Nacht als Strafe oder als Wohltat: 17,1–18,4
1Groß und schwierig darzulegen sind deine Gerichtsentscheide; / darum gingen unbelehrbare Seelen in die Irre.
2Denn als die Gottlosen meinten, das heilige Volk zu unterdrücken, / lagen sie selber da als Gefangene der Finsternis und Gefesselte einer langen Nacht,/ eingeschlossen unter ihren Dächern, Flüchtlinge vor der ewigen Vorsehung.
3Sie glaubten, mit ihren geheimen Sünden / unter der dunklen Decke der Vergessenheit verborgen zu sein;
da packte sie furchtbares Entsetzen. / Sie wurden durch Trugbilder aufgeschreckt und auseinandergejagt.
4Auch der geheimste Winkel, in den sie sich flüchteten, konnte sie nicht vor Furcht bewahren; / verwirrendes Getöse umbrauste sie und düstere Gespenster mit finsteren Mienen tauchten auf.
5Keine Gewalt irgendeines Feuers war stark genug, Licht zu bringen; / nicht einmal die strahlenden Flammen der Sterne / vermochten es, diese todesdunkle Nacht zu erhellen.
6Es erschien ihnen nur / ein schauriger Feuerherd, der sich von selbst entzündet hatte;
wenn jener Anblick nicht mehr sichtbar war, hielten sie, / außer sich vor Entsetzen, die Dinge, die sie sahen, für noch schlimmer.
7Da versagten die Gaukeleien der Zauberkunst / und die Überprüfung der prahlerischen Klugheit fiel schmählich aus.
8Jene, die immer versprachen, Furcht und Verwirrung von der kranken Seele zu bannen, / krankten nun selber an einer lächerlichen Angst.
9Auch wenn nichts Schreckliches sie ängstigte, / wurden sie durch vorbeiziehendes Getier und zischelnde Schlangen aufgescheucht / und vergingen vor Furcht. / Nicht einmal in die Luft wollten sie blicken, der man doch nirgends entfliehen kann.
10Denn die Schlechtigkeit bezeugt ihre eigene Unsicherheit, wenn sie verurteilt wird./ Unter dem Druck des Gewissens steigert sie immer noch das Schlimme.
11Furcht ist ja nichts anderes als Verlassensein von der von der Vernunft angebotenen Hilfe.
12Je weniger man solche Hilfe erwartet, / für umso schlimmer hält man es, die Ursache der Qual nicht zu kennen.
13In Wahrheit hatte jene Nacht keine Macht; / aus den Winkeln der machtlosen Totenwelt war sie heraufgestiegen. / Sie aber, die wie sonst schlafen wollten,
14wurden bald durch Schreckgespenster aufgescheucht, / bald durch Mutlosigkeit gelähmt; / denn plötzliche und unerwartete Furcht hatte sie befallen.
15So wurde jeder dort, wo er zu Boden sank, / ein Gefangener, der in einen Kerker ohne Eisenfesseln eingeschlossen war.
16Ob jemand Bauer oder Hirt war / oder allein schwer arbeitete,
alle wurden überrascht und mussten sich dem unentrinnbaren Zwang fügen, / alle wurden durch die gleiche Kette der Finsternis gefesselt.
17Das Pfeifen des Windes, der wohlklingende Gesang der Vögel ringsum auf weitausladenden Zweigen, / das Strömen gewaltig fließenden Wassers, / das wilde Donnern stürzender Felsen,
18das Laufen hüpfender Tiere, die man nicht sehen konnte, / das laute Gebrüll wilder Raubtiere, / das aus den Schluchten der Berge zurückgeworfene Echo: / Alles und jedes jagte ihnen lähmende Furcht ein.
19Die ganze Welt erstrahlte in strahlendem Licht / und war unbehindert beschäftigt mit ihren Werken.
20Nur über jene breitete sich drückende Nacht aus, / Bild der Finsternis, die sie aufnehmen sollte. Sich selber aber waren sie eine drückendere Last als die Finsternis.