Deutsche Bibelgesellschaft

Professionsforschung

Schlagworte: Religionslehrerforschung

(erstellt: Januar 2015)

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1. Erziehungswissenschaftliche Lehrerprofessionsforschung in religionspädagogischer Perspektive

Die begriffliche Entwicklung von der „Lehrerforschung“ zur „Professionsforschung zum Lehrerberuf“ in den vergangenen Jahren deutet zugleich einen Paradigmenwechsel in der → Erziehungswissenschaft an: Nach der jüngeren Professionstheorie zeichnen sich Professionen (klassisch: Ärzte, Pfarrer und Juristen) gegenüber anderen Berufen (z.B. Köche, Ingenieure) durch mehrere charakteristische Faktoren aus. Neben einem hohen Grad an Freiheitsspielraum und Eigenverantwortung gehört dazu, dass sich die Berufspraxis von Professionsinhabern nicht einfach in routinemäßigen Handlungen in vorhersehbaren Situationen erschöpft. Deshalb brauchen sie eine hohe Reflexionsfähigkeit und wissenschaftliche Expertise, die es ihnen erlaubt, Professionswissen je bezogen auf nur begrenzt vorhersehbare, unterschiedliche Situationen mit unterschiedlichen Menschen angemessen anwenden zu können. Das gilt auch für den Lehrerberuf. Plakativ formuliert: Standardisierte Rezepte funktionieren beim Kochen, technische Anleitungen beim Maschinenbau, aber keines von beiden funktioniert beim Unterrichten von Kindern und Jugendlichen. Mit den Stichworten „Professionswissen“ und „Expertise“ ist zugleich der Trend verbunden, weniger nach „Persönlichkeitsmerkmalen“ oder einem allgemeinen „Ethos“ von Lehrkräften zu fragen, sondern nach den konkreten Kompetenzen, die Lehrkräfte erlernen können, um „professionell“ zu werden. Das „Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf“ (Terhart u.a., 2011) unterscheidet drei Ansätze der jüngeren und gegenwärtigen Professionsforschung, die im Folgenden kurz skizziert und auf ihre Relevanz für die → Religionspädagogik befragt werden (vgl. zum Folgenden genauer: Pirner, 2012).

1.1. Der Persönlichkeitsansatz

Der Persönlichkeitsansatz stützt die Alltagserfahrung zahlreicher Lehrer und Lehrerinnen, dass „die Persönlichkeit von Lehrkräften einen bedeutsamen, wenn nicht den entscheidenden Einflussfaktor auf deren Handeln und den Berufserfolg darstellt" (Mayr, 2011, 125). Nachgewiesen sind Zusammenhänge zwischen allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen und bestimmten Aspekten der Bewährung in Lehrer-Studium und -Beruf. So korreliert z.B. der Persönlichkeitsfaktor „Neurotizismus“ negativ mit Leistungs- und Kompetenzorientierung und positiv mit dem Belastungserleben. Die Faktoren „Extraversion“ und „Gewissenhaftigkeit“ weisen dagegen umgekehrte Tendenzen auf (Mayr, 2011, 134). Auch spezielle Personmerkmale wie Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Enthusiasmus, Humor oder Ungewissheitstoleranz erweisen sich als positiv bedeutsam für die Lehrerprofessionalität (Mayr, 2011, 139f.). Wie Längsschnittstudien zeigen, ist Persönlichkeit zwar durchaus veränderbar und entwicklungsfähig, allerdings – insbesondere in ihren Kernmerkmalen – nur in einem begrenzten Ausmaß. Insofern ergibt sich aus den Ergebnissen der Forschung für die Lehrerbildung eine dreifache Strategie:

a) Studierende sollten sich sehr genau überlegen, ob sie von ihrer Persönlichkeitsstruktur her für den Lehrerberuf geeignet sind und bei Auswahlprozessen unterstützt werden (z.B. durch Assessment-Instrumente und professionelle Beratung).

b) Studierende und Lehrkräfte sollten darin unterstützt werden, die Stärken und Schwächen ihrer Persönlichkeit wahrzunehmen, zu reflektieren und mit ihnen akzeptierend und konstruktiv umzugehen.

c) Sie sollten auch Angebote zur Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit (z.B. persönlichkeitsorientierte Lehrveranstaltungen, individuelles Coaching) wahrnehmen können.

