Schönheit, bibeldidaktisch
(erstellt: Februar 2025)
Artikel als PDF folgt
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/400059
Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.400059
1. Elementare Erfahrungen
1.1. Schönheit als biographischer Vorteil
Kinder und Jugendliche machen von klein auf die Erfahrung, dass Schönheit eine große Rolle bei der Beurteilung von Personen spielt und in vielen Bereichen des sozialen Zusammenlebens positive Auswirkungen hat. Nach Befunden der Attraktivitätsforschung werden Personen, die als attraktiv wahrgenommen werden, eher sozial erwünschte Persönlichkeitseigenschaften wie freundlich, zuverlässig, ehrlich, mitfühlend sowie kreativ, intelligent, leistungsstark und durchsetzungsfähig zugeschrieben. Attraktive Kinder und Jugendliche bekommen tendenziell mehr Aufmerksamkeit, sie sind bei Gleichaltrigen häufig beliebter und angesehener; auch von Lehrkräften werden sie hinsichtlich ihrer intellektuellen Fähigkeiten und Potentiale häufig höher eingeschätzt und bekommen mehr Aufmerksamkeit und tendenziell bessere Noten. Dies kann ihr Selbstwertgefühl sowie ihre Selbstmotivation, ihr Leistungsverhalten und ihre Bildungsverläufe positiv beeinflussen, z.B. bei der Entscheidung über die weiterführende Schule (vgl. Binkli, 2022, 100-102; Dunkake/Kiechle/Klein/Rosar, 2012, 146f.). Anzumerken ist aber, dass Schönheit nicht objektiv festlegbar ist, sondern vielmehr eng an die Ausstrahlung einer Person gebunden ist und in Beziehungen (Familie, Partnerschaft) zugeschrieben wird (siehe unten 2. Elementare Strukturen).
1.2. Schönheit als „gesellschaftlicher Imperativ“
Einen großen Einfluss auf Kinder und Jugendliche hat die Omnipräsenz makellos schöner Körper in Werbung, Medien und Öffentlichkeit. Schönheit und die Fähigkeit zur Selbstdarstellung verheißen im Kontext der Massenmedien einen sozialen Gewinn. Fernsehshows, zunehmend bereits Kinder- und Jugendshows, belohnen Selbstinszenierungen und körperliche Schönheit mit Anerkennung und Erfolg (vgl. Görtler, 2012, 13; Schreiber, 2021, 1f.20f.). Damit wird Schönheit gleichsam zum moralischen Gebot. In den sozialen Netzwerken kommt dem Körper als Instrument einer gezielten Selbstdarstellung zunehmend sinn- und identitätsstiftende Funktionen zu; Jugendliche werben hier um die Anerkennung in der Peer Group, indem sie sich möglichst vorteilhaft darstellen und gegenseitig überbieten. Die Möglichkeit der permanenten Bewertung und des damit einhergehenden Vergleichs legt eine Orientierung an beständiger Steigerung nahe (vgl. Schreiber, 2021, 21).
Im Zuge einer zunehmenden Flexibilisierung von Biographie und Lebensführung scheint Schönheit vielen Jugendlichen wichtig für die Teilhabe am sozialen Leben und als Mittel des sozialen Aufstiegs. Die Gestaltung, Verbesserung und Inszenierung des Äußeren erscheint als hilfreich und notwendig, um als zugehörig zu gelten, Anerkennung zu gewinnen und sich gegenüber anderen abzuheben, und wird so bedeutsam für die individuelle Handlungsorientierung (vgl. Schreiber, 2021, 275;280). Dabei sind Mädchen und Frauen (→ Mädchen/Frauen
Für viele Jugendliche relevant ist die YouTube Beauty Community, in der die Kopplung von Weiblichkeit und Schönheit, auf der Basis hierarchisierter Geschlechtsrollenzuschreibungen, beständig reaktualisiert wird (vgl. Richter, 2021, 320). Hier stehen die Akteurinnen vor der herausfordernden Aufgabe, sowohl Anforderungen normativer Weiblichkeit und Schönheit zu entsprechen, als auch authentisch zu wirken und die daraus resultierenden Spannungen und Belastungen souverän zu handhaben. Dabei kann die ständige, strategische Ausrichtung auf algorithmisch verwertbares Feedback als hidden agenda großen Druck verursachen (vgl. Richter, 2021, 321-323). Hier dient die Beauty Community als Ressource für Schönheitstechniken, Selbstvermarktung und das Bearbeiten von Druck- und Diskriminierungserfahrungen und als Ort gegenseitigen Austausches (vgl. Richter, 2021, 329f.).
