„Bibel persönlich“ von Pfarrer Martin Weber aus: Bibelreport 1/2017
Ich habe den HERRN allezeit vor Augen; er steht mir zur Rechten, so wanke ich nicht.
(Psalm 16,8)
Neulich ging ich an einer Obstbaumwiese entlang spazieren, da sehe ich einen Mann, wie er einen jungen Baum einpflanzt und ihn zu guter Letzt an einen Stock bindet. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt: „Wenn man einen jungen Baum einfach so mit seinem dünnen Stämmchen einpflanzt, dann ist er beim nächsten stärkeren Sturm dahin. Er knickt um. Daher sorgt jeder gute Baumgärtner vor und stellt seinem Bäumchen einen Stock zur Seite.“ Das hat mir eingeleuchtet. Dabei bemerkte ich auch, dass dieser Stock viel dicker war als das Bäumchen selbst. Da musste ich an diesen Bibelvers denken: „Er steht mir zur Rechten, so wanke ich nicht.“
Jeder Baum – das heißt auch Sie und ich – braucht einen Stärkeren an seiner Seite. Dann hat er Halt und kann sich anlehnen in stürmischen Zeiten. Genau das will Jesus Christus für uns sein. Jesus steht mir zur Rechten, damit ich nicht wanke, sondern festbleibe. Jesus gibt mir Halt, an ihn kann und soll ich mich anlehnen und mich an ihm festhalten.
Auch wenn es heißt: „Ein Mann wie ein Baum!“ und wir unseren Mann beziehungsweise unsere Frau stehen in Beruf, Familie, Ehrenamt, so gilt dennoch: Weil Jesus neben uns steht, können wir unseren Mann stehen. Wir alle sind wie Bäume, die so einen Stock brauchen.
Und das hat nichts mit dem Alter zu tun und auch nichts mit Glaubenserfahrung. Überlegen Sie: Wenn ein Bäumchen wächst und groß ist, kann man irgendwann den Stock wegnehmen. Es ist dann selber stark und kräftig genug. Wann sind wir Christen so weit, dass wir alleine stehen und man unseren Stock wegnehmen könnte? Nie! Wir Christen werden nie so weit sein – und das ist gut so! Wir brauchen zu jeder Zeit unseren starken Stock, Jesus Christus. Nur in Abhängigkeit zu ihm gelingt unser Leben. Dieser Stock wird nie überflüssig.
Freiheit ist ein starkes Wort. Schon in der Bibel ist von Freiheit die Rede. Doch wann bin ich wirklich frei? Ein Vergleich: Fahren Sie Ski? Wenn ja, dann kennen Sie Freiheit aus eigenem Erleben. Denn wann können Sie frei die Piste runterflitzen? Dann, wenn Sie in Bindung stehen. Ihre Skier verleihen Ihnen Freiheit.
Auch im Leben ist es so: Frei bin ich, wenn ich in der Bindung stehe – zu Jesus Christus. Dann, wenn ich ihn zur Seite habe. Dann, wenn der Glaube an ihn mich hält und trägt.
Als ich dann ein wenig auf meinem Spaziergang weiterging, sah ich einen Baum, der schon größer und mächtiger geworden war. Doch bei ihm hatte man vergessen, seinen Stock rechtzeitig wegzunehmen. Was war geschehen? Mit seinem Stamm umschloss er an manchen Stellen seinen Stock und war um ihn herumgewachsen. Der Stock war fast schon ein Teil von ihm geworden. Das ist ein treffendes Bild für unser Christsein: Ich umfasse Jesus Christus und bin in bleibender Abhängigkeit zu ihm. Nie möchte ich von Jesus wegkommen, sondern ihn umschließen, mich an ihm festhalten, ihn umschlingen, ihn in mich aufnehmen. Denn so kann ich sicher sein: „Er steht mir zur Rechten, so wanke ich nicht.“
Jesus selbst sagt es in Johannes 15,5 so: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ In Jesus bleiben. Mich über ihn freuen, dass er mir zur Rechten steht. Von ihm her leben, der an mich Lebenssaft und Lebenskraft weitergibt. Alles tolle Umschreibungen für unser Christsein.
Und dann gelingt es auch, was der Psalmbeter im ersten Teil seines Verses sagt: „Ich habe den HERRN allezeit vor Augen.“ Das klingt erst einmal herausfordernd: allezeit. Aber vergleiche ich es mit diesem Baum, der seinen Stock umwachsen hat, dann ist das bei ihm Realität: Er hat seinen Herrn allezeit vor Augen. Sie sind in Beziehung zueinander. Und das ganz automatisch, ohne große Anstrengung, sondern einfach so.
Christsein ist weniger Aktivität, sondern vielmehr sich diesem Herrn anvertrauen und ihn bewusst im Alltag wahrnehmen. Und das möchte ich. Eine innige Beziehung und von Treue geprägte Gemeinschaft zwischen Gott und mir. Ihn vor Augen haben und erleben, wie seine Stärke mir Halt gibt. Die Erfahrung dieses starken Gottes wünsche ich Ihnen.
Über den Autor
Martin Weber (geb. 1976) hat in Krelingen, Marburg und Tübingen Theologie studiert.
Er ist Pfarrer in der Gemeinde Kirchberg an der Murr und 1. Vorsitzender der Deutschen Indianer Pionier Mission. Außerdem schreibt er für die Serendipitiy-Reihe des Brunnen Verlags.
Weber ist verheiratet und hat vier Kinder.