In dem Bild von Jesus als dem »Lamm Gottes« fließen verschiedene Vorstellungen zusammen:
(1) Das Bild vom neuen Passalamm (vgl. 1. Korinther 5,7): Vor dem Auszug aus Ägypten schlachteten die Israeliten ein Lamm (vgl. 2. Mose/Exodus 12). Mit seinem Blut bestrichen sie die Türpfosten ihrer Häuser. Das sollte die Israeliten schützen, denn in dieser Nacht zog Gott durch ganz Ägypten und tötete jedes erstgeborene Kind von Mensch und Tier. Das Blut am Türpfosten diente als Erkennungszeichen. An den Häusern, die dieses Zeichen trugen, ging Gott vorbei und so wurden die Israeliten verschont. Zur Erinnerung an diese Rettung feiern die Juden bis heute jedes Jahr das Passafest. – Wenn Jesus als neues Passalamm beschrieben wird, bedeutet das: Durch seinen Tod am Kreuz sind wir vor dem ewigen Tod gerettet.
(2) Das Bild von dem geduldig (und stellvertretend) leidenden Lamm (vgl. Jesaja 53,4-7): In Jesaja 52,13–53,12 wird in einem Lied aus der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft vom »Gottesknecht« erzählt. Der wird misshandelt und getötet. Sein Schicksal wird als stellvertretendes Leiden und Sterben für das Volk gedeutet, das er geduldig trägt und durch das er die Schuld der »Vielen« wegnimmt. Der Gottesknecht wird in Jesaja 53,7 mit einem Lamm verglichen, das zum Schlachten geführt wird. Am Ende steht jedoch nicht der Tod des Gottesknechts, sondern die Verheißung, dass Gott ihn zum Leben erwecken wird (Jesaja 53,10). – Die christliche Gemeinde hat das Lied vom Gottesknecht von Anfang an als Ankündigung und Deutung des Schicksals von Jesus verstanden.
(3) Das Bild vom Opferlamm (vgl. 1. Petrus 1,19): Wurde ein Mensch zur Zeit des Alten Testaments schuldig, d. h. verstieß er gegen das göttliche Gesetz, dann musste er ein Sühneopfer darbringen. So konnte er die beschädigte Heiligkeit und Reinheit des Volkes und Landes wiederherstellen. – Wenn Jesus als Opferlamm beschrieben wird, bedeutet das: Er ist das endgültige Opfer, durch das alle unsere Schuld gesühnt ist.
(4) Das Bild vom »Sündenbock«, der die Schulddieser Welt wegnimmt (Johannes 1,29): Der »Sündenbock« geht auf ein Ritual am Versöhnungstag, dem höchstenjüdischen Feiertag, zurück (vgl. 3. Mose/Levitikus 16,7-10 und 3. Mose/Levitikus 16,15-22). Dabei wurde ein Ziegenbock symbolisch mit der ganzen Schuld beladen, die das Volk Israel das Jahr über angesammelt hatte. Anschließend wurde er in die Wüste getrieben und trug so die Schuld buchstäblich davon. – Wenn Jesus als »Sündenbock« beschrieben wird, bedeutet das: Jesus nimmt unsere Schuld auf sich und trägt sie davon. Daher können wir frei von Schuld leben.