Studien legen nahe, dass die Optimierung des Körpers für viele Teil der Lebensführung geworden ist. Selbst „radikale“ Körpermodifikationen wie Schönheitsoperationen werden angesichts ihrer medialen Dauerpräsenz zunehmend normalisiert (vgl. Schreiber, 2021, 21;23f.). Das allgemein anerkannte Ideal kann jedoch nur von Wenigen erreicht werden, die in der Lage sind, die erforderliche Menge an Zeit und Geld in die eigene Vervollkommnung zu investieren (vgl. Wolf, 2019,23f.). Die immer neuen Anforderungen an die Schönheitsoptimierung können zu Überlastung führen und dazu, dass das eigene Handeln subjektiv immer weniger als eigenes erfahren wird. Auch die durch die digitalen Möglichkeiten bedingte Unvereinbarkeit zwischen der makellosen virtuellen Repräsentation und der analogen Erscheinung kann Komplikationen hervorrufen (vgl. Wolf, 2019, 25; Schreiber, 2021, 281f.291). Herausfordernd für die Jugendlichen ist die Spannung zwischen der Orientierung an gesellschaftlichen Schönheitsnormen und dem Wunsch, durch den eigenen Körper Individualität sichtbar zu machen und die eigene Identität zum Ausdruck zu bringen (vgl. Teschmer, 2023, 275). Gleichzeitig finden sich aber auch Widerstände gegen den Konformitätsdruck und eine eigenständige Bearbeitung einer bestimmten Vorstellung körperlicher Schönheit, indem einige Jugendliche sich diesem entziehen und andere als höherwertig priorisierte Ziele verfolgen (vgl. Richter, 2021, 332f.; Schreiber, 2021, 275).
1.3. Schönheitsoptimierung und Zugehörigkeit
Aufgrund der zunehmenden Tendenz, den eigenen Wert über Schönheit und Attraktivität zu definieren, werden Körperoptimierungen als subjektiv bedeutsam erlebt, da sie auf biographisch konstituierte, innere Bedürfnisse nach Nähe, Anerkennung und Wertschätzung sowie auf Wünsche nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung antworten und mit Verheißungen von Glück und Zufriedenheit einhergehen (vgl. Schreiber, 2021, 267f.;270). Besonders in unsicheren sozialen Beziehungen erscheint das Bestreben, medial vermittelten Schönheitsnormen zu entsprechen, als vermeintlich praktikable „Lösung“, um ein biographisch bedingtes geringes Selbstwertgefühl oder eine psychische Belastung zu kompensieren und Anerkennung und Zuwendung zu bewirken (vgl. Schreiber, 2021, 277f.). Junge Mädchen in der → Adoleszenz
Problematisch daran ist, dass seelische Konflikte, Minderwertigkeitsgefühle, Ängste und Unsicherheiten nicht intrapsychisch verarbeitet, sondern über die Bearbeitung des Körpers abgewehrt werden; dieser ist jedoch nicht beliebig optimierbar, zudem tritt der erwartete Erfolg häufig nicht ein (vgl. Schreiber, 2021, 33-39.42). Der Versuch, Erfahrungen von Zuwendung und Anerkennung in Freundschaft oder Partnerschaft vorwiegend über äußere Schönheit herzustellen, kann dazu führen, dass andere unverzichtbare Dimensionen leiblich-affektiver Bindung, wie Nähe, Vertrauen und Solidarität, zunehmend vernachlässigt werden (vgl. Schreiber, 2021, 283).
