit Sachtexten ist wiederum zuerst die grundlegende Intention zu bestimmen: Sollen aus dem Text Informationen entnommen, die Argumente für einen bestimmten Standpunkt erarbeitet und diskutiert oder soll die Stellungnahme der Autorin oder des Autors kritisch beurteilt werden. Auch ist zu eruieren, ob die Zielgruppe mit den Wortbedeutungen und spezifischen Wissensstrukturen eines Textes hinreichend vertraut ist. Denn die Ergebnisse der kognitionspsychologischen Forschung zeigen, dass Informationen aus Texten nicht einfach mechanisch übernommen, sondern ausgehend von persönlichen Erwartungen, Voreinstellungen und dem bereichsspezifischen Vorwissen ausgewählt und in das bereits bestehende Wissensnetz eingepasst werden (Rösch, 2010, 242). Dieses Wissensnetz der Leserinnen und Leser ist gezielt in einer Vorphase zu aktivieren, indem einerseits Methoden zur Vorstrukturierung desselben angeboten (z.B. ABC-Liste, Bildkartei, Cluster, Placemat, Struktur-Lege-Karten, Wortgeländer zum Thema) und andererseits Leseerwartungen anhand der Bewertung von Titelblatt, Überschrift oder erstem Satz bewusst gemacht werden (Kunze, 2005, 86; Rösch, 2010, 243). Ebenso sollten nach der Textaufnahme spontane Reaktionen zu Inhalt, Sprache und Verständlichkeit des Textes möglich sein (Röckel/Bubolz, 2006, 131). Zudem sind spezifische Vokabeln des Christentums oder einer anderen Religion, welche im Text als bekannt vorausgesetzt werden, in ihrem Bedeutungsumfang und -spektrum und gegebenenfalls in ihrer Begriffsgeschichte zu erschließen (zu Methoden der Begriffsbildung vgl. Schwarz, 2007).

Um der Tendenz zum Überfliegen von Texten entgegenzuwirken, welche sich im Zuge der alltäglichen Nutzung von Bildschirmtexten fast zwangsläufig ausbildet (Kunze, 2005, 85), ist ein Sachtext mithilfe verschiedener Lesestrategien zu bearbeiten: Der Text kann in sinnvolle Abschnitte gegliedert oder vorgegebene Überschriften den einzelnen Abschnitten zugeordnet werden, Schlüsselbegriffe und Kernaussagen können farbig hervorgehoben, unwichtige Informationen eingeklammert oder weggestrichen, Wissensinseln, Unklarheiten, Fragen, Diskussionswürdiges können mit Zeichen am Textrand markiert, Argumentationsstrukturen eingezeichnet werden. Durch Multiple Choice, Richtig-Falsch-Beurteilungen, Fragen mit zunehmendem Komplexitätsgrad, freie Textwiedergabe, Reduktion auf Spickzettelgröße oder durch Umwandlung der Textinformationen in Schaubilder und Grafiken kann das Erfassen und Verarbeiten der Textinhalte instruiert sowie überprüft werden. Auch bei der Arbeit mit Sachtexten sind reproduktions- wie produktionsorientierte Methoden einsetzbar (zu Methoden vgl. Kunze, 2005, 86f.).

Die abschließende Textbewertung und -gestaltung kann mittels spontaner Positionierung (z.B. Meinungslinie, Fragebogen), themenbezogener Anwendung (z.B. Umschreiben in appellative Textsorte; Aufbereitung der Textinhalte für spezifischen Adressatenkreis) oder kommunikativer Stellungnahme (z.B. Interview, Statement zum Text) erfolgen.

3.2. Literarische Texte

Literarische Texte sensibilisieren im Kontext religiöser Bildung für bildhafte Sprache und symbolische Wirklichkeitsdeutung(→ Symboldidaktik), machen (religiöse) → Erfahrungen in gestalteter Form zugänglich, eröffnen Wege zu religiösen Prätexten und bieten den Lesenden mögliche (religiöse) Denkwelten an (Langenhorst, 2011, 58-64; Schmid, 2008, 63f.).

3.2.1. Merkmale literarischer Texte

Literarische Texte unterscheiden sich von Sachtexten durch ihre Fiktionalität. Die Leserin oder der Leser tritt einer erdachten, aber durchaus möglichen und denkbaren Wirklichkeit gegenüber. Dementsprechend verhandeln literarische Texte keine Tatsachenwahrheit, sondern umkreisen eine tiefere → Wahrheit über Mensch, Welt und → Gott (Röckel/Bubolz, 2006, 42), welche mit dem eigenen Empfinden und Denken zu korrelieren ist. Typisch für literarische Texte sind die gestaltete und bildlich verdichtete Sprache sowie das Spiel mit einem Erzähler oder lyrischem Sprecher, wobei keine dieser Instanzen mit der Autorin oder dem Autor gleichzusetzen ist.

