Deutsche Bibelgesellschaft

Schlagworte: Kunstwerke

(erstellt: Januar 2015)

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1. Mit Bildern lernen

Der Umgang mit Bildern in religiösen Lernprozessen – insbesondere mit den Kult- und Andachtsbildern der Tradition sowie den zahlreichen Werken zu biblischen Themen und religiösen Motiven der Kunst- und Kulturgeschichte bis in die Gegenwart – spielt in der christlichen → Religionspädagogik eine wichtige Rolle und ist viel geübte Praxis – und das nicht erst in jüngerer Zeit, sondern bereits in der Alten Kirche und quer durch alle Jahrhunderte bis in die Gegenwart (2.). Das verwundert angesichts des strikt und mehrfach formulierten biblischen Bilderverbots (Ex 20,4; Dtn 5,8) und der biblischen Skepsis und Polemik gegenüber dem von Menschenhand geschaffenen Bild (Weish 13,13; Jer 10,5). Die dort geltend gemachten fundamentalen Vorbehalte und Anfragen und ihre Zuspitzung im altkirchlichen Bilderstreit sowie in den Auseinandersetzungen um das Bild im Zeitalter der → Reformation lassen sich bis hin zu den modernen Fragen um das Verhältnis von Religion und autonomer Kunst nachverfolgen. Es sind bildtheologische Vorbehalte, die sich auf Fragen der Möglichkeit einer materiellen Fixierung des Heiligen, einer Gottesbegegnung im Bild und seiner sakramentalen Wirkmächtigkeit beziehen, die von bilddidaktischen Fragen zu unterscheiden sind (3.). Aber gerade im Spannungsverhältnis dieser beiden Fragenkreise erweist sich für die neuere Religionspädagogik und die Bilddidaktik der Gegenwart der Mehrwert des Umgangs mit Bildern – gerade auch mit Bildern jenseits religiöser Themen und Motive – in religiösen Lernprozessen (→ Bildung, religiöse) und von hierher sind auch Anfragen und Probleme sowie Perspektiven für die Zukunft zu formulieren (4.).

2. Funktion und Bedeutung von Bildern in religiösen Lernprozessen

2.1. Historische Vergewisserung

Bereits in den Anfängen des christlichen Umgangs mit Bildern finden sich Hinweise auf ein didaktisches Verständnis: „Denn was den des Lesens Kundigen die Schrift, das bietet den schauenden Einfältigen das Bild, denn in ihm sehen die Unwissenden, was sie befolgen sollen, in ihm lesen die Analphabeten“ (zitiert nach Thümmel, 1990, 13). Das viel zitierte Wort stammt von Papst Gregor I. dem Großen (um 540-604). Es gehört in den größeren Kontext des altkirchlichen Streits um die Verehrung der Bilder (s.u. 3.2.) und dient dort der Beschwichtigung der christlichen Bildskeptiker und Bilderfeinde, indem das Bild auf eine pädagogische Funktion und einen pragmatischen Gebrauch zu Zwecken der Katechese (→ Katechese/Katechetik) reduziert wird. Dieses Argument für eine Funktionalisierung und Indienstnahme des Bildes zu Zwecken der Verkündigung entfaltet über Jahrhunderte hinweg praktisch und theologisch (→ Theologie) eine hohe Wirksamkeit. Ein religiöser Eigenwert des Bildes wird relativiert, wohl aber wird seine Tauglichkeit zur Verkündigung des Evangeliums durch seine Anschaulichkeit, durch seine auch affektive Ansprache der Betrachterinnen und Betrachter und als visuelle Erinnerungsstütze betont. Darüber hinaus wird deutlich gemacht, dass das Bild bloße Umsetzung der ihm zu Grunde liegenden Schrift ist: Immer geht das Wort dem Bild voraus, das Bild ist vollständig rückübertragbar ins Wort; es ist lediglich „schweigendes Wort“ (Lange, 1990, 18). Ein ästhetischer Wert des Bildes als solcher gerät hier nicht in den Blick. Seinen pädagogischen Wert bezieht das Bild in dieser Sichtweise insbesondere durch die normierende und moralisierende Indienstnahme: Es schärft anschaulich-verpflichtend ein, was zu glauben und zu befolgen ist. Die hier zum Ausdruck kommende Funktionalisierung und katechetische Indienstnahme des Bildes, seine Rolle als Wissen und Kenntnis vermittelndes sowie die Andacht und den Glauben beförderndes Instrument bestimmt über viele Jahrhunderte den Umgang mit Bildern in religiösen Lernprozessen nachhaltig und führt immer wieder zu einer „instruktionistischen und rein inhaltsorientierten Verkürzung“ (Burrichter/Gärtner, 2014, 18).