Eine besondere Herausforderung bildet die Aneignung der körperlichen Veränderungen in der Pubertät, in der viele Jugendlichen sich intensiv mit dem eigenen Körper auseinandersetzen und es ihnen schwer fällt, diesen mit seinen Unzulänglichkeiten anzunehmen, besonders dann, wenn die körperlichen Wandlungen intersubjektiv gerahmt werden durch Erfahrungen von Ohnmacht, Missachtung oder Entwertungen seitens der Peer Group, die das Gefühl hervorrufen, unterlegen oder nicht gut genug zu sein. In dieser Umbruchszeit, die durch erhöhte Unsicherheit und Vulnerabilität gekennzeichnet ist, verheißt die Orientierung an Schönheitsstrategien einen Gewinn von Selbstgewissheit, Handlungsfähigkeit und Anerkennungschancen und kann so, insbesondere bei einer eher unsicheren sozialen Positionierung, als Halt und Orientierung gebend erfahren werden (vgl. Schreiber, 2021, 278-280; Teschmer, 2023, 268).
1.4. Schönheit außerhalb der Norm
Eine eigenständige Vorstellung körperlicher Schönheit jenseits des gesellschaftlichen Konformitätsdrucks ist besonders relevant bei Menschen außerhalb der Norm. InsbesondereMenschen mit körperlichen Behinderungen können den idealen Normvorstellungen von Schönheit oft schwerer oder nur teilweise entsprechen. Da viele das Ideal des schönen Körpers, mit dem sie von klein auf konfrontiert sind, verinnerlicht haben und versuchen, diesem mit dem eigenen Körper und den eigenen Fähigkeiten zu entsprechen, ist es für sie oft schwierig, den eigenen behinderten Körper und das eigene So-Sein liebevoll anzunehmen (vgl. Magdlener, 2022; Barten, 2017, 37f.). Dagegen kann die Erfahrung, von ihrem Umfeld in ihrem So-Sein anerkannt und wertgeschätzt zu werden, dazu beitragen, dass sie sich dagegen entscheiden, den gängigen Idealen zu folgen, sondern ihre eigene Schönheit in Verbindung mit ihren eigenen Erfahrungen und gelebten Körpern umdefinieren und sich „behindert*schön“ (Magdlener, 2022) finden.
Auch nicht-behinderte Menschen sind mit der Erfüllung der Normvorstellungen konfrontiert, etwas aufgrund ihrer kulturellen Herkunft, ihres Alters, der Hautfarbe oder diverser Geschlechtsidentitäten (→ Intersektionalität
2. Elementare Strukturen: Schönheit in der Bibel
In der Bibel begegnet Schönheit in vielfältigen Facetten. Entsprechend gibt es in der hebräischen Sprache zahlreiche Begriffe für „schön“, die je nach Kontext weitere Bedeutungsfelder implizieren, wobei die Grenzen oft fließend sind. Die häufigsten sind die Adjektive tov: „gut, richtig, schön“; jafæh: „schön, lieblich“; na’am: „schön, anmutig“ und die Nomen hod: „Pracht, Schönheit“; hadar: „Herrlichkeit, Schönheit“ und kavod: „Schwere, Herrlichkeit, Schönheit“. Schön ist das, was gefällt, Ehrfurcht erregt oder fasziniert. Im NT finden sich häufig die griechischen Wörter kalós: „gut, schön, passend“ und agathos: „richtig, schön, gut“. Insbesondere tov und kalós umfassen die Aspekte sinnliche Schönheit, Angemessenheit und sittliche Qualität und zeigen so die Verbindung von äußerer Schönheit und inneren Werten (vgl. Loader, 2010, 1f.; Brockmöller, 2019, 28; Krüger, 2006, 359).
