„Bibel persönlich“ von Margot Käßmann aus: Bibelreport Sonderausgabe 2017, S.16-17
Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mir, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. Ja, selig ist, die da geglaubt hat! Denn es wird vollendet werden, was ihr gesagt ist von dem Herrn.
(Lukas 1,39-45, Lutherbibel 2017)
Als ich kürzlich die Begegnung von Maria und Elisabeth nachgelesen habe, dachte ich: Warum geht eine schwangere Frau übers Gebirge in das Haus einer anderen Frau und bleibt da volle drei Monate? Gebirge heißt doch: nicht gerade ein Spaziergang! Allein und schwanger – wo liegt der Grund? Sehr jung muss Maria gewesen sein, Exegetinnen schätzen heute, sie war 13 oder 14 Jahre alt. Bleibst du da nicht lieber zuhause, bei deiner Mutter oder bei deinem Mann?
Nach der Erzählung des Lukasevangeliums hat Maria ein Engel verkündigt, dass sie schwanger ist und ihr Sohn eine ganz besondere Rolle spielen wird. Wahrscheinlich sucht sie schlicht eine Gleichgesinnte, Schutz und Trost und Ermutigung braucht sie in dieser schwierigen Situation. Wohin mit all den Gefühlen? Manche sagen, Elisabeth war ihre Tante, ihre Cousine, das alles wissen wir nicht. Aber es ist klar: Elisabeth war auch schwanger, und zwar ebenfalls unerwartet. Es heißt, sie sei „hochbetagt“ gewesen, als sie schwanger wurde, aber das hieß damals wohl eher, sie war um die 30.
Es geht also um zwei Frauen, die in ungewöhnlicher Situation schwanger werden, die eine lange kinderlos geblieben, die andere sehr jung, nicht verheiratet. Da sucht die sehr Junge bei der Älteren Halt. Und die Ältere freut sich geradezu begeistert über diesen Besuch: Die Ängste teilen, die Fragen, die für beide im Raum stehen. Der Mann der Älteren ist verstummt, vom Mann der Jüngeren hören wir bis hierher bei Lukas noch gar nichts. Ist da wirklich Gott im Spiel? Was wird werden?
Im Grunde ist das doch eine sehr sensible Geschichte von Frauenfreundschaft. Zwei Frauen wissen voneinander. Sie nehmen sich Zeit miteinander, drei Monate lang (!), dieses Wunder der Schwangerschaft zu erleben. Die Unsicherheit miteinander auszutauschen. Die Glücksgefühle zu teilen, aber auch die Ängste. Und sie erleben, dass ihre Kinder offenbar aufeinander reagieren. Gewiss, Lukas komponiert das, um das Verhältnis von Johannes und Jesus, das später eine große Rolle spielt, vorweg darzustellen. Aber wir wissen heute, wie entscheidend bereits die Phase der Schwangerschaft für das im Mutterleib heranwachsende Kind ist.
Die Zeit der Schwangerschaft ist für jede Frau sehr sensibel. Der Körper verändert sich massiv. Die Hormone spielen Chaos. Und dann kommt der Moment Ende fünfter, Anfang sechster Monat, da bewegt sich das Kind in deinem Körper. Was für ein Erschrecken, was für eine Freude! Das Kind „strampelt“ im Bauch von Elisabeth, als Maria sie besucht, beziehungsweise es „hüpft“, so übersetzt Martin Luther.
Frauenfreundschaft. Das heißt in dieser Situation, keine urteilt über die Situation der anderen. Sie freuen sich miteinander und für die andere. Ob wir endlich dahin kommen in unserer Gesellschaft? Sich schlicht freuen über eine Schwangerschaft? Bei uns gibt es diese ständige Beurteilung: Wann ist der richtige Zeitpunkt, was ist die richtige Familienkonstellation? Ach ja, und die Betreuung. Genau richtig, wenn die Mutter zu Hause bleibt. Berufstätig sein musst du! Ist doch eine lockere Sache, bisschen Kinder, bisschen Beruf und du bist happy. Heute wird doch jede Alleinerziehende vom Staat versorgt. Krippe, na klar! Nee, keine Tagesmutter zu finden in der Stadt. Alle wissen in unserer Gesellschaft immer alles besser. Warum nicht so: Jede Mutter – möglichst gemeinsam mit jedem Vater – sollte entscheiden können, wie es für sie und ihr Kind, ihre Kinder, am besten ist, und alle Möglichkeiten haben zu wählen!
Das finde ich an diesem Bibeltext großartig: Die beiden Frauen freuen sich miteinander an ihren Schwangerschaften. Ja, sie haben Sorgen: Schaffe ich das noch in meinem Alter? Bin ich zu jung? Hat Gott etwas damit zu tun? Wie komme ich klar ohne Ehemann? Was werden die Leute sagen? Aber: Da wachsen zwei Kinder heran und sie sind ganz offensichtlich willkommen, völlig gleich, in welcher Konstellation sie geboren werden. Da können sich alle schlicht einmal mitfreuen und die Ängste wie die Freude und die Hoffnung mittragen.
Über die Autorin
Margot Käßmann ist evangelisch-lutherische Theologin und Pfarrerin in verschiedenen kirchlichen Leitungsfunktionen. Sie war unter anderem Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen (1983–2002), Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages (1995–1999), Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen (2002–2011), Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers (1999–2010) und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) (2009–2010). Seit April 2012 ist sie „Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017“ im Auftrag des Rates der EKD.