Deutsche Bibelgesellschaft

4.09. Der 2. Thessalonicherbrief (2Thess)

Übersicht über den 2. Thessalonicherbrief

1,1f. Präskript
1,3-12 Proömium
2,1-12 Das Erscheinen des Antichrist als Vorbedingung der Parusie
2,13-3,5 Dank für die Erwählung der Gemeinde, Fürbitte, Bitte um Fürbitte der Gemeinde
3,6-12 Müßiggänger in der Gemeinde und das Vorbild des Apostels
3,13-16 Schlussparänese
3,17f Postskript

Der Verfasser

Der 2Thess erhebt in 1,1 den Anspruch, wie der 1Thess von Paulus, Silvanus und Timotheus verfasst worden zu sein. Dann müsste er kurz nach dem 1Thess entstanden sein, da die beiden im Absender genannten Mitarbeiter Paulus unseres Wissens nur während der 2. Missionsreise begleitet haben.

Gegen diese Einordnung spricht der Abschnitt 2,1-12, in dem der Verfasser eine Eschatologie entfaltet, die vollkommen andere Akzente setzt als 1Thess 4,13-18. Während dort die Parusie des Auferstandenen im Mittelpunkt steht (vgl. 1Kor 15,23), ist 2,1-12 ganz auf die Erscheinung des Antichristen und seine Vernichtung ausgerichtet. Nimmt man Paulus als Verfasser des 2Thess an, müsste er also in einem erheblichen zeitlichen Abstand vom 1Thess geschrieben worden sein. Dazu kommt, dass die Argumentation in 2,1-12 insgesamt untypisch für den Apostel ist.

Deshalb wird in der Forschung heute weithin die Annahme vertreten, dass der 2Thess das Schreiben eines unbekannten Verfassers ist, der unter dem Pseudonym des Apostels schrieb. Als Vorlage dieses pseudepigraphen Schreibens diente der 1Thess. Die Makrostruktur dieses Briefes ist komplett übernommen worden. Daneben stimmen ganze Passagen im Wortlaut beinahe überein (vgl. 1Thess 1,1 mit 1,1f.; 1Thess 3,11 mit 2,16 u. ö.). Die Benutzung des 1Thess als literarische Vorlage geschieht so extensiv, dass gelegentlich sogar die These vertreten worden ist, 2Thess habe 1Thess als authentischen Paulusbrief verdrängen wollen (vgl. 2,2). Sehr viel wahrscheinlicher hatte der Verfasser des 2Thess die Absicht, die seiner Meinung nach authentische Interpretation der paulinischen Eschatologie in einer neuen Situation vorzulegen.

Der Anlass des Briefes

Die literarische Fiktion führt im Falle des 2Thess dazu, dass man über 2,1-12 hinaus kaum genaues zu der Situation sagen kann, in der der Brief entstanden ist. In 1,4 spricht der Verfasser zwar von Verfolgungen, tut das aber in so allgemeiner Weise, dass sich daraus nichts gewinnen lässt. Auch die zunächst so konkret scheinenden Missstände in 3,6-12 gehören möglicherweise zur literarischen Fiktion (vgl. 1Thess 5,13f.). Nirgendwo ist eine Verbindung zu der in 2,2f. genannten Irrlehre angedeutet.

So bleibt allein die von einigen frühchristlichen Propheten (vgl. 2,2) vertretene Meinung, dass der Tag des Herrn schon da sei, als Anlass des 2Thess übrig. Der Verfasser reagiert auf diese enthusiastische Variante frühchristlicher Eschatologie mit dem Rückgriff auf die Autorität des Apostels Paulus. Allerdings entwickelt er die paulinische Theologie nicht kreativ weiter. Vielmehr argumentiert er an der entscheidenden Stelle gerade unpaulinisch. Paulinische Wendungen nimmt er eher mechanisch auf. Von daher stellt sich die Frage, ob der Verfasser überhaupt der paulinischen Schule zuzurechnen ist.