Im Alten Testament wird Schönheit meist positiv bewertet. Das Prädikat „schön“ bezieht sich häufig auf die körperliche Schönheit von Menschen; es begegnet doppelt so oft bei Frauen (z.B. Sara: Gen 12,11
2.1. Wertschätzung von Schönheit
2.1.1. Liebe und Schönheit
Besonders ausführlich und überschwänglich wird menschliche Schönheit im Hohenlied (hebr. schir ha-schirim: „Lied der Lieder“) thematisiert, einer im dritten Jahrhundert v. Chr. zusammengestellten Sammlung von Liebesliedern, in denen eine Frau und ein Mann ihrer Liebe, Lust und der Freude an der Schönheit des und der Anderen sinnlich und bildreich Ausdruck verleihen (→ Sexualität, bibeldidaktisch
2.1.2. Schönheit und Gottesnähe
Im Alten Testament werden wichtige Personen als „schön“ bezeichnet, um ihre Gottesnähe zu zeigen. Bei männlicher Schönheit spielen erotische Aspekte kaum eine Rolle; diese steht vielmehr in enger Verbindung mit Macht, Majestät oder Herrlichkeit, analog zur Verbindung von körperlicher Kraft und Macht in den altorientalischen Kulturen. Dies zeigt sich an der Schönheit von Menschen, denen Ehrfurcht oder sozialer Respekt gebührt, insbesondere von Königen und Herrschern, so den von Gott erwählten Königen Saul (1 Sam 9,2
2.1.3. Schönheit und Rettung
Die Erzählungen von Judit und Ester illustrieren die enge Verbindung des Schönheitsmotivs mit Segen und Errettung. Die Erzählung von Judit (Jehudit: „Jüdin“), die das Judentum repräsentiert, verarbeitet Bedrohungssituationen der Geschichte Israels und stellt die absolute Macht JHWHs, des Gottes Israels, über menschliche Gewaltherrscher heraus (vgl. Wuckelt, 2019, 53). Die schöne und gottesfürchtige junge Witwe Judit (Jdt 8,6-8
2.1.4. Schönheit Gottes und der Schöpfung
Eine große Bedeutung kommt im AT der Schönheit Gottes zu, für die häufig das Wort kavod: „Pracht, Herrlichkeit“ steht und die als Gottes Ausstrahlung verstanden werden kann (vgl. Loader, 2010, 9; Reuter, 2019, 81). Die Schönheit bzw. Herrlichkeit Gottes ist untrennbar mit Gottes Wirken verbunden. Gott zeigt seine Herrlichkeit/Schönheit, wenn er sich als gnädig und barmherzig handelnder Gott erweist (vgl. Ex 33,18-23
Das Adjektiv tov: „gut, schön“ begegnet das erste Mal im biblischen Kanon als Gottes Bewertung seiner Schöpfungswerke im Sinne von „in sich stimmig, lebensförderlich“ im Schöpfungshymnus Gen 1 (V. 4
2.2. Ambivalenz von Schönheit
2.2.1. Gefährdung durch Schönheit
Erotische Schönheit kann auch zum Verhängnis werden, da sie Anlass für Grenzüberschreitung sein kann. Neben der „romantischen“ Seite von Schönheit, Liebe und Begehren wie im Hohenlied besitzt diese Trias als Schattenseite auch die besitzergreifende Begierde, die zu sexuellen Übergriffen führen kann, insbesondere von Männern in Machtpositionen, was die Verflechtung von Sexualität, Geschlecht und Macht zeigt (vgl. Schlehahn, 2019, 62).