Als literarische Großgattungen sind die erzählenden (Epik), die szenischen (Dramatik) und die versgebundenen Texte (→ Lyrik) zu nennen, die sich jeweils weiter untergliedern lassen. So ist beispielsweise in der Epik zwischen Lang- (Roman, Novelle) und Kurzformen (Anekdote, Aphorismus, Fabel, Legende, Märchen, Sage, Schwank, Kurzgeschichte, Parabel, Satire, Witz) zu unterscheiden.

Während das wichtigste Kennzeichen der Epik die narrative Struktur ist, welche von einem fiktiven Erzähler dargeboten wird, stellen dramatische Texte, deren Zweck primär in der Aufführung liegt, die Handlung über Dialoge her und werden von einem zentralen Konflikt gelenkt, dessen Lösung den Charakter des Dramas als tragisch, komisch oder absurd bestimmt (Wilpert, 2013, 187-189). Neben den klassischen, schul-curricularen Dramentexten können Drehbücher, Hörspiele, Rollentexte, Dialogszenen, Sketche (Gattermaier/Siebauer, 2009, 117) und die bislang noch kaum beachteten Mysterienspiele Potenzial für die Textarbeit im religiösen Bildungsbereich bergen. Auffällige Merkmale lyrischer Texte sind die Versform, die konzentrierte Verwendung sprachlicher Bilder und rhetorischer Mittel sowie die inhaltliche Intensität.

3.2.2. Erschließung literarischer Texte

Das Deuten und Verstehen von Texten ist ein aktiver Konstruktions- und Interpretationsprozess des Einzelnen. Bereits in den 1960er Jahren betonte die Rezeptionsästhetik die zentrale Rolle der Leserinnen und Leser: „Bedeutungen literarischer Texte werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt einer Interaktion von Text und Leser und keine im Text versteckten Größen, die aufzuspüren allein der Interpretation vorbehalten bleibt. Generiert der Leser die Bedeutung eines Textes, so ist es nur zwangsläufig, wenn diese in einer je individuellen Gestalt erscheint“ (Iser, 1970, 7). Zugleich stellen poststrukturalistische Ansätze – insbesondere durch ihre Absage an eine im Text auffindbare Autorintention, welche die Richtigkeit der Interpretation zu normieren vermag, – die Vorstellung einer endgültigen Sinnfindung in Frage. Das Interesse richtet sich folglich „auf den Prozesscharakter des Textes, d.h. auf die Sinnproduktion und die Strukturierungsleistung im Vollzug des Lesens, wobei ‚Sinn‘ grundsätzlich als unfest und fließend betrachtet wird (vgl. Literaturtheorien im Netz: http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/v/littheo/methoden/poststrukturalismus/).

Ausgehend von der Zuordnung zu einer der drei Großgattungen können bei der Erschließung literarischer Texte folgende Strategien hilfreich sein: Bei erzählenden Texten (→ Narratologische Analyse; Erzähltextanalyse) kann man zunächst anhand der klassischen W-Fragen einen Überblick über Figuren, Handlungsverlauf und Thema gewinnen. Im Anschluss kann eine sorgfältige Strukturanalyse, welche Handlungsort und -zeit, Figuren und deren Konstellationen, Normen und Werte der Figuren und der Handlungsführung sowie die spezifischen Erzählmerkmale erkundet, die Aufmerksamkeit auf die Erzählwelt selbst lenken (Röckel/Bubolz, 2006, 206-208). Davon ausgehend können ausgewählte Aspekte und Motive des Textes weiter entfaltet, beurteilt oder gestalterisch reflektiert werden (z.B. neue Szenen erfinden; Ort, Zeit, Personal der Erzählung verändern; eine Figur beraten, verhören, verurteilen; eine Figur interviewen oder einen Brief an sie schreiben).