Aus religionspädagogischer Perspektive ist die oben angesprochene Bedeutung der Lehrerpersönlichkeit besonders zu unterstreichen. Gerade weil wichtige Ziele des Religionsunterrichts in den Bereichen der Persönlichkeitsbildung, des Affektiven und der Haltungen liegen und weil es inhaltlich im Religionsunterricht ( Religionsunterricht, evangelisch; Religionsunterricht, katholisch) zentral um Glaubensfragen, existenzielle und ethische Themen geht, spielen hier die persönliche Beziehungsfähigkeit, Glaubwürdigkeit und eigene Religiosität von Lehrkräften eine wichtige Rolle, die sich auch empirisch belegen lässt (s. unten). Deshalb sind für (künftige) Religionslehrkräfte persönlichkeitsbildende Anteile in der Aus- und Fortbildung von herausragender Bedeutung.

1.2. Der strukturtheoretische Professionsansatz

In diesem Ansatz geht es vor allem darum, die „allgemeinen, fach- und altersstufenübergreifenden Struktureigenschaften bzw. die Strukturlogik und -dynamik“ des Lehrerberufs sowie insbesondere „der pädagogischen Beziehung zwischen Lehrer und Schüler“ zu bestimmen (Oevermann, 2002, 20). Grundsätzlich wird zwar betont, dass die Wissensvermittlung im Lehrerberuf Vorrang vor der Normvermittlung hat. Dennoch werden die Bewertungen und Haltungen der Lehrkraft – insbesondere in den ersten Schuljahren – als hoch bedeutsam für die gesamte Persönlichkeitsbildung der Kinder angesehen. Lehrkräfte, die dies ausblenden und sich lediglich als Sachwalter der Fachinhalte ihres Unterrichtsfachs sehen, unterliegen nach Helsper (Helsper, 2011, 152) einem „Selbstmissverständnis“.

Der strukturtheoretische Ansatz schärft vor allem den Blick für die Krisenhaftigkeit und Widersprüchlichkeiten (Antinomien) des Lehrerhandelns: Die Lehrkraft soll die Schülerinnen und Schüler unter Zwang (in der Zwangsanstalt Schule) zur Selbstbestimmung befähigen (Autonomie-Antinomie); sie soll die Schülerinnen und Schüler etwas ‚fürs Leben' lernen lassen, ohne zu wissen, wie sich ihr künftiges Leben gestalten wird (Ungewissheit-Antinomie); sie soll persönlich authentisch sein und zugleich professionelle Distanz wahren (Nähe-Distanz-Antinomie); sie soll jeden einzelnen jungen Menschen fördern und trägt durch die Notenbewertung zugleich zu deren Selektion (und Scheitern) im Bildungssystem bei (Förderung-Selektion-Antinomie).

Angesichts dieser Besonderheiten und Probleme der Lehrer-Schüler-Beziehung empfehlen konstruktive Lösungsvorschläge aus der strukturtheoretischen Lehrerforschung vor allem ein „dreistelliges Arbeitsbündnis“ zwischen der Lehrperson einerseits und a) dem einzelnen Schüler bzw. der einzelnen Schülerin, b) der Klasse und c) der Familie bzw. den Eltern andererseits (Oevermann, 2002, 153). Außerdem wird angeregt, in der Lehrerbildung stärker einzelfallspezifisches Verstehen zu fördern und einen offeneren Umgang mit Krisen und Scheitern im Lehrerhandeln anzuregen statt diese zu verdrängen und zu leugnen: „Unter den Bedingungen gelungener Professionalisierung wäre stattdessen das Krisenhafte der Handlungspraxis selbstverständlicher Normalfall und entsprechend ein Scheitern ebenfalls“ (Oevermann, 2002, 51).

