(1) Altes Testament: Zwischen Gott und dem Menschen besteht ein Unterschied, der nicht vom Menschen, sondern nur von Gott überwunden werden kann. Wenn sich Gott dem Menschen zuwendet, geschieht das aus Gnade. Besonders in den Psalmen wird Gott um seine Gnade gebeten (Psalm 4,2; Psalm 6,3; Psalm 9,14 u.ö.). Wo Menschen die unverdiente Zuwendung Gottes erfahren haben und auf sie zurückblicken, drückt sich das entsprechend im Dank für seine Gnade aus (Psalm 86,15; Psalm 103,8 u.ö.). Doch nicht nur der einzelne Menschen kann bei Gott Gnade finden, sondern auch eine Gruppe von Menschen, vor allem das Volk Israel (2. Mose/Exodus 33,16; 4. Mose/Numeri 6,25). Es bleibt dabei immer Gottes freie Entscheidung, sich einem Menschen bzw. einer Gruppe von Menschen gnädig zuzuwenden oder auch nicht (2. Mose/Exodus 33,19). Doch trotz dieses Vorbehalts gehört das Bekenntnis zu Gottes Gnade zu den grundlegenden Einsichten des Alten Testaments.
Im zwischenmenschlichen Bereich bezeichnet Gnade meist die Zuwendung eines höher gestellten Menschen zu einem Untergebenen (z.B. 1. Mose/Genesis 32,6).
(2) Neues Testament: Das Neue Testament erkennt in der Sendung von JesusChristus und in seinem Sterben für die Menschen am Kreuz den höchsten Ausdruck der Gnade Gottes (Hebräer 2,9). An JesusChristus wird deutlich, dass Gott sich jedem Menschen liebevoll zuwendet. Besonders für den ApostelPaulus wird Gnade daher zu einem theologischen Leitbegriff. Nach Paulus hätte der Mensch wegen seiner Schuld zwar den Tod verdient (Römer 6,23), doch Gott überwindet aus Gnade die Feindschaft des Menschen ihm gegenüber (Römer 3,24). Der Mensch darf in die Gemeinschaft mit Gott eintreten, ohne irgendwelche Voraussetzungen erfüllen zu müssen (siehe Gesetz 2b).