Die westliche mittelalterliche und frühneuzeitliche Rezeption dieses Verständnisses spitzt den funktionalistischen Umgang mit Bildern noch einmal zu, indem – insbesondere im schulischen Kontext – das Memorieren und die präzise sprachliche Wiedergabe von Sachverhalten mit Hilfe von Bildern eingeübt werden. Dass Bilder aber über das Wort hinaus etwas zur Anschauung und zum Ausdruck bringen können, dass sie deutungsbedürftig und nicht selten mehrdeutig sind, gerade damit aber Lernprozesse voranbringen, wird dann erst in der reformatorisch geprägten Pädagogik z.B. eines → Johan Amos Comenius (1592-1670) deutlich, der in seinem programmatischen Unterrichtswerk „Orbis sensualium pictus“ von 1658 die „sichtbare Welt“ als bildliche Realienkunde in der Spannung von Illustration und Erläuterung vorstellt. Und erst die aufklärerisch orientierte → Pädagogik und → Religionspädagogik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts rekurriert auf die schon frühchristlich hervorgehobene (dort allerdings antik-rhetorisch begründete) besondere emotionale Ansprechbarkeit der Schülerinnen und Schüler durch Bilder. Vor allem aber wird nun erstmals, und zwar pädagogisch-psychologisch begründet, der schulische Umgang mit Bildern als altersgemäßer und lerntheoretisch wirksamer Zugang zu Kindern und Jugendlichen vorgestellt. Das prägt in der Folge Konzeption und Erscheinung von Unterrichtswerken (→ Religionsbuch, evangelisch; → Religionsbuch, katholisch) und Unterricht (zum Ganzen: Ringshausen, 1976). Bilder werden verstanden als pädagogisch wirksame, nämlich anschauliche, motivierende und Lerneffekte verstärkende Lehrmittel.

Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts werden diese eher fundamentaldidaktischen Überlegungen stärker ausdifferenziert. Dies vollzieht sich im Kontext der unterschiedlichen religionspädagogischen Konzeptionen (→ Fachdidaktische Konzeptionen), Modelle und Ansätze (Überblicke dazu bei: Künne, 1999; Kalloch, 1997). Bilder geraten dabei unter Maßgabe des je spezifischen Konzepts in den Blick: unter hermeneutischen (→ Hermeneutischer Religionsunterricht), problemorientierten (→ Problemorientierter Religionsunterricht), korrelativen (→ Korrelation) oder symboldidaktischen (→ Symboldidaktik) Gesichtspunkten. Das bedeutet zum einen, dass bei der Auswahl von Bildern über das geläufige Spektrum des Einsatzes von biblischen Illustrationen und Bildwerken der religiösen Tradition hinaus konzeptionsadäquate Bilder (sachkundliche Darstellungen, vor allem aber auch Fotografien, Filme und andere Medien [→ Medien]) in den Blick geraten. Und das bedeutet zum anderen, dass die Platzierung von Bildern im Unterrichtssetting, ihre methodische Erschließung und die Verwertung von Lernerträgen sich nach den jeweils zu Grunde liegenden konzeptionellen Zielperspektiven richtet. Im hermeneutischen Religionsunterricht Mitte des 20. Jahrhunderts begegnen Bilder also (vornehmlich) im Kontext bibelkundlicher Arbeit als sachkundliche Illustrationen und Erläuterungen biblischer Texte; im thematisch-problemorientierten und korrelativen Religionsunterricht ab den 1970er Jahren begegnen Bilder (vergleichsweise oft) als Zeugnisse der aktuellen Lebenswelt und Anlässe zur Auseinandersetzung mit gegenwartsbezogenen Fragen im Horizont religiöser Tradition; im symboldidaktischen Religionsunterricht zu Beginn der 1980er Jahre werden Bilder (in der Regel wie Symbole) als genuine Ausdrucksgestalten religiös und existenziell bedeutsamer Fragen und Perspektiven verstanden, die in der ihnen eigenen Bildsprache Sinndimensionen erschließen. Dabei gilt im Rahmen der symboldidaktischen Konzeption (→ Symboldidaktik), dass der bildsprachliche Ausdruck ein ‚Mehrwert‘ ist, der nicht ohne Weiteres ins Wort konvertierbar ist.

Im Kontext symboldidaktischer Entwürfe begegnet also im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts erstmals eine besondere Aufmerksamkeit für die spezifische Sinnstiftung des Bildes als materielles Objekt. Diese Aufmerksamkeit führt zusammen mit der zeitgleichen Aufnahme rezeptionsästhetischer Fragestellungen in die Methodik des Religionsunterrichts und einer stärkeren Betonung der Bedeutung von Erfahrung – und damit auch der sinnlichen Erfahrung – in einer subjektorientierten (→ Subjekt) Religionspädagogik zu einer markanten Trendwende im religionspädagogischen Umgang mit Bildern. Das Bild, auch und gerade das Bild der christlichen Tradition, gilt nun als Medium sui generis: „Es hat seine eigene ‚Sprache‘ der Farben, Linien und Flächen, die (Qualitätsmerkmal!) niemals durch Beschreibung und Begriffsbildung einzuholen ist […]. Es hat Anspruch darauf, sich ‚aussprechen‘ zu dürfen, in seiner individuellen Eigenart gewürdigt, statt bloß verzweckt zu werden“ (Lange, 1986, 531). Was es an ihm zu lernen gibt, ist also mehr als seine bloße Übereinstimmung mit einem Text; auch seine spirituelle Bedeutung und sein theologischer Gehalt haben etwas mit seiner sichtbaren Gestalt zu tun; die → Theologie bedarf, um dem gerecht zu werden, der Kunstwissenschaft als Bezugsdisziplin (Lange, 1998) und die → Religionspädagogik findet sich wieder im größeren Bezugsrahmen → ästhetischer Bildung und Erziehung (Gärtner, 2011, 27-47).