Aus religionspädagogischer Sicht ist die Fokussierung der Lehrer-Schüler-Beziehung und einer ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung im strukturtheoretischen Ansatz zu begrüßen. Die oben genannten Antinomien lassen sich durch spezifische religionsunterrichtliche Antinomien ergänzen bzw. zuspitzen: Die Religionslehrkraft soll in der Zwangsveranstaltung Schule ein Verständnis von → christlicher Freiheit vermitteln; sie soll christliche Nächstenliebe als zentralen Wert erfahrbar machen und kommt doch in der Regel nicht ohne Straf- und Disziplinierungsmaßnahmen aus; sie soll das unbedingte Angenommensein durch Gott unabhängig von aller Leistung als Zentrum des christlichen Glaubens erschließen und trägt doch durch → Leistungsbewertung zur Selektion der Schüler und Schülerinnen bei; sie soll ‚authentisch' eine konfessionelle Position im Religionsunterricht vertreten und doch offen gegenüber nichtglaubenden oder andersgläubigen Schülerinnen und Schülern sein. Es wird auch für den Religionsunterricht hilfreich sein, solche Spannungen und besonderen Herausforderungen realistisch wahrzunehmen und die damit verbundenen Schwierigkeiten für Religionslehrkräfte nicht zu verdrängen oder zu leugnen. Dass hier ohne falsche Scham über Erfahrungen des Scheiterns gesprochen werden darf, gehört gerade auch zum theologischen Selbstverständnis von Religionslehrkräften. Statt die Krise zum Normalfall zu erklären, wird Professionalität allerdings eher darin bestehen, pädagogische wie theologische Ideale kontext- und situationsgemäß zu übersetzen und immer wieder neu zu konkretisieren.

1.3. Der kompetenzorientierte Ansatz (das Experten-Paradigma)

Der Grundgedanke des Experten-Paradigmas ist, dass man aus dem Vergleich von Anfängern (‚Novizen') und Experten in einem Handlungsfeld Hinweise darauf gewinnen kann, was Expertise in diesem Bereich ausmacht und welche Kompetenzen für eine solche Expertise notwendig sind. Im Hinblick auf den Lehrerberuf liegt die Pointe des Experten-Paradigmas also darin, bei den Kompetenzen von erfolgreichen Lehrkräften anzusetzen und nicht bei den Problemen, Widersprüchlichkeiten und Defiziten des Lehrerberufs. Dazu, so Baumert/Kunter (Baumert/Kunter, 2006, 473) seien allerdings überzogene „generalisierte Erziehungserwartungen“ an die Lehrkräfte zu verabschieden. Stattdessen müsse der Unterricht – nicht die Erziehung – als „Kerngeschäft“ der Lehrkräfte verstanden werden (Tenorth, 2006, 585). Der Kontext der öffentlichen Schule begründe bestimmte, sachbezogene Rollenbeziehungen zwischen Lehrkräften und Schülern sowie Schülerinnen, die sich deutlich von familiären Beziehungen, persönlichen Freundschaftsbeziehungen oder therapeutischen Beziehungen unterscheiden. Diese Rollenbeziehungen seien als Chance zu sehen, die sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte entlasten können: Sie bräuchten sich gerade nicht in ihrer ganzen Person und Intimität offenbaren, sondern seien durch ihre Rollendistanz geschützt. Auf der grundsätzlichen Basis einer „professionellen Distanz“ könnten Lehrkräfte den Kindern und Jugendlichen dann auch mit Fürsorge und individueller Förderung begegnen. Baumert/Kunter (Baumert/Kunter, 2006, 472) machen darauf aufmerksam, dass die Schule insgesamt durch ihre Struktur und vor allem durch den Unterricht erzieht, also durch die Lern- und Leistungsforderungen, durch die Förderung von „Aufmerksamkeit, Anstrengung, Geduld und Ausdauer“ usw. Es dürfe und brauche von daher nicht die ganze Last der erzieherischen Tätigkeit in der Schule den Lehrkräften und ihrer Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern aufgebürdet werden, sondern es sei vor allem nach den für einen gelingenden Unterricht notwendigen Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern zu fragen.