Mit Blick auf die Gestaltung religiöser Lernprozesse für Heranwachsende bietet die Genrefülle der (religiösen) → Kinder- und Jugendliteratur die Chance, der Frage nach → Gott, nach → Gerechtigkeit und → Wahrheit in einer Ganzschrift nachzugehen (Zimmermann, 2012, 12). Bei der Vorauswahl von Kindern- und Jugendbüchern sollten neben ästhetischen Aspekten auch der Schwierigkeitsgrad, abgestimmt auf die Lesefähigkeiten und -motivationen der Zielgruppe, der → lebensweltliche und → entwicklungspsychologische Bezug, das Identifikationsangebot für beide Geschlechter (→ Gender) sowie die Offenheit für religiöse Fragen, Werte und Handlungsoptionen berücksichtigt werden (a.a.O., 19-23). Im Unterricht kann den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit eröffnet werden, aus einem Angebot von Büchern auszuwählen und Titel gegebenenfalls parallel zu lesen. Durch das Schreiben eines Lesetagebuchs sowie durch → projektorientierte Aktionen kann die Lektüre einer Ganzschrift gezielt unterstützt werden (Gattermaier/Siebauer, 2009, 114). Bei der Erschließung gilt es wiederum, rezeptiv-analytische und produktionsorientierte Verfahren sinnvoll miteinander zu verschränken (Zimmermann, 2012, 24-30).

Bei dramatischen Texten kann sich die Textarbeit auf die Erschließung einzelner Szenen konzentrieren, deren Aufbau, Handlung, Figuren und Figurenkonstellation, Kommunikationsstrukturen sowie Welt- und Menschenbild im Rückgriff auf handlungs- und produktionsorientierte Verfahren (z.B. innere Stimme einer Figur, Szene in Gegenwart versetzen, neue Szenen erfinden und spielen) analysiert und konstruiert werden.

Lyrische Texte, die deutlich von Alltagssprache und -kommunikation abweichen, verlangen nach einer durchdachten Erstbegegnung und einer intensiven Artikulation der ersten Eindrücke (vgl. 2.2.). Die Analyse von Form und Sprache kann über Rezitation, Verfremdung (z.B. Zeilensalat, Lücken) und kalligrafische Gestaltung angeregt werden; die thematische Erschließung eines Gedichtes kann über die Instanz des „Lyrischen Sprechers“ (z.B. Biografie erfinden, Aussehen visualisieren, Tagebuchnotiz schreiben, Lebenshilfen formulieren, Antwortgedicht schreiben) und/oder über ausgewählte Motive erfolgen (z.B. Gedichtvergleich, Gegengedicht, Gedichtillustration). Ebenso können visuelle (→ Fotos, Farbkarten, Realien), akustische (Vortragsvergleich, Vertonungen), szenische (→ Standbild, Pantomime) und schreibende Zugänge den Erschließungsprozess eines Gedichtes strukturieren (Gattermaier/Siebauer, 2009, 118).

3.3. (Fremd)religiöse Texte

Eine tragende Rolle im religiösen Bildungsbereich spielen Texte der eigenen religiösen Tradition sowie aus fremden Religionen. Neben der Analyse steht bei Texten der eigenkulturellen Religion vor allem deren persönliche Aneignung und mitunter Verinnerlichung im Zentrum, während Texte aus anderen religiösen Traditionen meist unter dem Aspekt des Kennenlernens und Vergleichens bearbeitet werden.

3.3.1. Merkmale religiöser Texte

Texte, die aus einer bestimmten religiösen Tradition stammen und im Leben ihrer Glaubensgemeinschaft den Status eines → Offenbarungs- oder Lehrtextes einnehmen, weisen eine große sprachliche und stilistische Nähe zu profanen literarischen Texten auf: Sie sind oft poetisch strukturiert, sprachlich verdichtet, symbolisch aufgeladen und semantisch mehrdeutig. Darüber hinaus operieren sie mit einem eigenen Wortschatz (z.B. Himmel, Paradies, → Hölle), der selbst wiederum eine gewisse semantische Offenheit und Mehrdeutigkeit aufweist. Spezifikum ist die religiöse Weltdeutung, welche „in – auf jeweils unterschiedliche Weise geoffenbarten und überlieferten – Geschichten von Göttern, Geistern, Religionsstiftern [erfolgt]; diese […] werden mündlich vorgetragen, schriftlich festgehalten oder dramatisch vergegenwärtigt“ (Bayer, 2009, 29).