2.2. Aktuelle Dimensionierungen

Im Gefolge dieser deutlichen Zäsur Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelt sich der ohnehin schon sehr vielfältige Umgang mit Bildern in der christlichen Religionspädagogik noch einmal verstärkt. Zum einen wird über die in der historischen Entwicklung aufgezeigte Verbindung zu lerntheoretisch konzipierten Didaktiken der Bereich der religionspädagogisch relevanten Bilder stark erweitert. In den Blick geraten nunmehr Bildmedien aller Art: → Film und Fotografie, → Comic, → Karikatur und die Bildwelten der Popkultur (→ Popularkultur). Deutlich wird an dieser Stelle die Notwendigkeit einer Weitung bilddidaktischer Reflexionen in Richtung → Medienpädagogik und → Mediendidaktik (Reuter, 2008). Zum anderen wird über die ebenfalls in der historischen Entwicklung aufgezeigte Verbindung zum ästhetischen Lernen (→ ästhetische Bildung) die inhaltlich-thematische Begrenzung auf Bilder der Tradition und auf Bilder mit christlich-religiösen Themen und Motiven aufgebrochen zugunsten eines erweiterten Bildspektrums, zunächst vor allem zugunsten eines verstärkten Umgangs mit Werken der modernen Kunst und der Gegenwartskunst. Die religionspädagogische Auseinandersetzung mit Werken der sogenannten autonomen Kunst, also mit einer Kunst, die sich aus heteronomen Verpflichtungszusammenhängen (z.B. der Auftraggeberschaft) und Bedeutungszuweisungen (z.B. außerbildliche gegenständliche, aber auch politische oder religiöse Sinnbezüge) gelöst hat, führt zu charakteristischen Verschiebungen der Formulierung dessen, was es im Umgang mit Bildern zu lernen gibt (Burrichter, 1997, 171). Im Kontext derartiger „kunstorientierter Ansätze“ (Gärtner, 2011, 51-66) erweist sich die theologische, religiöse und religionspädagogische Relevanz je am Einzelwerk unter Berücksichtigung der je subjektiven Rezeption der Betrachterinnen und Betrachter. Darüber hinaus richtet sich im Zuge der stärkeren Einbindung der Bilderfragen in Fragen des ästhetischen Lernens nunmehr die konzeptionelle Aufmerksamkeit vor allem auf die Subjekte religiöser Lernprozesse, deren Wahrnehmungs- und Aneignungskompetenzen und -strukturen sowie auf die performative Dimension der Ausdrucksgestalt (Gärtner, 2011, 100-104). Die Weitung bilddidaktischer Reflexionen in Richtung eines Einbezugs der Konzepte der Kunstpädagogik liegt damit nahe und wird mittlerweile in Ansätzen vollzogen (Gärtner, 2011; Gärtner/Brenne, 2015). Im Horizont einer wahrnehmungswissenschaftlichen Weitung wird auch eine (unabgeschlossene und kontroverse) Diskussion um die ästhetische Perspektivierung einer religionspädagogischen → Bildungstheorie geführt (Altmeyer, 2006; Kunstmann, 2002).

