Deutsche Bibelgesellschaft

Theodizee

Begriff

Der Begriff Theodizee benennt das Problem der Rechtfertigung Gottes angesichts einer gegen ihn vorgetragenen Anschuldigung wegen des in der Welt begegnenden Übels. Er stammt, nach Röm 3,5 gebildet, von Gottfried Wilhelm Leibniz, der mit ihm seine „Abhandlungen zur Rechtfertigung (Théodicée) Gottes, über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels“ überschrieben hatte. Damit ist zunächst deutlich, dass der Begriff Theodizee kein biblischer ist, dass man also nur implizite Hinweise auf diese Problematik erwarten kann.

Tun-Ergehen-Zusammenhang

Im AT ist in den älteren Schichten die Anschauung belegt, dass sich Tun und Ergehen eines Menschen entsprechen. Wer nicht gerecht/gemeinschaftstreu handelt, sammelt um sich eine unsichtbare Unheilssphäre, die einst auf diesen Übeltäter negativ zurückwirken wird. Dementsprechend ist jemand, der Gutes tut, auch mit einer guten Heilssphäre ausgestattet (Tun-Ergehen-Zusammenhang). Damit wird das Leiden als notwendige Folge eigener Schuld verstanden, die sich sogar ohne besonderes Zutun Gottes negativ auswirken kann. Dieses Verständnis erreichte dann seinen Höhepunkt mit der Deutung der Zerstörung Jerusalems und des Exils als „gerechte“ Strafe für Israels Abfall – so vor allem im deuteronomistischen Geschichtswerk.

Bis in die exilische Zeit hinein gab es folglich wenig Zweifel daran, dass Gott gerecht handeln würde. Wenn es auch in Israel wie in anderen Kulturen (Zweistromland: Sumerischer Hiob, babylonische Theodizee; Ägypten: Mahnworte des Ipuwer, Harfnerlieder) das Thema des leidenden Gerechten gab, so konnte man das Problem doch anfänglich damit lösen, dass man generationenübergreifend dachte: Das dem Gerechten fehlende Wohlergehen werde seinen Nachkommen eignen (vgl. Dtn 5,9f.: Gott sucht Schuld bis in das dritte und vierte Geschlecht heim, übt aber Gnade bis in das 1000. Geschlecht).

Ungerechtes Leiden

Doch immer mehr brach sich die Erkenntnis Bahn, dass einerseits sich Tun und Ergehen nicht immer wirklich entsprechen und andererseits das Verschieben auf spätere Generationen keine Lösung sein konnte. Texte wie Jer 12,1–6 (in der ersten Konfession), Ps 49 und 73 formulieren, dass es dem Sünder gut, dem Gerechten aber dagegen schlecht geht, und begehren gegen Gott auf. Ezechiel versucht gegen solche Kritik einen individuellen Tun-Ergehen-Zusammenhang plausibel zu machen, vgl. Ez 18. Spätere Propheten erwarten die Aufrichtung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs für den Tag JHWHs, so Mal 3,18: „Dann werdet ihr wieder den Unterschied zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen sehen, zwischen dem, der ihm dient und dem, der ihm nicht dient.“

Hiob

Der wichtigste Versuch zur Bewältigung dieser Problematik findet sich in den Dichtungen des Hiobbuches, in denen die Anklagen gegen Gott in bis dahin nicht gehörter Schärfe formuliert werden. Doch zu einer Lösung kommt es auch hier nicht. Gott redet zweimal mit Hiob (Kap. 38f.; 40f.), er verweist auf seine Majestät und die Schönheit der Schöpfung; er, Gott, dämmt allein das Chaos ein. Doch auf Hiobs Anklagen und die Herausforderungen geht er nicht ein. Dennoch unterwirft Hiob sich Gott und bekennt, ohnmächtig und unwissend zu sein. Die Lösung des Hiobbuches wird man so verstehen müssen, dass Gott dem Bösen einen Raum in der Schöpfung zugestanden hat, auch wenn er letztlich der allen Überlegene ist. Warum das so ist, weshalb Gott das Leiden der Menschen in Kauf nimmt, darauf wird offenbar keine Antwort gegeben oder es liegt außerhalb des Horizontes der Dichtung.

Kohelet

Eine etwas andere Antwort findet Kohelet, der Prediger Salomo. Für ihn ist alles „eitel“, besonders der Versuch der Menschen, im Weltenlauf Sinn entdecken zu wollen. Fromme und Gottlose haben dasselbe Geschick (8,9–17), Gottes Wollen ist nicht zu erkennen. Als einzige Lösung bietet Kohelet an, „fröhlich zu sein bei seinem Tun, das ist sein Teil, denn wer will ihn dazu bringen, sich zu freuen über das, was nach ihm kommt“ (3,22), vgl. 9,7ff.: „Geh, iss mit Freuden dein Brot und trink deinen Wein mit fröhlichem Herzen, denn längst hat Gott dein Tun gebilligt ... denn in der Unterwelt, wohin du gehst, gibt es kein Schaffen oder Planen, keine Erkenntnis oder Weisheit.“ Die Perspektive des Predigers ist demnach allein auf das Diesseits ausgerichtet.

Apokalyptik

In der Apokalyptik wurde demgegenüber die Vorstellung entworfen, dass die Gerechten einen Schatz im Himmel erwerben (vgl. Weish 3,1–4), der sich bei der Auferstehung mit ihnen vereinigen und sie verklären werde. Gott setzt sich also noch nach dem Tode der Glaubenden durch, verhilft ihnen dann zu ihrem Recht (Dan 12,1–3; 2Makk 7).

Neues Testament

Im Neuen Testament wurde die Theodizeefrage durch Paulus insofern gelöst, als er Gott nach 1Kor 1,18ff. am Kreuz, also in der Gestalt des Gekreuzigten sieht. Dies ist für die ganze Weisheit der Welt eine Torheit, schlechthin absurd. Damit werden Vorstellungen wieder aufgenommen, die beim unschuldig-stellvertretenden Leiden des Gottesknechts in Jes 53 bereits angeklungen waren.

Literatur

H. P. Müller, Das Hiobproblem, EdF 84, 1995.

M. Rösel, Art. Tun-Ergehen-Zusammenhang, NBL 3, 2001, S. 931–934.

M. Oeming, K. Schmid, Hiobs Weg. Stationen von Menschen im Leid, BThSt 45, 2001.

Jahrbuch für Biblische Theologie, Bd. 19: Leben trotz Tod, 2004.

Deutsche Bibelgesellschaftv.4.25.3
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