Abfassungsort und -zeit

Die wenigen konkreten Angaben des 2Thess machen eine genaue Lokalisierung und Datierung unmöglich. Das theologische Profil des Briefes (positive Wertung der Parusieverzögerung, Traditionstheologie, Charakter der Paränese) spricht für eine Datierung an das Ende des 1. Jh. Ob der Brief tatsächlich für die Gemeinde in Thessalonich geschrieben wurde, ist nicht sicher. Häufig wird Kleinasien als Abfassungs- und Adressatenort vermutet.

Literarischer Charakter

Die klare Gliederung des 2Thess folgt weitgehend dem 1Thess. Nur der Abschnitt 2,1-12 hat dort keine Parallele. Der literarischen Form nach kann der 2Thess als allgemeines Mahn- und Lehrschreiben bezeichnet werden.

Der Briefanfang

Im Proömium (1,3-12) geht „Paulus“ breit auf das kommende gerechte Gericht Gottes ein. Die Verfolgungen, welche die Gemeinde zu erleiden hat, sind Anzeichen dieses Gerichtes. In ihm wird Gott Vergeltung an den Bedrängern der Gemeinde üben. Der Autor bittet für die Gemeinde, dass sie von Gott ihrer Berufung würdig gemacht werde.

Das Erscheinen des Antichrist als Vorbedingung der Parusie

In der Gemeinde sind frühchristliche Propheten aufgetreten, die sich auf einen angeblichen Paulusbrief berufen, und die Gegenwart der Parusie Jesu Christi verkünden. Ihre Lehre hat offenbar zu Verwirrungen unter den Adressaten geführt (2,2). „Paulus“ erinnert an seine schon früher bei den Adressaten vorgetragene Lehre, dass vor der Parusie erst der Abfall von Gott und der Antichrist kommen müssen. Jetzt existiert noch eine Größe, die den Antichrist zurückhält. Erst wenn sie beseitigt ist, wird der jetzt geheim wirkende „gesetzwidrige Mensch“ (2,8) offenbar werden. Sein Auftreten und seine Vernichtung während der Parusie des Herrn Jesus wird die Verlorenen, die sich von ihm verführen lassen, mit in die Vernichtung reißen (2,1-12).

Über die Größe, die den Antichrist zurückhält, ist in der Wirkungsgeschichte des Textes viel spekuliert worden. Am wahrscheinlichsten ist die Deutung auf das Imperium Romanum, aber eine eindeutige Entschlüsselung der rätselhaften Aussagen scheint nicht möglich zu sein. Eindeutig scheint hingegen, dass das Wirken dieser Größe dem Willen Gottes entspricht (vgl. 2,6 – „zur festgesetzten Zeit“). Damit sieht der Verfasser in der Verzögerung der Parusie letztlich Gott am Werk.

Paränese

Ein erneuter Dank des Verfassers, seine Fürbitte für die Gemeinde und die Bitte um deren Fürbitte (2,13-3,5) leiten zur Paränese (3,6-12) über. In ihr wendet sich „Paulus“ gegen Brüder, die „ein unordentliches Leben führen“ (3,11; vgl. 3,6). Sie dienen als Exempel für jeden, der „sich nicht an die Überlieferung hält, die ihr von uns empfangen habt“ (3,6). Die Lehre des Apostels und sein Leben dienen als Maßstab christlichen Lebens.

Briefschluss

Die Schlussparänese (3,13-16) betont die Verbindlichkeit der Mahnungen des Briefes. Wer auf sie nicht hört, soll gemieden werden. Ebenso dient die Betonung der Eigenhändigkeit des Abschlussgrußes der Autorität des Briefes. Der Gnadenwunsch schließt den Brief ab, in dem Grüße fehlen.

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Deutsche Bibelgesellschaftv.4.23.1
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