Für das Verständnis des gegenwärtigen Umgangs mit Bildern im Kontext der → Religionspädagogik ist eine dreifache – der Praxis entnommene und auf Praxis bezogene – Dimensionierung hilfreich: Bilder begegnen zum einen als Unterrichtsgegenstände, nämlich als Bestandteile der christlichen Traditions- und Liturgiegeschichte: in Gestalt der Kultbilder der orthodoxen und katholischen Kirchen, in Gestalt der Andachtsbilder der christlichen Frömmigkeitsgeschichte, in Gestalt der Illustrationen der biblischen Erzählungen (→ Bibelillustrationen/Bilder in Bibeln, bibeldidaktisch). Sie dienen hier nach wie vor der Vermittlung von Inhalten des christlichen Glaubens, aber auch als Belege für Transformationen theologischer und religiöser Themen und die Kontinuität und Diskontinuitäten der Christentumsgeschichte. Im Gefolge der markierten deutlichen Zäsur im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts begegnen Bilder im Kontext der christlichen Religionspädagogik zum anderen aber immer auch als visuelle Medien (→ Medien), die über Themen, Motive und Inhalte hinaus durch die ihnen eigene ästhetische Struktur, nämlich durch die visuelle Erfahrung von Form und Farbe und deren prinzipielle ‚Unfassbarkeit‘ in Sprache – also durch ihren ästhetischen Bedeutungsüberschuss – sensibel machen für den Umgang mit der Relationalität und Analogiebildung religiöser → Sprache und religiöser Ausdrucksformen. Bilder gelten hier als ästhetische Objekte, die theologische Erkenntnisprozesse gerade durch ihre bildliche Eigenart, ihren bildlichen „Eigen-Sinn“ ermöglichen, aber auch befragen und irritieren und die so religiöses Lernen (→ Bildung, religiöse) „mit allen Sinnen“, also im Dienst eines ästhetischen Lernens (→ ästhetische Bildung) befördern. Das Zueinander dieser beiden Dimensionen ist nicht als ein Gegenüber eher kognitiver und eher affektiver, eher inhaltlicher und eher formaler Zugänge zu verstehen, sondern als ein komplementäres Verhältnis (Burrichter, 2008, 228). Religionspädagogische Chancen der Bilddidaktik bestehen gerade darin, dass vermittels der ästhetischen Gestalt Gehalte der Tradition als Inhalte, und zwar als je zeitgenössische Deutungen und Transformationen von Themen und Motiven in den Blick geraten und als solche zu Positionierung, zu kritischer Aneignung und eigenen Urteilen herausfordern, dass aber zugleich vermittels des Bedeutungsüberschusses dieser je spezifischen ästhetischen Gestalt immer auch persönliche, existenzielle sowie spirituelle Ausdrucksformen ermöglicht werden: „Bilder als Denkvorschläge und Glaubensvorschläge“ (Burrichter, 2013, 226). Nicht zuletzt aber sind Bilder im Kontext der Religionspädagogik – und zwar gegenwärtig mehr denn je – auch als lebensweltliche (→ Lebenswelt) und lebensgeschichtliche Bezugsgrößen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen selbst zu bedenken (Sellmann, 2012). Die religionspädagogische Aufmerksamkeit wird damit zum einen auf die Bildwelten der Kinder- und Jugendkulturen, der Pop- und Medienkultur (→ Populäre Kultur), der Konsum- und Informationsgesellschaft gelenkt, zum anderen aber vor allem auf die bildlichen Repräsentationen des eigenen Lebens und der eigenen Lebensgeschichte von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen selbst, wie sie sich in den Posts, Pics und Videos der sozialen Netzwerke (→ Soziale Medien) finden. Die Auseinandersetzung mit Bildern in diesem Zusammenhang zielt nicht auf deren unmittelbare pädagogische und didaktische Indienstnahme oder gar „Verwertung“ für den schulischen Religionsunterricht und außerschulische Lernorte, macht aber aufmerksam für die je spezifischen ästhetischen Milieus (→ Milieu) der Adressatinnen und Adressaten und bietet somit Hinweise und Anknüpfungspunkte für religionspädagogische Vermittlungsprozesse, die den Prinzipien der → Korrelation und der → Elementarisierung verpflichtet sind und die der → Heterogenität von Lerngruppen Rechnung tragen wollen. Darüber hinaus gilt auch und gerade für diese Bildwelten, dass sie thematisch und ikonographisch nicht selten auf religiöse Motive und Deutungsmuster bezogen sind – oft mehr als den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die ja in diesem Feld zugleich Produzentinnen und Adressaten sind, bewusst ist. Eine religionspädagogische Bilddidaktik ermöglicht hier eine weitergehende Wahrnehmung des Religiösen im Horizont lebensweltlicher und kultureller Adaptionen und Transformationen sowie verstehende Zugänge zu den eigenen Bildwelten und reflektierte Erweiterungen des persönlichen Ausdrucksspektrums.

3. Bildtheologische Aspekte der biblischen Tradition und der christlichen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte

3.1. Leitmotive des biblischen Bilderverbots

Das biblische Bilderverbot (Ex 20,4; Dtn 5,8) ist Bestandteil des Dekalogs (→ Dekalog, bibeldidaktisch, Grundschule; → Dekalog, bibeldidaktisch, Sekundarstufe), der sogenannten „Zehn Gebote“ und dort als „Ausführungsbestimmung“ des zentralen Fremdgötterverbots zu verstehen (zum Ganzen: Dohmen, 2012, 60-91). Hintergrund ist, dass in Israel, das aufgrund seiner nomadischen Tradition keine Kultstatuen und keine festgelegte Ikonographie des Gottes JHWH kennt, recht unbefangen die Kultstatuen der anderen orientalischen Göttinnen und Götter verehrt und deren Kultorte aufgesucht werden und dass Israel im Sinne einer „integrierenden Monolatrie“ seinen Gott JHWH in diesen Kultstatuen und an diesen Kultorten verehrt. Darauf bezieht sich im Kontext der Reformbemühungen des achten Jahrhunderts vor Christus die Formulierung des Bilderverbots, das auf die Alleinverehrung JHWHs im Sinne einer „intoleranten Monolatrie“ zielt (Dohmen, 2012, 65f.; Assmann, 2001, 60): Um Missverständnisse in einer multireligiösen, polytheistischen Umwelt zu vermeiden, ist die Anfertigung und Verehrung von Kultstatuen aller Art zu unterlassen. Damit wird kein Kunstverbot ausgesprochen, auch nicht ein Verbot der bildlichen Auseinandersetzung mit religiösen oder theologischen Themen und Fragen, wohl aber wird hier eine Perspektive auf die Gottesfrage (→ Gott) eröffnet, die gerade auch in der weltanschaulich und religiös pluralen Gegenwart von Bedeutung ist. So lässt sich dieser Deutungshorizont des Bilderverbots angesichts des empirisch (→ Empirie) fassbaren Rückgangs personaler Gottesvorstellungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen (Albert/Hurrelmann/Quenzel, 2010) als kritische Anfrage an deistische und synkretisierende Vorstellungen des Göttlichen verstehen.