Eine weitere Pointe des Experten-Paradigmas liegt in dem Hinweis, dass der Aufbau solcher berufsbezogenen Kompetenzen nur kontinuierlich und über alle Phasen der Lehrerbildung und -biographie hinweg gelingen kann, die demzufolge stärker und systematischer aufeinander bezogen werden müssen. Das Experten-Paradigma hat sich in den letzten Jahren als das bestimmende und am stärksten konsensfähige innerhalb der Erziehungswissenschaft etabliert. Baumert und Kunter haben auf dieser Grundlage ein empirisch ( Empirie) gestütztes Kompetenzmodell für den Lehrerberuf entwickelt, das der wichtigen Mathematiklehrerstudie COACTIV zugrunde gelegt wurde und seitdem auch von zahlreichen weiteren Studien übernommen wurde (s. COACTIV-Website).

Aus religionspädagogischer Perspektive enthält das Expertenparadigma wichtige Impulse; man wird allerdings auch gewisse Ambivalenzen nicht übersehen können. Einerseits kann es auch für Religionslehrkräfte entlastend sein, wenn sie von überzogenen, diffusen Erziehungs- und Authentizitätserwartungen befreit und angeregt werden, sich stärker auf die systematische Entwicklung von realistischen Kompetenzen zu konzentrieren. Dies entspricht auch der jüngsten → Kompetenzorientierung im Religionsunterricht, die vor allem darauf abzielt, dass im Religionsunterricht nachweisbar und nachhaltig etwas gelernt wird, also der Religionsunterricht als Unterricht ernst genommen wird. Andererseits sind auch die oben erwähnten Bildungsziele im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und die existenziellen Inhalte des Religionsunterrichts von bleibender Bedeutung, für welche die Lehrer-Schüler-Beziehung sowie die erzieherische Aufgabe der Religionslehrkraft eine wichtige Rolle spielen. Insofern lässt sich kritisch fragen, ob Vorstellungen von der Expertise und den Kompetenzen von Lehrkräften, die sich – wie das bislang der Fall ist – überwiegend an empirischen Befunden aus dem Fach Mathematik orientieren, ohne weiteres auf den Religionsunterricht übertragen werden können. Das für COACTIV entwickelte Professionsmodell ist allerdings insofern für die Religionspädagogik interessant, als hier auch die „Überzeugungen“ und „Werthaltungen“ von Lehrkräften systematisch berücksichtigt werden – wenngleich diese fast ausschließlich berufsbezogen verstanden werden, während ihre Beziehung zu persönlichen (z.B. religiösen) Überzeugungen und Werthaltungen kaum thematisiert wird.