In der Erzählung von König David und Batseba (2 Sam 11
Analoge Machtverhältnisse finden sich in der Erzählung von Tamar und Amnon (2 Sam 13,1-22
Die Gefährdung durch Schönheit zeigen auch die Erzählungen von der Preisgabe Saras und Rebekkas (Gen 12,11-20
2.2.2. Relativierung von und Kritik an Schönheit
Vor allem in der Weisheitsliteratur findet sich im AT auch eine kritische Auseinandersetzung mit Schönheit. Diese mahnt, einen Menschen nicht nach seiner äußeren Schönheit zu beurteilen (Sir 11,2
Im Jesajabuch und im Ezechielbuch wird aufgezeigt, dass irdische Schönheit von Gott fernhalten und zu Hochmut und Sünde verleitet kann, was die Strafe Gottes bewirkt (Jes 3,16-24
Im NT findet sich Schönheitskritik in Verbindung mit gesellschaftlichen Rollenmodellen, gemäß dem zeitgenössischen griechisch-römischen Ethos. Der erste Timotheus- und Petrusbrief ermahnen – im Aufgreifen gängiger „Frauenspiegel“ der griechischen Philosophie – christliche Frauen dazu, auf prachtvolle Kleider, Frisuren und Schmuck zu verzichten und stellen der äußeren Schönheit innere Werte (gute Werke bzw. Herz und Geist) gegenüber (1 Tim 2,9-11
3. Elementare Wahrheiten
Bedeutsam ist, dass Schönheit im AT als Beziehungsbegriff begegnet, nicht als objektives Kriterium. Schönheit existiert im biblischen Weltbild nicht an sich, sondern sie erweist sich über Aufgaben und Handlungen oder sie wird in Beziehungen und Begegnungen intersubjektiv zugesprochen (vgl. Brockmöller, 2019, 28). So wird im Hohelied die geliebte Person als schön wahrgenommen und bezeichnet sich selbst selbstbewusst als schön (1,4
Aus der Darstellung des Menschen als Geschöpf und Bild Gottes (Gen 1,27f.
Relevant ist auch die enge Verbindung von Schönheit mit Gottesnähe und inneren Werten (vgl. tov; Ps 45
Auch die Schönheitskritik in 1 Tim 2
4. Elementare Zugänge
Vermittelt durch die sozialen Medien kommen bereits Kinder im Grundschulalter mit dem Thema Schönheit in Berührung, auch wenn dieses häufig noch keine große Rolle spielt. Für sie relevant sind aber damit verbundene Themen wie Identität und Zugehörigkeit. Kinder stellen sich existentielle Grundfragen wie: Wer bin ich? Wer mag mich? Es bietet sich an, diese Fragen anhand biblischer Erzählungen zu thematisieren und – mit Verweis auf die Gottebenbildlichkeit und die Zuwendung Jesu zu allen Menschen – herauszustellen, dass der eigene Wert und die Akzeptanz durch andere nicht vom Aussehen oder von besonderen Fähigkeiten abhängig ist, was wiederum impliziert, niemanden aus der Gemeinschaft auszuschließen.