Etwas anders akzentuiert die zeitlich spätere Formulierung Dtn 4,15-18, dass sich der Gott Israels am Horeb „in keinerlei Gestalt“ offenbart, vielmehr „aus dem Feuer“ zu seinem Volk gesprochen habe. Hier wird betont, dass sich der in der Geschichte handelnde Gott an keinen Ort bindet, sich schon gar nicht in einem Bild, einer Kultstatue fixieren lässt. Diese Formulierung des biblischen Bilderverbots zielt auf zwei Dimensionen, die auch noch für die Gegenwart von Bedeutung sind: Hier wird die grundlegende Unverfügbarkeit des unsichtbaren Gottes proklamiert, die sich jeder Festlegung entzieht und die damit auch die Relativität und Vorläufigkeit jeder menschlichen Gottesrede (jeder Theo-Logie!) deutlich macht. Im Horizont der literarisch-ästhetischen Formulierungen der Gottesrede der Bibel selbst führt diese Einsicht aber nicht zum Verzicht, sondern gerade zu einer Vielzahl und großen Spannbreite der Gottesprädikationen, die in ihrer Fülle, Gegensätzlichkeit, auch Widersprüchlichkeit der prinzipiellen Unfassbarkeit des ‚Gegenstandes‘ Rechnung tragen. Und auch für die bildende Kunst besagt das Bilderverbot in dieser Fassung: „Nicht sollst du dir ein Bild machen – mach‘ dir lieber gleich viele!" (Burrichter, 2013, 220).

Auf einen weiteren Aspekt machen im biblischen Kontext weisheitliche und prophetische Hinweise zum Bilderverbot aufmerksam, die sich abfällig darüber äußern, dass das von Menschenhand Gemachte als Ort göttlicher Gegenwart angesehen wird (Weish 13,18). Ein derartiges realpräsentisches Verständnis ist aber konstitutiv für das altorientalische Kultbildverständnis. Die Rede Jeremias von der Vogelscheuche im Gurkenfeld (Jer 10,5) will demgegenüber einschärfen, dass das Kultbild kein wirkmächtiges Gegenüber ist, das den Gläubigen ansieht und erhört – im Gegensatz zum wirkmächtigen Gott Israels. An dieser Stelle ist noch am ehesten von einem biblischen ‚Kunstvorbehalt‘ zu sprechen, insofern es hier ausdrücklich um die Materialität des Bildes, um seine ästhetische Erscheinung geht. Gerade in den biblischen Vorbehalten aber spiegelt sich noch das Wissen um die unleugbare Faszination und die suggestive Macht, die das Bild, insbesondere die Statue, als Gegenüber entfalten; das materielle Bild erfährt gerade „im Verbot die höchste Wertschätzung“ (Hoeps, 1999, 14). Diese Fragen nach der wirkmächtigen Präsenz des Abgebildeten im Bild und der Wirkmächtigkeit des Materiellen bilden die Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzungen um das Kultbild im frühen Christentum. Sie sind zugleich die bis heute bewegenden Fragen um die sakramentale Struktur von Bildlichkeit, die im Übrigen auch in profaner Wendung die Kunstwissenschaft beschäftigt, insofern sie nach der performativen Dimension des „Bildakts“ in Analogie zum performativen Sprechakt fragt (Hoppe-Sailer/Volkenandt/Winter, 2005; Bredekamp, 2010; Nordhofen, 2001).