Auch unter einem bildungstheologischen Blickwinkel ergeben sich Rückfragen. Aus christlicher Sicht wird in der Regel die unbedingte Wertschätzung der Kinder und Jugendlichen als einzigartige, von Gott geschaffene Individuen ins Zentrum von Pädagogik sowie Lehrerhandeln gestellt und damit ein Merkmal der Lehrer-Schüler-Beziehung. Betont die neue kompetenzorientierte Perspektive auf Lehrerprofessionalität, dass die Lehrer-Schüler-Beziehung keine intime, familiäre Beziehung darstelle, so zielen gerade Schulen in christlicher Trägerschaft häufig auf eine schulische Gemeinschaft, die sich als „Schulfamilie“ oder „Schulgemeinde“ versteht und in die sich Lehrkräfte mit ihrer ganzen Person einbringen. Andererseits sollten Lehrkräfte möglicherweise gerade auch hier stärker auf eine ‚gesunde' professionelle Distanz achten und mit ihr auf den Hinweis, dass Schule und Unterricht insgesamt durch ihre Struktur erzieherisch wirken: Durch eine gut strukturierte, an klaren (christlich-)ethischen Prinzipien ausgerichtete Schul- und Unterrichtskultur können die einzelnen Lehrkräfte entlastet werden. Außerdem sollte natürlich eine gute Schulgemeinschaft in erster Linie dem guten, intensiven Lernen der Schülerinnen und Schüler dienen. Schließlich ist v.a. der Befund der Lehrerprofessionsforschung zu beachten, dass sich das eigene Berufsethos einer Lehrkraft oft nur recht begrenzt im konkreten Unterricht niederschlägt (vgl. Blömeke, 2010). Es gilt folglich gerade für Religionslehrkräfte und christlich orientierte Lehrkräfte, zwischen hehren Idealen und Selbstaussagen einerseits und der faktischen Unterrichtspraxis andererseits zu unterscheiden bzw. ihrer Verbindung in der Lehrerbildung besondere Beachtung zu schenken.

2. Religionspädagogische Lehrerprofessionsforschung

2.1. Theoretische Modelle

Die religionspädagogische Forschung zum Religionslehrerberuf hat in den vergangenen 30 Jahren erfreulich an Umfang und Qualität zugenommen. Zeitgleich zu Peter Biehls These von 1985, dass „im Zentrum einer integrativen Religionspädagogik die Theorie des Lehrers stehen muss“ (Biehl, 1985, 162) erschien Godwin Lämmermanns wichtige Habilitationsschrift, die sich v.a. an rollentheoretischen Modellen orientierte, was lange Zeit für die religionspädagogische Diskussion der Religionslehrkraft typisch blieb (vgl. Adam, 2012). In jüngerer Zeit zeichnet sich eine vorrangige Orientierung an Kompetenzmodellen ab, wie sie zusammenfassend in dem Sammelband „Professionell Religion unterrichten“ (Burrichter u.a., 2012) greifbar wird. Für den katholischen Bereich ist v.a. das von Heil und Ziebertz entwickelte Habitus-Modell einflussreich geworden, das sich an die strukturtheoretische Lehrerprofessionsforschung anlehnt. Es versucht, das Feld der Religionslehrerprofessionalität zwischen Routinen und dem Umgang mit Neuem sowie zwischen Handlungsstrukturen und Handlungsbedingungen zu bestimmen (vgl. Heil, 2006; Heil/Ziebertz, 2010; s. auch Burrichter, 2012). Für den evangelischen Bereich hat die EKD-Kommission zur Reform des Lehramtsstudiums ein Kompetenzmodell erarbeitet, das nicht nur eine systematische Strukturierung von Lehrerkompetenzen entwirft, sondern auch deren Entwicklung über die drei Phasen der Lehrerbildung hinweg in den Blick nimmt (Kirchenamt der EKD, 2010). In beiden Fällen handelt es sich allerdings um theoretisch konzipierte Modelle, die aber immerhin ansatzweise zur Fundierung von empirischen Forschungen und zur Entwicklung weiterer Theorieperspektiven herangezogen worden sind (vgl. v.a. Heil, 2006; Hofmann, 2008; Klose, 2014). Aus der empirischen Forschung ist zwar bislang keine umfassendere Theorie der Religionslehrkraft entstanden, jedoch theoretische Perspektiven, die sich v.a. auf das Verhältnis von persönlicher Religiosität und beruflicher Professionalität beziehen (s. unten). Bislang unterentwickelt erscheint die Rezeption der oben erwähnten erziehungswissenschaftlichen Lehrerprofessionsforschung und deren entsprechenden Theorie-Modelle sowie der Lehrerforschung in anderen Fachdidaktiken.

