Hiob 19
4. Hiobs Antwort (fünfte Gegenrede)
a) Hiobs Klage über seine Freunde, die ihn ohne Beweis beschimpfen, statt die Schuld auf die grundlose Feindschaft Gottes zu schieben
1Da antwortete Hiob folgendermaßen:
2»Wie lange wollt ihr mein Herz noch betrüben und mich mit Reden martern? 3Schon zehnmal habt ihr mich geschmäht; ihr schämt euch nicht, mir wehzutun! 4Und hätte ich mich wirklich verfehlt, so wäre doch meine Verfehlung meine eigene Sache. 5Wollt ihr wirklich gegen mich großtun (= über mich triumphieren), so erbringt mir den Beweis für das mich Beschämende! 6Erkennt doch, daß Gott mir unrecht getan und mich mit seinem Fangnetz rings umgarnt hat!«
b) Hiobs Klage über das schwere, von Gott zu Unrecht ihm zugefügte Leid und über das verächtliche Auftreten der Menschen gegen ihn
7»Seht: schreie ich über Gewalttat, so finde ich keine Erhörung; rufe ich um Hilfe, so gibt es keinen Rechtsspruch. 8Den Weg hat er mir vermauert, so daß ich nicht weiterschreiten kann, und über meine Pfade hat er Finsternis ausgebreitet. 9Meiner Ehre hat er mich entkleidet und die Krone mir vom Haupte weggenommen. 10Er hat mich niedergerissen um und um, so daß es aus mit mir ist, und hat meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum. 11Er hat seinen Zorn gegen mich lodern lassen und mich seinen Feinden gleichgeachtet. 12Allzumal sind seine Kriegerscharen herangerückt, haben sich einen Weg zum Angriff gegen mich aufgeschüttet und sich rings um mein Zelt her gelagert. 13Meine Brüder haben sich fern von mir gehalten, und meine Bekannten sind mir ganz entfremdet; 14meine Verwandten bleiben weg, und meine vertrauten Freunde haben mich vergessen; 15meine Hausgenossen und selbst meine Mägde sehen in mir einen Fremden: ein Unbekannter bin ich in ihren Augen geworden. 16Rufe ich meinen Knecht, so antwortet er mir nicht: ich muß ihn anflehen und ihm gute Worte geben. 17Mein Atem ist meinem Weibe zuwider und mein übler Geruch meinen leiblichen Brüdern. 18Selbst die Buben mißachten mich: mache ich (vergebliche) Versuche zum Aufstehen, so verspotten sie mich. 19Allen meinen Vertrauten ekelt vor mir, und die ich liebgehabt habe, stehen mir feindlich gegenüber. 20An meiner Haut und meinem Fleisch kleben meine Knochen, und von meinen Zähnen habe ich nur die Haut übrigbehalten.«
c) Hiob bittet die Freunde um Mitleid und spricht die feste Hoffnung aus, daß Gott ihm dereinst Recht schaffen, aber auch die Gefühllosigkeit der Freunde strafen werde
21»Habt Mitleid, habt Mitleid mit mir, ihr meine Freunde! Denn Gottes Hand hat mich schwer getroffen. 22Warum verfolgt ihr mich ebenso wie Gott und werdet nicht satt, mich zu zerfleischen? 23O daß doch meine Worte aufgeschrieben, o daß sie in ein Buch eingetragen würden, 24mit eisernem Griffel in Blei eingegraben, auf ewig in den Felsen eingehauen würden! 25Ich aber, ich weiß, daß mein Löser (oder: Erretter = Rechtsbeistand) lebt und als letzter auf dem Staube (d. h. hier auf der Erde) auftreten wird; 26und danach werde ich, mag jetzt auch meine Haut so ganz zerfetzt und ich meines Fleisches ledig (oder: beraubt) sein, Gott schauen, 27den ich schauen werde mir zum Heil und den meine Augen sehen werden, und zwar nicht mehr als einen Entfremdeten (= Gegner), ihn, um den sich mir das Herz in der Brust abgehärmt hat. 28Wenn ihr aber sagt: ›Wie wollen wir ihn verfolgen!‹ und ›der letzte Grund der Sache (d. h. meiner Leiden) sei in mir selbst zu finden‹, 29so fürchtet euch vor dem Schwert – denn derartige Verschuldungen verdienen die Strafe des Schwertes –, damit ihr erkennt, daß es noch ein Gericht gibt!«
Die Heilige Schrift, übersetzt von Hermann Menge. Neuausgabe © 1949/2003 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Apokryphen aus: Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, übersetzt von Hermann Menge © 1967, Württembergischen Bibelanstalt, Stuttgart