3.2. Historische Umgangsformen mit dem Bild und Konflikte um das Bild

Das Christentum versteht sich von seinem Ursprung her als ,Wortreligion‘ und sieht sich – wie das Judentum und auch der Islam – dem biblischen Bilderverbot verpflichtet. Bilder sind hier theologisch nicht vorgesehen! Die reiche christliche Bildgeschichte ist demgegenüber eine ,Praxisgeschichte‘: Mit seiner Inkulturation in den spätantiken hellenistischen Kulturraum begegnet das Christentum einer ausgesprochen bilderfreundlichen Umwelt. Bilder gelten hier nicht nur als Dekoration oder Information, sondern werden als wirkmächtiges, realpräsentisch erfahrbares Gegenüber angesehen. Für heidnisch geprägte, zum Christentum übergetretene Gläubige liegt es nahe, auch Bilder Christi (→ Christus/Christologie) in dieser Weise zu verstehen und sich Christusbilder zur Verehrung zu wünschen. Theologen wie Eusebius von Cäsarea († um 339) wenden sich harsch und mit schlagenden christologischen Argumenten gegen derartige Ansinnen, ihre Kritik kann aber die zunehmende Praxis der Gläubigen nicht aufhalten. Theologen wie Paulinus von Nola († 431) finden angesichts längst etablierter Praxis zu ausführlichen, insgesamt aber eher pragmatischen Rechtfertigungen. Die frühchristlichen Bildstreitigkeiten führen im achten Jahrhundert zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Byzanz, als sich der bilderfeindliche Kaiser Leon III. nicht nur als Herrscher, sondern vor allem auch als Prediger und Glaubenshüter (hiereus) versteht (Lange, 2007, 177) und hoch verehrte Bilder entfernen und zerstören lässt. Von äußeren Anlässen und innerkirchlichen Rivalitäten abgesehen ist der frühchristliche Bilderstreit im Letzten eine Auseinandersetzung um das Heilige (Stock, 1990), das macht seine Bedeutung auch für das Verständnis der Gegenwart aus. Umkreist wird hier das Fragenbündel: „Darf, kann, muss und soll das Unsichtbare sichtbar werden?“ (Burrichter/Gärtner, 2014, 78-83) und in diesem Fragenbündel sind zahlreiche theologische Probleme, aber auch ebenso zahlreiche existenzielle Glaubensperspektiven enthalten Die Beilegung des Bilderstreits erfolgt mit den Beschlüssen des II. Konzils von Nizäa 787, die unter Aufnahme platonischen Gedankenguts festhalten, dass Bilder verehrt, nicht aber angebetet werden und dass die Verehrung des Abbildes auf das Urbild übergehe: „[…] wer das Bild verehrt, verehrt in ihm die Person des darin Abgebildeten“. Die solcherart in der griechischen Theologie noch stärker spirituell verstandenen – und in der Bildverehrung der orthodoxen Kirchen bis heute wirksamen – Beziehungsdimensionen werden im Kontext der westlichen lateinischen Frömmigkeits- und Mentalitätsgeschichte zu durchaus materiellen Vorstellungen der Präsenz des Heiligen (→ Transzendenz) im Bild transformiert (Angenendt, 2007). Die Vorstellung von der Präsenz und Wirkmächtigkeit des Heiligen im Bild führt folgerichtig zur Heilsvermittlung durch das Bild und zu dessen kirchlicher Kontrolle. Dass das Unsichtbare in diesem Sinne dann durchaus sichtbar werden muss, um überhaupt Zugänge zum Heil zu ermöglichen, erlangt im Hochmittelalter zunehmend an Bedeutung. Eine solche Praxis steht aber in Spannung zur Lehre von Nizäa II und führt bereits im Spätmittelalter in den innerkirchlichen Reformbewegungen zur Bildkritik, die im Zuge der → Reformation mit einer gerade auch kirchenpolitisch wirksamen, das sola-scriptura-Prinzip stärkenden Akzentuierung von den reformatorischen Gruppierungen aufgenommen und unterschiedlich entwickelt wird: Während Luther (→ Luther, Martin) die Bilder als Nebensächlichkeiten (Adiaphora) ansah, betrieben Calvin und Zwingli die konsequente Entfernung der religiösen Bilder, die täuferischen Gruppen deren Zerstörung (Belting, 2000, 512).

Zwei Dimensionen beziehungsweise Resultate dieser innerchristlichen Konfliktgeschichte sind für den religionspädagogischen Umgang mit Bildern heute von Bedeutung: Zum einen wird mit der Frage nach der Präsenz des Heiligen im Bild auch jenseits eines spezifisch christlichen Verständnisses die Frage nach Zugängen zum ‚wirklich Wichtigen‘, durchaus auch nach Zugängen zur Sakramentalität der medialen Objekte der Alltagswelt gestellt. Zum anderen wird spätestens mit der Bildkritik der reformatorischen Kirchen (nicht nur) das (religiöse) Bild freigesetzt und wandelt sich zum ‚weltlich Ding‘, zum Kunstwerk, das als solches ‚die Welt‘ dem religiösen Lernen zugänglich macht.

4. Aktuelle bilddidaktische Grundsätze und Zugänge

4.1. Sachgerechte Bilderschließung

Der Umgang mit Bildern im religionspädagogischen Kontext vollzieht sich in einem gewissermaßen paradoxen Erwartungs- und Bedingungsgefüge. Das Bild gilt in religiösen Lernprozessen als relevant, ohne jedoch als „religiös“ angesehen zu werden: Das ist der Anspruch der neueren Bilddidaktik, die das Bild als Medium sui generis schätzen gelernt hat und sich vor religionspädagogischer Funktionalisierung hüten will. Dennoch wird das Bild in der konkreten religionspädagogischen Praxis zwangsläufig funktionalisiert, weil es anlässlich unterschiedlicher Unterrichtsphasen und zu unterschiedlichen Themenbereichen eingesetzt wird. In unterschiedlichen → Sozialformen, unter dem Anspruch unterrichtlicher Methodenvielfalt und mit Blick auf den jeweils angezielten Kompetenzerwerb wird es darüber hinaus notwendiger Weise methodisch instrumentalisiert. Aber diese pädagogische Indienstnahme vollzieht sich nicht unter den Vorzeichen eines rein pragmatischen, gar eines katechetischen Bildgebrauchs. Soll der ästhetische Eigenwert zur Geltung kommen, dann ist darauf zu achten, dass das ästhetische Erkenntnispotenzial des Bildes auch in strukturierten, regelgeleiteten Wahrnehmungsprozessen und handlungs- und produktionsorientierten Verfahren zur Geltung kommt.