In der Sekundarstufe ist das Thema Schönheit besonders während der Pubertät von großer Relevanz, einer Umbruchsituation, die durch die Suche nach der eigenen Identität sowie durch Verunsicherung und Selbstzweifel geprägt ist und in der das Angenommen-Sein durch die Anderen eine zentrale Bedeutung hat (→ Adoleszenz
Da etliche Jugendliche in der Pubertät versuchen, durch Körpermodifikationen aktuellen Schönheitsnormen zu entsprechen, um dadurch Akzeptanz und Zugehörigkeit zu erreichen, sollten die Schülerinnen und Schüler sich im Religionsunterricht kritisch damit auseinandersetzen, um sich ihr eigenes Urteil über ästhetische Gestaltungen und Inszenierungen von Körpern zu bilden und dieses im Dialog zu reflektieren. Es geht darum, zur Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls beizutragen und die Anerkennung der eigenen Leiblichkeit und die Entwicklung des je eigenen Selbstbilds in Vielfalt zu fördern. Da dieses durch Identifikation und Abgrenzung entsteht und die Meinung der Anderen eine große Rolle spielt, erfordert dies soziale Interaktionen mit Möglichkeiten zur Inszenierung des Körpers und ein offenes Gespräch darüber (vgl. Teschmer, 2023, 269-271;279; Beiner/von Stemm, 2010, 73). Ein zentraler theologischer Ansatz zur Anerkennung der eigenen Leiblichkeit ist die Gottebenbildlichkeit aller Menschen (Gen 1,26-28
5. Elementare Lehr- und Lernwege
5.1. Bibeltexte als Gegenpol zum Schönheitsdruck
Um zu Beginn der Sekundarstufe eine kritische Auseinandersetzung mit der Orientierung an gesellschaftlichen Schönheitsidealen zu initiieren, können die Schülerinnen und Schüler zunächst in (geschlechtsspezifischen) Gruppen Elemente oder Bilder von Frauen und Männern sammeln, die sie als schön empfinden. Danach werden die Schönheitsideale miteinander verglichen und die Kriterien im Gespräch reflektiert, auch unter der Fragestellung, inwiefern sich die Ideale der Mädchen- und Jungengruppen unterscheiden; dabei wird herausgearbeitet, dass die Merkmale sich auf äußere Schönheit beschränken. Danach betrachten die Schülerinnen und Schüler das Beschreibungslied Hld 4,1-17
Als Einstieg eignen sich auch Fotos von bekannten Personen, z.B. aus der Politik, dem Showbusiness, online-Medien (z.B. Influencerinnen), gefolgt vom Gespräch über die Zusammenhänge zwischen äußerem Erscheinungsbild und eigenem Selbstverständnis, gesellschaftlicher Stellung und Rollenvorstellung. Die Jugendlichen überlegen für sich, was sie mit ihrer äußeren Gestaltung (Make up, Frisur, Kleidung, Schmuck, Tatoos) zum Ausdruck bringen wollen und inwiefern dies je nach Anlass variiert, und tauschen sich in Kleingruppen darüber aus. Anschließend wird 1 Tim 2,9-15
Als Gegenpol zur Fokussierung auf äußere Schönheit in den Medien bietet sich die Betrachtung von Ps 45,3-8
In der Primar- wie Sekundarstufe ist es relevant, auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,26-28
Da sich das jugendliche Zusammenspiel von Begegnung, Bewertung und Beziehung häufig online und im Modus des Foto-/Selfie-Postings abspielt, bietet sich im Religionsunterricht eine konkrete, mediale Anforderungssituation an (vgl. Fuchs, 2019, 304).
Um die Engführung von Schönheit vom Körper auf die Schöpfung auszuweiten, können in der Primarstufe auch verschiedene Naturbilder bzw. Naturmaterialien (z.B. Steine, Wurzeln, Muscheln etc.) ausliegen bzw. mitgebracht werden. Die Schülerinnen und Schüler suchen sich ein Bild oder Objekt aus, das sie besonders schön finden und stellen es sich gegenseitig vor. Danach werden Psalmverse betrachtet, die die Schönheit der Schöpfung und des guten Miteinanderlebens der Geschöpfe als Ausdruck der Schönheit Gottes preisen (siehe oben Kap. 2.1.4.) und im Gespräch vertieft. Abschließend ergänzen die Kinder auf Karten den Satz „Ich finde schön …“ oder „Gottes Schönheit zeigt sich …“. Die Sätze werden reihum vorgelesen oder ausgelegt.