2.2. Ausgewählte Befunde

Im vorgegebenen Rahmen können nur einige für eine Theorie der Religionslehrkraft weiterführende und die Religionslehrerbildung herausfordernde Befunde angedeutet werden (eine aktuelle Forschungsskizze bietet Martin Rothgangel, 2015; einen umfassenderen Überblick demnächst Daniela Wamser in ihrer entstehenden Dissertation; einen Überblick bis zu den 1990er Jahren bietet Ziebertz, 1995).

2.2.1. Religiosität – Positionalität – Didaktik

Ein zentraler Befund der Befragungen von Andreas Feige mit wechselnden Kooperationspartnern in Niedersachsen und Baden-Württemberg (vgl. Feige u.a., 2000; Dressler/Feige/Schöll, 2004; Feige/Tzeetzsch, 2005; Feige/Dressler/Lukatis/Schöll, 2006) ist, dass Religionslehrkräfte ihre individuelle Religion bzw. Religiosität offensichtlich nicht, wie häufig gefordert, „authentisch-direkt“, sondern didaktisch reflektiert und transformiert in den Unterricht einbringen – was von Feige u.a. positiv bewertet wird, weil hier wünschenswerte, je „individuell geleistete[n] Reflexionsprozesse“ (Feige, 2004, 13) zum Tragen kommen.

Biesinger, Münch und Schweitzer (Biesinger/Münch/Schweitzer, 2008) haben diesen Befund auf der Basis eigener qualitativer Forschungen zum → konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in Baden-Württemberg weiter ausdifferenziert. Sie unterscheiden insgesamt fünf Formen der gelebten und gelehrten Religion von Religionslehrkräften sowie zwei Formen der von den Schülern und Schülerinnen rezipierten Religion (a.a.O., 31). Die qualitativen Befunde aus Lehrerinterviews und Unterrichtsbeobachtungen zeigen, dass die Religionslehrkräfte „selbst Prinzipien für den Umgang“ mit den eigenen biographischen, religiösen und konfessionellen Prägungen im Unterricht formulieren, die allerdings teilweise in Spannung zu ihrem beobachteten Handeln im Unterricht stehen (a.a.O., 104-115). Weitere Einsichten in das Themenfeld Religiosität – Positionalität – Didaktik sind von dem Frankfurter Forschungsprojekt „Positionalität und Pluralismus“ zu erwarten, dessen Ergebnisse voraussichtlich 2015 veröffentlicht werden, sowie von einer Religionslehrerstudie, die 2015 in Bayern durchgeführt wird.

2.2.2. Selbstregulation und Berufszufriedenheit

Die Selbstregulation und Berufszufriedenheit von Religionslehrkräften wurde bislang v.a. in zwei österreichischen Studien erhoben, nämlich von Anton Bucher und Helene Miklas (Bucher/Miklas, 2005), sowie in einer Studie mit Replikationsanteilen, die im Jahr 2014 durchgeführt wurde und voraussichtlich 2015 veröffentlicht wird. Interessant ist die konfessionsübergreifend hohe Berufszufriedenheit: „Das offensichtliche Wohlbefinden der katholischen und evangelischen ReligionslehrerInnen, ihre Problemfelder, Zielsetzungen und Optionen für die Zukunft werden fast durchwegs kontinuierlich mit gleichen Mittelwerten belegt. Signifikanzen sind kaum erkennbar" (a.a.O., 208f.). Wie Bucher/Miklas (2005, 219) selbst anmerken, lassen die Untersuchungen von Englert/Güth (Englert/Güth, 1999) sowie Lück (Lück, 2003) für den deutschen Kontext eine vergleichbare Berufszufriedenheit erkennen. Dies ist insofern überraschend, als der Religionsunterricht durchaus auch in Österreich häufig als umstrittenes Fach an den Schulen gilt und die meist hehren Lehrplanziele ebenso wie die tendenziell hohen Ansprüche der Religionslehrkräfte an sich selbst die Gefahr von Überforderungen vermuten lassen. Offensichtlich tragen jedoch ein ausgeprägtes persönliches Interesse am Fach und die Möglichkeit, schülernah zu unterrichten, zur Berufszufriedenheit bei. Welche Faktoren genau hier eine Rolle spielen und inwieweit auch die eigene Spiritualität der Lehrkräfte in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, erscheint bislang allerdings zu wenig geklärt.

