„Bibel persönlich“ von Eva Mündlein und Michael Jahnke aus: Bibelreport 2/2018
Für unseren Beitrag zu „Bibel persönlich“ haben wir dieses Mal eine besondere Form gewählt. Wir haben das Bild, das die kasachische Künstlerin Nelly Bube zu Jesu Senfkorngleichnis gemalt hat, betrachtet und zugleich über den biblischen Text nachgedacht. Das Gespräch, das sich aus unseren Beobachtungen und Gedanken entwickelt hat, haben wir im Folgenden aufgezeichnet.
„Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte; das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es größer als alle Kräuter und wird ein Baum, dass die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen.“
Matthäus 13,31-32
Eva Mündlein: Nelly malt nicht das Senfkorn oder den Vorgang des Säens, sondern das Ende des Gleichnisses, gewissermaßen den Zielpunkt: einen großen starken Baum, in dem sich die Vögel niederlassen.
Michael Jahnke: Das Gleichnis vom Senfkorn erzählt von einem natürlichen, aber trotzdem erstaunlichen Prozess: Aus etwas sehr Kleinem und Unscheinbarem wächst etwas sehr Großes und Starkes: das Reich Gottes. Nelly stellt diesen Vorgang selbst nicht dar. Aber die farbenfrohe und dynamische Gestaltung ihres Bildes lässt noch etwas spüren von dem Wachstum, das vorausgegangen ist. Auf mich wirkt mich das Bild sehr lebendig, ich höre fast den Wind in den Blättern rauschen.
Eva Mündlein: Besonders die Vögel stechen hervor. Sie sind überdimensional groß gemalt, dazu in leuchtenden rot-goldenen Tönen gehalten, was einen starken Kontrast zu den blau-grünen Blättern des Baumes darstellt. Ich habe fast den Eindruck, als würde Nelly sie symbolisch aufladen. Sie sagt ja selbst, dass sie Gold verwendet, um in ihren Gemälden die Präsenz Gottes darzustellen. Ob sie hier vielleicht Gottes Gegenwart in seinen Geschöpfen andeuten will?
Michael Jahnke: Spannende Frage: Was bedeuten die Vögel in dem Gleichnis? Ich denke, dass Jesus hier ein Bild verwendet, das seinen Zuhörern vertraut war. Jesus veranschaulicht damit einen Aspekt des Reiches Gottes: einen dynamischen Wachstumsprozess, der im Ende einen Nutzen, einen Gewinn hervorbringt. Ich frage mich aber, warum Nelly Bube hier nicht bei der Bildebene des Gleichnisses bleibt, sondern auch drei Menschen zeigt. Im Gleichnis kommen Menschen nicht vor.
Eva Mündlein: Bei der Darstellung der Menschen geht Nelly über den Bibeltext hinaus. Ich würde sagen, dass sie hier anfängt, das Gleichnis zu interpretieren. Interessant ist dabei, wie sich die Menschen dem Baum gegenüber verhalten.
Michael Jahnke: Die Menschen auf der linken Seite ruhen aus unter dem Schatten des Baumes. Auffallend finde ich die rechte Figur, die mit erhobenen Armen auf dem Boden kniet. Ich sehe darin eine Geste des Empfangens, eine innere und äußere Offenheit, die in Richtung des Baumes deutet.
Eva Mündlein: Vielleicht ist das die Kernaussage Nellys: Dass das Reich Gottes als Geschenk zu uns kommt – und dass die angemessene Haltung des Menschen die des staunenden Empfangens ist.
Michael Jahnke: Das erinnert mich an einen anderen Bibeltext im Neuen Testament: In Markus 10,15 sagt Jesus zu seinen Jüngern. „Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Diesen Aspekt des Himmelreiches scheint Nelly hier aufzunehmen. Das macht mich nachdenklich.
Eva Mündlein: Es geht um die Fähigkeit, sich beschenken zu lassen. Ohne schlechtes Gewissen, ohne Gegenleistung, ohne Hintergedanken. Ich kann das immer wieder in meinem Leben entdecken: die wichtigsten Dinge werden mir geschenkt. Ich kann und muss nichts dafür tun. Das eigene Leben einmal unter diesem Aspekt zu betrachten, tut gut. Ich kann Gott für vieles dankbar sein.
Über die Autoren Eva Mündlein und Michael Jahnke
Eva Mündlein, geboren 1975, studierte evangelische Theologie in Neuendettelsau, Tübingen, Leipzig und Neuchâtel (Schweiz).
2005 begann sie im Lektorat der Deutschen Bibelgesellschaft zu arbeiten. Seit 2011 ist sie verantwortliche Redakteurin des Bibelreports.
Michael Jahnke, geboren 1967, hat in Köln Erziehungswissenschaften studiert.
Zunächst war er als Referent in religionspädagogischen Handlungsfeldern tätig. Im Anschluss hat er als Lektor und Publikationsleiter Medien für die gemeindepädagogische, religionspädagogische und bibelerschließende Arbeit erstellt.
Seit 2017 ist er angestellt bei der Deutschen Bibelgesellschaft in Stuttgart. Als Abteilungsleiter Kommunikation ist der zudem für Bibelprojekte und das religionspädagogisches Verlagsprogramm verantwortlich.
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Nelly Bube: Farbjuwele biblischer Geschichten
In den Bildern der kasachischen Malerin Nelly Bube spielen biblische Geschichten eine große Rolle. Dabei entsteht zwischen Bild und Erzählung ein eigenwilliger Dialog. Auch mit dem wichtigsten und ältesten Fest im Kirchenjahr, Ostern, hat sich die Künstlerin intensiv beschäftigt. Mit einer exemplarischen Bildbetrachtung, Fragen zur Auseinandersetzung und einem didaktischen Entwurf für den Religionsunterricht, haben wir hier ein Paket für den Einsatz in Kirchengemeinde und Schule zusammengestellt.
Erfahren Sie hier mehr zu Nelly Bube