5.2. Körperorientiertes Vorgehen
Da der Grundsatz der Subjektorientierung die anthropologische Dimension der Leib- und Körperlichkeit beinhaltet (→ Leib und Körper
Ein mögliches Vorgehen ist, dass die Schülerinnen und Schüler fiktive Körperumrisse nach ihren Schönheitsvorstellungen individuell gestalten und sich zunächst in Kleingruppen darüber austauschen. Daran schließt sich ein Gespräch an, inwieweit ihre Schönheitsvorstellungen ihre Individualität zum Ausdruck bringen oder durch mediale Vorbilder geprägt sind. Dies kann Reflexionsprozesse und neue Sichtweisen auf den eigenen Körper anstoßen und die Jugendlichen dafür sensibilisieren, nicht unrealistischen Idealen nachzueifern, sondern sich selbst in ihrer Unvollkommenheit zu akzeptieren und Mut zur Abweichung zu haben (vgl. Teschmer, 2023, 274-276).
Literaturverzeichnis
- Barten, Antje, Ganz schön behindert – Behinderung, Lookismus und die eigene Identität, in: Diamond, Darla u.a. (Hg.), Lookismus. Normierte Körper – diskriminierende Mechanismen – (Self-)Empowerment, Münster 2017, 36-40.
- Beiner, Melanie/von Stemm, Sönke, „Bei mir bist du schön“. Fotoshooting zur Gottebenbildlichkeit von Frau und Mann. Eine Unterrichtseinheit für die Sekundarstufe I oder die Konfirmandenarbeit, in: Loccumer Pelikan (2010) 2, 72-80.
- Bieberstein, Sabine, Warum aufwändige Frisuren, Schmuck und kostbare Kleider gefährlich sind. Die Schönheitskritik in 1 Tim 2,9-15, in: Thöne, Yvonne Sophie (Hg.), Schön!: Biblische Aspekte von Schönheit, Stuttgart 2019, 71-79.
- Bienert, Maren/Fuchs, Monika E. (Hg.), Ästhetik – Körper – Leiblichkeit. Aktuelle Debatten in bildungsbezogener Absicht, Stuttgart 2018.
- Binckli, Joël, Physische Attraktivität als unterschätzter Faktor sozialer Ungleichheit für die Erwerbsbiographie: Von der Schulnote bis zur Personalauswahl, in: Krause, Johannes/Binckli, Joël/Rosar, Ulrich (Hg.): Soziale Wirkung physischer Attraktivität. Eine Einführung, Wiesbaden 2022, 93-129.
- Brockmöller, Katrin, Das alles hat Gott „schön“ gemacht. Facetten eines biblischen Begriffs, in: Thöne, Yvonne Sophie. (Hg.), Schön!: Biblische Aspekte von Schönheit, Stuttgart 2019, 27-33.
- Dunkake, Imke/Kiechle, Thomas/Klein, Markus/Rosar, Ulrich, Schöne Schüler, schöne Noten? Eine empirische Untersuchung zum Einfluss der physischen Attraktivität von Schülern auf die Notenvergabe durch das Lehrpersonal, in: Zeitschrift für Soziologie, 41 (2012) 2, 142-160.
- Etzelmüller, Gregor, Gottes verkörpertes Ebenbild. Theologische Anthropologie, in: Loccumer Pelikan (2022) 2, 9-13.
- Fuchs, Monika,: Art. Mensch, in: Rothgangel, Martin/Simojoki, Henrik/Körtner, Ulrich K. J. (Hg.): Theologische Schlüsselbegriffe. Subjektorientiert – biblisch – systematisch – didaktisch, Göttingen 2019, 294-305.
- Ganterer, Julia, Körpermodifikationen und leibliche Erfahrungen in der Adoleszenz: eine feministisch-phänomenologisch orientierte Studie zu Inter-Subjektivierungsprozessen, Berlin 2019 (Diss. 2018).
- Gruber, Margarete/Michel, Andreas, Art. Schönheit, in: Crüsemann, Frank/Hungar, Kristian/Janssen, Claudia u.a. (Hg.): Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 503-504.
- Grümme, Bernhard, Art. Anthropologie (2016), in: Das wissenschaftlich-religionspädagogische Lexikon im Internet www.wirelex.de
(https://doi.org/10.23768/wirelex.Anthropologie.100185 , PDF vom 16.09.2020). - Kaiser, Otto, Von der Schönheit des Menschen als Gabe Gottes, in: Graupner, Axel u.a. (Hg.), Verbindungslinien (FS W.H. Schmidt), Neukirchen-Vluyn 2000, 153-163.