2.2.3. Modelle von Religionsunterricht

Die Frage nach dem favorisierten Modell von Religionsunterricht gehört mittlerweile zu den Standard-Fragen von Religionslehrer-Studien. Schon in den oben genannten Studien von Feige u.a. und weiteren Religionslehrerbefragungen (z.B. Lück, 2003; Hütte/Mette, 2003) zeigt sich, dass sich viele Religionslehrkräfte einen ökumenisch offenen bis überkonfessionell erteilten Religionsunterricht wünschen und dass dieser, insbesondere an Grundschulen, nicht selten bereits – ohne offizielle Genehmigung – durchgeführt und dabei v.a. pädagogisch begründet wird.

Insbesondere die Begleitforschung zum (offiziell ermöglichten) konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in Baden-Württemberg zeigt, dass dieser sowohl für die Schüler und Schülerinnen als auch die Lehrkräfte ein Gewinn sein kann, indem sich ein Mehr an konfessionellem Identitätsbewusstsein mit einem Mehr an gegenseitigem Verständnis verbindet (vgl. v.a. Schweitzer/Biesinger, 2002; Kuld u.a., 2009).

Aufschlüsse über die Stärken und Schwächen verschiedener Modelle von Religionsunterricht ermöglichen v.a. auch die großen internationalen Vergleichsstudien PeTeR („Perspectives on Teaching Religion“) und REDCo („Religion in Education. A Contribution to Dialogue or a Factor of Conflict in Transforming Societies of European Countries“). Im PeTeR-Projekt (in 16 Ländern mit insgesamt 3409 befragten Religionslehrkräften; vgl. Ziebertz/Riegel, 2009; Popp, 2013) wurde u.a. deutlich, dass die Zielvorstellungen der befragten Religionslehrkräfte keineswegs so stark von den organisatorischen Modellen und Konzepten von Religionsunterricht abhängig waren wie vermutet: „the results clearly speak for the assumption that such goals tend to form a characteristic mix rather than forcing the teachers to make a choice“ (Schweitzer/Riegel/Ziebertz, 2009, 255). Die Unterscheidung zwischen „konfessionellem“ und „nicht-konfessionellem“ Religionsunterricht scheint jedenfalls zu grob zu sein, um die Vielfalt der Religionslehrer-Vorstellungen und ihrer religionsunterrichtlichen Praxis angemessen zu erfassen. Ähnliche Befunde ergaben sich auch im REDCo-Projekt: Offensichtlich formulierten die befragten Lehrkräfte ihre Ziele und Konzepte für den Religionsunterricht auf sehr persönliche Weise und erscheinen insgesamt in ihrer Professionalität stärker von ihrer eigenen persönlichen Religiosität bestimmt als von ihrer Ausbildung (ter Avest/Bakker/Van der Want, 2009, 114-126; ter Avest, 2009, 399; Kerrutt/Müller, 2009, 415; ter Avest/Bakker, 2009).

2.2.4. Die Phasen der Lehrerbildung

Es ist begrüßenswert, dass es parallel zu den Religionslehrkräfte-Studien in jüngerer Zeit auch Untersuchungen zur Situation und den Einstellungen von Studierenden und Referendaren und Referendarinnen gegeben hat und gegenwärtig eine solche zur Berufseingangsphase (an der Universität Erfurt) in Vorbereitung ist. Als gemeinsamer Ergebnistrend der Studierenden-Studien (Feige/Friedrichs/Köllmann, 2007; Heller, 2011; Riegel/Mendl, 2011; Lück, 2012; Riegel/Mendl, 2013) lässt sich u.a. eine insgesamt hohe Zufriedenheit mit dem Lehramtsstudium Theologie ausmachen, die v.a. mit dem Interesse an den Inhalten sowie mit der sozial-kommunikativen Dimension zu tun hat (vgl. Lück, 2012, 201), auch wenn an der Struktur des Studiums und der Qualität der Lehrveranstaltungen durchaus Kritik geübt wird.