Religiöse Texte können anhand ihrer Intention systematisiert werden, sodass sich eine Unterscheidung in narrativ-bildhafte (Mythos, Sage, Märchen, Legende), appellative (Lehrrede, Orakel, Prophetie, Predigt, Sittengesetz), rituell-performative (Anrufung, Bekenntnis, Bitte, Fluch, Gelübde, Gebet (→ Beten, christliche Perspekitve; → Beten, jüdische Perspektive), Segen (→ Segen/Segnen, bibeldidaktisch, Grundschule; → Segen/Segnen, bibeldidaktisch, Sekundarstufe), Weiheformel) und kritisch-reflexive (Abhandlung, Kommentar, Traktat) Texte nahe legt (zu den Begriffen vgl. Röckel/Bubolz, 2006, 36). Während narrative Texte die Erfahrung mit dem Göttlichen oder Ultimaten in einen Erzählzusammenhang zu übersetzen suchen, fordern appellative Texte zum Denken, Urteilen und Handeln im religiösen Kontext heraus; → rituelle Texte wollen als Sprachhandlung einen Bezug zum Göttlichen herstellen und soziale wie religiöse Situationen verändern oder schaffen, während kritisch-reflexive Texte der argumentativen Verständigung über religiöse Texte und Fragestellungen dienen (Bayer, 2009, 114f.).

3.3.2. Erschließung (fremd)religiöser Texte

Bei der didaktischen Planung sind zum einen Eigenart und Stellenwert des religiösen Textes in seiner Herkunftstradition und zum anderen die Einstellungen und Haltungen der Zielgruppe zu bedenken. Die Bestimmung von Textsorte und primärer Intention kann hilfreich sein, um passende Zugänge für die fünf Phasen der Texterschließung zu entdecken.

Da religiöse Texte die → Wahrheit ihrer Weltdeutung voraussetzen, beeinflusst der kritische Blick sowohl von einem naturwissenschaftlichen Weltbild her (Bayer, 2009, 114) als auch von der individuellen (nicht-)religiösen Überzeugung aus die Textaufnahme wesentlich. Ebenfalls beeinflusst das subjektive → Offenbarungs- und Heiligkeitsverständnis die Rezeption. Umso mehr Aufmerksamkeit ist den Erwartungen und Eindrücken der Zielgruppe vor und nach dem Lesen zu widmen (vgl. 2.2.).

Bei fremdreligiösen Texten ist zudem ein → Perspektivenwechsel indiziert, da in vielen Fällen der Umgang mit den heiligen Texten der eigenen Tradition zum selbstverständlichen und damit unhinterfragten Maßstab der Textanalyse und -interpretation wird, wie beispielsweise die historisch-kritische Exegese von → biblischen Texten. Umso empfehlenswerter scheint es, eine Kontextualisierung vorzunehmen und zu erkunden, auf welchen Wegen und ausgehend von welcher Theologie ‚heilige Texte‘ in anderen religiösen Traditionen gelehrt und gelernt werden (Tworuschka, 2005). Ebenso zu berücksichtigen wäre der spezifische Umgang mit heiligen Büchern in der jeweiligen religiösen Praxis (vgl. Torarolle, Koran).

Es stellt sich also die religionsdidaktische Aufgabe, bei der Textarbeit einen respektvollen Raum zu erschließen, der für die Heiligkeit sowie Besonderheit eines religiösen Textes sensibilisiert und sowohl für diejenigen, die daran glauben, als auch für diejenigen, die sich von dem Text distanzieren wollen, Platz schafft (Mitchell, 2005, 576). Ästhetische Zugänge sowie Auslegungsmethoden, Lesarten und wirkungsgeschichtliche Zeugnisse derjenigen religiösen Tradition, aus welcher der Text stammt, können ebenso wie die interreligiöse Kommunikation über einen Text einen solchen Raum erschließen (→ Interreligiöses Lernen).

Mit Sorgfalt zu planen sind Textvergleiche zwischen verschiedenen Religionen aufgrund der unterschiedlichen Sinn gebenden Mitte (z.B. im Christentum eine Person, im Islam ein Buch, im Buddhismus eine Erkenntnis; vgl. Tworuschka, 2008, 18) und der Gefahr unsachgemäßer Vergleiche anhand qualitativer Kategorien im Sinne von besser-schlechter. Auch performative Zugänge zu (fremd)religiösen Texten sind abhängig von der Zielgruppe mit Vorsicht einzubringen (z. B. Nachspielen der Pessach-Feier im Unterricht), insofern sie möglicherweise die religiöse Selbstbestimmung des Einzelnen oder auch (fremd)religiöse Gefühle tangieren können.

Literaturverzeichnis

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  • Brenner, Gerd, Fundgrube Methoden II für Deutsch und Fremdsprachen, Berlin 3. Aufl. 2010.
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