- Kath. Bibelwerk Stuttgart, Bibel heute 235, Behinderung (2023) 3.
- Kügler, Joachim, Männliche Schönheit als Gottesmacht. Josef, David und andere schöne Männer in der Bibel, in: Thöne, Yvonne Sophie (Hg.), Schön!: Biblische Aspekte von Schönheit, Stuttgart 2019, 42-51.
- Krause, Johannes/Binckly, Joel/Rosar, Ulrich (Hg.), Soziale Wirkung physischer Attraktivität. Eine Einführung, Wiesbaden 2022
- Krüger, Thomas, Art. Schönheit, in: Berlejung, Angelika/Frevel, Christian (Hg.), Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006, 359-360.
- Loader, James Alfred, Art. Schönheit, in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de
), 2010 (Zugriffsdatum: 09.10.2024, (http://www.bibelwissenschaft.de/de/stichwort/27269/ ). - Magdlener, Elisabeth, Behindert*schön, in: Our*Bodies. Feministisches Gesundheitsmagazin (April 2022).
- Oeming, Manfred, Art. Schönheit. II. Biblisch-theologisch, in: in: Religion in Geschichte und Gegenwart 4. Aufl. VII (2004), 961-962.
- Puttkammer, Annegret, Schön von Kopf bis Fuß. Schönheit im Hohen Lied, in, Reuter, Eleonore (Hg.), FrauenKörper, Stuttgart 2007, 22-27.
- Reuter, Eleonore, „Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes.“ Gottes Schönheit in der Bibel, in: Thöne, Yvonne Sophie (Hg.), Schön!: Biblische Aspekte von Schönheit, Stuttgart 2019, 80-86.
- Richter, Susanne, „Hallo Schönheiten!“ Aushandlungen der Geschlechterordnungen in der YouTube Beauty Community, Frankfurt 2021.
- Schlehahn, Raphael, Gefährdende Blicke. Sexualisierte Gewalt in alttestamentlichen Erzählungen (Batseba und Tamar), in: Thöne, Yvonne Sophie (Hg.), Schön!: Biblische Aspekte von Schönheit, Stuttgart 2019, 61-70.
- Schreiber, Julia, Körperoptimierung: Selbstverbesserung zwischen Steigerungsdruck und Leibgebundenheit, Wiesbaden 2021.
- Schroer, Silvia/Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 2. Aufl. 2005.
- Spiering-Schomborg, Nele, Sexualisierte Gewalt und Bibeldidaktik, in: Retkowski, Alexandra/Treibel, Angelika/Tuider, Elisabeth (Hg.), Handbuch sexualisierte Gewalt und pädagogische Kontexte. Theorie, Forschung, Praxis, Weinheim/München 2018, 679-688.
- Teschmer, Caroline, Perspektiven einer körpersensiblen Religionspädagogik des Jugendalters, Stuttgart 2023.
- Theuer, Gabriele, Gott sah, dass es „schön“ war. Schönheit als Zielperspektive der Schöpfung, in: Thöne, Yvonne Sophie (Hg.), Schön!: Biblische Aspekte von Schönheit, Stuttgart 2019, 87-96.
- Thöne, Yvonne Sophie (Hg.), Schön! Biblische Aspekte von Schönheit, Stuttgart 2019.
- Westermann, Claus, Das Schöne im Alten Testament, in: Westermann, Claus, Erträge der Forschung am Alten Testament. Gesammelte Studien Bd. III, München 1984, 119-137.
- Wolf, Daniel, Eine kleine Kulturgeschichte der Schönheit, in: Thöne, Yvonne Sophie (Hg.), Schön!: Biblische Aspekte von Schönheit, Stuttgart 2019, 12-26.
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
- folgt