Als Modell für einen strukturierten Wahrnehmungsprozess wird hier die Bilderschließung nach Günter Lange vorgestellt (Lange, 1998, 155f.):

1. Stufe: Was sehe ich? – spontaner Austausch von Eindrücken und Vermutungen.

2. Stufe: Wie ist die Bildfläche organisiert? – systematische Wahrnehmung von: Format und Formen; Proportionen, Kontraste, Perspektive; Licht und Schatten; Bewegungs- und Blickrichtungen; Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund; Körpersprache, Gestik, Mimik, Kleidersprache der Personen usw. Hier dominiert die Außenkonzentration der Betrachtenden.

3. Stufe: Was löst das Bild in mir aus? – Mitteilung von Gefühlen und Assoziationen; Innenkonzentration!

4. Stufe: Was hat das Bild zu bedeuten? – Bildthema; Bezug zu Texten; Ausgestaltung des verbal/visuell tradierten Themas; historische Epoche; Position in Streitfällen; Funktion des Bildes (Predigtersatz, liturgische Repräsentation, Andachtsbild); Außenkonzentration!

5. Stufe: Was bedeutet das Bild für mich? – Finde ich mich darin wieder? Gehe ich auf seinen Appell ein? Innenkonzentration!

Das Modell bietet ein hilfreiches Schema für die Planung und Durchführung von Unterricht (→ Unterrichtsplanung), das aber nicht schematisch verstanden werden sollte, sondern als ,Merkzettel‘ wichtiger Aspekte der Erschließung (→ Artikulationsschemata). Insbesondere geht es dabei nicht um die je vollständige Abarbeitung aller Stufen in allen Lernsituationen, schon gar nicht in rein verbaler Form und womöglich ausschließlich im Plenum einer Lerngruppe. Auch die Reihenfolge ist nicht in jedem Fall zwingend zu verstehen, wiewohl es gute Gründe gibt, zunächst die Formensprache zu klären, bevor Seheindrücke in ihrer emotionalen Qualität beschrieben werden. Die Leistung des Modells besteht im Zueinander von Innenkonzentration und Außenkonzentration, dadurch wird Raum für das ästhetische Wahrnehmungspotenzial geboten.

,Gefüllt‘ wird ein solches Modell jeweils durch angemessene Erarbeitungsformen (→ Unterrichtsmethoden) auf den einzelnen Stufen. Dabei liegen für den Religionsunterricht zahlreiche Methodensammlungen vor, die neben verbalen Erschließungen auch handlungs- und produktionsorientierte Verfahren im Umgang mit Bildern vorstellen. Der Wahl im Einzelnen sollten dabei nicht nur religionsdidaktische Grundfragen vorausliegen, wie etwa: Dient das Bild im aktuellen Unterrichtssetting als religionskundliche Quelle? Als theologieproduktives ,Zeichen der Zeit‘? Oder als inspirierender ästhetischer Ausgangspunkt für (religiösen) Sinn generierende Reflexionen der Schülerinnen und Schüler? Vielmehr ist insbesondere dort, wo im Sinne des ästhetischen Lernens multiperspektivisch mit und zu Bildern gearbeitet werden soll, eine vorgängige Reflexion bilddidaktischer Grundprinzipien, wie sie in der Kunstpädagogik entwickelt worden sind, weiterführend. Claudia Gärtner hat in einer Zusammenschau kunstpädagogischer Ansätze deren Ertrag für Fragen des ästhetischen Lernens im Kontext religiösen Lernens analysiert (Gärtner, 2011, 105-154) und die jeweilige spezifische Leistung für die Religionsdidaktik an konkreten Praxisbeispielen mit methodischen Hinweisen vorgestellt (Burrichter/Gärtner, 2014, 38-55). Neben den in der → Religionspädagogik geläufigen (und auch in der Kunstpädagogik vertretenen) eher kognitiv orientierten Zugängen geraten dabei verstärkt künstlerische und bildwissenschaftliche Verfahren in den Blick, die besonders geeignet sind, über die ästhetische Wahrnehmung hinaus vor allem den ästhetischen Ausdruck zu fördern und die auch für Religionslehrerinnen und Religionslehrer gut zugänglich sind.

4.2. Umgang mit Bildern in heterogenen Lerngruppen

Innerhalb der neueren Bilddidaktik werden rezeptionsästhetische Fragen und Fragen der Wahrnehmung des Subjekts zunehmend thematisiert, dennoch kann von einer systematischen Berücksichtigung oder gar einer validen empirischen Erforschung (→ Empirie) der Rezeptionsbedingungen von Bildern im Blick auf Alter, Geschlecht, soziale Herkunft und kognitive Leistungsfähigkeit bislang nicht gesprochen werden. Dieses Feld wird im Rahmen der Kunstpädagogik zunehmend bearbeitet, innerhalb der Religionspädagogik aber bislang nur marginal beachtet (Burrichter/Gärtner, 2014, 56). Zumindest liegen aber erste, in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Kunstpädagogik, Religionspädagogik und Theologie entwickelte explorative Zugänge zu Funktion und Wirkung von Kunst im Religionsunterricht vor, die Ausgangspunkte auch für weitere Forschungen (→ Unterrichtsforschung, empirische) zur Bildrezeption im Kontext der Religionspädagogik bilden können (Gärtner/Brenne, 2015). Von grundlegender Bedeutung ist die Auseinandersetzung mit Struktur und Entwicklung von Wahrnehmen, Verstehen und Deuten, weil sich daran je Fragen der Angemessenheit der Auswahl von Bildern, des methodischen Zugangs zu ihnen und der Formulierung von Erwartungshorizonten bezüglich der Erträge des Umgangs mit Bildern der Kunst entzünden.