In ihrer bemerkenswerten mixed-methods-Längsschnittstudie zum Referendariat haben Englert u.a. teilweise ernüchternde Ergebnisse zur Einschätzung des Universitätsstudiums und der Brauchbarkeit von religionsdidaktischen Konzepten aus der Sicht der Referendare gefunden, allerdings auch eine hohe intrinsische Motivation der Befragten für den Religionsunterricht (nach der Zusammenfassung von Rothgangel, 2015).

2.3. Forschungsdesiderate und offene Fragen

Die grobe Forschungsskizze kann nur schlaglichtartig etwas von der Vielfalt der Studien und Ergebnisse andeuten, die mittlerweile vorliegen. Zudem wurde der Akzent auf empirische Forschungen gelegt; dass auch die historische und biografische Professionsforschung wichtige Einsichten erbringen kann, soll hier zumindest vermerkt werden (vgl. z.B. Hahn, 2003; Rupp/Schwarz, 2014).

Trotz der Vielfalt werden auch Defizite erkennbar. Regional gibt es nach wie vor wenig untersuchte Bundesländer wie z.B. Bayern, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern (wichtig sind für den ostdeutschen Bereich noch die Studien von Münch, 2007; Liebold, 2004; und die demnächst zur Publikation kommende Studie von Hanisch/Gramzow). Inhaltlich ist konkreten pädagogischen und didaktischen Fragestellungen jenseits von Religionsunterricht-Modellen und -Konzeptionen ( Didaktische Modelle) bislang wenig Beachtung geschenkt worden: Welche pädagogischen Orientierungen kennzeichnen Religionslehrkräfte etwa im Vergleich zu den Lehrkräften anderer Unterrichtsfächer? Welche konkreten didaktischen Strategien verfolgen Religionslehrkräfte, um in bestimmten thematischen Bereichen ihre Ziele umzusetzen? Die letztere Frage verweist auf ein Desiderat, das die Lehrerprofessionsforschung generell betrifft: Es gibt bislang nur wenige Studien, die über die Selbstaussagen der Lehrkräfte hinaus auch deren Unterrichtswirklichkeit in den Blick nehmen. Hierin könnte eine der Hauptaufgaben künftiger empirischer (Unterrichts-)Forschung liegen, nämlich die Spannungen zwischen den Idealen und Selbstbeschreibungen von Religionslehrkräften und ihrem Unterricht wahrzunehmen sowie Strategien der Überbrückung solcher Spannungen forschend entwickeln zu helfen. Interessante Ansätze in diese Richtung bieten die Studien von Heil, 2006; Gramzow, 2004; Hofmann, 2008; Klose, 2014; Fuchs, 2010; Englert/Hennecke/Kämmerling, 2014. Unterbelichtet bleibt in der gegenwärtigen Forschung auch die Frage nach der Rolle der Religionslehrkräfte bzgl. anderer Unterrichtsfächer, fächerübergreifender Aufgaben (vgl. z.B. zur Medienerziehung: Pirner, 2004) und im Kontext der Schulkultur, insbesondere auch die Stellung der Religionslehrkräfte und des Religionsunterrichts an konfessionellen bzw. christlichen Privatschulen ( Schule, konfessionell). Schließlich ist die über den Religionsunterricht hinausweisende Fragestellung kaum bearbeitet, inwieweit es Zusammenhänge zwischen der Religiosität (bzw. weltanschaulichen Orientierung) und Lehrerprofessionalität nicht nur von Religions-Lehrkräften, sondern auch von Nicht-Religionslehrkräften gibt (vgl. hierzu Pirner, 2013a; 2013b).

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