Wörtliche Übersetzung »Königsherrschaft Gottes«. »Reich Gottes« meint den Bereich, in dem Gott sich als Herr erweist. Er liegt nicht, wie es oft missverstanden wird, im Himmel, sondern gerade in unserer Welt und in unserem Leben. Das Anbrechen der Herrschaft Gottes ist das zentrale Anliegen, um das es Jesus in seinem ganzen Wirken geht. Jesus kann dabei an Erwartungen anknüpfen, die zu seiner Zeit im Judentum lebendig waren: Man hoffte auf ein Eingreifen Gottes, das die ganze Welt von Unrecht, Leiden und Tod befreien würde. Teilweise war mit der Erwartung des »Reiches Gottes« auch die Hoffnung auf die politische Befreiung des Landes von der Herrschaft der Römer verbunden. Eine solche politische Zukunftsvision für das Volk Israel findet sich jedoch bei Jesus nicht.
Seine Botschaft vom kommenden Reich Gottes umfasst vielmehr die Aufforderung an die Menschen, sich selbst und ihr ganzes bisheriges Handeln zu überprüfen und aufzugeben, was sie von Gott trennt. Jesus gibt den Menschen ganz neue Maßstäbe. Sie haben in den Lebensregeln der Bergpredigt (vgl. Matthäus 5–7), besonders im Gebot der Feindesliebe (vgl. Matthäus 5,43-48) ihren Ausdruck gefunden. Wo Menschen Gott als Herrn erkennen und anerkennen und einander nach seinem Willen lieben, dort beginnt das Reich Gottes.
Auch die Taten von Jesus, seine »Wunder«, sind Zeichen für die anbrechende Gottesherrschaft: Blinde sehen, Gelähmte gehen und Aussätzige werden gesund (vgl. Matthäus 11,2-6). Doch nicht nur körperlich soll die Welt wieder heil werden. Ein Zeichen ganz besonderer Art ist es, dass Jesus sich denen zuwendet, die am Rand der Gesellschaft stehen, und zwar nicht nur den Armen, sondern auch denen, die Schuld auf sich geladen haben. Ihnen gilt seine besondere Aufmerksamkeit und Liebe. Die Reichen, Satten und Selbstzufriedenen dagegen sieht Jesus in höchster Gefahr. Wenn Gottes Herrschaft kommt, wird das Urteil über sie gesprochen (vgl. Lukas 6,20-26).
Die Botschaft vom Reich Gottes steht in einer Spannung zwischen »Schon« und »Noch nicht«. Im Handeln und Reden von Jesus ist »Gottes Reich« schon sichtbar, vor allem für die, die seine Worte ernst nehmen und ihnen glauben. Die endgültige Vollendung aber ist noch nicht da. Das Reich Gottes ist gegenwärtig und zukünftig zugleich.
Die Frage, ob und wie sich Gottes Herrschaft durchsetzen wird, beantwortet Jesus mit Gleichnissen, die vom Keimen, Aufgehen und Wachsen von Samenkörnern handeln (z.B. vgl. Markus 4). Sie besagen: Der entscheidende Anfang ist gemacht. Auch wenn er klein und ohnmächtig erscheinen mag in dieser Welt: Gott wird sein Werk vollenden! Dies wird jedoch nicht das Ergebnis eines Prozesses sein, der sich im Stillen nur innerhalb unserer Welt vollzieht. Vielmehr wird Gott selbst nach Katastrophen und Krisen seine Herrschaft endgültig durchsetzen (vgl. Markus 13,7-20; Matthäus 24,37-44).