Fragen altersgemäßer Zugänge werden – auch in der Religionspädagogik – schon länger kontrovers diskutiert. Zur Debatte steht dabei immer wieder das Kunstverstehen von Kindern im Grundschulalter. Gegenüber stehen sich Erfahrungen aus eher handlungsbezogenen Ansätzen aus dem Umkreis der Museumspädagogik und aus eher entwicklungsbezogenen Ansätzen, die vor allem im Kontext schulischen Lernens zur Geltung kommen. Während die einen die Begegnung mit Kunst in allen Altersstufen für ertragreich halten und Unterschiede in der Komplexität des jeweiligen Zugangs angemessen finden (Hess, 1999), ziehen die anderen den grundsätzlichen Ertrag in Zweifel, wenn eine bestimmte Tiefe des Verstehens nicht erreicht werden kann (Kalloch, 1997). Entwicklungsbezogene Positionen beziehen sich in ihrer Kritik auf Studien zum Verstehen und Beurteilen von Kunst, die in Anlehnung an entwicklungspsychologische Stufenmodelle (→ Entwicklungspsychologie) an Kindern bis zum Alter von sechs Jahren rein subjektive Vorzugswahlen etwa von Farbe und Motiv beobachten, die im Grundschulalter durch die Wertschätzung realistischer Abbildlichkeit abgelöst werden. In der späten Kindheit und im Übergang zum Jugendalter findet sich dann zunehmend zunächst eine Beachtung der expressiven Qualitäten von Bildwerken und erst nach der Pubertät ein ästhetisches Urteil, das stilistische Eigenarten und formale Eigengesetzlichkeiten positiv wahrnehmen kann (Parsons, 1987). Hier spiegeln sich im Letzten Identitätskonstrukte, zu fragen aber ist, ob innerhalb der stark kulturell und sozial geprägten Domäne Kunst derartige Zuschreibungen überhaupt valide erhoben und verallgemeinert werden können. Hilfreich ist ein solches Entwicklungsmodell durchaus, insofern es sensibilisiert für Vorlieben und Voraussetzungen von Schülerinnen und Schülern; allerdings gilt hier wie überall, dass individuelle Lernausgangslagen je zu erheben (→ Lernausgangslage erheben) und zu prüfen sind. Darüber hinaus ist ganz grundsätzlich festzuhalten, dass eine kognitivistische Engführung dem Selbstverständnis des ästhetischen Lernens nicht gerecht wird, das keine ‚abschließende‘ Bilddeutung kennt und Kognition übergreifende Entwicklungsziele hat. Die Domäne Kunst erfordert – ähnlich wie die Domäne Religion – eine spezifische Modellierung und Auswertung der Untersuchungsinstrumente. Ganz ähnliche Vorbehalte müssen angesichts der ,natürlichen‘ ästhetischen Vorlieben von Jungen und Mädchen und angesichts herkunftsbedingter kultureller Präferenzen geltend gemacht werden. Zum einen belegen (einige wenige) empirische Studien scheinbar geläufige Stereotypen (Mädchen zeichnen Prinzessinnen, → Jungen bevorzugen Fahrzeuge; → Mädchen malen und zeichnen kleinteilig und dekorativ, Jungen bauen gern große Gegenstände), zum anderen ist aber gerade mit Blick auf die Kategorie → Gender mit starken kulturellen und gesellschaftlichen Zuschreibungen, Restriktionen und Erwartungshaltungen zu rechnen (Burrichter/Gärtner, 2014, 56-59). Zeitgenössische Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern dekonstruieren eben diese Zuschreibungen, der Umgang mit Kunst bietet daher Möglichkeiten der produktiven Bearbeitung und des Aufbrechens von Stereotypen. Das gilt insbesondere auch im Umfeld der Verknüpfung mit Fragen religiöser Identität (Gärtner, 2014). Insgesamt gilt: Angesichts der Heterogenität von Lerngruppen und der Diskussion um → Inklusion kommt dem ästhetischen Lernen und dem Umgang mit Bildern große Bedeutung zu, da hier differente Lernwege eröffnet, zugleich aber Kommunikation und Interaktion gefördert werden. Die Kunstpädagogik blickt hier bereits auf eine längere Tradition zurück (Hinweise bei: Burrichter/Gärtner, 2014, 59). Deren Impulse, vor allem aber deren methodische Verfahren können gewinnbringend für die Anliegen einer heterogenitätssensiblen Religionspädagogik genutzt werden.

Literaturverzeichnis

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